1. Einführung
Zuweilen rechtfertigt sich ein Blick aus einer etwas grösseren Distanz, wenn es darum geht, Neuerungen in einem Rechtsgebiet aufzuzeigen. Das Sozialversicherungsrecht – so mag einen ein solcher Blick lehren – befindet sich seit einigen Jahren in einer grundlegenden Entwicklung.
Die Ursprünge des Sozialversicherungsrechts gehen auf den Beginn des vergangenen Jahrhunderts zurück, als Erlasse zum Unfall- und Krankenversicherungsrecht in Kraft traten. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ergab sich dann eine qualitative und quantitative Ausweitung dieses Rechtsgebietes. Nach der Jahrtausendwende fokussierte sich die Entwicklung in Teilbereichen auf eine Leistungseinschränkung beziehungsweise -beschränkung. Dabei scheint es um verschiedene Entwicklungen zu gehen.
Zunächst erhielt der Begriff der «Zumutbarkeit» andere Konturen; dieser Terminus – noch vor wenigen Jahren in einem ganz anderen Licht – richtete sich auf die Überwindbarkeit bestimmter gesundheitlicher Einschränkungen. Sodann gewann die Abgrenzung zwischen bildgebend nachweisbaren und sonstigen gesundheitlichen Einschränkungen einen hohen Stellenwert. Schliesslich wurden verfahrensrechtliche Aspekte wichtig; dabei ging es um die Zulässigkeit der Observation und um das Vorgehen beim Einholen von poly- und multidisziplinären Gutachten.
Auffallend bei der Würdigung der Entwicklungen in neuerer Zeit ist der hohe und gewichtige Beitrag der Rechtsprechung. Gewiss ist die Rechtsetzung keineswegs untätig geblieben, doch sie hat zuweilen nur reaktiv Entwicklungen der Rechtsprechung aufgenommen. Andernorts gelingt es ihr nicht, grössere Gesetzgebungsvorhaben abzuschliessen; einzelne Gesetzgebungsvorhaben scheiterten in Volksabstimmungen. Gewichtigere gesetzgeberische Entwicklungen sind in den zurückliegenden Jahren keine festzustellen: Es geht um eine «technische» AHV-Revision, um eine Revision des Arbeitslosenversicherungsgesetzes und – bereits etwas weiter zurückliegend – um die 1. BVG-Revision sowie um die Strukturreform in der beruflichen Vorsorge.
2. Risiken
2.1 Arbeitsunfähigkeit
Was Arbeitsunfähigkeit ist, umschreibt Art. 6 Allgemeiner Teil Sozialversicherungsgesetz (ATSG). Abgrenzungen sind vorzunehmen gegen soziokulturelle oder psychosoziale Umstände; solche Ausgangspunkte sind nach der Rechtsprechung nicht geeignet, eine Arbeitsunfähigkeit im Sinne von Art. 6 ATSG zu bewirken.
Es ist eine ärztliche Aufgabe, das allfällige Vorliegen einer entsprechenden gesundheitlichen Einbusse festzustellen.1 Wenn in medizinischer Hinsicht keine Erkrankung im Sinne der anerkannten internationalen Klassifikationssysteme besteht, entfällt die Annahme einer darauf gestützten Arbeitsunfähigkeit. So verhält es sich zum Beispiel beim «Burnout», das keinen rechtserheblichen Gesundheitsschaden darstellt.2
2.2 Unklare Beschwerden
Die Rechtsprechung ist geprägt von der Überwindbarkeitspraxis; bei den pathogenetisch-ätiologisch unklaren syndromalen Beschwerdebildern ohne nachweisbare organische Grundlage (nachfolgend abgekürzt mit Päusbonog)3 beziehungsweise – in französischer Sprache – syndromes sans pathogenèse ni étiologie claires et sans constat de déficit organique (abgekürzt spécdo) soll eine invalidisierende Wirkung nicht bestehen.4 Verschiedene Beschwerdebilder sind dieser Kategorie zugeordnet worden.5
Die Bedeutung dieser Rechtsprechung ist seither gross geworden,6 doch ist sie zunehmender Kritik ausgesetzt. Jedenfalls sind ihre Grenzen zu beachten. Das Bundesgericht hat bezogen auf die Unfallversicherung ausdrücklich festgelegt, dass die Rechtsprechung gemäss BGE 136 V 279 (prinzipielle Überwindbarkeit der Einschränkung durch eine Distorsion der Halswirbelsäule, HWS) nicht auf die Heilbehandlung und die damit einhergehende Phase der Arbeitsunfähigkeit Anwendung findet.7 Ohnehin gilt der Grundsatz der Schadenminderung;8 dies wird etwa in Art. 21 Abs. 4 ATSG festgehalten.
2.3 Invaliditätsgrad
Bei erwerbstätigen Personen, die ohne gesundheitliche Einbussen arbeiteten, wird der Invaliditätsgrad nach der geltenden Rechtsprechung ermittelt, indem man die Einkommen vergleicht. Dem Valideneinkommen wird das Invalideneinkommen gegenübergestellt, wobei der allfällige (prozentual bemessene) Rückgang dem Invaliditätsgrad entspricht (Art. 16 ATSG).
Das Valideneinkommen ist regelmässig hypothetisch zu bestimmen, weil die versicherte Person wegen der massgebenden gesundheitlichen Einbussen gerade nicht mehr in der Lage ist, solche Einkünfte zu erzielen. In aller Regel stellt die Rechtsprechung auf das letztmals vor Eintritt der Invalidität tatsächlich noch erzielte Einkommen ab und berücksichtigt die seither durchschnittlich eingetretene Lohnentwicklung.9 Schwierigkeiten bereitet oft die Bestimmung des Valideneinkommens bei bisheriger selbständiger Erwerbstätigkeit.10
Das Invalideneinkommen kann sich entweder – eher ausnahmsweise – auf das effektiv, trotz gesundheitlicher Beeinträchtigung noch erzielte Einkommen abstützen,11 oder es kann hypothetisch festgelegt werden. Im zweiten Fall werden Tabellenwerke – vor allem die schweizerische Lohnstrukturerhebung (LSE) – oder sonstige Zusammenstellungen herangezogen; von praktischer Bedeutung bei der Suva sowie einzelnen IV-Stellen sind vor allem die sogenannten DAP-Blätter.12 Sie basieren auf der Dokumentation von Arbeitsplätzen (DAP) durch Suva-Aussendienstmitarbeiter, wobei die Lohndaten jährlich aktualisiert werden.
Wird das Invalideneinkommen auf einer tabellarischen Grundlage ermittelt, ist allenfalls ein sogenannt leidens- oder behinderungsbedingter Abzug vorzunehmen.13 Beantwortet hat das Bundesgericht die Frage nach der Verwertbarkeit der Restarbeitsfähigkeit bei vorgerücktem Alter.14
2.4 Unfall
Welcher Sachverhalt als Unfall anzuerkennen ist, legt Art. 4 ATSG für die verschiedenen Sozialversicherungszweige fest. Der massgebende Sachverhalt zeichnet sich durch vier Kriterien (Plötzlichkeit der Einwirkung, Ungewöhnlichkeit, Unfreiwilligkeit, äusserer Faktor) aus, und es muss zum eingetretenen Tod beziehungsweise der gesundheitlichen Beeinträchtigung ein hinreichender Kausalzusammenhang bestehen.
Bezogen auf das oft schwierig zu beurteilende Kriterium der Ungewöhnlichkeit hat das Bundesgericht festgelegt, dass aus einer bestimmten unfalltypischen Folge allenfalls ein Rückschluss auf die Annahme eines Unfallereignisses möglich ist.15
2.5 Krankheit
Der Begriff der Krankheit wird in Art. 3 ATSG umschrieben und zeichnet sich durch objektiv zu bestimmende Kriterien (Behandlungsbedürftigkeit, Arbeitsunfähigkeit) aus. Im Vordergrund steht die Klärung des Anspruchs auf Heilbehandlung; eine solche ist nur bei einer anerkannten Krankheit zu erbringen beziehungsweise zu vergüten.16
Die Rechtsprechung hat sich in einem Grundsatzurteil mit der Frage beschäftigt, ob allenfalls aus wirtschaftlichen Gründen eine Maximallimite der zu vergütenden Behandlungskosten gelten soll; als möglich wurde dabei eine Grenze von 100 000 Franken pro gerettetes Menschenlebensjahr bezeichnet.17 Bislang sind keine weiteren konkretisierenden Urteile ergangen, doch hat die gerichtliche Diskussion eine spürbare kritische Prüfung (insbesondere der Medikamentenkosten) auf der Ebene der Versicherungsdurchführung mit sich gebracht.
3. Unterstellung
3.1 Selbständiger Erwerb
Eine unselbständige Erwerbstätigkeit wird im Allgemeinen angenommen, wenn jemand bei der Ausübung der Erwerbstätigkeit von einer anderen Person in betriebswirtschaftlicher beziehungsweise in arbeitsorganisatorischer Hinsicht abhängig ist und kein spezifisches Unternehmerrisiko trägt.18 Ein Honorar, das weit über dem Betrag liegt, der für eine unselbständige Erwerbstätigkeit bezahlt würde, kann darauf hinweisen, dass die betreffende Person nicht nur die gesamten Personalkosten, sondern auch die Arbeitsplatz- und Infrastrukturkosten zu tragen hat.19
Wenn jemand, der bisher unselbständig erwerbstätig war, eine selbständige Tätigkeit aufnimmt und dabei in einem wesentlichen Ausmass für den bisherigen Arbeitgeber tätig bleibt, muss an die Anerkennung der selbständigen Erwerbstätigkeit ein hoher Massstab angelegt werden. 20
3.2 AHV-pflichtiger Lohn
Ob eine bestimmte Zuwendung als AHV-pflichtiger Lohn gilt, beurteilt sich in der jüngsten Rechtsprechung nach einer objektbezogenen Betrachtungsweise. Massgebend ist, ob die betreffende Zuwendung in einem wirtschaftlichen Zusammenhang zum Arbeitsverhältnis steht.21
Nicht im Vordergrund steht, welche Person die entsprechende Summe auszahlt. Deshalb schliesst die Tatsache, dass eine Entschädigung nicht vom eigentlichen Arbeitgeber, sondern beispielsweise von einem Wohlfahrtsfonds ausbezahlt wird, die Annahme eines AHV-beitragspflichtigen Lohns nicht aus.
Diese objekt- statt subjektbezogene Betrachtungsweise gilt auch in einem Fall, in dem der Mandatsvertrag zwar mit einer Aktiengesellschaft geschlossen wurde, diese aber von derjenigen Person beherrscht wird, die den Mandatsvertrag zu erfüllen hat.22 Bei juristischen Personen ist dennoch grundsätzlich klar zwischen der Gesellschaft und den Mitgliedern zu unterscheiden, auch wenn in wirtschaftlicher Hinsicht zwischen der juristischen Person und dem Mitglied eine übereinstimmende Interessenlage besteht.23
4. Leistungsrecht
4.1 Natürliche Kausalität
Regelmässig werden Kausalitätsfragen aufgeworfen, wenn es um die Prüfung der Frage der Unfallkausalität geht. Die natürliche Kausalität gehört dabei in den Bereich des Sachverhalts.
Im Sozialversicherungsrecht ist der Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit massgebend. Dabei wird bei bestimmten gesundheitlichen Beeinträchtigungen regelmässig, das heisst ohne eingehende Abklärung und ohne eigenständige Beweisführung, auf ein Unfallereignis beziehungsweise auf das Bestehen eines natürlichen Kausalzusammenhangs geschlossen. Dazu gehören einzelne «unfalltypische» Beeinträchtigungen.24
In dieselbe Kategorie fällt das «typische Beschwerdebild» bei einer HWS-Distorsion oder einer gleichgestellten gesundheitlichen Beeinträchtigung.25
4.2 Adäquate Kausalität
Dem adäquaten Kausalzusammenhang ordnet die Rechtsprechung zur Unfallversicherung ein unterschiedliches Gewicht zu.26 Bei somatischen Beeinträchtigungen der Gesundheit kommt – nach der bisherigen Rechtsprechung – der Adäquanzprüfung kein eigenständiges Gewicht zu. Hier wird bei bestehender natürlicher Kausalität auf eine Einschränkung der Leistungspflicht verzichtet. Die Rechtsprechung scheint hier also nicht wertend eingreifen zu wollen.
Bei Schreckereignissen (etwa einem Überfall, einem Flugzeugabsturz, einer lebensbedrohenden Situation) prüft die Rechtsprechung wertend, ob eine bestehende (natürlich kausale) Unfallfolge adäquat auf das Unfallereignis zurückzuführen ist.27 Dabei wird die in anderen Rechtsbereichen massgebende Adäquanzformel herangezogen. Beizufügen ist, dass bei Berufskrankheiten die Adäquanz in der Unfallversicherung ebenfalls nach der allgemeinen Adäquanzformel beurteilt wird.
Wenn im Anschluss an den Unfall eine psychische Fehlentwicklung eintritt (etwa eine Depression oder eine posttraumatische Belastungsstörung), nimmt die Rechtsprechung Bezug auf die Adäquanz und wertet insoweit. Allerdings kommt nicht die allgemeine Adäquanzformel zur Anwendung, sondern es wird kategorisierend vorgegangen. Dabei kommt dem Unfallereignis das ausschlaggebende Gewicht zu. Die Rechtsprechung unterscheidet nämlich zwischen leichten Unfällen (Adäquanz regelmässig verneint), mittleren Unfällen (eigenständige Adäquanzprüfung unter Beizug von Zusatzkriterien)28 und schweren Unfällen (Adäquanz regelmässig bejaht).
Führt das Unfallereignis zu einer HWS-Distorsion oder einer gleichgestellten gesundheitlichen Beeinträchtigung, wird in gewisser Analogie zu den psychischen Fehlentwicklungen eine eigenständige Adäquanzprüfung vorgenommen. Es gelten aber bei mittleren Unfällen leicht modifizierte Zusatzkriterien.29 Zudem erfolgt die Adäquanzprüfung bezogen auf die gesamte gesundheitliche Beeinträchtigung (unter allfälligem Einschluss von psychischen Beeinträchtigungen). Darin unterscheidet sich die Bewertung von der psychischen Fehlentwicklung. Dort beziehen sich die im mittleren Bereich massgebenden Zusatzkriterien (etwa betreffend Dauer der Arbeitsunfähigkeit) nur auf die somatischen Unfallfolgen.30
4.3 Leistungskürzungen
Im Anwendungsbereich von Art. 21 ATSG (mit dem Randtitel «Kürzung und Verweigerung von Leistungen») haben sich in der Rechtsprechung einige Entwicklungen ergeben. Grundprinzip bildet nach wie vor die gesetzliche Festlegung, dass nur Vorsatzkürzungen zulässig sind.31 Die Kürzung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen ist eine verwaltungsrechtliche Sanktion, und es besteht kein pönaler Charakter.32 In verfahrensrechtlicher Hinsicht kann der Antrag auf Kürzung beziehungsweise Verweigerung einer Rente auch noch im bundesgerichtlichen Verfahren gestellt werden; denn es handelt sich dabei nicht um ein «neues» Begehren, weil die Rente an sich Streitgegenstand ist.33
Bei der Verweigerung und Kürzung von Leistungen haben im Sozialversicherungsrecht einzelgesetzliche Bestimmungen eine grosse praktische Bedeutung, weil sie wichtige Abweichungen vom Sanktionensystem von Art. 21 ATSG vorsehen. Dies gilt insbesondere für die Arbeitslosenversicherung34 und die Unfallversicherung. Im Unfallversicherungsbereich geht es um Fahrlässigkeitskürzungen, die – entgegen Art. 21 ATSG – nach Art. 37 UVG zulässig sind. Eine besondere Regelung gilt für Wagniskürzungen; nach Art. 39 UVG können sämtliche Leistungen verweigert oder die Geldleistungen gekürzt werden. Diese Bestimmung gilt etwa für die Beteiligung an einem Raufhandel.35 In einem neuesten Grundsatzurteil hat das Bundesgericht sich grundsätzlich mit dem Wagnisbegriff auseinandergesetzt und dabei den Sprung in einen Fluss, der trübes Wasser führt, als Wagnis bezeichnet.36
Art. 21 Abs. 5 ATSG legt für den Strafvollzug nicht eine Kürzung oder Verweigerung, sondern eine Sistierung der Leistung fest.37
4.4 Unrechtmässiger Bezug
Wer sozialversicherungsrechtliche Leistungen unrechtmässig bezieht (und zwar wegen einer anfänglich bestehenden oder einer nachträglich eintretenden Unrechtmässigkeit), hat diese Leistungen zurückzuerstatten; dabei müssen bestimmte Fristen beachtet werden.38 Es kann sich gegebenenfalls um längere Fristen nach Strafrecht handeln.39 Unter unrechtmässigen Bezug fällt auch, wenn eine nicht geschuldete Zahlung erbracht wurde.40
In der Arbeitslosenversicherung findet sich eine besondere Bestimmung (Ausrichtung von Arbeitslosenentschädigungen bei Zweifeln über Ansprüche aus Arbeitsvertrag), die ausdrücklich von einer Nichtrückerstattung von Leistungen ausgeht.41
Die Rückerstattung kann unter bestimmten Voraussetzungen erlassen werden.42 Das Bundesgericht hat sich mit der Frage des guten Glaubens als Erlassvoraussetzung auseinandergesetzt; bezogen auf den Bezug einer Witwenrente hat das Bundesgericht festgehalten, dass der gute Glaube jedenfalls entfalle, wenn jemand sich wieder verheiratet hat und die Witwenrente weiterhin bezieht. Es sei ohne weiteres einsehbar, dass ein solcher Bezug unrechtmässig sei.43
5. Verfahrensrecht
5.1 Verwaltungsverfahren
Videoaufnahmen können unter bestimmten Voraussetzungen zulässige Beweismittel sein.44 Dasselbe gilt für die Observation, für die im Sozialversicherungsrecht grundsätzlich eine ausreichende rechtliche Grundlage besteht.45 Wenn durch eine Observation neue Erkenntnisse gewonnen werden, kann allenfalls eine Revision des rechtskräftigen Entscheides vorgenommen werden. Dabei müssen die Revisionsfristen im Auge behalten werden.46 Zu den Beweismitteln gehört auch der Abklärungsbericht.47 Wenn die AHV-Ausgleichskasse im Beitragsbereich Steuerakten beizieht, muss sie die Partei darüber informieren und diese muss in der Folge ein Gesuch einreichen, um Akteneinsicht zu erhalten.48 In einem bekannten Grundsatzurteil hat sich das Bundesgericht mit Fragen von Gutachten der Medizinischen Abklärungsstellen (Medas) auseinandergesetzt.49
Die Wiedererwägung ist im Sozialversicherungsrecht unter recht weit gehenden Voraussetzungen zulässig, und zwar nach Art. 53 Abs. 2 ATSG. Besonderheiten gelten immerhin, wenn sich die Wiedererwägung auf eine Verfügung bezieht, mit welcher ein zuvor geschlossener Vergleich bestätigt wurde.50
5.2 Kantonales Beschwerdeverfahren
Die Beschwerdefrist beginnt grundsätzlich auch zu laufen, wenn bei einer anwaltlich vertretenen Person der Versicherungsträger den Entscheid direkt der Partei zustellt.51 Die Einreichung einer Beschwerde setzt immer ein schutzwürdiges Interesse der Partei voraus.52 Dies gilt auch für Beschwerden gegen Feststellungsverfügungen.53
Der obsiegende Beschwerdeführer darf entschädigungsrechtlich nicht schlechter gestellt werden als der unentgeltlich vertretene Beschwerdeführer, der unterliegt.54 Bei einer unentgeltlichen Vertretung muss die Entschädigung der Vertreterin beziehungsweise dem Vertreter ein Einkommen verschaffen, das nicht nur symbolisch ist.55
Eine Befangenheit eines Gerichtsschreibers kann sich aus bestimmten Publikationen, die er verfasst hat, ergeben.56 Ein Ausstandsbegehren gegen sämtliche Mitglieder des Versicherungsgerichts ist nicht von vornherein offensichtlich unbegründet, wenn der Anwalt der Gegenpartei zugleich Ersatzrichter desselben Gerichts ist.57
Die Möglichkeit zum Beschwerderückzug muss auch gegeben werden, wenn eine Renten zusprechende Verfügung aufgehoben und die Sache zur weiteren Abklärung an die IV-Stelle zurückgewiesen wird.58 Bei Rückweisungen ergeben sich im Übrigen besondere Fragen betreffend die aufschiebende Wirkung.59 An die Festlegungen im rückweisenden Urteil sind im Übrigen sowohl der Verwaltungsträger als auch die rückweisende Instanz gebunden. 60
5.3 Verfahren vor Bundesgericht
Wenn das kantonale Versicherungsgericht oder das Bundesverwaltungsgericht eine Sache zur weiteren Abklärung an die Vorinstanz zurückweist, liegt ein Zwischenentscheid vor, der grundsätzlich vor Bundesgericht nicht anfechtbar ist.61
Fassbar gemacht hat das Bundesgericht die Abgrenzung des Zwischenentscheids vom Teilentscheid.62 Entscheide wegen einer Haftung nach Art. 52 AHVG können nur bei Erreichen der Streitwertgrenze an das Bundesgericht weitergezogen werden.63
1 BGE 132 V 398 zur ärztlichen Aufgabe bei der Erstellung von medizinischen Gutachten.
2 SVR 2012 IV Nr. 22, Urteil 8C_302/2011 vom 20.9.2011, E. 2.3; SVR 2012 IV Nr. 52, Urteil 8C_537/2011 vom 28.2.2012.
3 Der Begriff wurde durch Dr. med. Jörg Jeger geprägt und hat sich eingebürgert.
4 BGE 130 V 352 (Leitentscheid).
5 BGE 136 V 283 zur HWS-Distorsion und weiteren Beschwerdebildern.
6 Urteil 9C_953/2011 vom 25.10.201, E. 5.3, zur Abklärung des Sachverhaltes bei unklaren Beschwerdebildern.
7 BGE 137 V 199.
8 SVR 2012 ALV Nr. 2, Urteil 8C_916/2010 vom 26.8.2011 zum Grundsatz der Schadenminderungspflicht.
9 BGE 137 V 24 zur Ermittlung des Valideneinkommens.
10 BGE 135 V 64.
11 BGE 117 V 8, E. 2/c.aa.
12 BGE 129 V 472 zu DAP-Blättern.
13 SVR 2012 IV Nr. 178, Urteil 8C_379/2011 vom 26.8.2011.
14 BGE 138 V 457, E. 3.3.
15 BGE 134 V 72: Zahnschaden infolge eines Kopfaufschlags beim Autoscooter-Fahren.
16 Vgl. Art. 25 Abs. 1 KVG. Erfasst ist auch die Diagnose einer Krankheit.
17 BGE 136 V 395.
18 BGE 123 V 163.
19 SVR 2010 AHV Nr. 12, Urteil 9C_1094/2009 vom 31.5.2010, E. 3.7.
20 Urteil 9C_1062/2010 vom 5.7.2011, E. 7.4.
21 BGE 137 V 321, S. 325 ff., bezogen auf Zuwendungen patronaler Wohlfahrtsfonds.
22 Urteil 9C_459/2011 vom 26.1.2012, E. 5.
23 Urteil H 149/06 vom 24.1.2008, E. 6.
24 BGE 134 V 72: Herausschlagen eines Zahnes infolge eines Kopfaufschlags beim Autoscooter-Fahren ist ein Unfallereignis.
25 BGE 117 V 359, BGE 119 V 335: Annahme eines natürlichen Kausalzusammenhangs.
26 BGE 138 V 248 zur adäquaten Kausalität (Tinnitus).
27 BGE 129 V 177.
28 Urteil 8C_398/2012 vom 6.11.2012 zum mittelschweren Unfall.
29 BGE 134 V 109.
30 BGE 117 V 369.
31 Urteil 9C_593/2012 vom 30.10.2012: Anwendungsfall aus dem Verkehrsbereich.
32 BGE 134 V 315, 319.
33 BGE 136 V 362.
34 Nach Art. 1 Abs. 2 Satz 1 AVIG ist Art. 21 ATSG in der Arbeitslosenversicherung grundsätzlich nicht anwendbar.
35 Urteil 8C_111/2008 vom 8.7.2008.
36 BGE 138 V 522.
37 BGE 138 V 281.
38 SVR 2012 IV Nr. 33, Urteil 9C_363/2010 vom 8.11.2011; Urteil 9C_454/2012 vom 18.3.2013. SVR 2012 IV Nr. 35, Urteil 9C_678/2011 vom 4.1.2012 zu verfahrensrechtlichen Aspekten der Rückerstattung.
39 BGE 138 V 74.
40 SVR 2012 KV Nr. 10, Urteil 9C_265/2010 vom 30.11.2011.
41 BGE 137 V 362.
42 Art. 25 ATSG.
43 BGE 138 V 218; kritische Würdigung durch Ueli Kieser in AJP 2012 1643 ff.
44 SVR 2012 IV Nr. 2, Urteil 9C_785/2010 vom 10.6.2011.
45 BGE 137 I 327.
46 SVR 2012 IV Nr. 36, Urteil 9C_896/2011 vom 31.1.2012; SVR 2012 UV Nr. 17, Urteil 8C_434/2011 vom 8.12.2011.
47 SVR 2012 IV Nr. 54, Urteil 8C_756/2011 vom 12.7.2012 zum Beweiswert.
48 SVR 2011 AHV Nr. 3, Urteil 9C_1001/2009 vom 15.4.2010.
49 BGE 137 V 210; es handelt sich um ein Urteil mit weitreichenden Auswirkungen, die gegenwärtig noch nicht alle überblickbar sind; vgl. immerhin zur Anfechtbarkeit der Gutachtensanordnung BGE 138 V 271 und zur Massgeblichkeit der neuen Rechtsprechung für die Unfallversicherung BGE 138 V 318. Auf Verwaltungsebene wurde das System MED@P geschaffen, mit dem eine nach dem Zufallsprinzip erfolgende Gutachtensauftragserteilung gesichert werden soll.
50 BGE 138 V 147.
51 SVR 2012 IV Nr. 39, Urteil 9C_85/2011 vom 17.1.2012.
52 SVR 2012 IV Nr. 41, Urteil 9C_822/2011 vom 3.2.2012.
53 SVR 2012 KV Nr. 18, Urteil 9C_143/2012 vom 22.3.2012.
54 SVR 2011 AHV Nr. 7, Urteil 9C_338/2010 vom 26.8.2010.
55 SVR 2012 IV Nr. 51, Urteil 9C_735/2011 vom 22.6.2012.
56 SVR 2012 IV Nr. 3, Urteil 8C_828/2010 vom 14.6.2011; Urteil 8C_602/2012 vom 12.3.2014 umfassend zu den Ausstandsgründen.
57 SVR 2012 UV Nr. 22, Urteil 8C_557/2011 vom 1.2.2012.
58 BGE 137 V 314.
59 SVR 2012 IV Nr. 40, Urteil 9C_652/2011 vom 19.1.2012.
60 SVR 2012 IV Nr. 29, Urteil 9C_203/2011 vom 22.11.2011.
61 SVR 2012 AHV Nr. 15, Urteil 9C_ 171/2012 vom 23.5.2012 zur Anwendbarkeit des Staatsvertrages Schweiz/Kosovo. Vgl. auch SVR 2012 IV Nr. 6, Urteil 8C_121/2011 vom 30.6.2011. In SVR 2012 UV Nr. 19, Urteil 8C_760/2011 vom 26.1.2012, stellte das Bundesgericht klar, dass diese Vorgehensweise auch gilt, wenn eine Rückweisung erfolgt, selbst wenn das kantonale Gericht das Gutachten selber hätte veranlassen müssen.
62 SVR 2012 EL Nr. 3, Urteil 9C_166/2011 vom 24.10.2011.
63 BGE 137 V 51; zur Berechnung des Streitwertes vgl. SVR 2011 AHV Nr. 20, Urteil 9C_125/2011 vom 7.6.2011.