Herzige Osterdekorationen im Empfang, wie sie rührige Frauenhände auch für Spital- und Altersheim-Eingänge basteln. Und im obersten Stock ein Chef, der erst die Krawatte «aus dem Giftschrank» holen muss, bevor er fürs Foto posiert. Mit vielen Mitarbeitern ist er per Du. Seine Ausdrücke verstehen auch Laien. «Gaga-Urteil» beispielsweise. Alltagsprobleme löst er auf praktische Art. Die Frage, welche Abteilung im obersten Stock des neuen Gerichtsgebäudes logieren darf, liess er auswürfeln. Und die blauen Flöckchen, die jeden Morgen auf seinem Schreibtisch lagen, blies er einfach weg. Bis plötzlich alles sehr schnell ging: In zwei Stunden musste die Schwarztorstrasse 59 in Bern wegen schwerstem Asbestbefall geräumt werden. «Nicht einmal die Dossier durften wir mitnehmen.»
Christoph Bandli, 56, wäre auch gern Bauer geworden. Nun ist er Präsident des Bundesverwaltungsgerichts. Im grössten Tribunal der Schweiz arbeiten fast 400 Angestellte, darunter 72 Richter und Richterinnen, die jährlich 10000 Urteile fällen. Sie entscheiden beispielsweise über Telefontarife, Flughöhen und Fernsehsender. Obwohl wir die Folgen ihrer Urteile am eigenen Leib und am eigenen Portemonnaie zu spüren bekommen, wurde das Gericht mit dem sperrigen Namen bisher kaum wahrgenommen, und sein Präsident blieb selbst in Fachkreisen unbekannt. Tatsächlich ist Christoph Bandlis Werdegang (in Chur aufgewachsen, verheiratet, zwei erwachsene Kinder, Wanderferien in Graubünden) so unspektakulär wie seine Karriere. Unauffällig erklomm er im Schutz und im Grau der Verwaltung Sprosse um Sprosse der Laufbahnleiter. Erst war er Rechtsberater der Gemeinde Davos, dann Jurist im Bundesamt für Raumplanung. Vizepräsident der Rekurskommission des Departements für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation im Bundesamt für Justiz. 2004 Projektleiter «Neue Bundesgerichte». 2005 Wahl zum Richter des Bundesverwaltungsgerichts. 2006 Präsident des Tribunals. Eigene Anwaltskanzlei? Womöglich als Scheidungsspezialist? In gespieltem Entsetzen schiebt er die Hände über den Tisch und die Idee von sich: Bloss nicht! Seine Welt ist das Verwaltungsrecht.
Im damaligen Bundesrat Christoph Blocher besass er «den besten Chef, den man sich vorstellen kann. Er hat ein Gspüri dafür, welche Leute man machen lassen kann». Und Christoph Bandli machte. Stampfte als Projektleiter ein Gericht aus dem Boden, in dem er jedes Detail selbst bestimmte: den Bleistift wie den Computer, die Organisation (fünf Abteilungen) wie die Farbe der Sammelbände (blau). Seine Handschrift trägt auch der «Bandlimat». Der Zuteilungscomputer, an dem sein mathematisch begabter Sohn mitwirkte, verteilt die Dossiers unparteiisch nach Beschäftigungsgrad und Sprache und macht Schluss mit den Richterklagen: «Immer bekomme ich die schwierigsten und längsten Fälle.» Christoph Bandli druckt ein Beispiel aus. Unter vielen Abkürzungen sticht der überraschende Begriff hervor: «gedämpfte Richter». Das sind, sagt er, Richter, die in den Ferien waren und denen nicht auf Anhieb das volle Programm zugemutet werden darf.
In nur zwei Jahren hatte er die 35 Beschwerdestellen der Bundesdepartemente und Dienststellen zum neuen Tribunal zusammengeschweisst. Sein Ziel: Ein Gericht, anders als die anderen. Jünger. Weiblicher. Transparenter. Und «schlanker, mit kürzeren Entscheidungswegen». Das flotte Tempo ist einem Mann, der jährlich 5000 Kilometer auf dem Rennvelo zurücklegt, besonders wichtig. Nicht alle Betroffenen zeigten sich gleichermassen begeistert darüber, ihr angestammtes Biotop zu verlassen. Ihr Trost: Aus den 72 Juristen, die bislang ein unauffälliges Beamtendasein im Schatten des Bundeshauses gefristet hatten, wurden auf einen Schlag Bundesverwaltungsrichter mit neuen Privilegien und viel Prestige.
Drei Jahre lang nahm die Öffentlichkeit den neuen Koloss kaum wahr. Dann, anfangs 2010, katapultierte sich das Gericht mit zwei Urteilen ins grellste Scheinwerferlicht. In beiden Fällen ging es um die Lieferung von Schweizer Kontodaten amerikanischer Kunden an die USA. Beide Offenlegungen taxierte das Tribunal als rechtswidrig. Begründung: Amtshilfe darf nur geleistet werden, wenn es sich um Steuerbetrug und nicht bloss um Steuerhinterziehung handelt. Ob jedoch Steuerbetrug für jedes Konto zutraf, das hatten die Amtsstellen nicht geprüft.
Die Urteile lösten eine Staatskrise aus. Die Arbeit von Monaten – für die Katz. Die Landesregierung – desavouiert. Die Architekten der mühsam ausgehandelten Verträge mit den USA – ausser sich: «Faktenhuberei statt Problemerkennung!» Und trotzige Statements der Gerügten: «Ich würde alles nochmals so machen.» Nur das Volk rief: «Bravo: wenigstens eine Instanz im Land, die nicht kuscht vor der Macht der Banken und den USA.»
Christoph Bandli freute sich über die vielen Lobesbriefe. Auch die betroffenen Bundesräte «reagierten völlig gut. Sie nahmen das Urteil zur Kenntnis und hockten sich an den Tisch». Weniger goutierte er die «zwanzig bis dreissig Interviews», die er in den letzten Wochen geben musste. «Ich habe das ja nicht gelernt.» Überhaupt studiert er viel lieber Akten, als in der Öffentlichkeit zu stehen. Just das glauben ihm viele Kollegen nicht. Der Bandli will sich und sein junges Gericht profilieren! Aus dem Schatten des Bundesgerichts hervortreten! Den Ruf eines Zweit-Liga-Gerichts mit lauter juristischen Nobodys loswerden!
Schon seit Längerem hatten die Kollegen Christoph Bandlis steile Karriere verfolgt. Ein Opportunist, der erst der SVP beigetreten ist, nachdem ihn die Partei als Richter portiert hatte. Und wie umtriebig! Statt nach einem Urteil die imaginäre Robe zu raffen und sich in die «splendid isolation» zurückzuziehen, mischt er sich unters Volk. Statt seine Urteile als in Stein gemeisselte Wahrheiten zu verkünden, kommentiert er sie öffentlich. Letzteres freilich bestreitet der Angeschuldigte heftig: «Ich kommentiere sie nicht. Ich versuche zu erklären, was wir entschieden haben. Man kann doch den Leuten nicht ein fünfzigseitiges Urteil an den Kopf werfen – da lest!» Zudem sieht er sich auf seinem Weg bestätigt: «Auch das Bundesgericht hat angefangen, regelmässig Medienmitteilungen zu verschicken.» Richter alter Schule nennen das Populismus. Das Volk muss ein Urteil nicht verstehen. Es hat sich nur danach zu richten. Nicht so bei Christoph Bandli.