Verwaltungsrecht
Verfassungsrecht
«Grundrechte für Primaten» zwischen Rechtsdogmatik und Symbolpolitik. Giovanni Biaggini, ZBI 2/2021, S. 65 f.
Im Zusammenhang mit der Volksinitiative «Grundrechte für Primaten» im Kanton Basel-Stadt greift der Autor Fragen im Zusammenhang mit der Einschränkung von Grundrechten auf. Besitzen diese einen Kerngehalt? Wie beurteilen sich Eingriffsschwere und Zumutbarkeit im Kontext von Artikel 36 BV?
Allgemeines Verwaltungsrecht
Bestellung des Bundesgerichts durch Losentscheide? Reto Patrick Müller, SJZ 4/2021, S. 167 ff.
Der Autor legt dar, mit welchen Mitteln die Eidgenössische Volksinitiative «Bestimmung der Bundesrichterinnen und Bundesrichter im Losverfahren» (Justizinitiative) die Bestellung des Bundesgerichts entpolitisieren will. Dabei zeigt er auf, welche Probleme dabei gelöst und welche neuen geschaffen werden. Sein Fazit: Die Initiative hält keine taugliche Lösung für die von ihr anvisierten Probleme bereit.
Richterliche Unabhängigkeit und Konsistenz am Bundesverwaltungsgericht: Eine quantitative Studie.
Gabriel Gertsch, ZBI 1/2021, S. 34 ff.
Der Beitrag untersucht quantitativ, ob die Richter des Bundesverwaltungsgerichts vergleichbare Massstäbe anlegen und welche Rolle dabei die Parteizugehörigkeit spielt. Er kommt zum Schluss, dass im Ausländerrecht keine statistisch signifikanten Unterschiede bestehen, im Sozialversicherungs- und Asylrecht hingegen schon. Die resultierenden Inkonsistenzen seien jedoch weit weniger gravierend als zum Beispiel in Nordamerika, weshalb die Resultate aus der Sicht des Autors kein starkes Argument für eine grundlegende Reform des Richterwahlsystems bieten.
Ausländer- und Asylrecht
Ausländische Sozialhilfebezüger im Fokus der Migrationsbehörde.
Marc Spescha, Jusletter vom 8.3.2021
Der Autor setzt sich in seinem Beitrag mit der Rechtslage und der Rechtspraxis zum migrationsrechtlichen Widerrufsgrund des Sozialhilfebezugs auseinander. Dabei geht er der Frage nach, wann und inwieweit der Sozialhilfebezug als «selbstverschuldet» qualifiziert wird. Er hält fest, dass ein «Selbstverschulden» vielfach leichthin unterstellt und sanktioniert wird: «Die Rechtsprechung und Verwaltungspraxis gewichtet das wirtschaftliche Interesse an der Vermeidung von Belastungen der öffentlichen Hand (öffentliche Wohlfahrt) durch Sozialhilfebezüger so hoch, dass sich eine vertiefte Prüfung des vorwerfbaren Verschuldens am jeweiligen Sozialhilfebezug zu erübrigen scheint.»
Baurecht
Der Wettbewerb im revidierten Vergaberecht des Bundes. Regula Fellner, Baurecht 2021, S. 5 ff.
Das revidierte Bundesgesetz über das öffentliche Beschaffungswesen erlaubt öffentlichen Auftraggebern die Durchführung von Planungs- und Gesamtleistungswettbewerben. Diese bewährten Sondervergabeverfahren werden über den Baubereich hinaus auch für weitere Arten von Leistungen ermöglicht, insbesondere für solche der Informatik. Die Autorin stellt die neuen bundesrechtlichen Regelungen unter Berücksichtigung der Ausführungsverordnung vor.
Steuerrecht
Liegenschaften im Miteigentum. Henk Fenners und Jana Rüdlinger, Steuerrevue 1/2021, S. 104 ff.
Wer zahlt welche Steuern, wenn ein Partner nach der Trennung im gemeinsamen Haus verbleibt? Die beiden St. Galler Steuerbeamten befassen sich mit dem immer wieder kontroversen Thema und entwickeln einen Ansatz, der im Unterschied zu vielen Entscheiden vernünftig und praktikabel ist.
Photovoltaik-Anlagen und direkte Steuern. Peter Locher, Peter Gurtner, ASA 89, S. 255 ff.
Wer Solarzellen aufs Dach montiert und mit den Steuerbehörden nicht einig wird, was abzuziehen oder zu besteuern ist, findet im Aufsatz der beiden emeritierten Professoren Argumentationshilfen. Die Tabelle auf Seite 283 erleichtert den Einstieg und gibt einen guten Überblick.
Übriges Verwaltungsrecht
Dem PMT fehlt die Verfassungsgrundlage. Markus Mohler, Sui generis 2021, S. 61 ff.
Das vom Eidgenössischen Parlament im September 2020 beschlossene Gesetz zur präventiven Terrorismusbekämpfung ist aus grundrechtlichen Überlegungen umstritten, sieht es doch unter anderem die Möglichkeit des Hausarrests für Minderjährige vor. Nachdem erfolgreich das Referendum ergriffen wurde, befinden die Stimmberechtigten am 13. Juni über die polizeilichen Massnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus (PMT). Der Autor kommt zum Schluss, dass dem Bund die verfassungsrechtliche Kompetenz für das Gesetz fehlt. Der Erlass polizeigesetzlicher Bestimmungen zur Verhütung von Straftaten durch operationelle Realakte als Eingriffe in die Bewegungsfreiheit liege in der Verantwortung der Kantone. Dies gelte auch im Bereich der präventiven Terrorismusbekämpfung als Teil des Staatsschutzes. Dieser an sich unbefriedigende Rechtszustand lasse sich nur durch eine Änderung der Bundesverfassung beheben.
Behandlungspflichten und Behandlungsentscheide bei Ressourcenknappheit. Regina E. Aebi-Müller, Jusletter vom 1.1.2021
Macht sich ein Arzt strafbar, der einem Patienten mit schlechten Überlebenschancen das Beatmungsgerät zugunsten eines anderen mit besserer Prognose entzieht? Und wer soll den letzten Behandlungsplatz auf der Intensivstation bekommen, wenn die Betten knapp werden? Solche Fragen sind im Kontext der Covid-19-Pandemie diskutiert worden. Die Autorin nähert sich der Triage-Problematik aus juristischer Sicht. Sie kommt zum Schluss: Im Fall der Überlastung des Gesundheitssystems fehlt es in der Schweiz an einer klaren gesetzlichen Grundlage für medizinische Triage-Entscheidungen. Anhaltspunkte dafür, welche Kriterien bei einem solchen Entscheid relevant sein können, findet sie aber in der Rechtsordnung, in der rechtswissenschaftlichen Literatur und der Gerichtspraxis.
Der Sars-CoV-2-Impfstoff – eine haftpflichtrechtliche Beurteilung. Marcel Lanz, Jusletter vom 8.2.2021
Viele Leute stehen Impfungen kritisch gegenüber. Die kurze Entwicklungsdauer, die beschleunigten Zulassungsverfahren und die neuartigen Technologien, auf welchen einige Impfstoffe basieren, verunsichern bei den Covid-19-Impfstoffen zusätzlich. Umso wichtiger ist es, rechtliche Klarheit über die Haftungsfolgen bei allfälligen Impfschäden zu schaffen. Der Autor hat einzelne Aspekte der Haftung für Impfschäden untersucht. Insbesondere zeigte er auf, dass die kurze Entwicklungsdauer der Impfstoffe im Haftpflichtrecht berücksichtigt werden kann. Unter Umständen kann dies die Haftung des Herstellers sowohl nach allgemeiner Verschuldenshaftung als auch nach Produktehaftpflichtgesetz ausschliessen.
Neue Mobilitätsformen im öffentlichen Raum. Patrice Martin Zumsteg, Sui generis 2021, S. 73 ff.
Der Autor argumentiert in seinem Beitrag, dass die Nutzung des öffentlichen Raums, unter anderem mit E-Trottinetten, schlicht Gemeingebrauch darstellt. Eine Bewilligungspflicht und Benutzungsgebühren sind damit nicht zulässig. In dieser Hinsicht weise das Recht der Stadt Zürich, welches beispielhaft betrachtet wird, Verbesserungspotenzial auf.
Datenschutzrecht
Daten nutzen oder Daten schützen? Offene Daten für die Wirtschaft und ein besserer Datenschutz müssen möglich gemacht werden. Bruno Baeriswyl,
Digma 4/2021, S. 166 ff.
Der Autor ist der Meinung, dass die Revision des Datenschutzrechts sowohl in der Schweiz als auch in Europa in einer Sackgasse gelandet ist. Sie führe nicht zur gewünschten Stärkung des Datenschutzes. Er plädiert dafür, den Schutz der Privatsphäre auch im privatrechtlichen Bereich zu stärken: «Die liberale Wirtschaftsordnung muss auf mündige Konsumentinnen und Konsumenten aufbauen können.» Die freie Entscheidungsmöglichkeit der Kunden sei zu schützen. Das Sammeln von Daten, das darauf ausgerichtet sei, das Verhalten der betroffenen Person vorauszusagen, zu beeinflussen und zu manipulieren, «ist zu unterbinden.» Die grossen Datenmonopole profitierten am meisten vom wenig wirksamen Datenschutz. Der Autor hinterfragt kritisch, ob der Wert der Privatsphäre für die liberale Rechtsordnung in den Hintergrund getreten ist oder sich niemand traut, die grossen Datenbearbeiter an ihrem Datensammeln zu hindern.
Sozialversicherungsrecht
Ablehnung des Referenzpreissystems – eine verpasste Chance?
Dominique Vogt, SZS 1/2021, S. 10 ff.
Bestrebungen zur Senkung der Ausgaben in der Krankenpflegeversicherung haben einen schweren Stand – auch wenn es durchaus sinnvolle Ansätze gibt. Der Beitrag erläutert ein Modell, wonach für Originalpräparat und Generikum nur ein Referenzpreis für massgebend erklärt wird. Die Vergütung der Krankenkasse hat sich daran zu orientieren. Möglich wären Einsparungen von 480 Millionen Franken. Doch der Nationalrat versenkte das vorgeschlagene Modell im Herbst 2020.
Strafrecht
Schützt das Strafrecht auch Dumme? Zur Opfermitverantwortung beim Betrug. Damian K. Graf, ZStrR 1/2021, S. 56 ff.
Der Begriff der «Opfermitverantwortung» beim Betrugstatbestand stellt gemäss Autor eine «Kuriosität» im schweizerischen Strafrecht dar: Vermag der Täter die Verantwortung des Opfers zur Schau zu stellen, geht er straffrei aus – auch wenn er noch so niederträchtig handelt. Der Autor analysierte mehrere Hundert publizierte und unpublizierte Urteile eidgenössischer und kantonaler Gerichte. Er fand eine «mäandernde Rechtsprechung» und spricht von einem unbefriedigenden Status quo, weil das Konstrukt der Opfermitverantwortung bei einigen wenigen Strafnormen zur Anwendung kommt und bei anderen nicht. Um das zu ändern, schlägt er vor, ganz auf die Opfermitverantwortung zu verzichten – oder im Gegenteil eine Ausweitung auf weitere Delikte zu erwägen.
Privatrecht
Familienrecht
«Ehe für alle» – Wie weiter? Sandra Hotz, SJZ 1/2021, S. 22 ff. und S. 75 ff.
Mit der Revision des Schweizerischen Zivilgesetzbuches im Hinblick auf die «Ehe für alle» wird die Zivilehe für gleichgeschlechtliche Paare geöffnet. Damit sollen auch die Regelungen zur gemeinsamen Elternschaft geklärt und der Zugang zur Samenspende für Frauenpaare erlaubt werden. Die Autorin zeigt auf, welche Regelungsbereiche damit ebenfalls in den Fokus gelangen, wenn eine kohärente und tragfähige Gesetzeslösung erreicht werden soll.
Anrechnung eines hypothetischen Einkommens bei Wegzug eines unterhaltspflichtigen Elternteils ins Ausland. Julian Powell und Ladina Solèr, Fampra.ch, 1/2021, S. 35 ff.
Beim Wegzug eines unterhaltspflichtigen Elternteiles ins Ausland stellt sich aufgrund der damit regelmässig einhergehenden Erwerbseinbusse die Frage, ob dem unterhaltspflichtigen Elternteil ein höheres (hypothetisches) Schweizer Einkommen angerechnet werden kann. Die Autoren kommen zum Schluss, dass die Gerichte die Unterhaltspflicht unter Anrechnung des hypothetischen Einkommens in den von ihnen untersuchten Entscheiden stets bis zur Volljährigkeit oder bis zum Abschluss einer angemessenen Ausbildung anordnen.
Erbrecht
Abtretung von Erbanteilen in der Schweiz und in Deutschland. Stephan Wolf und Christiane von Bary, AJP 2/2021, S. 151 ff.
Der Beitrag enthält rechtsvergleichende Betrachtungen zur Abtretung von Erbanteilen in den beiden Ländern. In Bezug auf den Erwerb der Erbschaft, das Entstehen der Erbengemeinschaft und den Normzweck ergibt sich für beide untersuchten Rechtsordnungen grundsätzlich die gleiche Ausgangslage. Im Einzelnen finden sich Unterschiede.
Durchgriff und indirekte Zuwendungen im Erbrecht.
Ein Appell an Rechtsprechung und Lehre. Pius Koller, AJP 1/2021, S. 19 ff.
Der Autor bemängelt, dass Durchgriffsfragen im Erbrecht bislang praktisch keine Bedeutung hätten. Dabei können der Durchgriff einerseits, aber auch die Theorie der indirekten Zuwendungen andererseits, zweckdienliche Mittel in spezifischen erbrechtlichen Konstellationen darstellen und zu angemessenen Lösungen führen. Der Beitrag zeigt anhand eines fiktiven Szenarios, weshalb die Forderung nach einer Einführung eines erbrechtlichen Durchgriffs, sowie der Anwendung der Idee der indirekten Zuwendungen berechtigt ist.
Grundbuchrecht
Die Rechtsfigur der «natürlichen Publizität». Philipp Eberhard, SJZ 3/2021, S. 128 ff.
Der gute Glaube eines Dritterwerbers in das Grundbuch kann gemäss Rechtsprechung durch «natürliche Publizität», die darin besteht, dass der Rechtsbestand im physischen Zustand der Liegenschaft nach aussen sichtbar in Erscheinung tritt, zerstört werden. Der Autor zeigt anhand der bundesgerichtlichen Rechtsprechung auf, wann sich ein Käufer nicht auf seinen guten Glauben berufen kann, sondern sich das entgegenhalten zu lassen hat, was sich aus der nach aussen in Erscheinung tretenden Beschaffenheit des Grundstücks ergibt.
Arbeitsrecht
Arbeitsrechtlicher Reformbedarf für Homeoffice-Arbeit. Sabine Steiger-Sackmann, ARV 4/2020, S. 300 ff.
Seit einem Jahr arbeiten Angestellte vermehrt im Heimbüro. Der Beitrag sieht gesetzgeberischen Reformbedarf. Etwa in der Frage, ob der Arbeitgeber die Kosten des Heimbüros zumindest mittragen soll. Auch ist der Angestellte vor ständiger Erreichbarkeit zu schützen.
Verfahrens- und Vollstreckungsrecht
Strafprozessrecht
Strafrechtliche Selbstanzeige des Unternehmens. Simone Nadelhofer und Adam El-Hakim, Jusletter vom 22.2.2021
Die Autoren untersuchen die Vor- und Nachteile einer Selbstanzeige für Unternehmen in der Folge einer internen Untersuchung und formulieren konkrete Kriterien, anhand welcher sich die Unternehmensleitung beim Entscheid leiten lassen solle.