Verfassungsrecht
Grundrechte
Reformation und öffentliches Recht. Benjamin Schindler, ZBl 2017, S. 129 f.
Der Autor kommt zum Schluss, das öffentliche Recht, die Menschenrechte oder der Sozialstaat seien keine Erfindungen der Reformation, die Reformation habe aber die passenden Voraussetzungen dafür geschaffen. Schindler verwendet das biblische Bild vom Sauerteig: Brot entstehe erst, wenn der gesäuerte Teig mit anderen Zutaten vermengt werde, dann aber entfalte er wirksam seine treibende Kraft.
Verwaltungsrecht
Ausländer- und Asylrecht
Der Gesetzgeber schafft Sans-Papiers: Die unbedachten Folgen der neuen strafrechtlichen Landesverweisung. Nichtvollziehbare Landesverweisungen und deren Konsequenzen für die betroffenen Personen.
Alexandra Büchler, Jusletter vom 20.3.2017.
Ausländische Personen, gegen die eine Landesverweisung ausgesprochen wurde, verlieren ihr Aufenthaltsrecht in der Schweiz – inklusive vorläufiger Aufnahme und Asyl – in der Regel selbst dann, wenn die Landesverweisung nicht vollzogen werden kann. In der Folge halten sich die betroffenen Personen ohne rechtlichen Status in der Schweiz auf. «Der Gesetzgeber schafft damit Sans-Papiers, die das Land nicht verlassen können», schreibt die Autorin. Ihr Beitrag zeigt auf, welche Probleme die neuen Bestimmungen in Bezug auf nichtvollziehbare Landesverweisungen mit sich bringen und wie sie durch eine sinnvolle Praxis minimiert werden können.
Umwelt-, Bau- und Planungsrecht
Umweltrecht in der Praxis; URP 1/2017, S. 1 ff.
Im ersten Heft 2017 kommt die Rechtsprechung des Bundesgerichts zum Fluglärm zur Sprache. Es werden zwei neuere Entscheide zum Thema wiedergegeben. Anschliessend diskutiert Tobias Jaag die bundesgerichtliche Praxis zur Entschädigung von Fluglärm kritisch.
Steuerrecht
Sonderabgaben. René Wiederkehr, Recht 2017, S. 43 ff.
Gute Zusammenfassung der abgaberechtlichen Vielfalt von den Steuern über die Lenkungsabgaben und Kostenanlastungssteuern bis zu den Kausalabgaben. Der Autor verlangt bei diversen Bundesabgaben eine Verfassungsgrundlage, welche in der heutigen Praxis meist fehlt.
Sozialversicherungsrecht
AHV, IV, EL und ALV
Schadenminderungsauflagen und Leistungsverweigerung im Abklärungsverfahren?
Patrick Fässler, SZS 61/2017, S. 137–165.
Immer häufiger werden IV-Bezügern Schadenminderungspflichten auferlegt. Bei Nichteinhalten drohen Leistungsverweigerungen. Unter welchen Umständen und in welchem Verfahren sind solche Auflagen überhaupt zumutbar und verhältnismässig? Und was für Rechtsfolgen sind bei Verweigerung zulässig? Wichtig für die Praxis.
La supension du droit à l’indemnité de chômage. Boris Rubin, ARV 1/2017, S. 1–15.
Es gibt viele Gründe, warum die Arbeitslosenversicherung Leistungen verweigern oder einstellen kann. Der Überblick zeigt die in der Praxis häufigsten Anwendungsfälle und Probleme und legt die jeweils aktuelle Rechtsprechung dar.
BVG
Vermögensanlage von Vorsorgeeinrichtungen. Zur Zulässigkeit kommunaler und kantonaler Restriktionen bei der Vermögensanlage.
Ueli Kieser und Kaspar Saner, AJP 3/2017, S. 327–333
Dürfen Gemeinden oder Kantone den Vorsorgeeinrichtungen verbieten, das Vermögen in Unternehmen anzulegen, die Kriegsmaterial herstellen? Lässt das Bundesrecht solche Regelungen zu? Gehört die Vermögensanlage zu den unentziehbaren Aufgaben des obersten Organs der Vorsorgeeinrichtung? Die Autoren stellen fest: «Die Festlegung, dass die Vorsorgeeinrichtungen das Vermögen nicht in Unternehmen anlegen, die Kriegsmaterial herstellen, ordnet eine ethisch-moralische Frage. Es wird damit nicht primär eine anlagetechnische Festlegung getroffen.»
Übriges Sozialversicherungsrecht
Zulässigkeit der Erhebung von nicht vereinbarten «Gebühren» durch den Versicherer. Binderiya Gan-Ayush, HAVE 1/17, S. 38–46.
Da die Zahlung von Mahn- oder Betreibungsgebühren und weiteren Kosten weder Haupt- noch Nebenpflicht des Versicherungsvertrags ist, können einzig gesetzliche Ansprüche die Erhebung beim Versicherten rechtfertigen. Bei der ersten Mahnung lässt sich dies aus dem Versicherungsvertragsgesetz (VVG) ableiten, bei Betreibungsaufwand, Sistierungsgebühren und weiteren Kosten aus den allgemeinen Bestimmungen über die Vertragsverletzung.
Privatrecht
Obligationenrecht
Grenzen vertraglicher Haftungsbeschränkungen. Meret Rehmann, SJZ 2017, S. 129 ff.
Die Autorin untersucht Bundesgerichtsentscheide zu Haftungsbeschränkungen in allgemeinen Geschäftsbedingungen. Die Grenzen einer Freizeichnung sind laut Autorin namentlich erreicht, wenn eine Monopolstellung keine Verhandlungen zulässt, der wirtschaftliche Zweck des Vertrags durch einen Haftungsausschluss ausgehöhlt wird oder aufgrund der Stellung am Markt ein Abhängigkeitsverhältnis besteht. Die Autorin empfiehlt, die erarbeiteten Kriterien so zu verdeutlichen, dass sie als Grundlage einer allgemeinen vertraglichen Inhaltskontrolle dienen können.
Le recouvrement de l’amende pénale en droit civil. Arnaud Nussbaumer und Jean-René Oettli, SJZ 2017, S. 173 ff.
Im Rahmen des Steuerkonflikts mit den USA sind Schweizer Banken zu erheblichen Geldstrafen verpflichtet worden. Diese Bussen gründen hauptsächlich darauf, dass ein Teil der Kundschaft Guthaben besass, die bei den amerikanischen Steuerbehörden nicht deklariert wurden. Für die Schweizer Banken ist es heute von Interesse, ob sie die bezahlten Beträge dieser Geldstrafen von ihren Kunden ganz oder teilweise zurückverlangen können. Im Lichte der aktuellen Rechtsprechung des Bundesgerichts bejahen die Autoren diese Frage, jedoch nur für denjenigen Teil der Busse, dem kein strafrechtlicher Charakter zukommt. Die Banken haben daher zu beweisen, dass der Betrag, den sie vom Kunden zurückfordern, durch eine unerlaubte Handlung oder eine Vertragsverletzung seitens ihrer amerikanischen Kunden verursacht worden ist.
Familienrecht
Feindbild Kesb – Erklärung und Widerspruch. Patrick Fassbind, Recht 2017, S. 60 ff.
Zwei Zitate aus der guten, selbstkritischen Analyse des Kesb-Vorsitzenden von (ehemals) Bern und (heute) Basel-Stadt. Widerstand gebe es bis hin «zu faktenloser Desinformation trumpschen Ausmasses», was wiederum eine Fehlerkultur bei der Kesb verhindere: «Kesb-Bashing führt bei den Kesb zu einer Sicherheitsmentalität, die kontraproduktiv ist und niemandem etwas bringt.»
Arbeitsrecht
Einseitige Arbeitszeitveränderungen durch den Arbeitgeber.
Gabriela Riemer-Kafka, AJP 3/2017, S. 312–326.
Laut Autorin stösst die vorübergehende Veränderung der Arbeitszeiten an rechtliche Grenzen, da die Arbeitszeiten als wesentlicher Vertragsinhalt nur unter eng begrenzten Voraussetzungen einseitig veränderbar sind. Je nach Umständen kämen die Bestimmungen über die Massenentlassung und die missbräuchliche Kündigung zum Zug. Angestellte hätten zu berücksichtigen, dass eine schuldhafte Ablehnung zumutbarer Arbeitszeitveränderungen zu Sanktionen bei der Arbeitslosenversicherung führen könne.
Notariatsrecht
Prüfung des Ausweises über das Verfügungsrecht bei Verfügungen durch öffentlich-rechtliche Körperschaften. Fabrizio Andrea Liechti, Der Bernische Notar 1/2017, S. 1 ff.
Ein für Notare zuweilen heikles Feld bildet die Prüfungsbefugnis des Grundbuchverwalters. Der Aufsatz beleuchtet die Frage, wie weit diese beim Verfügungsrecht öffentlicher Körperschaften geht, und gelangt zum Schluss, dass dem Grundbuchverwalter eine eigentliche Prüfungspflicht obliegt, welche dieser nicht an den Notar delegieren darf.
Datenschutzrecht
Souveräner Datenschutz ist notwendig. Bruno Baeriswyl, Digma 1/2017, S. 38 ff.
Der Autor begrüsst die Totalrevision des Datenschutzgesetzes grundsätzlich. Er bemängelt aber, dass sich die Revision hinter dem notwendigen Nachvollzug europarechtlicher Bestimmungen versteckt und die notwendige Eigenständigkeit vermissen lässt. Europäische Normen würden unkritisch übernommen, Vorschläge zu einer weitergehenden Reform kämen gar nicht vor oder würden abgeschwächt.
DSG-Revision: Schritt in die richtige Richtung.
Sandra Husi-Stämpfli, Digma 1/2017, S. 50 ff.
Mit der Revision wird das Datenschutzrecht laut der Autorin auf den neuesten Stand gebracht. Die Debatte sei aber weiterzuführen und die Gunst der Stunde zu nutzen, um die neuen Bestimmungen in der Praxis wirklich zur Anwendung gelangen zu lassen.
Handels- und Wirtschaftsrecht
Immaterialgüterrecht
When in Rome do as the Romans do? Die Klarstellung der Beschwerdekammer des EPA zur Übertragung von Prioritätsrechten in T2015/14 und deren Befolgung in der neueren europäischen nationalen Rechtsprechung. Tobias Bremi, Sic! 3/2017, S. 109 ff.
Mit der Entscheidung T62/05 haben die Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts (EPA) Verwirrung gestiftet, welche Bedingungen an die gültige Übertragung eines Prioritätsrechts gestellt werden müssen und welches Recht auf Prioritätsrechtsübertragungen anwendbar ist. Diese Frage wurde nun mit dem Entscheid T2015/14 geklärt, es ist das auf den Vertrag anwendbare nationale Recht. Bremi geht auf diesen Entscheid ein und zeigt auf, worauf bei der Abfassung von Prioritätsrechtsübertragungserklärungen auch nach der Klarstellung in T2015/14 zu achten ist.
Formelle und inhaltliche Voraussetzungen von Auskunftsbegehren im Kartellverfahren unter besonderer Berücksichtigung des Begründungserfordernisses. Stefan Tsakanakis,
Sic! 4/2017, S. 197 ff.
Im Kartellrecht ist das Einhalten der prozessrechtlichen Anforderungen äusserst wichtig – vor allem bei den zentralen Auskunftsbegehren. Erfüllen diese die verschiedenen formellen und inhaltlichen Anforderungen nicht, können sie vor Gericht angefochten werden. Dies führt zu deren Aufhebung. Damit befassen sich die Schweizer Gerichte kaum, weshalb die Rechtsprechung in der EU zu beachten ist.
Verfahrens- und Vollstreckungsrecht
Der wiederkehrende Ruf nach dissenting opinions am Bundesgericht: Wünschbarkeit, Auswirkungen und Ausgestaltung richterlicher Sondervoten in der Schweiz. Mirjam Baldegger,
ZBl 2017, S. 131 ff.
Die Autorin untersuchte schriftliche Sondervoten. Sie zeigt auf, dass zwei Arten von Sondervoten unterschieden werden: Die abweichende Meinung (dissenting opinion), die im Ergebnis und in der Begründung von der Mehrheitsmeinung abweicht, und die beipflichtende Meinung (concurring opinion), die sich nur in der Begründung von der Mehrheitsmeinung unterscheidet. In der Schweiz kennen nur die Kantone Aargau, Schaffhausen, Waadt und Zürich sowie das Bundespatentgericht schriftliche Sondervoten. Die Autorin würde die Einführung schriftlicher Sondervoten am Bundesgericht begrüssen.
Strafprozessrecht
Verhältnis zwischen der ausländerrechtlichen Mitwirkungspflicht und den strafprozessualen Verweigerungsrechten.
Thomas Schaad, Jusletter vom 20.3.2017.
Während die ausländische Person im Migrationsrecht einer Mitwirkungspflicht unterliegt, kann sie im Strafprozess dieselbe verweigern. Untersucht wird die Rechtslage, wenn sich eine ausländische Person durch ihre Mitwirkung im migrationsrechtlichen Verfahren dem Verdacht einer strafbaren Handlung aussetzt.
Zivilprozessrecht
Grundfragen des Anwaltshaftungsprozesses. Daniel Summermatter und Christoph Gerber, Have 1/17, S. 3–24.
Obwohl sich die Gerichte immer wieder mit Schadenersatzansprüchen des Mandanten gegenüber seinem Anwalt zu befassen haben, sind laut den beiden Autoren zahlreiche Fragen weiterhin ungeklärt. Der Beitrag beleuchtet die prozess- und beweisrechtlichen Besonderheiten, die den sogenannten Regressprozess prägen. Zudem werden prozessuale Fehler des Anwalts und ihre Auswirkungen auf den Schaden und seine Feststellbarkeit erörtert. Im Ergebnis befürworten die beiden Autoren ein einheitliches, herabgesetztes Beweismass bezüglich des hypothetischen Ausgangs des Erstprozesses und des Kausalzusammenhangs zwischen der Sorgfaltspflichtverletzung und dem Schadenseintritt.
Turbulenzen zwischen Brüssel und Lugano – Schweizerische Insolvenz und ausländischer Zivilprozess in der Praxis des Bundesgerichts.
Alexander R. Markus, AJP 3/2017, S. 287–298.
Das Bundesgericht postuliert einen Vorrang des Insolvenzrechts gegenüber dem internationalen Zivilprozessrecht, insbesondere dem Lugano-Übereinkommen (LugÜ). Gemäss dem Autor ergeben sich für den Kläger im Ausland, der sich auf das LugÜ verlassen hat, grosse Unsicherheiten. Bereits die laufende Revision des 11. Kapitels des IPRG könne aber Verbesserung bringen, indem die Relevanz ausländischer Verfahren und Urteile für die hiesige Insolvenz klar geregelt werde.
Fallstricke des Replikrechts im Zivilprozess. Reto Hunsperger und Jodok Wicki, AJP 4/2017, S. 453–463.
Diverse Stimmen in der Literatur versuchen laut Autoren, die Bedeutung des Replikrechts herunterzuspielen, verschiedene Gerichte behandeln es «stiefmütterlich». Für den forensisch tätigen Rechtsanwalt sei die Bedeutung dieses prozessualen Behelfs nicht zu unterschätzen – vor allem im Zusammenhang mit der Novenschranke in Art. 229 ZPO.
Schuldbetreibungs- und Konkursrecht
20 Jahre summarische Feststellung von neuem Vermögen. Hans Zwahlen, BlSchK 1/2017, S. 1 ff.
Seit Anfang 1997 gilt das Verfahren zur Feststellung neuen Vermögens nach einem Konkurs. Der Autor erläutert seine 20-jährige Erfahrung mit dem Verfahren am Regionalgericht Bern-Mittelland. Sein Vorschlag: Die Kompetenz zur Feststellung neuen Vermögens sollte vom Richter auf das Betreibungsamt übertragen werden.