Verfassungsrecht
In Schwyz muss das Wahlsystem korrigiert werden
Das Schwyzer Wahlverfahren für den Kantonsrat entspricht nicht einem echten Proporzverfahren. Nun muss es verfassungskonform gestaltet werden. Die Ergebnisse der letzten Wahlen bleiben gültig - wegen Rechtssicherheit und Verhältnismässigkeitsprinzip.
Sachverhalt:
Am 6. September 2011 erliess der Regierungsrat des Kantons Schwyz ein Dekret über die kantonalen Gesamterneuerungswahlen im Jahre 2012 und einen Beschluss über die Vertretung der Gemeinden im Kantonsrat sowie die Verteilung der Sitze der 100 Kantonsratsmitglieder auf die Gemeinden.
Toni Reichmuth und weitere Mitbeteiligte erhoben dagegen am 16. September 2011 und 10. Oktober 2011 Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten und verlangten eine unverzügliche verfassungskonforme Kantonsratswahl. Sie machten geltend, der Kantonsrat sei nicht nach dem Proporzsystem (Verhältniswahl) bestellt worden. Ein Beschwerdeführer verlangt die Aufhebung dieser Wahl, während weitere Beschwerdeführer die Feststellung der Ungültigkeit der Wahl beantragen. Am 11. März 2012 fand die Gesamterneuerungswahl des Kantonsrats statt.
Aus den Erwägungen:
5.4 Die Sitzzuteilung in den Wahlkreisen bei der Kantonsratswahl richtet sich im Kanton Schwyz im Wesentlichen nach dem Verteilsystem Hagenbach-Bischoff (vgl. zu diesem Sitzzuteilungssystem BGE 129 I 185 E. 7.1.1, S. 197; Anina Weber, «Vom Proporzglück zur Proporzgenauigkeit», in: AJP 2010 S. 1373/1377).
Im vorliegenden Fall zeigt sich, dass in den Gemeinden Schwyz, Einsiedeln und Freienbach mit je zehn Sitzen für eine Liste ein Stimmenanteil von 9,09 Prozent genügt, um bei der ersten Verteilung einen Sitz zu erhalten. Umgekehrt ist in den dreizehn kleinsten Gemeinden für einen Sitz ein Stimmenanteil von 50 Prozent nötig. Der Durchschnitt für alle Gemeinden liegt bei 33 Prozent.
Es kann somit nicht gesagt werden, das Wahlverfahren entspreche einem echten Proporzverfahren, wie es in § 26 Abs. 4 KV/SZ gewährleistet wird. Das Wahlverfahren wird der in Art. 34 Abs. 2 BV garantierten Wahlfreiheit somit offensichtlich nicht gerecht (vgl. BGE 136 I 352 E. 3.5, S. 360, 376 E. 4.5, S. 383).
5.5 Die Ausführungen des Regierungsrats, wonach im Kanton Schwyz ein Mischsystem zwischen Majorz- und Proporzverfahren gelte, findet weder in der Kantonsverfassung noch im kantonalen Ausführungsrecht eine Stütze.
6. Zusammenfassend ergibt sich, dass das im Kanton Schwyz praktizierte Wahlsystem den Anforderungen an ein Proporzverfahren nicht genügt.
Es ist Sache der zuständigen Kantonsorgane, die geeigneten Massnahmen zu einer Verbesserung des Verhältniswahlrechts zu treffen. Die zuständigen Behörden des Kantons Schwyz sind daher im Sinne eines Appellentscheides aufzufordern, im Hinblick auf die nächste Wahl des Kantonsrats unter Beachtung der vorstehenden Erwägungen eine verfassungskonforme Wahlordnung zu schaffen (vgl. BGE 136 I 352 E. 5.2, S. 364; 131 I 74 E. 6.1, S. 84).
Dem Antrag eines Beschwerdeführers um Aufhebung der Kantonsratswahl 2012 kann trotz des schwerwiegenden Verstosses gegen den Grundsatz des Verhältniswahlrechts aus Gründen der Rechtssicherheit und des Prinzips der Verhältnismässigkeit nicht entsprochen werden (vgl. BGE 129 I 185 E. 8.3, S. 204 f.). Ebenso wenig besteht Anlass für die Aufhebung des Beschlusses und des Dekrets des Regierungsrats vom 6. September 2011 (s. Sachverhalt), da diese der Vorbereitung der Kantonsratswahl dienten, welche inzwischen abgeschlossen ist.
Die Beschwerden werden im Sinne der Erwägungen teilweise gutgeheissen.
Urteile Nr. 1C_407/2011, 1C_445/2011 und 1C_447/2011 der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung des Bundesgerichtes vom 19.3.2012
Zivilprozessrecht
Versicherungsanwälte nicht zugelassen
Im Schlichtungsverfahren dürfen bei einer Rechtsschutzversicherung angestellte Anwälte Parteien weder vertreten noch begleiten, auch nicht als Vertrauensperson. Die Parteien sind zum persönlichen Erscheinen verpflichtet.
Sachverhalt:
Die Beschwerdeführerin machte auf Briefpapier einer Rechtsschutzversicherung bei der Schlichtungsstelle für Arbeitsverhältnisse eine Klage anhängig. Darin kündigte sie an, Rechtsanwalt A.B. werde sie als «Rechtsbeistand» an die Schlichtungsverhandlung begleiten. Der Präsident der Schlichtungsstelle verfügte daraufhin, dass die Verbeiständung durch einen Vertreter der Rechtsschutzversicherung nicht zulässig sei. Dagegen erhebt die Beschwerdeführerin Beschwerde beim Kantonsgericht.
Aus den Erwägungen:
3.b/aa) Gemäss Art. 68 ZPO kann sich jede prozessfähige Person im Prozess vertreten lassen (Abs. 1). Die berufsmässige Vertretung ist dabei grundsätzlich registrierten Anwälten vorbehalten (Art. 68 Abs. 2 lit. a ZPO), vor den Schlichtungsbehörden sind jedoch auch patentierte Sachwalter und Rechtsagenten zugelassen (Art. 68 Abs. 2 lit. b ZPO). Bereits aus dem Gesetzestext ergibt sich somit, dass bei der berufsmässigen Vertretung das Anwaltsmonopol - in leicht abgeschwächter Form - auch für das Schlichtungsverfahren gilt und die berufsmässige Vertretung in den Verfahren im Bereich der schweizerischen Zivilprozessordnung, einschliesslich Schlichtungsverfahren, den in Art. 68 Abs. 2 ZPO genannten Personen vorbehalten ist (vgl. Staehelin /
Schweizer, in: Sutter-Somm / Hasenböhler / Leuenberger, a.a.O., N 7 zu Art. 68 ZPO). Insofern erscheint die Argumentation der Beschwerdeführerin, soweit sie auf eine unterschiedliche Behandlung von Schlichtungs- und Gerichtsverfahren hinausläuft, demnach als nicht stichhaltig, zumal die Schlichtungsbehörde unter Umständen sogar entscheiden kann (vgl. Art. 212 ZPO).
bb) Um der Besonderheit des Schlichtungsverfahrens Rechnung zu tragen, sind die Parteien grundsätzlich zum persönlichen Erscheinen vor den Schlichtungsbehörden verpflichtet und ist eine Vertretung nur in Ausnahmefällen möglich (Art. 204 Abs. 1 und Abs. 3 ZPO); allerdings können sich die Parteien von einer Rechtsbeiständin, einem Rechtsbeistand oder einer Vertrauensperson begleiten lassen (Art. 204 Abs. 2 ZPO).
Bei der Vertrauensperson ist der Kreis für die Auswahl der Begleitperson offen, d.h. begleiten kann jede Person, zu der die Partei ein besonderes Vertrauensverhältnis hat. Das Vertrauensverhältnis kann dabei auch beruflicher Natur sein, womit unter Umständen insbesondere ein Treuhänder oder ein anderer Berater als Vertrauensperson an einem Schlichtungsverfahren teilnehmen kann (vgl. Urs Egli, Dike-Komm-ZPO, N 10 zu Art. 204 ZPO). Da die «Begleitung» dem bisherigen Terminus der Verbeiständung, das heisst der Unterstützung in der Verhandlung durch Dritte, entspricht (vgl. Wyss, Stämpflis Handkommentar ZPO, N 5 zu Art. 204 ZPO), können mit Rechtsbeiständin und Rechtsbeistand nichts anderes als die gemäss Art. 68 Abs. 2 lit. b ZPO für das Schlichtungsverfahren zugelassenen (Rechts-)Vertreter gemeint sein. Bei ihnen muss es sich allerdings - und deshalb verwendet das Gesetz auch nicht die Formulierung «von einer Anwältin, einem Anwalt (...) begleiten lassen», wie dies noch im Vorentwurf (vgl. Schweizerische Zivilprozessordnung ZPO, Vorentwurf der Expertenkommission, Juni 2003, Art. 198 [S. 46]), vorgesehen war - nicht um Anwälte handeln, da (...) auch patentierte Sachwalter und Rechtsagenten zugelassen sind (Egli, a.a.O., N 9 zu Art. 204 ZPO; vgl. auch BSK ZPO-Infanger, N 7 zu Art. 204 ZPO, welcher in diesem Zusammenhang von den mit dem Fall mandatierten Rechtsbeiständen bzw. Rechtsanwälten spricht, und Art. 118 Abs. 1 lit. c ZPO, in dem der Begriff der Rechtsbeiständin und des Rechtsbeistands ebenfalls nur in einem engeren Sinn verstanden wird).
cc) Hier möchte sich die Beschwerdeführerin durch einen bei einer Rechtsschutzversicherung angestellten Rechtsanwalt begleiten lassen. Die Begleitung soll ausdrücklich als «Rechtsbeistand» erfolgen, was nach dem hiervor Ausgeführten nicht zulässig ist, da ein angestellter Rechtsanwalt die Voraussetzungen von Art. 68 Abs. 2 lit. b ZPO - zu Recht unbestrittenermassen - nicht erfüllt.
Nicht geltend gemacht hat die Beschwerdeführerin, dass es sich bei A.B. um eine «Vertrauensperson» handelt. Von einem dafür erforderlichen besonderen Vertrauensverhältnis ist bei einem Angestellten der Rechtsschutzversicherung, welcher erst im Falle eines Rechtsstreits beigezogen wird, auch nicht auszugehen. A.B. als bei einer Rechtsschutzversicherung angestellter Rechtsanwalt ist daher als Begleitperson an der Verhandlung vor der Schlichtungsstelle für Arbeitsverhältnisse nicht zuzulassen und die Beschwerde ist abzuweisen.
Entscheid BE.2012.9 des Kantonsgerichts St. Gallen vom 7.3.2012
Personalrecht
So wird in Zürich der Lohn bei Krankheit berechnet
Ist ein Arbeitnehmer nach krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit nicht während mindestens sechs Monaten wieder voll arbeitsfähig, ergibt sich nach dem Personalgesetz des Kantons Zürich keine Erneuerung des Anspruchs auf Lohnfortzahlung. Alle Ausfälle der vergangenen eineinhalb Jahre werden vom Gesamtanspruch abgezogen.
Sachverhalt:
A. (Beschwerdeführerin 1) war seit Ende 1998 beim Universitätsspital Zürich angestellt. Ab Juli 2007 war A. krankheitsbedingt ganz oder teilweise arbeitsunfähig. Ab dann erachtete die Spitaldirektion die Lohnfortzahlungspflicht als abgelaufen und zahlte bis April 2009 75 Prozent des Lohnes. Ab Juni 2009 wurde der volle Lohn ausbezahlt, obwohl A. erst ab September 2009 wieder zu 100 Prozent arbeitsfähig war. Bis September 2010 war A. dann immer mal wieder tage- und monatsweise voll oder teilweise arbeitsunfähig und ab Oktober ganz arbeitsunfähig. Ab Ende Januar fanden Versuche zum stufenweisen Wiedereinstieg statt.
Ende November 2010 stoppte die Spitaldirektion die Auszahlung des Lohnes. Mit Verfügung vom 4. Februar 2011 forderte sie die Rückzahlung des im 2010 zu viel ausbezahlten Lohnes. A. und die Sozialbehörde der Wohngemeinde (Beschwerdeführerin 2) rekurrierten dagegen und verlangten, die Rückerstattungspflicht sei aufzuheben, für alle Dienstaussetzungen im Jahr 2010 der volle Lohn zu zahlen und der Lohnstopp per 1. Dezember 2010 für rechtswidrig zu erklären.
Aus den Erwägungen:
2. Gemäss § 13 Abs. 1 USZG sind die Anstellungsverhältnisse am Universitätsspital grundsätzlich öffentlich-rechtlicher Natur. Für das öffentlich-rechtlich angestellte Personal gelten die für das Staatspersonal anwendbaren Bestimmungen: die Bestimmungen des Personalgesetzes vom 27. September 1998 (LS 177.10) und seiner Ausführungserlasse.
3.1 Nach § 99 Abs. 3 der Vollzugsverordnung zum Personalgesetz vom 19. Mai 1999 (VVPG, LS 177.111) haben Angestellte für Dienstaussetzungen wegen Krankheit ab dem dritten Jahr Anspruch auf vollen Lohn während längstens zwölf Monaten.
Sofern Angestellte während sechs zusammenhängender Monate wieder ihr volles Pensum geleistet haben, werden frühere Dienstaussetzungen wegen Krankheit bei einer erneuten Dienstaussetzung für die Lohnzahlung nicht berücksichtigt (§ 101 Abs. 1 VVPG). Dienstaussetzungen, die weniger als sechs Monate auseinanderliegen, werden gesamthaft angerechnet, in der Regel jedoch längstens bis anderthalb Jahre vor der neuen Dienstaussetzung zurück (§ 101 Abs. 2 VVPG). Schliesslich wird Arbeitnehmern, die nach Ablauf der Lohnzahlung bei Krankheit oder Unfall wieder vollständig arbeitsfähig waren, bei erneuter teilweiser Arbeitsunfähigkeit der volle Lohn während längstens dreier Monate weiter ausgerichtet (§ 101 Abs. 3 Satz 1 VVPG).
3.2 Die Vorinstanz führt aus, dass vorliegend die Bedingung von § 101 Abs. 1 VVPG nicht erfüllt worden sei, weil die Beschwerdeführerin 1 am 10. und 11. März 2010 dienstabwesend gewesen sei und deshalb nicht während sechs zusammenhängender Monate wieder ihr volles Pensum geleistet habe; ein neuer Lohnfortzahlungsanspruch sei deshalb nicht entstanden. § 101 Abs. 2 VVPG gelange nur zur Anwendung, um festzustellen, ob die Lohnfortzahlungsfrist gemäss § 99 VVPG abgelaufen sei. Sei diese Frist abgelaufen, lebe der Lohnfortzahlungsanspruch nach § 101 Abs. 1 VVPG erst bei einer vollen Arbeitstätigkeit von sechs zusammenhängenden Monaten wieder auf. Ein Lohnanspruch bestehe in diesen Fällen nach § 101 Abs. 3 VVPG nur bei teilweiser Arbeitsunfähigkeit und nur während dreier Monate.
Die Beschwerdeführenden halten dem mit Verweis auf die Bestimmungen des Obligationenrechts entgegen, die Auslegung der Vorinstanz erweise sich als bundesrechtswidrig. Der Lohnfortzahlungsanspruch lebe jedenfalls mit einer neuen Anstellungsverfügung per 1. Januar 2010 wieder auf. Zudem müsse § 101 Abs. 2 VVPG in jedem Fall angewandt werden.
3.3.2 Nach § 101 Abs. 1 VVPG werden frühere krankheitsbedingte Abwesenheiten nicht berücksichtigt, wenn Angestellte «während sechs zusammenhängender Monate wieder ihr volles Pensum geleistet haben». Aus dem Wortlaut dieser Bestimmung ergibt sich zunächst ohne weiteres, dass die Angestellten wieder zu ihrem vollen Arbeitspensum arbeitstätig gewesen sein müssen; teilweise Arbeitsfähigkeit vermag keinen neuen Anspruch zu begründen. Unter Berücksichtigung des Wortlauts von § 101 Abs. 2 VVPG ergibt sich zudem, dass die letzte Dienstaussetzung wegen Krankheit - unabhängig von deren Dauer - mehr als sechs Monate zurückliegen muss.
3.3.3 Im privaten Arbeitsrecht ist die Dauer der Lohnfortzahlungspflicht im Krankheitsfall abhängig von der Dauer des Arbeitsverhältnisses und den Umständen des Einzelfalls (Art. 324 a Abs. 2 des Obligationenrechts [OR, SR 220]). Nach der Zürcher Praxis entspricht die Lohnfortzahlungspflicht in Wochen ab dem zweiten Anstellungsjahr in der Regel der Anzahl Anstellungsjahre plus sechs Wochen. Davon lässt sich indes, um dem Einzelfall Rechnung zu tragen, abweichen (vgl. hierzu Ullin Streiff / Adrian von Kaenel, Arbeitsvertrag, 6. A., Zürich etc. 2006, Art. 324 a N. 7). Der privatrechtliche Lohnfortzahlungsanspruch besteht gesamthaft für das jeweilige Anstellungsjahr und entsteht mit Beginn eines neuen Anstellungsjahres (auch bei fortdauernder Arbeitsunfähigkeit) jeweils von neuem. Das Bundesgericht spricht in diesem Zusammenhang von einem «Kredit», welcher sich mit Beginn jedes neuen Anstellungsjahrs erneuere (BGr, 10. September 1998, JAR 1999, S. 167, E. 1a).
Die Beschwerdeführenden scheinen daraus ableiten zu wollen, dass die jährliche Erneuerung des Anspruchs im Sinne eines zu berücksichtigenden Minimalstandards im Zuge einer Lückenfüllung auch im öffentlichen Personalrecht Anwendung finden müsse. Diese teilweise in Literatur und Rechtsprechung vertretene Ansicht wird damit begründet, dass dem Gemeinwesen nicht weniger abzuverlangen sei, als dies der Staat privaten Arbeitgebern gegenüber tue.
Die Lohnfortzahlungspflicht des öffentlich-rechtlichen Arbeitgebers nach § 99 VVPG ab dem dritten Dienstjahr entspricht nach der Zürcher Skala derjenigen eines privaten Arbeitgebers im 46. Anstellungsjahr und ist demnach viel grosszügiger. Damit ist es jedenfalls im Hinblick auf bundesrechtliche Minimalgarantien des privaten Arbeitsrechts ohne weiteres zulässig, im öffentlichen Personalrecht bezüglich der Erneuerung des Lohnfortzahlungsanspruchs vom Privatrecht abweichende und für den Arbeitnehmer nachteiligere Regeln vorzusehen (vgl. hierzu BGr, 22. Mai 2001, 2A.71/2001, E. 2c f.). Immerhin kann die privatrechtliche Regelung als Auslegungshilfe hinzugezogen werden.
3.3.4 Den Grundsatz der Lohnfortzahlungspflicht bei wiederholten Dienstaussetzungen statuiert § 101 Abs. 2 VVPG, wonach Dienstaussetzungen, die weniger als sechs Monate auseinander liegen, gesamthaft anzurechnen sind; dabei sind im Regelfall nur Dienstaussetzungen zu berücksichtigen, die weniger als eineinhalb Jahre zurückliegen. Von diesem Grundsatz macht § 101 Abs. 1 VVPG eine Ausnahme, indem frühere Dienstaussetzungen keine Berücksichtigung mehr finden, wenn der Arbeitnehmer nach einer Dienstaussetzung das volle Pensum während sechs Monaten wieder aufgenommen hat. § 101 Abs. 3 VVPG sieht schliesslich vor, dass Angestellte, die nach Ablauf der Lohnfortzahlungspflicht wieder vollständig arbeitsfähig waren, bei erneuter teilweiser Arbeitsunfähigkeit während dreier Monate Anspruch auf vollen Lohn haben.
Demnach ist jeweils zunächst zu prüfen, ob der Arbeitnehmer vor der fraglichen Dienstaussetzung während sechs zusammenhängender Monate ein volles Pensum ausübte; diesfalls hat er Anspruch auf die volle Lohnfortzahlung nach § 99 VVPG. Trifft dies nicht zu, sind nach § 101 Abs. 2 VVPG sämtliche Absenzen bis eineinhalb Jahre vor der Dienstaussetzung oder bis zu einer vollständigen Arbeitsfähigkeit während sechs zusammenhängender Monate zu addieren und vom Anspruch nach § 99 VVPG in Abzug zu bringen. Berücksichtigt man die Regelung des privaten Arbeitsrechts, so lassen sich § 101 Abs. 1 und 2 VVPG so verstehen, dass nach einer vollen Arbeitstätigkeit von sechs Monaten der «Kredit» für die Lohnfortzahlungspflicht - unabhängig davon, wie stark er zuvor verbraucht worden war - (in zeitlicher Hinsicht) wieder voll erneuert wird. Solange ein Arbeitnehmer nicht während mindestens sechs zusammenhängender Monate wieder voll arbeitsfähig war, ergibt sich nie eine vollständige Erneuerung des Anspruchs, sondern es sind immer sämtliche Dienstaussetzungen der vergangenen eineinhalb Jahre vom Gesamtanspruch in Abzug zu bringen.
3.4 Nach dem vorgängig Ausgeführten hat sich der Lohnfortzahlungsanspruch der Beschwerdeführerin 1 nach dem 1. September 2009 gemäss § 101 Abs. 1 VVPG nie vollständig erneuert, weil es ihr dafür an einer ununterbrochenen vollen Arbeitstätigkeit während sechs Monaten fehlt. Es gilt deshalb für jede einzelne Abwesenheit im Jahr 2010 zu prüfen, ob im massgeblichen Zeitpunkt gemäss § 101 Abs. 2 VVPG ein Lohnfortzahlungsanspruch bestand.
4. Nach dem Gesagten sind der Entscheid der Vorinstanz vom 30. September 2011 teilweise abzuändern sowie die Verfügung des Beschwerdegegners vom 4. Februar 2011 aufzuheben und es ist die Rückerstattungspflicht der Beschwerdeführerin 1 aufzuheben sowie festzustellen, dass der Lohnstopp per 1. Dezember 2010 rechtswidrig erfolgte und der Beschwerdeführerin 1 über den 1. Dezember 2010 hinaus bis zum 19. März 2011 ein Lohnfortzahlungsanspruch zustand.
Endentscheid Nr. VB.2011.00682 des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich vom 8.2.2012
Sozialversicherungsrecht
Verwertbarkeit der Restarbeitsfähigkeit ist zu prüfen
Eine Restarbeitsfähigkeit von rund zwanzig Prozent kann im konkreten Fall nicht mehr verwertbar sein. Im vorliegenden Fall sind die Erwerbsmöglichkeiten auf dem Arbeitsmarkt äusserst gering.
Sachverhalt:
Eine heute knapp 60-jährige Mutter erwachsener Kinder war hauptsächlich als Mutter und Hausfrau tätig - ausser von Anfang 1998 bis rund Mitte 2006, als sie während sieben bis acht Stunden pro Woche als Raumpflegerin arbeitete. 2003 meldete sie sich erstmals wegen einer Brustkrebserkrankung bei der kantonalen IV-Stelle. 2007 beantragte sie eine Rente wegen starker Rückenschmerzen. Dieses Gesuch wurde abgelehnt.
Dagegen wandte ihr Rechtsanwalt unter anderem ein, ihre allfällige Restarbeitsfähigkeit sei wirtschaftlich nicht mehr verwertbar. Die IV-Stelle sprach ihr am 26. Juli 2010 mit Wirkung ab 1. Mai 2007 eine Viertelsrente zu. Dagegen erhob die Versicherte Beschwerde mit dem Antrag, es sei ihr aufgrund einer invalidisierenden Adipositas (Fettleibigkeit) eine halbe IV-Rente zuzusprechen.
Aus den Erwägungen:
3. Die Beschwerdegegnerin ging im angefochtenen Entscheid davon aus, der Beschwerdeführerin sei im Umfang der bisher ausgeübten Erwerbstätigkeit von 17 Prozent (abgerundet) ab 1. Mai 2007 nur noch eine leidensangepasste Tätigkeit zumutbar, was in diesem Bereich zu einer Einschränkung von 24 Prozent und bei entsprechender Gewichtung zu einem Teilinvaliditätsgrad von 4,08 Prozent führe. Unter Berücksichtigung der Einschränkungen von 44,20 Prozent im Haushaltbereich (...) kam die IV-Stelle zu einem Invaliditätsgrad von insgesamt 40,55 Prozent und sprach der Beschwerdeführerin eine Viertelsrente zu. Im Rahmen des Beschwerdeverfahrens führte die Beschwerdegegnerin dann neu aus, sie wolle eine erneute Beurteilung der Arbeitsfähigkeit vornehmen, da sie nun der Ansicht sei, dass die Einschränkung der Arbeitsfähigkeit der Beschwerdeführerin nur in der bestehenden, jedoch nicht invalidisierenden Adipositas gründe und die Beschwerdeführerin daher im Sinne einer Schadenminderungs- und Selbsteingliederungspflicht eine Gewichtsreduktion vorzunehmen habe.
Dem hält die Beschwerdeführerin entgegen, einerseits sei aufgrund der konkreten Umstände (genetisch bedingter sehr niedriger Grundumsatz sowie Einfluss der brustkrebstherapiebedingten Hormonbehandlung) von einer invalidisierenden Adipositas auszugehen. Andererseits sei die Restarbeitsfähigkeit in einer leidensangepassten Tätigkeit wirtschaftlich nicht mehr verwertbar, was zu einer vollständigen Arbeitsunfähigkeit im Erwerbsbereich und einer entsprechenden Erhöhung des Invaliditätsgrades sowie im Ergebnis zu einer halben Invalidenrente führe.
4.1 Nach Eingang der Beschwerdeantwort ist neu strittig und zu prüfen, ob die bei der Beschwerdeführerin vorliegende Adipositas als invalidisierender Gesundheitsschaden zu qualifizieren ist, und bejahendenfalls, ob eine allfällige Restarbeitsunfähigkeit in einer leidensangepassten Tätigkeit wirtschaftlich verwertbar ist oder nicht.
4.2 Die kritische Würdigung der vorhandenen Arztberichte (...) ergab für die Gutachter zusammengefasst ein konsistentes Bild einer aus allgemeinmedizinischer Sicht nicht zumutbaren Einsatzfähigkeit in der Reinigung, begründet durch die ausgeprägte Adipositas.
4.3 Gemäss Einschätzung der Adipositas-Spezialisten liegt bei der Beschwerdeführerin eine therapieresistente Adipositas und damit eine Erkrankung vor, die angesichts der extremen Ausprägung die Arbeitsfähigkeit der Beschwerdeführerin beeinträchtigt und nicht durch eine Abmagerungskur, sondern nur durch eine Magenbypassoperation behoben werden könnte.
Da dieser Bericht einleuchtet und die Schlussfolgerungen begründet sind, ist darauf abzustellen, und die bei der Beschwerdeführerin bestehende Adipositas ist als invalidisierender Gesundheitsschaden zu qualifizieren. Zu prüfen bleibt, ob diese 20-prozentige Restarbeitsfähigkeit wirtschaftlich verwertbar ist.
5.3 Bereits die enge ärztliche Umschreibung der noch zumutbaren Tätigkeiten lässt erste Zweifel an der Verwertbarkeit der medizinisch attestierten Restarbeitsfähigkeit aufkommen, erscheint doch die Eingrenzung auf Tätigkeiten in leichter Wechselbelastung ohne Heben, Bücken oder Tragen, aber überwiegend sitzend ohne Verharren in Zwangshaltungen und geschützt von Kälte, Nässe und Zugluft bei einer 20-prozentigen Teilzeitarbeit, bei der zudem die Möglichkeit der freien Zeiteinteilung gegeben sein muss, im Lichte der real existierenden Verwertungsmöglichkeiten des Leistungspotenzials auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt als erheblich.
Weitere Zweifel drängen sich angesichts des Alters der 1954 geborenen Beschwerdeführerin auf. Zwar ist es so, dass Erwerbslosigkeit aus invaliditätsfremden Gründen keinen Rentenanspruch begründet. Soweit aber die Zumutbarkeit weiterer Erwerbstätigkeit nach Massgabe der Selbsteingliederungspflicht und der auf einem ausgeglichenen Arbeitsmarkt vorhandenen Arbeitsgelegenheiten in Frage steht, stellt das fortgeschrittene Alter keinen invaliditätsfremden Faktor dar. Vielmehr ist diesfalls zu beurteilen, ob für die versicherte Person auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt realistischerweise geeignete Arbeitsstellen zur Verfügung stehen, an denen sie die ihr verbliebene Restarbeitsfähigkeit zumutbarerweise noch ganz oder teilweise verwerten kann (BGE 107 V 17 E. 2c; Urteil des Bundesgerichts I 401/01 vom 4. April 2002).
Im Rahmen der sowohl durch den Begriff des ausgeglichenen Arbeitsmarktes als auch die Selbsteingliederungspflicht gebotenen Zumutbarkeitsprüfung gehört daher das forgeschrittene Alter der versicherten Person zu den ihre erwerblichen Möglichkeiten und damit ihre Invalidität beeinflussenden persönlichen Eigenschaften (Urteile des Bundesgerichtes 9C_427/2010 vom 14. Juli 2010 E. 2.4.1, 9C_124/2010 vom 21. September 2010 E. 5.1).
5.4 Eine ihr zumutbare Verweisungstätigkeit wäre mit einem Berufswechsel verbunden und setzt daher ein hohes Mass an Anpassungsfähigkeit voraus.
Stellt man diese persönlichen und beruflichen Gegebenheiten den objektiven Anforderungen
eines ausgeglichenen Arbeitsmarktes gegenüber, kommt man zum Schluss, dass die Beschwerdeführerin mit überwiegender Wahrscheinlichkeit keinen Arbeitgeber mehr findet, der sie für eine geeignete Tätigkeit einstellen würde, zumal für behinderungsgerechte Arbeitsplätze von Behinderten in jungem und mittlerem Alter ebenfalls eine starke Nachfrage besteht. Zu berücksichtigen ist auch, dass der Beschwerdeführerin im massgebenden Zeitpunkt lediglich eine relativ kurze Aktivitätsdauer bis zum Erreichen des AHV-Alters verbliebe, was einen durchschnittlichen Arbeitgeber mit grosser Wahrscheinlichkeit davon abhalten würde, die Beschwerdeführerin einzustellen.
Ist aber ihre Restarbeitsfähigkeit wirtschaftlich nicht mehr verwertbar, ist ihr eine 100-prozentige Einschränkung im erwerblichen Bereich anzurechnen, was einen Teilinvaliditätsgrad von 17 Prozent ergibt.
5.6 Bei einer Einschränkung von 36,47 Prozent im Haushaltbereich und einer Einschränkung von 17 Prozent im Erwerbsbereich ergibt sich ein Gesamtinvaliditätsgrad von 53 Prozent. Die Beschwerdeführerin hat somit ab dem 1. Mai 2007 Anspruch auf eine halbe Invalidenrente. Die Beschwerde ist dementsprechend gutzuheissen.
Urteil Nr. IV.2010.00839 des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 22.3.2012
Strafprozesssrecht
Lebensgefährdung ist auch nach zehn Jahren abzuklären
Steht der Vorwurf von Folter oder unmenschlicher Behandlung im Raum, sind gesicherte Erkenntnisse über den Ablauf der Geschehnisse und zum Verhalten der beteiligten Personen - in diesem Fall Polizisten - zu eruieren, selbst wenn die Tat viele Jahre zurückliegt.
Sachverhalt:
Am 27. Dezember 2010 reichte X. bei der Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern eine Strafanzeige gegen ihr unbekannte Polizisten wegen Gefährdung des Lebens ihres Sohnes Y. ein. Laut Anzeige hatte Y. fast zehn Jahre vorher, nämlich am frühen Morgen des 13. Januars 2001, in gesundheitlich schlechter Verfassung die Polizei um Hilfe gebeten. Statt einen Arzt zu rufen, brachten die Polizisten ihn mit Handschellen gefesselt auf den Polizeiposten Luzern. Obwohl er unter Schmerzen, Atemnot und Benommenheit litt, musste er daraufhin mit auf dem Rücken gefesselten Händen eine steile Aussentreppe zur Gefängniszelle hin-untergehen. Dabei soll ihn laut der Anzeige ein Polizist leicht geschubst haben, sodass er stürzte, mit dem Kopf am Ende der Treppe aufprallte und bewusstlos liegenblieb.
Er wurde - noch immer gefesselt - ins Spital gebracht, wo eine Hirnerschütterung mit Bewusstlosigkeit diagnostiziert, eine Computertomographie des Kopfs durchgeführt und eine klaffende Kopfwunde genäht wurde. Ausserdem soll der Arzt geäussert haben, der Patient habe grosses Glück gehabt, da er sich beim Sturz das Genick hätte brechen können.
Laut Strafanzeige wurde Y. noch am selben Tag in eine psychiatrische Klinik eingewiesen und längere Zeit mit starken Medikamenten behandelt. Neuropsychologische Tests und medizinische neurologische Untersuchungen seien unterblieben, obwohl eine seit dem Sturz andauernde Gesundheitsschädigung vorliege.
Auf ihre Anzeige hin teilte die Staatsanwaltschaft X. mit, dass sie sich nicht als Privatklägerin am Strafverfahren beteiligen könne und dass die Strafuntersuchung mit Einstellungsverfügung rechtskräftig beendet worden sei. Die Einstellungsverfügung wurde weder gegenüber der Anzeigeerstatterin noch gegenüber ihrem Sohn eröffnet.
Mutter und Sohn beschwerten sich bis vor Bundesgericht gegen die Einstellungsverfügung und wegen Rechtsverzögerung. Sie verlangten, der Sachverhalt der Vorkommnisse vom 13. Januar 2001 sei vollständig abzuklären und es seien allenfalls die Verantwortlichen gestützt darauf strafrechtlich zur Rechenschaft zu ziehen.
Aus den Erwägungen:
1.2.3 Nach Art. 10 Abs. 3 BV ist Folter und jede andere Art grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung verboten. Dieselbe Grundrechtsgarantie ist in Art. 3 EMRK enthalten. Die Rechtsprechung anerkennt gestützt auf Art. 10 Abs. 3 BV, Art. 7 Uno-Pakt II, Art. 3 und 13 EMRK sowie Art. 13 des Übereinkommens gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe vom 10. Dezember 1984 (SR 0.105) einen Anspruch des von solcher Behandlung in Haft oder polizeilichem Gewahrsam Betroffenen auf wirksamen Rechtsschutz (BGE 131 I 455 E. 1.2.5, S. 462 f.; Urteile des Bundesgerichts 1B_70/2011 vom 11. Mai 2011 E. 2.2.5, in: EuGRZ 2011 619; 6B_364/2011 vom 24. Oktober 2011 E. 2.2; 6B_274/2009 vom 16. Februar 2010 E. 3.1; 6B_110/2008 vom 27. November 2008 E. 3.1).
Der Staat ist verpflichtet, alle Vorgänge in staatlichem Gewahrsam, bei denen der Verdacht einer grausamen, unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung besteht, einer effektiven offiziellen Untersuchung zu unterziehen. Die Untersuchung muss ermöglichen, die Verantwortlichen festzustellen und gegebenenfalls zu bestrafen. In diesem Sinne haben die Behörden prompt zu reagieren und zügig zu handeln. Sie müssen alle zumutbaren Anstrengungen unternehmen, um Beweise wie etwa Zeugenaussagen oder ärztliche Befunde sicherzustellen, und dürfen sich nicht mit voreiligen oder mangelhaft begründeten Schlüssen begnügen (vgl. vorgenannte Urteile des Bundesgerichts sowie Christoph Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention, 4. Auflage 2009, S. 155 f., mit zahlreichen Hinweisen).
1.2.4 Mit der Schilderung der Vorkommnisse vom 13. Januar 2001 in der Strafanzeige (E. 1.2.2 hiervor) wird eine Art. 10 Abs. 3 BV und Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung des Beschwerdeführers behauptet. Dieser verlangt eine strafgerichtliche Prüfung der Vorwürfe und die Bestrafung der Verantwortlichen, wozu er nach den Ausführungen in E. 1.2.3 berechtigt ist. Er beruft sich somit auf ein rechtlich geschütztes Interesse an der Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Entscheids im Sinne von Art. 81 Abs. 1 lit. b BGG. Da er am Verfahren vor der Vorinstanz teilgenommen hat (Art. 81 Abs. 1 lit. a BGG), ist er zur Beschwerdeführung berechtigt.
2. Die Vorinstanz hat die Gründe, die zur Einstellung des Strafverfahrens durch die Staatsanwaltschaft führten, inhaltlich nicht überprüft, obwohl der Beschwerdeführer sich unmissverständlich über eine unmenschliche Behandlung während des Polizeigewahrsams beschwert hatte. Auch in der Einstellungsverfügung wird nicht dargelegt, inwiefern eine Untersuchung vorgenommen wurde, die den in E. 1.2.3 genannten Anforderungen genügt. Die Staatsanwaltschaft hat zunächst festgehalten, dass die Verjährungsfrist bei den Tatbeständen der Gefährdung des Lebens (Art. 129 StGB), der Aussetzung (Art. 127 StGB) und der schweren Körperverletzung (Art. 122 StGB) nach Art. 97 Abs. 1 lit. b StGB 15 Jahre beträgt und somit die Verjährung noch nicht eingetreten ist. Dies im Unterschied zur einfachen oder schweren fahrlässigen Körperverletzung (Art. 125 Abs. 1 und 2 StGB), die nach Art. 97 Abs. 1 lit. c StGB nach sieben Jahren verjähren.
Weiter hat die Staatsanwaltschaft kurz die Tatbestände der Aussetzung und der Gefährdung des Lebens gewürdigt und ohne weitere Untersuchungen die Gefahr einer schweren Schädigung der körperlichen oder psychischen Gesundheit ausgeschlossen. Zur Frage, ob eine (eventual-)vorsätzliche schwere Körperverletzung (Art. 122 StGB), ein Amtsmissbrauch (Art. 312 StGB) oder ein anderes noch nicht verjährtes Delikt vorliegen könnte, äussert sich die Staatsanwaltschaft mit keinem Wort. Ausserdem hat sie entgegen der Rechtsprechung zu Art. 10 Abs. 3 BV und Art. 3 EMRK keine Untersuchung der zur Anzeige gebrachten Vorkommnisse und zur Feststellung der Verantwortlichen durchgeführt.
Nur eine solche Untersuchung, die sich auf Zeugenaussagen, ärztliche Befunde etc. stützt, wird eine Beurteilung der von den beteiligten Personen verursachten Gefährdungen ermöglichen. Erst wenn gesicherte Erkenntnisse über den Ablauf des Geschehens und das Verhalten der beteiligten Personen vorliegen, kann eine fundierte Beurteilung der strafrechtlichen Relevanz ihres Verhaltens erfolgen. Vor dem Hintergrund des Beschleunigungsgebots (Art. 5 Abs. 1 StPO) und der drohenden Verjährung sowie der Schwierigkeiten, die sich bei der Aufklärung länger zurückliegender Sachverhalte ergeben können, muss die Voruntersuchung nun beförderlich vorangetrieben werden. Aufgrund der Untersuchungsergebnisse wird zu beurteilen sein, ob gegen die Beteiligten Anklage erhoben werden kann. Die vorliegenden Äusserungen der Staatsanwaltschaft und des Obergerichts lassen eine solche Beurteilung nicht zu.
Aus diesen Erwägungen ergibt sich, dass die Beschwerde gutzuheissen und der angefochtene Entscheid aufzuheben ist.
Die Staatsanwaltschaft ist anzuweisen, eine Strafuntersuchung durchzuführen, die möglichst lückenlos Aufschluss über die zur Anzeige gebrachten Vorkommnisse und die daran beteiligten Personen gibt und die strafrechtliche Relevanz des Verhaltens dieser Personen darlegt. Aufgrund einer solchen gründlichen Voruntersuchung wird sie über die Anklageerhebung zu entscheiden haben (vgl. BGE 137 IV 219 E. 7, 8, S. 226 ff.; 131 I 455 E. 2.2, 2.3, S. 466).
Die Untersuchung ist unverzüglich an die Hand zu nehmen und ohne unbegründete Verzögerung zum Abschluss zu bringen (Art. 5 Abs. 1 StPO).
Urteil 1B_10/2012 der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung des Bundesgerichtes vom 29.3.2012
Zivilprozesssrecht
Willensvollstrecker müssen Akteneinsicht gewähren
Willensvollstrecker sind verpflichtet, auf Verlangen jedem Erben einzeln und persönlich Auskunft zu erteilen. Die Unterlagen haben sie in Kopie oder elektronischer Form
zu übergeben, ungeachtet des Aktenumfangs und des Aufwandes.
Sachverhalt:
Am 19. September 1999 verstarb N., zuletzt wohnhaft gewesen in Hongkong. Als gesetzliche Erben hinterliess er seine Ehefrau G. und seine Tochter A. In seiner eigenhändigen letztwilligen Verfügung vom 20. Juni 1999 bezeichnete N. die Bank B. als seinen Willensvollstrecker.
Am 31. Mai 2011 reichte A (im Folgenden Beschwerdeführerin) gegen den Willensvollstrecker B. (im Folgenden Beschwerdegegner) beim Kreisgericht gestützt auf Art. 595 Abs. 3 i.V.m. Art. 518 Abs. 1 ZGB Beschwerde ein. Sie verlangte, der Beschwerdegegner habe ihr unter Androhung von Strafe gemäss Art. 292 StGB umgehend sämtliche Buchhaltungsbelege herauszugeben, seine sämtlichen (Akonto-)Bezüge zu belegen sowie eine detaillierte Honorarabrechnung zu erstellen. Die Weisung sei mit der Androhung zu verbinden, der Beschwerdegegner werde als Willensvollstrecker abgesetzt, wenn er die Weisung nicht umgehend erfülle.
In seiner Stellungnahme vom 25. August 2011 beantragte der Beschwerdegegner, es sei auf die Beschwerde mangels sachlicher Zuständigkeit nicht einzutreten. Mit Entscheid vom 21. November 2011 wies die Vorinstanz den Beschwerdegegner unter Androhung von Busse gemäss Art. 292 StGB an, der Beschwerdeführerin innert 14 Tagen seit Rechtskraft des Entscheids sämtliche Buchhaltungsbelege herauszugeben. Im Übrigen wurde das Verfahren zufolge Gegenstandslosigkeit als erledigt abgeschrieben. Die Entscheidgebühr von Fr. 2100.- wurde dem Beschwerdegegner auferlegt. Er wurde verpflichtet, die Beschwerdeführerin mit Fr. 5240.- zu entschädigen.
3. Gegen diesen Entscheid erhob der Beschwerdegegner Berufung.
Aus den Erwägungen:
1. a) Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist eine Aufsichtsbeschwerde gegen den Willensvollstrecker.
Der Willensvollstrecker untersteht einer Behördenaufsicht analog dem Erbschaftsverwalter (Art. 518 Abs. 1 ZGB; BSK ZGB II-Karrer / Vogt / Leu, Art. 518 N 97). Beim Beschwerdeverfahren handelt es sich um eine quasi-administrative Untersuchung kraft Aufsichts- und Disziplinarrecht. Es gehört zum Bereich der freiwilligen Gerichtsbarkeit (Karrer / Vogt / Leu, a.a.O., Art. 595 N 33). Die Behördenorganisation bestimmt sich nach kantonalem Recht.
Ist eine gerichtliche Behörde zuständig, richtet sich das Verfahren nach der Schweizerischen Zivilprozessordnung (Art. 54 Abs.1-3 SchlT ZGB, Art. 1 lit. b ZPO,
vgl. Leuenberger / Uffer-Tobler, Schweizerisches Zivilprozessrecht, N 11.217 ff.). Nach Art. 6 Abs. 1 lit. d EG-ZPO entscheidet die Einzelrichterin oder Einzelrichter des Kreisgerichts über Beschwerden gegen den Willensvollstecker; das summarische Verfahren ist anwendbar (was sich bereits aus Art. 1 lit. b ZPO i.V.m. Art. 248 lit. e ZPO ergibt). Ob gegen den Entscheid der Aufsichtsbehörde die Berufung oder die Beschwerde zu erheben ist, ist ebenfalls nach den Regeln der ZPO zu ermitteln. Beim Entscheid der Einzelrichterin oder des Einzelrichters in Beschwerdesachen gegen den Willensvollstrecker handelt es sich um einen erstinstanzlichen Endentscheid im Bereich der freiwilligen Gerichtsbarkeit.
Auch Entscheide der freiwilligen (nichtstreitigen Gerichtsbarkeit) sind der Berufung zugäng-
lich (Leuenberger / Uffer-Tobler, a.a.O., N 12.37). In Art. 309 ZPO werden die nicht berufungsfähigen Entscheide aufgelistet; diese Liste ist abschliessend (Reetz / Theiler, in: Sutter-Somm / Hasenböhler / Leuenberger, ZPO Komm., Art. 309 N 9). Da Entscheide der Aufsichtsbehörde in Beschwerdesachen gegen den Willensvollstrecker darin nicht genannt werden, kann der erstinstanzliche Entscheid grundsätzlich mit Berufung angefochten werden.
c) Sachlich zuständig ist die Einzelrichterin im Personen-, Erb- und Sachenrecht (Art. 15 Abs. 1 lit. a i.V.m. Art. 6 Abs. 1 lit. d EG-ZPO und Art. 14 Abs. 2 Ziff. 4 GO). Die örtliche Zuständigkeit ist ebenfalls gegeben, da N. seinen gesamten Nachlass dem schweizerischen Recht unterstellte und sein Heimatort X. war (kläg.act. 1 Ziff. 2 und kläg.act. 3; vi-Entscheid, S. 4; Art. 87 IPRG).
d) Auf die Berufung ist somit einzutreten.
2. Gegenstand des vorliegenden Berufungsverfahrens sind die Fragen, ob der Beschwerdegegner seiner Auskunftspflicht bereits nachgekommen ist und, falls dies zu verneinen ist, in welcher Form die Buchhaltungsbelege herauszugeben sind.
III.1. a) Der Beschwerdegegner anerkennt, dass er gegenüber den Erben eine Auskunftspflicht hat. Er ist aber der Meinung, er sei dieser Pflicht längstens nachgekommen, und zwar sowohl in Bezug auf die Nachlassrechnungen als auch in Bezug auf seine Honorarrechnungen. Er habe der Mutter der Beschwerdeführerin - als Vertreterin der Erbengemeinschaft - alle relevanten Unterlagen zur Verfügung gestellt. Die Vergütungsaufträge mit den Rechnungen habe er jeweils der Bank E. gesandt, welche diese an deren Sitz in Hongkong weitergeleitet und dort mit G. besprochen habe. Überdies habe er den Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin am 24. Mai 2011 ermächtigt, die entsprechenden Belege direkt bei der Bank E einzufordern. Da die Bank E. im Gegensatz zu ihm bereits über ein elektronisches Dossier verfügt hätte, sei dieses Vorgehen sinnvoll gewesen.
Die Beschwerdeführerin bestreitet, dass der Beschwerdegegner seinen Auskunftspflichten ihr gegenüber nachgekommen sei. Entsprechende Nachweise würden fehlen. Es sei irrelevant, was der Beschwerdegegner allenfalls ihrer Mutter vorgelegt habe. Sie habe als Erbin ein eigenes Recht auf Information und Auskunft durch den Willensvollstrecker. Der Anspruch bestehe zudem direkt gegen den Willensvollstrecker. Dieser könne seine Auskunftspflicht nicht an Dritte wie die Bank E. delegieren. Sie beharre darauf, vom Beschwerdegegner die Buchhaltungsunterlagen zur Einsicht oder in Kopie zu erhalten.
b) Der Willensvollstrecker hat alle Erben von sich aus auf dem Laufenden zu halten und aufzuklären, so insbesondere periodisch über sein Vorgehen und die wesentlichen Stationen der Nachlassabwicklung zu informieren (Christ / Eichner, a.a.O., Art. 518 N 33; BSK ZGB II-Karrer / Vogt / Leu, Art. 518 N 17). Überdies hat der Willensvollstrecker gegenüber den Erben eine Auskunftspflicht, wobei jeder Einzelne (einzeln) Auskunft verlangen kann.
Die Auskunftspflicht ist verletzt, wenn der Willensvollstrecker eine Auskunft verweigert und einen Erben stattdessen an das Erbschaftsamt, an die übrigen Erben oder eine Bank verweist (Künzle, a.a.O., N 217 zu Art. 517 f. ZGB mit zahlreichen Hinweisen; BSK ZGB II-Karrer / Vogt / Leu, Art. 518 N 17).
Zu Recht hat die Vorinstanz festgehalten, dass die Beschwerdeführerin einen eigenen Informa-
tionsanspruch habe. Irrelevant ist daher das Vorbringen des Beschwerdegegners, er habe der Mutter der Beschwerdeführerin alle relevanten Unterlagen zur Verfügung gestellt. Auch kann sich der Beschwerdegegner seiner Informationspflicht nicht mit dem Hinweis entschlagen, er habe den Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin ermächtigt, die entsprechenden Belege direkt bei der Bank E. einzufordern. Der Beschwerdegegner ist demnach zu verpflichten, der Beschwerdeführerin die von ihr verlangten Auskünfte persönlich zu erteilen.
2. a) Der Beschwerdegegner ist der Ansicht, das von ihm gewählte Vorgehen - den Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin zu ermächtigen, die Belege direkt bei der Bank E. einzufordern - hätte insofern Sinn gemacht, als die Bank E. im Gegensatz zu ihm bereits ein «elektronisches Dossier» habe. Er hätte dagegen die Belege einzeln kopieren oder einscannen müssen, was teurer und als Folge der menschlichen Unzulänglichkeit unzuverlässiger wäre. Er habe ferner keine Veranlassung gehabt, dem Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin Kopien aller Belege zukommen zu lassen, ausser dieser hätte ihm offeriert, was nicht der Fall gewesen sei, die nicht unerheblichen Kosten vorzuschiessen.
Die Beschwerdeführerin entgegnet, aus unerklärlichen Gründen habe der Beschwerdegegner keine Nachlassbuchhaltung geführt, obwohl es sich um einen Nachlass von ca. USD 30 Millionen handle und der Nachlass Grundstücke und Gesellschaften im Ausland umfasse. Nachdem der Beschwerdegegner diese evidente Pflicht vernachlässigt habe, könne er ihren Informationsanspruch nur befriedigen, indem er ihr sämtliche Belege zum Nachlass zur Verfügung stelle. Selbstverständlich seien Kopien oder ein elektronisches Dossier ausreichend.
b) Grundsätzlich ist das Auskunftsrecht umfassend. Der Willensvollstrecker hat den Erben auf ihre Anfragen über alle Umstände Auskunft zu erteilen, die mit dem Nachlass zusammenhängen.
Mangelnde oder mangelhafte Auskünfte des Willensvollstreckers stellen eine Pflichtverletzung dar und können zu Schadenersatzansprüchen führen (Künzle, a.a.O., N 217 zu Art. 517 f. ZGB; vgl. auch BSK ZGB II-Karrer / Vogt / Leu, Art. 518 N 17; Christ / Eichner, a.a.O., Art. 518 N 34; ZR 91-92 1992-93, Nr. 64 E. IV.3c, S. 241). Nebst der Einsicht in Unterlagen kann der Erbe zudem die (entgeltliche) Abgabe von Kopien beanspruchen (Künzle, a.a.O., N 220 zu Art. 517-518 ZGB; ZR 91-92 1992-93, Nr. 64 E. IV.3d [S. 241] und h [S. 243]). Der Beschwerdegegner bringt vor, er habe keine Erbschaftsbuchhaltung geführt; es seien nur die Belege gesammelt worden und es bestehe eine saubere Ordnung.
Da das Recht auf Akteneinsicht das Recht auf Anfertigung von Kopien dieser Unterlagen einschliesst, ist die Beschwerdeführerin grundsätzlich berechtigt, die Herausgabe sämtlicher Buchhaltungsbelege betreffend den Nachlass zu verlangen.
Es ist dem Beschwerdegegner überlassen, ob er der Beschwerdeführerin Kopien der Belege oder die entsprechenden Daten in elektronischer Form zukommen lassen will. Der Einwand des Beschwerdegegners, er müsse die Belege einzeln kopieren oder einscannen, ist nicht zu hören. Es steht ihm auch frei, allenfalls auf das angeblich bei der Bank E. vorhandene elektronische Dossier zurückzugreifen und es unter eigener Verantwortung an die Beschwerdeführerin weiterzuleiten. Zudem sind die Umtriebe, die das Willensvollstreckermandat mit sich bringt, zwangsläufig hinzunehmen und belasten letztlich den Nachlass (ZR 91-92 1992-93, Nr. 64 E. IV.3d, S. 241).
Da der Willensvollstrecker verpflichtet ist, den Erben umfassende Auskunft zu erteilen, ist es ohne Belang, dass das Bereitstellen der Belege für den Beschwerdegegner mit einem gewissen Arbeitsaufwand und Kosten verbunden ist.
5. Damit bleibt es beim vorinstanzlichen Entscheid mit der Präzisierung im Dispositiv, dass die Belege nach Wahl des Beschwerdegegners in Kopie herauszugeben oder in elektronischer Form zugänglich zu machen sind.
Entscheid BS.2012.1 der Einzelrichterin im Personen-, Erb- und Sachenrecht des Kantonsgerichts St. Gallen vom 11.4.2012
Verwaltungsverfahrensrecht
Bei Erfolgaussicht Anspruch auf Rechtsbeistand
Wenn die IV-Stelle durch einen Einwand des Versicherten veranlasst wird, bei den Ärzten der Gutachterstelle eine Stellungnahme einzuholen, kann nicht von vornherein davon ausgegangen werden, die anwaltliche Interessenwahrung im Vorbescheidverfahren sei nicht notwendig.
Sachverhalt:
Der 1954 geborene B. erlitt am 8. Mai 2007 einen Fahrradunfall. Die Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (Suva) stellte ihre Leistungen zum 1. März 2010 ein. Das Versicherungsgericht des Kantons Solothurn hob diesen Verwaltungsakt auf und wies die Sache zu weiteren Abklärungen an die Suva zurück.
Im März 2008 hatte sich B. bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug angemeldet. Die IV-Stelle des Kantons Solothurn holte u.a. beim Zentrum X. eine Expertise ein. Mit Vorbescheid vom 5. April 2011 teilte sie dem Versicherten mit, es bestehe kein Anspruch auf berufliche Massnahmen und eine Invalidenrente. Dagegen erhob B. Einwand, wobei er um «volle unentgeltliche Rechtspflege und Rechtsverbeiständung» ersuchte. Mit Verfügung vom 17. August 2011 wies die IV-Stelle das Begehren ab.
B. zog die Sache ohne Erfolg ans Versicherungsgericht des Kantons Solothurn und dann mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ans Bundesgericht.
Aus den Erwägungen:
4.1 Nach Art. 61 lit. f ATSG muss im Verfahren vor dem kantonalen Versicherungsgericht das Recht, sich verbeiständen zu lassen, gewährleistet sein.
Praxisgemäss setzt die unentgeltliche Verbeiständung voraus, dass der Prozess nicht aussichtslos erscheint, die Partei bedürftig und die anwaltliche Verbeiständung notwendig oder doch geboten ist (Urteil 8C_679/2009 vom 22. Februar 2010 E. 1 mit Hinweis; vgl. auch BGE 125 V 201 E. 4a, S. 202).
4.2.1 Prozessbegehren sind als aussichtslos anzusehen, wenn die Gewinnaussichten beträchtlich geringer sind als die Verlustgefahren, so dass sie kaum als ernsthaft bezeichnet werden können. Massgebend ist, ob eine Partei, die über die nötigen finanziellen Mittel verfügt, sich bei vernünftiger Überlegung zu einem Prozess entschliessen würde (BGE 129 I 129 E. 2.3.1, S. 135; 128 I 225 E. 2.5.3, S. 236; Urteil 9C_286/2009 vom 28. Mai 2009 E. 2.1). Eine Partei soll einen Prozess, den sie auf eigene Rechnung und Gefahr nicht führen würde, nicht deshalb anstrengen können, weil er sie nichts kostet (SVR 2006 UV Nr. 10, S. 37, U 266/04 E. 1.1.2 [nicht publ., in: BGE 131 V 483]).
4.2.2 Ob die anwaltliche Verbeiständung notwendig oder doch geboten ist, beurteilt sich nach den konkreten objektiven und subjektiven Umständen. Es ist im Einzelfall zu fragen, ob eine nicht bedürftige Partei unter sonst gleichen Umständen vernünftigerweise eine Rechtsanwältin oder einen Rechtsanwalt beiziehen würde, weil sie selber zu wenig rechtskundig ist und das Interesse am Prozessausgang den Aufwand rechtfertigt (Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts I 812/05 vom 24. Januar 2006 E. 4.1 mit Hinweisen).
5. Die Vorinstanz hat mit folgender Begründung den Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege für das hängige Verfahren verneint: Bis zum Vorbescheid vom 5. April 2011 habe das Verwaltungsverfahren weder in tatsächlicher noch rechtlicher Hinsicht Schwierigkeiten aufgewiesen, die eine anwaltliche Vertretung erheischt hätten. Vielmehr habe die IV-Stelle ihr Vorgehen mit jenem der Suva koordiniert, wobei der Beschwerdeführer im UV-Verfahren anwaltlich vertreten gewesen sei.
Die Vorhalte im Einwand gegen den Vorbescheid liessen sich aufgrund der Stellungnahme des Zentrums X. einfach auflösen in dem Sinne, dass insbesondere die Schwerhörigkeit keine prozentuale Verminderung der Arbeitsfähigkeit zur Folge habe. Weiter wäre es den zuständigen Behörden der Sozialhilfe zumutbar, den seit April 2010 bei ihnen gemeldeten Beschwerdeführer zu unterstützen.
Dass sich der Zweckverband Sozialregion Y. dazu ausserstande sähe, sei nicht aktenkundig. Aus der Behauptung, wegen der Schwerhörigkeit nicht adäquat kommunizieren zu können und der deutschen Sprache nicht mächtig zu sein, könne der Beschwerdeführer nichts zu seinen Gunsten ableiten. Gemäss den Ärzten des Zentrums X. verfüge er über eine befriedigende Hörversorgung; das Erheben der Anamnese in der Umgangssprache sei problemlos möglich gewesen. Im Übrigen wäre es dem seit 18 Jahren in der Schweiz lebenden Versicherten im Rahmen der Schadenminderungspflicht zumutbar, allenfalls fehlende Kenntnisse in der deutschen Sprache mittels entsprechenden Kursen zu begegnen. Vor diesem Hintergrund und nach einer vorläufigen Prüfung des Sachverhalts schienen die Aussichten auf eine erfolgreiche Beschwerde gering zu sein, weshalb der Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege im vorliegenden Verfahren zu verneinen sei.
6. Der Beschwerdeführer rügt, der vorinstanzliche Entscheid beruhe auf offensichtlich unrichtigen, teilweise aktenwidrigen tatsächlichen Annahmen.
6.1 Das Bundesgericht prüft frei, ob die vorinstanzliche Beschwerde aussichtslos ist (vgl. BGE
129 I 129 E. 2.3.1, S. 136; Urteil 9C_286/2009 vom 28. Mai 2009 E. 2.3). Dagegen ist es an die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz gebunden, soweit diese nicht offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht (Art. 105 Abs. 1 und 2 BGG).
6.2 Vorab ist festzustellen, dass es in dem beim kantonalen Gericht anhängigen Prozess um die unentgeltliche Verbeiständung für das Vorbescheidverfahren geht. Ob das Verfahren bis zum Erlass des Vorbescheids vom 5. April 2011 Schwierigkeiten in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht bot, ist somit ohne Belang.
Was nun den zu prüfenden Prozessgegenstand anbelangt, war der Einwand des beigezogenen Rechtsvertreters des Beschwerdeführers gegen die in Aussicht gestellte Verneinung des Anspruchs auf berufliche Massnahmen und eine Invalidenrente so verfasst, dass die IV-Stelle dadurch veranlasst wurde, bei den Ärzten der Gutachterstelle unter Vorlage von weiteren medizinischen Unterlagen eine Stellungnahme einzuholen (Anfrage vom 5. September 2011).
Allein dieser Umstand lässt es als mit dem bundesrechtlichen Begriff der Aussichtslosigkeit unvereinbar erscheinen, der beschwerdeweise behaupteten Notwendigkeit anwaltlicher Interessenwahrung im Vorbescheidverfahren die Gewinnchancen bei dieser Sachlage zum vornherein als «gering» zu bezeichnen. Die Beschwerde ist begründet.
7. Die unterliegende Vorinstanz resp. der Kanton Solothurn hat keine Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 4 BGG), jedoch dem Beschwerdeführer eine Parteientschädigung zu bezahlen (Art. 68 Abs. 2 BGG). Dessen Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege für das Verfahren vor dem Bundesgericht ist demzufolge gegenstandslos.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut, soweit darauf einzutreten ist. Der Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Solothurn vom 26. Januar 2012 wird aufgehoben und die Sache an dieses zurückgewiesen, damit es, nach Prüfung der weiteren Voraussetzungen, über den Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung im hängigen Beschwerdeverfahren neu verfüge.
Urteil Nr. 9C_196/2012 der II. sozialrechtlichen Abteilung des Bundesgerichtes vom 20.4.2012.
Zweifel reichen für Ausstandspflicht eines Gutachters
Für Gutachter gelten die gleichen Ausstands- und Ablehnungsgründe wie für Richter. Der Anschein der Befangenheit genügt zur Ablehnung eines Experten. An die Unparteilichkeit eines Sachverständigen ist ein strenger Massstab zu legen.
Sachverhalt:
C.A. hat sich am 9. August 2008 bei der IV-Stelle Luzern zum Leistungsbezug angemeldet. Am 24. Juni 2011 ging ein interdisziplinäres Gutachten durch die Medizinische Abklärungsstelle (Medas) Oberaargau ein. Aufgrund der langen Verfahrensdauer und weil die vom Rechtsvertreter des Versicherten gestellten Ergänzungsfragen per Mitte Dezember 2011 immer noch nicht beantwortet waren, stellte das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 16. Januar 2012 (S 11 548) auf Antrag des Versicherten eine Rechtsverzögerung fest. In der Folge stornierte die IV-Stelle den laufenden Gutachtensauftrag.
Am 28. Februar 2012 teilte die IV-Stelle dem Versicherten mit, eine neue Begutachtung werde durch die Medas Schwyz, Zentrum für Interdisziplinäre Medizinische Begutachtungen AG (ZIMB) durchgeführt. Der Versicherte erhielt Frist von zehn Tagen, um sich zu den Fragen der Gutachter zu äussern. Deren Namen seien noch nicht bekannt, würden aber mit den Terminen direkt durch die ZIMB mitgeteilt; danach könnten binnen zehn Tagen triftige Gründe gegen die Gutachter oder begründete Gegenvorschläge genannt werden.
Am 5. März 2012 liess C.A. um die Einsetzung einer neuen Gutachterstelle ersuchen. Leiter des ZIMB sei Dr. med. E.X. Jensen, der frühere Chefarzt des Medizinischen Zentrums Römerhof (MZR), gegen den ein Strafverfahren wegen Urkundenfälschung laufe. Er habe den Inhalt eines Gutachtens manipuliert in Bezug auf die Einschätzung der Arbeitsfähigkeit. Diese vom Rechtsvertreter erhobenen Einwände liess die IV-Stelle nicht gelten, entzog einer allfälligen Beschwerde die aufschiebende Wirkung und gab mehrere Untersuchungstermine u.a. bei Dr. Jensen bekannt.
C.A. erhob Beschwerde ans Verwaltungsgericht mit den Begehren, die Medas Zentralschweiz als neue Gutachterstelle einzusetzen, eventualiter habe Dr. Jensen in den Ausstand zu treten, und der Beschwerde sei superprovisorische Wirkung zu erteilen.
Aus den Erwägungen:
2. Nach der Rechtsprechung gelten für Sachverständige die gleichen Ausstands- und Ablehnungsgründe, wie sie für Richter vorgesehen sind (BG-Urteil 8C_56/2011 vom 4.5.2011 E. 4.2). Danach ist Befangenheit (Art. 36 Abs. 1 ATSG und Art. 10 Abs. 1 VwVG) anzunehmen, wenn Umstände vorliegen, die in objektiver Weise und nicht bloss aufgrund subjektiven Empfindens der Partei geeignet sind, Misstrauen in die Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit der sachverständigen Person zu erwecken (BGE 132 V 109 E. 7.1 mit Hinweis). Es genügt, wenn Umstände vorliegen, die den Anschein der Befangenheit und die Gefahr der Voreingenommenheit zu begründen vermögen.
Im Hinblick auf die erhebliche Bedeutung, die den Arztgutachten im Sozialversicherungsrecht zukommt, ist an die Unparteilichkeit des Gutachters ein strenger Massstab anzusetzen.
3. Erwägungen zum Verfahrensablauf: BGE 137 V 210 bezweckt bekanntlich eine Stärkung der verfahrensrechtlichen Stellung des von einer Begutachtung betroffenen Versicherten. Den äusseren Anlass dazu gab eine in den letzten Jahren manifest gewordene Verschlechterung der Rahmenbedingungen für eine korrekte Medas-Begutachtung (BGE 137 V 255 E. 3.4.2.5).
Eine qualitativ hochwertige und rechtlich einwandfreie Begutachtung verlangt, dass den diesbezüglichen Gesichtspunkten aufgrund der im Gerichtsverfahren nur noch erschwert möglichen Prüfung von Beginn weg Rechnung getragen wird. Dies geschieht im Vorfeld der Gutachtensanordnung im Wesentlichen in zweifacher Hinsicht: Bei fehlendem Konsens über die Gutachtenseinholung hat eine anfechtbare Zwischenverfügung zu ergehen [und die versicherte Person muss sich vorgängig zu den gestellten Gutachterfragen äussern können]. Klarzustellen ist hingegen, dass die Verfahrensrechte der versicherten Person durch ein Vorgehen wie im vorliegenden Fall unterlaufen werden.
Damit leidet die angefochtene Anordnung der Begutachtung bereits vom zeitlichen Ablauf her an einem Mangel. Daran ändert nichts, dass die IV-Stelle die Kurzfristigkeit der Terminansetzung nicht unmittelbar selbst zu verantworten haben mag.
Vor diesem Hintergrund erweist sich die kurzfristige Terminansetzung zusammen mit dem verfügten Entzug der aufschiebenden Wirkung auch wegen der damit einhergehenden Gefahr einer Vereitelung des gerichtlichen Rechtsschutzes als problematisch.
4. Es wird von keiner Seite bestritten, dass sich diese Anklage [Urkundenfälschung, Art. 251 StGB] gegen Dr. Jensen richtet, insbesondere auch nicht vom betreffenden Arzt selbst. Laut dieser Anklage habe Dr. Jensen zur Beurteilung von Spezialfragen insbesondere im Bereich Neurologie einen Subgutachter beigezogen.
Ohne dass der Subgutachter gegenüber Dr. Jensen oder einem Dritten von seinem Befund gemäss Subgutachten abgewichen wäre [hat Dr. Jensen - so die Anklage - festgehalten, dass eine Einigung zwischen ihm und dem Subgutachter über die Einschätzung der Arbeitsfähigkeit zustande gekommen sei].
Am 10. April 2012 sprach das Bezirksgericht Zürich den beschuldigten Dr. Jensen von (strafrechtlicher) Schuld und Strafe frei. [Das Gericht hat aber eine Verletzung der gutachterlichen Sorgfaltspflicht festgestellt.] Da erhebliche Zweifel bestünden, dass er diese Fehler im Wissen und mit dem Willen begangen habe, die auftraggebende Unfallversicherung zu bevorteilen, reiche es für einen Schuldspruch nicht aus. [Vom Freigesprochenen, der Privatklägerin und der Anklage wurde Berufung erklärt.]
5. Die im sozialversicherungsrechtlichen Verwaltungsverfahren eingeholten Gutachten bilden oft zugleich die Entscheidungsgrundlage im anschliessenden Leistungsstreit vor Gericht (BGE 137 V 254 E. 3.4.2.4). Dabei gilt es, Ansprüche zu beurteilen, die aufgrund ihrer existenzsichernden Funktion für die betroffenen Versicherten von entsprechend grosser Tragweite sind. Dies alles verlangt, dass nicht nur hinsichtlich der fachlichen Eignung, sondern auch bezüglich der Unabhängigkeit und Unbefangenheit der sachverständigen Person keine Zweifel aufkommen dürfen.
Denn es geht letztlich um das Vertrauen der Bevölkerung in die staatlichen Behörden, das wesentlich durch eine unbefangene Verwaltung und Justiz garantiert wird (vgl. Benjamin Schindler, Die Befangenheit der Verwaltung, Zürcher Diss. 2002, S. 47 mit zahlreichen Hinweisen). Nebst diesem überragenden öffentlichen Interesse gilt es selbstredend, das private Interesse der unmittelbar betroffenen Kontrahenten des Leistungsstreits zu berücksichtigen (vgl. dazu und zum Ganzen Markus Müller, Psychologie im öffentlichen Verfahren, Bern 2010, S. 34); ebenso die Optik der entscheidenden Behörde, der die sachverständige Person gleichsam als Entscheidungsgehilfe (vgl. BGE 118 Ia 145 E. 1c) dient. Hier wie dort bleibt ungeschmälerte Vertrauenswürdigkeit des Gutachters unerlässlich, wenn (streit)entscheidend auf seine Erkenntnisse abgestellt werden soll.
6.a) Bei diesem Hintergrund kann unter den gegebenen Umständen bei Dr. Jensen vorläufig nicht von einer unbedingten Vertrauenswürdigkeit ausgegangen werden. Insofern lässt sich ein Anschein von Befangenheit zurzeit tatsächlich nicht von der Hand weisen. Wohl trifft es zu, dass er strafrechtlich bezüglich der i