Die Bedeutung, die der Hauptverhandlung in der Schweizerischen Strafprozessordnung (StPO) zukommt, könnte kaum geringer sein. Gerade noch etwa zwei Prozent aller Strafverfahren werden in einer öffentlichen Hauptverhandlung durch richterliches Urteil abgeschlossen (siehe Niklaus Oberholzer, Grundzüge des Strafprozessrechts, 3. Auflage, Bern 2012, N 32).
Wer glaubt, wenigstens die rar gewordenen Hauptverhandlungen würden nach den Erkenntnissen durchgeführt, die selbst im strafprozessualen Entwicklungsland Schweiz ab dem 19. Jahrhundert allmählich zur Ablösung des Inquisitionsverfahrens geführt hatten, übersieht die Rechtswirklichkeit. Zentrale Maximen wie das Unmittelbarkeitsprinzip werden aus Effizienzgründen massiv beschränkt.
Mit guten Gründen spricht die Lehre (etwa Mark Pieth in Schweizerisches Strafprozessrecht, Basel 2009, Seite 44) von beschränkter oder – treffender – von einer fakultativen Unmittelbarkeit. Während nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) nur Beweismittel Grundlage für das Urteil sein können, die an der öffentlichen Hauptverhandlung abgenommen wurden (siehe Mark E. Villiger, Handbuch der Europäischen Menschenrechtskonvention [EMRK], 2. Auflage, Zürich 1999, Rz 441 mit weiteren Hinweisen), geht die StPO vom Gegenteil aus. Gemäss der Botschaft zur Vereinheitlichung des Strafprozessrechts vom 21. Dezember 2005 (BBl 2006, Seite 1263) müssen die Akten im Vorverfahren «auf einen Stand gebracht werden, der es dem Gericht erlaubt, sein Urteil im Schuld- wie im Strafpunkt ohne zusätzliche Beweiserhebungen zu fällen». Die Akten müssen «entscheidungsreif übermittelt werden».
Unter diesen Rahmenbedingungen stellt sich die Frage, ob es für die Hauptverhandlung überhaupt noch eine Verteidigung braucht. Die Frage wird umso brennender, wenn man sich vergegenwärtigt, dass das Strafverfahren mit Erhebung der Anklage auf Verurteilung programmiert ist. Zumal Anklage ja nur bei hinreichendem Tatverdacht zu erheben ist, was wiederum die Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung voraussetzt (Artikel 324 Absatz 1 StPO und Artikel 319 Absatz 1 litera a StPO, e contrario).
Geht der zuständige Sachrichter davon aus, die Anklage sei das Ergebnis einer pflichtgemäss geführten Untersuchung, wogegen kaum je etwas sprechen wird, wird er jedenfalls nicht die Verteidigungsperspektive einnehmen und nach Gründen suchen, die eine Verurteilung als unwahrscheinlich und damit die Anklage als unnötig erscheinen lassen (Urteilsperseveranzeffekt, siehe Bernd Schünemann, «Der Ausbau der Opferstellung im Strafprozess – Fluch oder Segen?», in: Michalke / Köberer / Pauly / Kirsch, Festschrift für Rainer Hamm, Berlin 2008, Seite 692). Das wird insbesondere für Verfahren gelten, in denen die Anklage in der Hauptverhandlung nicht vertreten wird und die den Richter in die Rolle des Anklägers abgleiten lassen.
Umso wichtiger erscheint es, diesem systemimmanenten Ungleichgewicht eine starke Verteidigung entgegenzusetzen. Bei alledem ist aber nicht zu übersehen, dass sich eine wirksame Verteidigung primär auf das Vorverfahren konzentrieren und darauf gerichtet sein muss, dass es gar nicht erst zur Anklage kommt.
Die Anklageerhebung beziehungsweise die Überweisung des Strafbefehls nach Artikel 356 Absatz 1 StPO begründet die Pflicht der Verteidigung, die Lage neu zu beurteilen und die Verteidigungsstrategie für das Hauptverfahren – möglichst sogar bereits unter Einbezug eines allfälligen Rechtsmittelverfahrens – neu zu definieren. Die Vorbereitung der Hauptverhandlung beginnt deshalb mit der Zustellung der Anklageschrift. Dazu gehören etwa die sorgfältige Analyse der Anklageschrift und die Prüfung von geeigneten Verfahrenshandlungen vor der Hauptverhandlung. In einem ausgewogenen Parteienverfahren müsste das Ergebnis dieser Analyse in die Ausarbeitung einer Verteidigungsschrift münden, die aber gesetzlich nicht vorgesehen ist.
Das heisst nun aber nicht, dass die Perspektive der Verteidigung erst anlässlich der Hauptverhandlung eingebracht werden könnte, zumal der Verteidigung vor der Hauptverhandlung Frist für allfällige Beweisanträge zu setzen ist (Artikel 331 Absatz 2 StPO). Das Recht, Beweisanträge zu stellen, und die Pflicht, sie zu begründen, eröffnet der Verteidigung in diesem Verfahrensstadium eine Chance, die Entlastungsperspektive einzubringen und auf diese Weise auf das unausgewogene Bild einzuwirken, das der Richter aufgrund der Anklage und der von der Staatsanwaltschaft aufbereiteten Aktenlage gewonnen haben muss.
Zulässig sind nebst den gesetzlich vorgesehenen Beweisanträgen jederzeit auch andere Eingaben (Artikel 109 f. StPO). Ziel solcher Eingaben wird es immer sein, die Verteidigungsperspektive zu stärken und den erwähnten Urteilsperseveranzeffekt zu brechen.
Als Maximalziel kann die Einstellung des Verfahrens noch vor der Hauptverhandlung angestrebt werden, etwa indem auf fehlende Prozessvoraussetzungen oder auf Prozesshindernisse hingewiesen wird. Solche Einwendungen könnten natürlich auch erst im Rahmen der Hauptverhandlung vorgebracht werden, was aber in der Regel nicht im Interesse der beschuldigten Person liegt. Sie wird vielmehr anstreben, wenn möglich gar nicht erst vor den Schranken erscheinen zu müssen.
In der Hauptverhandlung beschränkt sich die Verteidigung oft auf ihre Anwesenheit und auf ein mündliches Plädoyer. Das kann im Kontext einer durchdachten Verteidigungsstrategie durchaus richtig sein. So, wenn beispielsweise der überwiesene Sachverhalt klar und unbestritten ist oder wenn die Verteidigung nicht auf entscheidende Ermittlungslücken aufmerksam machen will, die im Rahmen der Beweisaufnahme zum möglichen Nachteil des Beschuldigten noch geschlossen werden könnten.
Ganz anders wird die Verteidigung auftreten müssen, wenn sich ihre Strategie auf das Beweisergebnis richtet. Es ist daher zu prüfen, welche Einflussmöglichkeiten der Verteidigung insbesondere im Beweisverfahren zur Verfügung stehen.
Nach Eröffnung der Hauptverhandlung kann auch die Verteidigung Vorfragen stellen, so Artikel 339 Absatz 2 StPO. Gegenstand einer Vorfrage darf nach Absatz 3 alles sein, worüber das Gericht entscheiden kann. Daraus wird geschlossen, Vorfragen seien letztlich immer als Anträge zu formulieren (Max Hauri, Artikel 339 N 8 in Basler Kommentar zur StPO). Das erscheint aber als zu enge Auslegung des Gesetzes, worauf weiter unten beim Beweisverfahren kurz einzugehen ist. An dieser Stelle soll der Hinweis genügen, dass sich Vorfragen bei sorgfältiger Vorbereitung der Hauptverhandlung durch alle Beteiligten eigentlich nur stellen, wenn Umstände eingetreten sind, die früher nicht bekannt waren.
Die Verteidigungsstrategie kann freilich auch vorsehen, Vorfragen bewusst erst zu Beginn der Hauptverhandlung zu stellen oder Anträge zu wiederholen, die im Vorbereitungsstadium durch die Verfahrensleitung abgewiesen wurden. Dabei ist zu beachten, dass ab Eröffnung der Hauptverhandlung nicht mehr die Verfahrensleitung, sondern das Gericht zuständig ist (Artikel 331 Absatz 3 und Artikel 65 Absatz 2 StPO). In der Regel wird die Verteidigung daher von der Verfahrensleitung abgewiesene Anträge wiederholen, zumal auch die Begründung abgewiesener Anträge wertvolle Hinweise für die Verteidigung beinhalten kann.
Dass die Verteidigung jederzeit Anträge stellen kann, bedarf keiner näheren Erörterung. Fraglich ist, ob die Verteidigung auch blosse Meinungsäusserungen, also gleichsam nicht rechtsgeschäftliche Erklärungen, einbringen kann. Eine solche sieht das Gesetz an sich nur im Rahmen der Stellungnahme zum Würdigungsvorbehalt nach Artikel 344 StPO vor (rechtliches Gehör). Das heisst aber nicht, dass sich die Verteidigung im Übrigen auf Antragsrechte beschränken und jede Äusserung in der Begründung eines umständlich formulierten Antrags einbringen müsste.
Dies ergibt sich aus den erwähnten Eingaben nach Artikel 109 f. StPO, die jederzeit auch mündlich erfolgen können (Artikel 66 StPO), und kann auch aus dem verfassungsmässigen Gehörsanspruch abgeleitet werden. Der deutsche Gesetzgeber hat in Konkretisierung des Gehörsanspruchs Erklärungs- und Beanstandungsrechte ausdrücklich kodifiziert (§§ 257 Absatz 2 beziehungsweise 238 Absatz 2 StPO/D).
Das Erklärungsrecht ermöglicht den Parteien, sich nach jedem einzelnen Teil der Beweisaufnahme zu äussern, indem etwa eine Zeugenaussage inhaltlich zusammengefasst wird oder das Gericht auf Widersprüche aufmerksam gemacht wird. Beanstandungsrechte sind «Zwischenrechtsbehelfe» und beziehen sich auf verfahrensleitende Anordnungen.
Nach der hier vertretenen Auffassung sind solche Äusserungsrechte bereits gestützt auf den verfassungsmässigen Gehörsanspruch und das gesetzliche Eingaberecht auch nach schweizerischem Recht zulässig. Die Verfahrensleitung wird solche Eingaben nur im Rahmen ihrer sitzungspolizeilichen Kompetenzen gemäss Artikel 63 StPO einschränken können. Andererseits wird die Verteidigung mündliche Eingaben nur sehr gezielt einsetzen, wenn sie ihre Wirkung nicht verfehlen sollen.
Werden die Erklärungs- und Beanstandungsrechte beschränkt, wird dies jedenfalls im Verfahrensprotokoll zu vermerken sein, womit möglicherweise der Zweck der Erklärung bereits erfüllt wird. Aber nicht nur aus diesem Grund hat die Verteidigung darauf hinzuwirken, dass die Verfahrens- und Einvernahmeprotokolle aus ihrer Sicht vollständig und korrekt geführt werden (siehe Artikel 76 ff. StPO). Weil das Verfahrensprotokoll nicht laufend eingesehen werden kann und von den Parteien nicht unterzeichnet wird, hat die Verteidigung im Zweifel auf die Protokollierungspflicht hinzuweisen. Andernfalls läuft sie Gefahr, dass sie eine mangelhafte Protokollierung erst in den Rechtsmittelakten feststellt und ihr zu Unrecht die Verwirkung einer Parteihandlung vorgehalten wird.
Die Funktionen des Plädoyers können als bekannt vorausgesetzt werden. Es rechtfertigt sich aber, daran zu erinnern, dass ein Schlussvortrag nur überzeugen kann, wenn er klar aufgebaut und möglichst kurz gehalten wird. Der Aufbau darf nicht schematisch erfolgen und jede einzelne Frage abdecken. Er muss sich an den stärksten Argumenten orientieren und Mut zur Lücke beweisen. In der Regel dient es der Führung der Zuhörer, wenn zu Beginn der Aufbau kurz erklärt und die Argumentationslinie bereits vorgestellt wird. Wird eine Redezeit von über einer Stunde beansprucht, sollten klug gesetzte kurze Pausen nach jeweils längstens 45 Minuten beantragt werden.
Der Vortrag sollte möglichst frei und in der Sprache des Verfahrens, also in der Deutschschweiz in Mundart gehalten werden, soweit das kantonale Recht nichts anderes vorschreibt. Die immer weiter verbreitete Unsitte, die Plädoyernotizen in Schriftsprache und mit gesenktem Blick vorzulesen, sollte den Staatsanwälten überlassen werden. Wer überzeugen will und muss, wird seinen Vortrag nicht ablesen, sondern halten.
Nicht zu unterschätzen ist die mögliche Wirkung des Plädoyers auf die beschuldigte Person. Es gibt immer Gründe, warum ein Mensch als beschuldigte Person vor den Schranken zu erscheinen hat. Der übermässige Genuss desjenigen Mindestmasses an Achtung und Respekt, das ein menschenwürdiges Dasein überhaupt erst ermöglicht, gehört in aller Regel nicht dazu. Oft genug ist es das erste und einzige Mal in ihrem Leben, dass ein akademisch gebildeter Rechtsanwalt öffentlich und engagiert für sie spricht. Das Plädoyer dient daher selbst bei beantragtem Schuldspruch auch dazu, der beschuldigten Person die Würde zuzusprechen, an die sie nach einem langen Verfahren selbst nicht mehr glaubte und die das Strafen nicht als völlig sinnlos erscheinen lässt.
Die Gelegenheit des letzten Worts sollte nur dann benützt werden, wenn es gut vorbereitet ist, den kommunikativen Fähigkeiten der beschuldigten Person entspricht und die Verteidigungsstrategie nicht unterläuft. In der Praxis wird diesem Verteidigungsmittel vielleicht zu wenig Gewicht verliehen. Ein überzeugendes Schlusswort kann dem Vernehmen nach aber durchaus seine Wirkung beim Sachrichter hinterlassen.