Völlig selbständig rast in einem aktuellen TV-Spot der SBB eine Rangierlokomotive durchs Land. Die Bahnangestellten bringt das nicht aus der Ruhe. Sie stupsen einander mit den Ellenbogen an und lächeln. Schliesslich findet die Lokomotive zurück ins Depot. Schuldbewusst senkt «Emma» – so heisst die Lok – ihre Scheinwerfer. So herzig!

Herzig? Überhaupt nicht. Ein Zug, der sich selbständig macht, ist der Alptraum eines jeden Bähnlers. Immer wieder kommt es mit herrenlosen Zügen zu schweren Unfällen. Zum Beispiel 2006 im Kandertal. Unterhalb des Blausees (BE) geriet ein Bauzug mit drei Arbeitern an Bord aus­ser Kontrolle. Zeitweise ­raste er mit über 100 km/h das Tal hinunter. Die Fahrdienstleiter sahen keine andere Lösung, als den Zug in Thun-Dürrenast BE in zwei Materialwagen krachen zu lassen. Alle drei Arbeiter ­kamen ums Leben.

Vor diesem Hintergrund ist der Werbespot ziemlich geschmacklos. Die SBB ­sehen das anders: Sie sagen, der Emma-Spot sei Teil der Image-Kam­pagne «Du bist meine SBB». Er solle «Emotionen wecken und Nähe zu den SBB schaffen». 

Die Nervensäge «Yvette Michel»

Die SBB sind schon früher mit fragwürdiger Werbung aufgefallen. Im vergangenen Frühling war in Prospekten, auf Plakaten und in TV-Spots die Nerven­säge «Yvette Michel» zu ­sehen. Ständig lauerte sie Bahnkunden auf, die Billette am Automaten lösten. Sie quatschte die Kunden an und verhöhnte sie.

Zum Beispiel so: «Entschuldigung, gibt es ­einen Grund, warum Sie Ihr Billett nicht mit SBB Mobile kaufen?» Die Kundin antwortet: «Ja, ich habe keine Kredit­karte.» Darauf Michel hämisch: «Sie hat keine Kreditkarte.» Dann setzt ein Chor ein: «Kreditkarte, nein, das hat sie nicht. Oder will sie lieber nicht eingeben. Deshalb muss sie bei jedem Billettkauf ein ­Nötli aus dem Sack nehmen.»

Die Spots standen unter dem Motto «Schluss mit Ausreden». Die Botschaft: Wer sein Billett nicht mit der App löst, ist ein Hinterwäldler. Denn sogar die Besserwisserin mit ihren gut 70 Jahren schafft das locker.

60 Millionen Franken für die Werbung

Die Werbung ist sogar SBB-Mitarbeitern peinlich. Eine Angestellte bezeichnet die Spots im Forum der «Werbewoche» als «stos­sende Negativwerbung». Sie schreibt: «Ich schäme mich, den Kunden den Prospekt mit den Vorwürfen von Yvette Michel abzugeben.»

Die SBB sagen dazu: «Es liegt uns fern, unsere Kunden zu verhöhnen.» Vielmehr streiche Yvette Michel «die Vorzüge des mobilen Billettkaufs auf charmante Art heraus».

Die SBB geben pro Jahr 60 Millionen Franken für Werbung aus. Warum der Staatsbetrieb so viel Geld aufwendet, obwohl er auf den meisten Strecken ein Monopol hat und auf vielen Verbindungen ohnehin an die Kapazitätsgrenzen stösst – dafür bekam der K-Tipp keine plausible Erklärung.

Die TV-Spots sind zu finden unter Youtube.com/sbbcffffs