Streubomben sind heimtückisch. Je nach Typ bestehen sie aus tausenden von kleinen Geschossen, die sich nach dem Aufprall auf dem Boden über eine Fläche von bis zu fünfzig Fussballfeldern verteilen. Sie werden gegen «weiche Ziele» eingesetzt – also gegen Menschen.
Bei einzelnen Modellen beträgt die Blindgängerrate laut der deutschen Nichtregierungsorganisation Handicap International bis zu vierzig Prozent. Solche Blindgänger wirken im Prinzip genau gleich wie Landminen. Sie bleiben liegen und explodieren erst, wenn man sie berührt.
Einsatz von Streubomben völkerrechtswidrig
Die Organisation schätzt, dass Streubomben seit 1945 in mindestens 25 militärischen Konflikten zum Einsatz kamen. Darunter 1991 im Golfkrieg seitens der USA, Grossbritannien und Frankreich, 1999 im Kosovokrieg, 2001 in Afghanistan, 2003 im Irakkrieg. 2006 setzte die israelische Armee im Libanon rund 2,8 Millionen Streubomben ein.
Für Paul Vermeulen, Direktor von Handicap International, ist klar: «Streubomben gehören nicht ins Arsenal eines zivilisierten Landes.» Und Völkerrechtler wie der Zürcher Daniel Thürer argumentieren, dass der Einsatz von Streubomben völkerrechtswidrig sei, weil sie nicht zwischen Zivil- und Militärpersonen unterscheiden und die potenziellen Schäden «unverhältnismässig» sind.
Aktuell besitzen über siebzig Staaten Streubomben, darunter China, Deutschland, Frankreich, Grossbritannien, Indien, Pakistan, Russland, Israel, die USA und die Schweiz. Wie gross der helvetische Bestand ist, gibt das Eidgenössische Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS) «aus Sicherheits- und Geheimhaltungsgründen» nicht bekannt. In den Jahren 1988, 1991 und 1999 erwarb die Schweiz solche Geschosse für total 645 Millionen Franken. Handicap International schätzt die Zahl auf 200000 Bomben. Hauptlieferant: die israelische Firma Israel Military Industries Ltd. Schweizer Rüstungsfirmen waren zu knapp fünfzig Prozent am Geschäft beteiligt (siehe Kasten). Sie stellten etwa die Geschosshüllen her oder führten die Endmontage durch.
Die Schweizer Streubomben sind mit bis zu 84 «Tochtergeschossen» bestückt. Sie haben einen «Wirkungsdurchmesser» von rund 200 Metern. In Friedenszeiten ist der Einsatz «mangels geeigneter Schiessplätze in der Schweiz nicht möglich». Geschossen wird im Ausland.
Ende 2005 setzte sich der Waadt-länder FDP-Nationalrat John Dupraz für ein totales Verbot von Streubomben ein. Der Nationalrat hiess die parlamentarische Initiative gut, doch der Ständerat stellte sich quer. Ein Verbot schwäche nicht nur die Verteidigungsbereitschaft, sondern auch die «Position der Schweiz in internationalen Verhandlungen», so der Thurgauer SVP-Ständerat Hermann Bürgi in der Wintersession 2007 mit Verweis auf Informationen aus dem Eidgenössischen Departement für Auswärtige Angelegenheiten (EDA).
USA, Israel und Russland unterschreiben nicht
Im Rahmen der Vereinten Nationen sind seit langem Bestrebungen gegen Streubomben im Gang. Nach Jahren des Stillstandes kommen am 3. Dezember 2008 in Oslo die Delegierten aus 107 Ländern zusammen, um ihre Unterschrift unter einen Vertrag gegen Streubomben zu setzen. Ein Riesenschritt nach vorne. Abseits stehen unter anderem die USA, Indien, Pakistan, Südkorea, Russland, Finnland und Israel. Der Vertrag tritt sechs Monate, nachdem ihn mindestens dreissig Staaten ratifiziert haben, in Kraft.
Im September 2008 schwenkte nach dreijährigem Hin und Her auch der Ständerat auf die Linie des Nationalrats um. Der Unterschrift der Schweiz steht am 3. Dezember nichts mehr entgegen. Noch im Mai 2008 sah es anders aus. Damals bemühte sich die Schweiz zum Missfallen etwa von Handicap International, die eigenen Bomben vom Vertrag auszunehmen. Sie seien mit einem Selbstzerstörungsmechanismus ausgestattet und die Blindgängerrate sei sehr tief.
Ein Verbot ohne Wenn und Aber ist der Oslo-Vertrag trotzdem nicht. Die Unterzeichner versprechen zwar, Millionen von Streubomben zu vernichten, dürfen aber gleichzeitig Typen «intelligenterer Bauart» behalten. Gemäss Matthias Halter, stellvertretender Chef Rüstungskontrolle- und Abrüstungspolitik im VBS, sind dies Bomben, bei denen «das Muttergeschoss weniger als zehn Tochtergeschosse umfasst und jedes Tochtergeschoss mehr als vier Kilogramm wiegt. Sie können ein einzelnes Ziel ansteuern und sind mit einem elektronischen Selbstzerstörungs- und Selbstdeaktivierungsmechanismus ausgestattet».
Auch die Schweiz besitzt seit 2004/ 2005 rund zweitausend solcher «intelligenter Bomben». Den Zuschlag für den 168 Millionen Franken teuren Auftrag erhielt damals die deutsche Gesellschaft für Intelligente Wirksysteme mbH in Nürnberg. Ein Drittel des Auftragsvolumens fiel in der Schweiz an.
Acht bis zwölf Jahre Zeit bis zur Vernichtung
Nach dem Beitritt zum Oslo-Vertrag muss das Kriegsmaterialgesetz durch einen Artikel ergänzt werden, der die Herstellung, den Erwerb und die Verwendung von Streumunition verbietet. Der Bundesrat wird dem Parlament laut EDA-Sprecher Georg Farago die entsprechende Botschaft «kaum vor der zweiten Jahreshälfte 2009» vorlegen. Dann folgen die Debatten in den Räten. Nach einer Genehmigung durch das Parlament muss die Referendumsfrist abgewartet werden. Somit könne das Abkommen «frühestens im zweiten Halbjahr 2010» ratifiziert werden.
Danach hat die Schweiz acht Jahre lang Zeit, ihre Bestände zu vernichten. «Vorbehalten», so Matthias Halter, «eine maximal vierjährige Verlängerungsfrist»
Schweiz: Mit Streubomben Geld verdient
Von 1988 bis 1999 gab die Schweiz 645 Millionen Franken für Streubomben aus. Hauptlieferant: die israelische Firma Israel Military Industries Ltd. Diese vergab rund die Hälfte der Aufträge an Schweizer Firmen, so an die Merz & Cie (heute Mec Holding AG) in Leimbach AG, die Müller AG in Münchenstein BL und die SM Schweizerische Munitionsunternehmung (heute Ruag Land Systems AG) in Thun. Die Ruag ist zu hundert Prozent im Besitz des Bundes.
Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch führte die Schweiz zusammen mit 33 anderen Ländern bis 2005 auf der Liste jener Staaten, die Streubomben herstellen.
Im Juli 2007 verkaufte die Ruag Land Systems AG den Bereich Grosskalibermunition (inklusive Streubomben) an die Schwedische Saab Gruppe. Diese gründete in de Folge die Saab Bofors Dynamic Switzerland Ltd. Geschäftszweck unter anderem: «Herstellung und Vertrieb von wehrtechnischem Material.» Die Firmenadresse in Thun ist identisch mit der Adresse der Ruag Land Systems AG.
Theodor Spuhler, Geschäftsleiter und Verwaltungsrat der Saab Bofors Dynamic, ist gleichzeitig Verwaltungsrat der Ruag Land Systems AG. Und mit Martin Stahel sitzt ein zweiter Ruag-Kadermann in beiden Verwaltungsräten. Die Ruag besitzt fünf Prozent des Aktienkapitals der Saab Bofors Dynamic, stellt aber die Hälfte des vierköpfigen Verwaltungsrates.
Laut Spuhler stellt die Ruag seit 2002 keine Streubomben mehr her. Die Saab Bofors Dynamic habe die Produktion nicht wieder aufgenommen.