Familienrecht
Unterhalt: Pauschalisierungen unvermeidbar
Zur Berechnung des gebührenden Unterhalts ist bei der einstufig-konkreten Methode der tatsächlich gepflegte Lebensstandard zu ermitteln. Gewisse Pauschalisierungen sind aber unumgänglich. Dabei räumt das Bundesgericht den unteren Instanzen einen grossen Ermessensspielraum ein.
Sachverhalt:
Im einem Scheidungsverfahren verlangt die Ehefrau vom Mann nachehelichen Unterhalt. Umstritten ist, wie dieser zu belegen und zu berechnen ist.
Aus den Erwägungen:
4.1.5.1 Das Gesetz schreibt keine bestimmte Methode für die Berechnung von Unterhaltsbeiträgen vor. Ausgangspunkt bildet der in der Ehe zuletzt vor Aufhebung des gemeinsamen Haushalts gelebte Standard, auf dessen Fortführung (zuzüglich trennungsbedingter Mehrkosten) beide Ehegatten bei genügenden finanziellen Mitteln Anspruch haben. Man spricht in diesem Zusammenhang auch vom gebührenden Unterhalt.
Der Unterhaltsbeiträge beanspruchende Ehegatte muss sich sodann anrechnen lassen, was er mit eigenen Einkünften selbst zu decken in der Lage ist (sog. Eigenversorgungskapazität). Verbleibt eine Differenz, wird der Unterhaltsbeitrag nach Massgabe der Leistungsfähigkeit der unterhaltsverpflichteten Person festgesetzt. Der so ermittelte Beitrag stellt die Obergrenze des Unterhaltsanspruchs dar.
Der jeweilige Bedarf ist deshalb grundsätzlich konkret, das heisst, anhand der tatsächlich getätigten Ausgaben zu ermitteln, da sich keine Vermögensumverteilung ergeben darf, indem dem unterhaltsberechtigten Ehegatten mehr Mittel zufliessen, als er zur Finanzierung seines gebührenden Unterhalts benötigt (BGE 140 III 485 E. 3.3, 115 II 424 E. 3; Bähler, «Unterhaltsberechnungen – von der Methode zu den Franken», in: FamPra.ch 2015, S. 283). Zu diesem Zweck hat der unterhaltsberechtigte Ehegatte darzulegen und zu beweisen, dass er den geltend gemachten Betrag benötigt, um die vor der Trennung bestehende Lebenshaltung weiterzuführen, wobei er grundsätzlich jede einzelne Position seines Bedarfs substanziieren, beziffern und belegen muss, was zu umfangreichen Aufstellungen führen kann (Bähler, a.a.O., S. 306; Hausheer / Spycher, in: Handbuch des Unterhaltsrechts, 2. Aufl. 2010, N 02.65c). Während die behaupteten Tatsachen im Eheschutzverfahren lediglich glaubhaft zu machen sind, hat der Ehegatte, der im Scheidungsverfahren die Festsetzung von nachehelichem Unterhalt fordert, entsprechend der Regel von Art. 8 des Schweizerischen Zivilgesetzbuchs (ZGB; SR 210) den (vollen) Beweis dafür zu erbringen, dass er den gebührenden Unterhalt trotz aller Anstrengungen nicht aus eigener Kraft zu decken vermag und dass der andere Ehegatte leistungsfähig ist.
Allein aus dem Umstand, dass das Gericht die Behauptungen im Rahmen der provisorischen Regelung des Getrenntlebens als glaubhaft gemacht erachtete, folgt nicht, dass es auch im Streit um die dauerhafte Regelung der nachehelichen Verhältnisse davon überzeugt ist, dass die Anspruchsvoraussetzungen der ungenügenden Eigenversorgungskapazität des einen und der hinreichenden Leistungsfähigkeit des anderen Ehegatten hinreichend substanziiert und belegt sind (BGer-Urteil 5A_751/2014 vom 28.5.2015 E. 2.5.3 und 5A_148/2014 vom 8.7.2014 E. 4).
Bei einer einstufig-konkreten Berechnung des Bedarfs der Ehegatten geht es grundsätzlich nicht an, die persönlichen Bedürfnisse der Parteien pauschal mit dem – allenfalls erweiterten – Grundbetrag gemäss den betreibungsrechtlichen Richtlinien zu Art. 93 des Bundesgesetzes über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG) gleichzusetzen, mithin den Grundbetrag als Ausgangsbasis zu wählen und die weiteren Ausgabenpositionen hinzuzuaddieren; vielmehr ist auch diesbezüglich der konkret während der Ehe gepflegte Lebensstandard zu ermitteln. Daran vermag nichts zu ändern, dass beim Bedarf der Parteien hohe Beträge für Ferien, Freizeit und weitere Aktivitäten eingesetzt werden (BGE 140 III 485 E. 3.4 und 3.5.2; BGer-Urteil 5A_61/2015 vom 20.5.2015 E. 4.2.2). Ohne gewisse Pauschalierungen kommt die Bedarfsermittlung anhand der einstufig-konkreten Methode freilich nicht aus, da es nahezu unmöglich ist, für Auslagepositionen wie den täglichen Bedarf (Nahrung etc.) die entsprechenden Zahlen zu ermitteln, geschweige denn Belege beizubringen, und der Prozessstoff sonst ausufern würde (Bähler, a.a.O., S. 306; Hausheer/Spycher, a.a.O., N 02.65c).
Allerdings gesteht das Bundesgericht den unteren Instanzen in diesem Kontext einen weiten Ermessensspielraum zu. So qualifiziert es den dem Betreibungsrecht entlehnten Grundbetrag als Richtgrösse, die zu modifizieren der Richter im Scheidungsverfahren bei entsprechenden Bedingungen durchaus befugt ist, sofern eine Partei zusätzliche Auslagen geltend macht und belegt (BGer-Urteil 5A_26/2009 vom 15.9.2009 E. 5.4.2).
Zulässig ist es umgekehrt auch, den vom unterhaltsberechtigten Ehegatten geltend gemachten Bedarf insgesamt zu reduzieren, ohne einzelne Positionen zu kürzen und andere zu belassen. Ebenso wenig zu beanstanden ist schliesslich, wenn das Gericht in Ausübung seines Ermessens einerseits den Grundbetrag verdoppelt, andererseits aber gekoppelt an diese Erhöhung auf die Position «Unvorhergesehenes/Freibetrag» verzichtet (BGer-Urteil 5A_310/2010 vom 19.11.2010 E. 6.4.4).
Entscheid 3B 15 58 des Kantonsgerichts Luzern vom 4.2.2016
Zivilprozessrecht
Gericht darf Urteil nicht nachträglich ändern
Ein Gericht darf ein gefälltes Urteil weder von sich aus noch auf Verlangen einer Partei abändern. Auch dann nicht, wenn es meint, einen Fehler begangen zu haben und das Urteil formell noch nicht rechtskräftig ist.
Sachverhalt:
Der Einzelrichter erliess ein Urteil. Darauf reklamierte eine Partei und teilte mit, sie finde das Urteil falsch. Der Einzelrichter fällte in einem geheimen, jedenfalls nicht aktenkundig gemachten Verfahren einen neuen Entscheid. Das Obergericht hebt diesen auf.
Aus den Erwägungen:
2.1 Nach der Rechtsmittelbelehrung der Vorinstanz kann gegen den angefochtenen Entscheid innert zehn Tagen Beschwerde im Sinne von Art. 17 f. SchKG erhoben werden. Hier handelt es sich aber um kein Verfahren der Aufsichtsbeschwerde in Schuldbetreibungs- und Konkurssachen, sondern um ein gerichtliches Verfahren aus dem Betreibungsrecht (Art. 1 lit. c und Art. 251 lit a ZPO). Der vorliegende Kostenentscheid ist selbständig mit Beschwerde anfechtbar (Art. 110 ZPO). Mit der Beschwerde kann die unrichtige Rechtsanwendung und die offensichtlich unrichtige Feststellung des Sachverhaltes geltend gemacht werden (Art. 320 ZPO). Die Beschwerde ist innerhalb der zehntägigen Rechtsmittelfrist schriftlich und begründet einzureichen (Art. 321 Abs. 1 ZPO).
3.1 Die Vorinstanz begründete den Erlass ihres zweiten Urteils damit, dass sie im Urteil vom 22. September 2015 über den Antrag der Beschwerdegegnerin, wonach «unter o/e-Kostenfolge zulasten des Gesuchsgegners»
[= Beschwerdeführer] zu entscheiden sei, nicht befunden habe. Grund dafür sei, dass die Vorinstanz diese Formulierung nicht als Antrag auf Parteientschädigung verstanden habe. Mit Schreiben vom 25. April 2016 habe die Beschwerdegegnerin die Vorinstanz auf dieses Missverständnis aufmerksam gemacht. Über das Zivilgericht Basel Stadt habe die Vorinstanz in Erfahrung bringen können, dass die Wendung «o/e-Kostenfolge» die dort übliche Formulierung sei und sowohl die Gerichtskosten als auch die Parteientschädigung umfasse.
3.2 Der Beschwerdeführer bringt dagegen zusammengefasst vor, wenn die Vorinstanz keine Parteientschädigung zugesprochen habe, weil sie irrtümlich von einem fehlenden Parteientschädigungsantrag ausgegangen sei, könne sie ihren Entscheid nicht nachträglich abändern oder ergänzen. Eine Partei müsse dies mit einem Rechtsmittel geltend machen. Die Vorinstanz könne sich diesfalls auch nicht auf Art. 334 ZPO stützen, da eine Erläuterung oder Berichtigung zu keiner materiellen Erweiterung des Entscheids führen dürfe. Dies sei jedoch gerade geschehen. Sodann würden nach unbestrittener Rechtspraxis im Arrestbewilligungsverfahren keine Parteientschädigungen anfallen, da es sich nicht um einen Zweiparteienprozess handle.
3.4 Wie gesehen hat die Vorinstanz am 22. September 2015 einen Endentscheid gefällt und diesen der Beschwerdegegnerin am 23. September 2015 mitgeteilt. Ein gefällter und den Parteien mitgeteilter Endentscheid kann unabhängig davon, ob er bereits formell rechtskräftig ist, vom erkennenden Gericht grundsätzlich nicht mehr geändert werden. Mit der Eröffnung des Endentscheids ist der Prozess für die betreffende Instanz erledigt, weshalb sie auf die Entscheidung nicht mehr zurückkommen kann. Will eine Partei geltend machen, der Entscheid beruhe auf einer fehlerhaften Sachverhaltsfeststellung oder auf einer falschen Rechtsanwendung, so steht dafür das gesetzliche Rechtsmittelsystem zur Verfügung. Nicht anders verhält es sich, wenn die Vorinstanz über einzelne Begehren nicht entschieden hat. Die Wiedererwägung gefällter und den Parteien mitgeteilter Endentscheide durch die entscheidende Instanz selber ist daher grundsätzlich unzulässig.
Eine Wiedererwägung wäre bei prozessleitenden Verfügungen und Entscheiden der sog. freiwilligen Gerichtsbarkeit (etwa sichernde Massnahmen im Erbrecht) ausnahmsweise zulässig. Auf Erstere kann das Gericht zur Sicherstellung eines flexiblen und sachgerechten Prozesses zurückkommen (vgl. ZK ZPO-Staehelin, 3. Aufl., Art. 124 N 6). Bei Letzteren entspricht die Zulässigkeit der Wiedererwägung ihrer Nähe zum Verwaltungsrecht (vgl. ZK ZPO-Klingler, 3. A., Art. 256 N 7). Um so etwas ging es vorliegend aber nicht. Eine weitere Ausnahme besteht bei Revisionsgründen nach Art. 328 ZPO. Dass die Beschwerdegegnerin vor Vorinstanz solche Gründe geltend gemacht hat, ist nicht ersichtlich. Ein Zurückkommen auf den eröffneten Entscheid erlauben in einem gewissen Sinne auch die Rechtsbehelfe der Berichtigung und Erläuterung nach Art. 334 ZPO. Auf diesem Weg kann jedoch keine inhaltliche Änderung des Entscheides erreicht werden. Die Berichtigung ist nur möglich, wenn das Dispositiv unklar, widersprüchlich oder unvollständig ist oder wenn es mit der Begründung im Widerspruch steht. Die vorinstanzliche Vorgehensweise führte jedoch zu einer Erweiterung des Urteils vom 22. September 2015. Dafür besteht unter dem Titel Erläuterung und Berichtigung kein Raum.
3.5 War die Beschwerdegegnerin der Ansicht, dass die Vorinstanz über ihren Antrag nicht entschieden hatte, so hätte sie ein Rechtsmittel ergreifen müssen. In Bezug auf das Arrestbewilligungsverfahren gilt im Kanton Zürich zwar die Praxis, dass mangels Einbezug des Arrestschuldners dem Arrestgläubiger kein Entschädigungsanspruch zusteht. Darauf kommt es heute nicht mehr an. Mit dem Erlass des Urteils vom 15. Dezember 2016 ist die Vorinstanz in unzulässiger Weise auf ihren Entscheid vom 22. September 2015 zurückgekommen. Damit ist die Beschwerde gutzuheissen und der angefochtene Entscheid ersatzlos aufzuheben.
Beschluss und Urteil PS160245 des Obergerichts Zürich vom 24.1.2017
Summarverfahren: Nur ein Vortrag pro Partei
Im summarischen Verfahren steht den Parteien nur ein einziger Vortrag zu.
Gibt das Gericht Gelegenheit zu einer Stellungnahme zur Klageantwort, muss es darin geäusserte Noven nicht mehr berücksichtigen.
Sachverhalt:
In einem Verfahren auf vorsorgliche Eintragung des Bauhandwerkerpfandrechts trug der Gesuchsgegner vor, das Gesuch sei hinsichtlich der letzten erbrachten Leistungen (auf welche es für die Fristwahrung ankommt) zu wenig substanziiert. Der Gesuchsteller erhielt zur Wahrung des so genannten Replikrechts Gelegenheit, sich dazu zu äussern. Die bei dieser Gelegenheit vorgetragenen neuen Behauptungen (die objektiv schon mit dem Gesuch hätten vorgetragen werden können) wurden vom Einzelgericht und werden vom Obergericht nicht zugelassen.
Aus den Erwägungen:
5.a) Aus dem Anspruch auf rechtliches Gehör nach Art. 29 Abs. 2 BV folgt unter anderem das Recht, sich im Rahmen eines Gerichtsverfahrens zu den beim Gericht eingereichten Stellungnahmen zu äussern, und zwar unabhängig davon, ob die Eingabe neue und/oder wesentliche Vorbringen enthält und ob sie im Einzelfall geeignet ist, den richterlichen Entscheid zu beeinflussen. Am 1. November 2016 nahm der Gesuchsteller dieses Recht wahr und reagierte auf die detaillierten Einwendungen der Gesuchsgegner. Die Vorinstanz wies diese Ausführungen des Gesuchstellers infolge Verspätung zurück. Eine Stellungnahme im Rahmen des «ewigen Replikrechts» könne nicht dazu genutzt werden, ein mangelhaftes Gesuch nachzubessern.
In seiner Berufungsschrift stützt sich der Gesuchsteller auf einen Entscheid des Berner Obergerichtes und begründet die Zulässigkeit der Noven mit der Verwirkung des Anspruchs auf Eintragung eines Bauhandwerkerpfandrechts nach Ablauf der viermonatigen Frist. Dies komme faktisch einem materiell rechtskräftigen (in der Sache abweisenden) Entscheid gleich, weshalb die Novenschranke im erstinstanzlichen Verfahren betreffend Aufrechterhaltung eines vorläufigen Eintrages eines Bauhandwerkerpfandrechtes im Sinne einer Ausnahme nicht bereits nach den ersten beiden Vorträgen falle.
b) Vorab ist Folgendes festzuhalten: Die Voraussetzungen für die Errichtung eines Bauhandwerkerpfandrechtes – Abschluss eines Werkvertrages, Lieferung von Material und/oder Arbeit, Bestehen einer Werklohnforderung und Einhaltung der Eintragungsfrist – mussten dem Gesuchsteller ungeachtet der Stellungnahme der Gesuchsgegner bereits im Zeitpunkt seines Gesuchs an die Vorinstanz bekannt gewesen sein. Es ist auch bei tiefen Anforderungen an die Glaubhaftmachung nicht einzusehen und wurde vom Gesuchsteller in der Berufungsschrift auch nicht substanziiert, weshalb er die elementaren Grundlagen des Pfandrechtes, vorab welche konkreten Arbeiten er am 25. April 2016 erbracht hatte, nicht bereits in seinem Begehren darlegte und vorhandene Belege dazu einreichte bzw. diese für das Gericht hinreichend erläuterte. Unterliess er dies, weil er die Rechtserheblichkeit der entsprechenden Tatsachen unrichtig beurteilte, so ist ihm dies anzulasten und sind die Noven bereits aus diesem Grund nicht zu berücksichtigen.
Denn mit der Vorinstanz ist festzuhalten, dass das Recht zur Stellungnahme nicht zur nachträglichen Ergänzung oder Verbesserung des Gesuchs genutzt werden darf. Der zitierte Entscheid, BGer 4A_487/2014 vom 28. Oktober 2014 E. 1.2.4., betrifft zwar das Rechtsmittelverfahren, ist aber durchaus auf das erstinstanzliche Verfahren übertragbar. Die Gewährung des sog. allgemeinen Replikrechts dient einzig der Wahrung des rechtlichen Gehörs und zieht keinen zweiten Vortrag mit freiem Novenrecht nach sich (nebst vielen BGE 138 I 484; ZK ZPO-Klingler, 3. A., Art. 252 ZPO N 6 und Art. 253 ZPO N 9 ff.; ZK ZPO-Sutter-Somm / Lötscher, 3. Aufl., Art. 257 N 20; vgl. auch den vom Gesuchsteller zitierten Entscheid des Berner Obergerichtes OGer Bern ZK 12/2017 vom 21. September 2012).
c) In der ZPO fehlt eine Bestimmung zum Aktenschluss im summarischen Verfahren. Es stellt sich deshalb die Frage, inwieweit gestützt auf Art. 219 ZPO die Regelung von Art. 229 ZPO Anwendung findet. Nach Art. 229 Abs. 2 ZPO haben die Parteien im ordentlichen Verfahren das Recht, zweimal unbeschränkt Tatsachen und Beweise einzubringen. Danach gilt für die Zulässigkeit von Noven ein strenger Massstab. Entsprechend werden nach Abs. 1 der nämlichen Bestimmung in der Hauptverhandlung neue Tatsachen und Beweismittel nur noch berücksichtigt, wenn sie ohne Verzug vorgebracht werden und trotz zumutbarer Sorgfalt nicht vorher vorgebracht werden konnten.
Die Bestimmung erfasst unechte Noven. Echte Noven sind grundsätzlich ohne Beschränkung zulässig, wenn sie unverzüglich nach ihrer Entdeckung eingebracht werden (ZK ZPO- Leuenberger, 3. Aufl., Art. 229 N 4 ff.). Art. 229 ZPO kann nicht unbesehen auf das summarische Verfahren übertragen werden, wo in der Regel nur ein einfacher Schriftenwechsel stattfindet und der Entscheid über die Durchführung einer Hauptverhandlung im Ermessen des Gerichtes liegt (Art. 253 und 256 ZPO). Daraus folgt, dass in gewissen Verfahren Angriffs- und Verteidigungsmittel nur im Gesuch bzw. der Stellungnahme dazu und in anderen Verfahren auch noch in der Hauptverhandlung vorgebracht werden könnten. Da die Parteien nicht im Voraus wissen, ob in ihrem Verfahren eine Verhandlung stattfindet oder nicht, wären sie bei einer analogen Anwendung von Art. 229 ZPO im Ungewissen darüber, bis wann sie Noven vorbringen können. Weiter kommt im summarischen Verfahren der raschen Verfahrenserledigung ein besonderes Gewicht zu. Aus diesen Gründen wäre eine unbeschränkte Ergänzung der Vorbringen bis zur Entscheidfällung mit dem Summarverfahren unvereinbar. Vielmehr fällt die Novenschranke bereits nach den ersten Vorträgen, es sei denn, die neuen Vorbringen erfüllen die Voraussetzungen von Art. 229 Abs. 1 ZPO (zum Ganzen ZK ZPO-Leuenberger, Art. 229 N 17; ZK ZPO-Klingler, Art. 252 N 33; ZK ZPO-Sutter-Somm / Lötscher, Art. 257 N 18 ff.; Pahud, Dike-Komm-ZPO, 2. Aufl., Art. 229 N 27; Moret, Aktenschluss und Novenrecht nach der Schweizerischen Zivilprozessordnung, Diss. Zürich 2014, S. 125 ff.).
Die am 1. November 2016 vorgebrachten Ergänzungen mit den entsprechenden Belegen waren dem Gesuchsteller bereits im Zeitpunkt seines Gesuchs vom 19. August 2016 an die Vorinstanz bekannt bzw. zugänglich, datieren doch die Unterlagen allesamt vom Februar und April 2016. Es sind mithin unechte Noven, die nur unter den restriktiven Voraussetzungen von Art. 229 Abs. 1 lit. b ZPO zulässig sind. Der Gesuchsteller legt in seiner Berufungsschrift mit keinem Wort dar, weshalb er die neuen Vorbringen samt Beilagen nicht bereits in seinem Gesuch vom August 2016 einbrachte bzw. weshalb ihm eine rechtzeitige Präzisierung seines Begehrens verunmöglicht war. Ebenso wenig ist ersichtlich, warum er den Inhalt des Arbeitsrapportes vom 25. April 2016 mit den behaupteten Vollendungsarbeiten nicht schon in seiner ersten Eingabe durch nähere Umschreibung und Wiedergabe in korrektem Deutsch für das Gericht nachvollziehbar machte. Den Anforderungen von Art. 229 Abs. 1 lit. b ZPO ist damit nicht Genüge getan.
d) Aus dem Entscheid des Obergerichtes des Kantons Bern kann der Gesuchsteller schliesslich nichts zu seinen Gunsten ableiten. Das Gericht bemerkt in einem obiter dictum, dass beim Rechtsschutz in klaren Fällen im Sinne einer Ausnahme allenfalls ein (unbeschränktes) zweimaliges Äusserungsrecht gelte, weil solche Entscheide in materielle Rechtskraft erwachsen («Eine Ausnahme mag dort gerechtfertigt sein, wo wie beim Rechtsschutz in klaren Fällen ein Entscheid mit materieller Rechtskraft ergeht», OGer Bern ZK 12/2017 vom 21. September 2012 E. 25. m.H.). Diese Auffassung ist abzulehnen (so auch Pahud, Dike-Komm-ZPO, Art. 229 N 27).
Im Lichte der obigen Erwägungen findet eine solche Ausnahme im Gesetz keine Stütze, namentlich gibt es keinen Hinweis, dass je nach Art des Anspruches andere Regeln gelten sollten, wie etwa in Art. 254 ZPO, wo das Gesetz eine ausdrückliche Differenzierung für die zulässigen Beweismittel trifft. Zwar handelt es sich bei der viermonatigen Eintragungsfrist von Art. 839 Abs. 2 ZGB um eine Verwirkungsfrist (Schumacher, Ergänzungsband, N 234). Ist die Frist verstrichen und wird das vorläufig eingetragene Pfandrecht gelöscht, bedeutet dies für die betroffene Partei einen definitiven Rechtsverlust in dem Sinne, dass der Anspruch auf das Pfandrecht untergeht. Die vorläufige Eintragung eines Bauhandwerkerpfandrechtes ist indes eine vorsorgliche Massnahme, welche als Sicherungsmassnahme keine tatsächlichen Auswirkungen auf Zivilansprüche hat (BGE 137 III 563; Schumacher, Ergänzungsband, N 540 ff.; Kaufmann, Dike-Komm-ZPO, 2. Aufl., Art. 256 N 6 ff.; ZK ZPO-Klingler, Art. 256 N 1 ff.). Vor diesem Hintergrund und unter Berücksichtigung des Beschleunigungsgebotes im summarischen Verfahren rechtfertigt sich die Zulassung von je zwei Vorträgen mit unbeschränktem Novenrecht nicht. Der Auffassung des Gesuchstellers, Noven seien auch nach den ersten Vorträgen unbeschränkt zulässig, ist demnach nicht zu folgen.
e) Somit handelt es sich bei den in seiner Stellungnahme vorgebrachten Tatsachen samt Belegen unter dem Gesichtspunkt von Art. 229 Abs. 1 lit. b ZPO um unzulässige Noven, welche unbeachtet bleiben müssen. Bei sorgfältiger Prozessführung hätte der Gesuchsteller ohne Mühe bereits in seinem Gesuch vom 19. August 2016 konkret darlegen können und müssen, was die am 25. April 2016 in der fraglichen Liegenschaft vorgenommenen Arbeiten genau umfassten bzw. weshalb es sich dabei um Vollendungsarbeiten handelte.
Urteil LF160079 des Zürcher Obergerichts vom 13.2.2017
Strafprozessrecht
Entschädigung mit Beschwerde anfechten
Will die amtliche Verteidigung den Entscheid über die Höhe der Entschädigung anfechten, so hat sie nach Art. 135 Abs. 3 StPO innert zehn Tagen Beschwerde zu erheben. Dies gilt auch, wenn der Entscheid bezüglich anderen Inhalten – wie etwa dem Schuldpunkt – mit Berufung angefochten wird. Das führt zu einer Gabelung des Rechtsmittelweges mit unterschiedlichen Fristen.
Sachverhalt:
Mit Urteil vom 11. November 2013 verurteilte das Bezirksgericht Luzern A wegen mehrfachen Ehrverletzungsdelikten und versuchten Nötigungen. Dagegen meldete Rechtsanwalt B in seiner Funktion als amtlicher Verteidiger Berufung an. In der Berufungserklärung vom 10. Februar 2014 stellte Rechtsanwalt B unter anderem den Antrag, die Dispositivziffer enthaltend die Festsetzung seiner Kostennote aufzuheben und seine Entschädigung für das Gerichtsverfahren auf Fr. xx festzusetzen. Die Berufungsinstanz überwies in der Folge die Angelegenheit bezüglich der Festsetzung der amtlichen Entschädigung von Rechtsanwalt B von Amtes wegen als Beschwerde an die Beschwerdeinstanz.
Aus den Erwägungen:
2. Gegen den Entschädigungsentscheid des erstinstanzlichen Gerichts kann die amtliche Verteidigung gemäss Art. 135 Abs. 3 lit. a i.V.m. Art. 396 Abs. 1 der Schweizerischen Strafprozessordnung innert zehn Tagen Beschwerde führen. Mit der Beschwerde können Rechtsverletzungen, unvollständige oder unrichtige Feststellung des Sachverhalts und Unangemessenheit gerügt werden (Art. 393 Abs. 2 StPO). Die Beschwerdeinstanz verfügt über eine volle Kognition. Neue Tatsachenbehauptungen und Beweise sind zulässig (vgl. Guidon, Basler Komm., 2. Aufl. 2014, Art. 393 StPO N 15 – 17).
3.1 Unbestritten ist, dass die Eingabe des Beschwerdeführers vom 10. Februar 2014 (Berufungserklärung), worin er sich in eigenem Namen gegen den Entschädigungsentscheid der Vorinstanz zur Wehr setzt, nach Ablauf der zehntägigen Beschwerdefrist erfolgt ist.
In seiner Stellungnahme ( …) bringt der Beschwerdeführer zusammengefasst vor, die Anfechtung der Entschädigung des amtlichen Verteidigers in der Berufungserklärung müsse, sofern diese überhaupt mit Beschwerde hätte angefochten werden sollen, infolge fehlender Rechtsmittelbelehrung als fristgerechte Beschwerde entgegengenommen werden.
3.2.1 Der Beschwerdeführer macht geltend, es sei noch nicht definitiv geklärt, ob es zu einer Gabelung des Rechtsmittelwegs komme, sofern gegen ein erstinstanzliches Urteil gleichzeitig Berufung und (gegen den Entschädigungsentscheid) Beschwerde eingelegt werde. Nach früherem Recht sei es möglich gewesen, zusammen mit der Anfechtung des Haupturteils auch die Kürzung der Entschädigung des amtlichen Verteidigers anzufechten.
3.2.2 Die amtliche Verteidigung zählt nicht zu den Verfahrensparteien i.S.v. Art. 104 Abs. 1 StPO. Will sie gegen den Entscheid bezüglich ihrer Entschädigung vorgehen, so stehen ihr mangels Legitimation die ordentlichen Rechtsmittel der StPO nicht zur Verfügung (vgl. Art. 382 StPO). Hinsichtlich der Anfechtung des Entschädigungsentscheids schöpft die amtliche Verteidigung ihre Rechtsmittellegitimation aus der besonderen Regelung in Art. 135 Abs. 3 StPO. Sie muss daher gegen den erstinstanzlichen Entscheid über die amtliche Entschädigung in ihrer Eigenschaft als Verfahrensbeteiligte in eigenem Namen strafprozessuale Beschwerde führen (vgl. BGE 139 IV 199 E. 5.2; BGer-Urteil 6B_360/2014 vom 30.10.2014 E. 1.4; Ruckstuhl, Basler Komm., 2. Aufl. 2014, Art. 135 StPO N 15).
Entgegen den Vorbringen des Beschwerdeführers ist die Rechtslage des gegebenen Sachverhalts in der geltenden Strafprozessordnung klar und deutlich formuliert. Will die amtliche Verteidigung neben dem Urteil in materieller Hinsicht auch gegen den Entscheid hinsichtlich ihrer Entschädigung vorgehen, so muss sie zwei unterschiedliche Rechtsmittel an verschiedene Instanzen erheben. Dies führt zu einer Gabelung des Rechtsmittelwegs zwischen der Berufung (in Namen der beschuldigten Person) gegen das vorinstanzliche Urteil sowie der Beschwerde (in eigenem Namen) gegen den Entschädigungsentscheid. Der Beschwerdeführer durfte sich – insbesondere in seiner Funktion als amtlicher Verteidiger – nach Inkrafttreten der StPO nicht darauf verlassen, dass ein Vorgehen nach altem Recht weiterhin möglich ist.
3.3.1 Der Beschwerdeführer rügt in seiner Stellungnahme ( …) zudem, dass der vorinstanzliche Entscheid keine Rechtsmittelbelehrung hinsichtlich der Beschwerde nach Art. 135 Abs. 3 StPO aufgewiesen habe. Infolge der fehlenden Rechtsmittelbelehrung müsse seine Berufungserklärung vom 10. Februar 2014 als fristgerechte Beschwerde entgegengenommen werden. Da eine komplexe und weiterhin unklare Rechtslage bezüglich der Rechtsmittel bestünde, könne nicht davon ausgegangen werden, ein Verteidiger müsste die unvollständige Rechtsmittelbelehrung der Vorinstanz erkennen.
3.3.2 Urteile sind gemäss Art. 81 Abs. 1 lit. d StPO mit einer Rechtsmittelbelehrung zu versehen, sofern sie anfechtbar sind. Gegen Urteile erstinstanzlicher Gerichte, mit denen das Verfahren ganz oder teilweise abgeschlossen wurde, können die Parteien Berufung erklären (Art. 398 Abs. 1 i.V.m. Art. 381 f. StPO).
Das Strafurteil der ersten Instanz vom 11. November 2013 richtet sich in erster Linie an den Beschuldigten als Partei des Strafverfahrens und regelt vorwiegend seine Belange, indem es ihn zu einer Strafe verurteilt und diverse weitere für ihn nachteilige Folgen (insb. Kosten) regelt. Die Vorinstanz hat daher kein Recht verletzt, indem sie in diesem Urteil ausschliesslich die (direkt angesprochenen) Parteien i.S.v. Art. 104 Abs. 1 StPO und nicht auch noch die amtliche Verteidigung (als nebensächlich involvierte Verfahrensbeteiligte) über ihre Rechte belehrt hat. Entgegen den Ausführungen des Beschwerdeführers war die Vorinstanz nicht verpflichtet, in der Rechtsmittelbelehrung des angefochtenen Urteils auf die besondere Beschwerdemöglichkeit des amtlichen Verteidigers i.S.v. Art. 135 Abs. 3 StPO hinzuweisen.
3.3.3 Zuletzt ist die Frage zu klären, ob der Beschwerdeführer – wie er geltend macht – aufgrund der fehlenden Rechtsmittelbelehrung hinsichtlich seinen persönlichen Rechtsbehelfen nach Treu und Glauben davon ausgehen durfte, dass der Entscheid über die amtliche Entschädigung mit Berufung anzufechten sei.
Zur Klärung dieser Frage kann die ständige Rechtsprechung des Bundesgerichts zu falschen Rechtsmittelbelehrungen analog herbeigezogen werden. Danach dürfen einer Partei aus einer falschen Rechtsmittelbelehrung aufgrund des Vertrauensgrundsatzes (Art. 5 Abs. 3 und Art. 9 der Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft sowie Art. 3 Abs. 2 lit. a StPO) keine Rechtsnachteile erwachsen. Das Vertrauen in eine fehlerhafte Rechtsmittelbelehrung wird allerdings nicht geschützt, wenn die betroffene Person die Fehlerhaftigkeit der behördlichen Auskunft bei zumutbarer Sorgfalt hätte erkennen müssen. Dies ist nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung insbesondere dann der Fall, wenn die Partei oder ihre Rechtsvertretung die Mängel der Rechtsmittelbelehrung durch blosse Konsultierung des massgebenden Gesetzestextes hätten erkennen können (BGE 124 I 255 E. 1a, 118 Ib 326 E. 1c; vgl. Riedo, Basler Komm., 2. Aufl. 2014, Art. 94 StPO N 39 f.).
Was das Bundesgericht zu den Wirkungen einer falschen Rechtsmittelbelehrung erwog, kann vorliegend ohne weiteres auf die fehlende Rechtsmittelbelehrung hinsichtlich der Beschwerdemöglichkeit des amtlichen Verteidigers übertragen werden. Der Beschwerdeführer hätte – als professioneller Rechtsvertreter, der regelmässig als (amtlicher) Strafverteidiger auftritt – mit einem einfachen Blick in das massgebende Gesetz die geltende Rechtslage hinsichtlich der Anfechtung der amtlichen Entschädigung erkennen müssen. Entgegen den Vorbringen des Beschwerdeführers kann nicht von einer komplexen und unklaren Rechtslage gesprochen werden. Im Gegenteil, die StPO äussert sich – wie schon festgestellt (E. 3.2.2) – klar und verständlich zum korrekten Vorgehen bei der Anfechtung der Entschädigung durch die amtliche Verteidigung. Der Beschwerdeführer ist daher in seinem – aufgrund der fehlenden Rechtsmittelbelehrung fälschlicherweise erweckten – Vertrauen darauf, dass auch die Festsetzung der amtlichen Entschädigung mittels der Berufung anzufechten wäre, nicht zu schützen.
3.4 Damit steht fest, dass der Beschwerdeführer die zehntägige Frist zur Einreichung der Beschwerde in ihm vorwerfbarer Weise nicht eingehalten hat, womit auf die Beschwerde nicht einzutreten ist. Auf eine Behandlung der weiteren Vorbringen des Beschwerdeführers (bezüglich der Nachbesserung i.S.v. Art. 385 Abs. 2 StPO sowie in materieller Hinsicht) kann damit verzichtet werden.
Entscheid 2N 15 115 des Luzerner Kantonsgerichts vom 17.9.2015
Strafanzeige: Beschwerde nur im Ausnahmefall
Andere Verfahrensbeteiligte im Sinne von Art. 105 StPO sind durch die Nichtanhandnahme einer Strafanzeige nicht unmittelbar in ihren Rechten betroffen. Art. 105 StPO gibt somit weder der anzeigenden noch der geschädigten Person das Recht, die Nichtanhandnahme mit Beschwerde anzufechten. Etwas anderes kann sich ergeben, wenn durch die Nichtanhandnahme Grundrechte tangiert werden.
Sachverhalt:
Im Dezember 2014 ereignete sich eine Kollision zwischen dem vom Beschwerdeführer gelenkten Personenwagen und dem Beschuldigten, welcher als Fussgänger unterwegs war. Im Dezember 2015 zeigte der Beschwerdeführer den Beschuldigten wegen Widerhandlungen gegen das Strassenverkehrsgesetz an. Im April 2016 erliess die Staatsanwaltschaft eine Nichtanhandnahmeverfügung, wogegen der Beschwerdeführer mit Beschwerde ans Kantonsgericht gelangte.
Aus den Erwägungen:
2. Nichtanhandnahmeverfügungen nach Art. 310 der Schweizerischen Strafprozessordnung (StPO; SR 312.0) können wie Einstellungsverfügungen von den Parteien mit Beschwerde gemäss Art. 393 ff. StPO angefochten werden (Art. 382 Abs. 1, 310 Abs. 2 und 322 Abs. 2 StPO).
Zunächst ist zu prüfen, ob der Beschwerdeführer zur vorliegenden Beschwerde legitimiert ist. Das Vorliegen der Beschwerdelegitimation wird im Rahmen der Eintretensvoraussetzungen von Amtes wegen und mit freier Kognition geprüft. Die in Art. 396 Abs. 1 StPO statuierte Pflicht, die Beschwerde zu begründen, erstreckt sich allerdings auch auf die Frage der Legitimation, sodass der Beschwerdeführer den Nachweis für einzelne Legitimationsvoraussetzungen selbst zu erbringen hat (Guidon, Die Beschwerde gemäss Schweizerischer Strafprozessordnung, Zürich 2011, N 216).
2.2 Zu den gemäss Art. 382 Abs. 1 StPO grundsätzlich beschwerdelegitimierten Parteien gehört namentlich die Privatklägerschaft im Sinne von Art. 104 Abs. 1 lit. b StPO, sofern sie ein rechtlich geschütztes Interesse an der Änderung oder Aufhebung eines Entscheids aufweist. Als Privatklägerschaft gilt gemäss Art. 118 StPO die geschädigte Person, die ausdrücklich erklärt, sich am Strafverfahren als Straf- oder Zivilklägerin oder -kläger zu beteiligen (Abs. 1). Ein Strafantrag im Sinne von Art. 30 des Schweizerischen Strafgesetzbuchs (StGB; SR 311.0) ist dieser Erklärung gleichgestellt (Abs. 2). Als geschädigt gilt nach Art. 115 StPO die Person, die durch die Straftat in ihren Rechten unmittelbar verletzt worden ist (Abs. 1). Die zur Stellung eines Strafantrags berechtigte Person gilt in jedem Fall als geschädigte Person (Abs. 2).
Die geschädigte Person gilt, solange sie sich nicht durch eine Erklärung im Sinne von Art. 118 Abs. 1 StPO zur Privatklägerschaft bzw. zur Partei konstituiert hat, als sog. «andere Verfahrensbeteiligte» (vgl. Art. 105 Abs. 1 lit. a StPO). Dasselbe gilt für den Anzeigesteller im Sinne von Art. 301 StPO (vgl. Art. 105 Abs. 1 lit. b StPO). Solange sich ein Geschädigter und/oder ein Anzeigesteller nicht zum Privatkläger konstituiert hat, ist er grundsätzlich nicht berechtigt, eine Nichtanhandnahme- oder eine Einstellungsverfügung anzufechten, weil ihm die dazu benötigte Parteistellung fehlt. Unter Berücksichtigung des Anspruchs auf rechtliches Gehörs gilt diese Einschränkung dann nicht, wenn der Geschädigte oder der Anzeigesteller noch keine Gelegenheit hatte, sich zur Frage der Konstituierung zu äussern, so etwa wenn eine Nichtanhandnahme ergeht, ohne dass die Strafverfolgungsbehörde den Geschädigten oder den Anzeigesteller zuvor auf sein Konstituierungsrecht aufmerksam gemacht hat (BGE 141 IV 380 E. 2.2; BGer-Urteil 1B_298/2012 vom 27.8.2012 E. 2.1 m.w.H.).
2.3.1 Am 23. Dezember 2015 erhob der Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt A, Strafanzeige gegen den Beschuldigten wegen Widerhandlungen gegen das SVG. Darin schildert der Beschwerdeführer, wie sich der Verkehrsunfall vom 17. Dezember 2014 aus seiner Sicht abgespielt hat. Er gelangt zum Schluss, der Beschuldigte habe «in klarer Weise» gegen Art. 49 Abs. 1 SVG sowie gegen Art. 47 Abs. 1 und 5 der Verkehrsregelnverordnung (VRV; SR 741.11) verstossen, weil der Beschuldigte die Fahrbahn nicht auf dem Fussgängerstreifen betreten habe.
Die Eingabe schliesst mit der Bemerkung, dass die Sachverhaltsschilderung im Sinne einer Strafanzeige gemäss Art. 301 Abs. 1 StPO erfolge. Die Staatsanwaltschaft werde gemäss Art. 301 Abs. 2 StPO ersucht, ihn (den Beschwerdeführer) über den Verfahrensausgang zu orientieren. Er sei berechtigt, diese Auskunft zu erhalten, da an seinem Fahrzeug durch die Kollision mit dem Fussgänger (dem Beschuldigten) ein Sachschaden entstanden sei. Mit Schreiben vom 23. April 2016 wandte sich der Beschwerdeführer erneut an die Staatsanwaltschaft und verwies dabei auf sein Auskunftsrecht als Anzeigesteller im Sinne von Art. 301 StPO.
Der anwaltlich vertretene Beschwerdeführer hat sich im zugrunde liegenden Verfahren somit ausdrücklich als «Anzeigesteller» bezeichnet und mehrmals auf die diesbezügliche Gesetzesbestimmung in Art. 301 StPO verwiesen. Damit hat er sich zur gewünschten Stellung im Verfahren klar geäussert und eine entsprechende Erklärung abgegeben, womit sich eine Nachfrage der Staatsanwaltschaft im Sinne von Art. 118 Abs. 4 StPO erübrigte. Letzteres gilt auch aufgrund des Umstands, dass dem Beschwerdeführer – wie noch zu zeigen sein wird (vgl. nachfolgend E. 2.3.3) – mangels einer Geschädigtenstellung gar kein Recht zukam, sich als Privatkläger zu konstituieren.
Der Beschwerdeführer ist somit – unbestrittenermassen – nicht Partei im Sinne von Art. 104 StPO und kann die Beschwerdelegitimation nicht direkt aus Art. 382 Abs. 1 StPO ableiten.
2.3.2.1 Der Beschwerdeführer stellt sich allerdings mit Verweis auf den erlittenen Sachschaden und die geltend gemachte Arbeitsunfähigkeit auf den Standpunkt, er sei eine geschädigte Person, die Strafanzeige erstattet habe im Sinne von Art. 105 Abs. 1 lit. a und b StPO und die in ihren Rechten unmittelbar betroffen sei im Sinne von Art. 105 Abs. 2 StPO. Ihm stünden somit die erforderlichen Verfahrensrechte einer Verfahrenspartei zur Verfügung, weshalb er gemäss Art. 382 Abs. 1 StPO zur Beschwerde legitimiert sei.
2.3.2.2 Die Nichtanhandnahme des Strafverfahrens durch die angefochtene Verfügung trifft den Beschwerdeführer nicht unmittelbar in seinen Rechten. Er muss sich weder einer Zwangsmassnahme unterziehen, noch werden ihm Kosten auferlegt. Die angefochtene Verfügung tangiert weder Freiheits-, Eigentums- oder Vermögensrechte noch sonstige Grundrechte oder Grundfreiheiten des Beschwerdeführers.
Soweit die angefochtene Verfügung dem augenscheinlichen Interesse des Beschwerdeführers zuwiderläuft, den Beschuldigten einer strafbaren Verkehrsregelverletzung zu überführen, ist Ersterer durch die Nichtanhandnahme bloss faktisch (in seinen Interessen, nicht jedoch unmittelbar in seinen Rechten) betroffen. Demzufolge kann dem Beschwerdeführer entgegen seiner Auffassung die Beschwerdelegitimation auch nicht ausnahmsweise und indirekt über Art. 105 Abs. 2 StPO zukommen, womit auf die Beschwerde nicht einzutreten ist.
2.3.3 Überdies ist – im Sinne einer Eventualerwägung – darauf hinzuweisen, dass der Beschwerdeführer im zugrundeliegenden Verfahren nicht Geschädigter im strafprozessualen Sinne (Art. 115 StPO) ist und sich demzufolge auch nicht als Privatkläger bzw. als Partei hätte konstituieren können.
2.3.3.1 Der Beschwerdeführer erblickt seine strafprozessuale Geschädigtenstellung darin, dass er nach dem Verkehrsunfall zwei Tage zu 100 Prozent arbeitsunfähig war und an seinem Auto einen Sachschaden in der Höhe von Fr. 3328.20 erlitt.
Abgesehen davon, dass der Beschwerdeführer seine angebliche körperliche oder psychische Beeinträchtigung und den Kausalzusammenhang zum Verkehrsunfall nie konkret darlegte und gegen den Beschuldigten auch keinen (rechtzeitigen) Strafantrag wegen Körperverletzung stellte, gilt nach der konstanten Rechtsprechung des Bundesgerichts die aufgrund eines Verkehrsunfalls in der körperlichen Integrität beeinträchtigte Person zwar als geschädigt bezüglich der Widerhandlung gegen den einschlägigen Straftatbestand des StGB, nicht jedoch betreffend die gleichzeitige begangene SVG-Widerhandlung (siehe BGE 138 IV 258 E. 3.1.3, 129 IV 95 E. 3.1; BGer-Urteile 1C_208/2011 vom 1.2.2012 E. 3.5.2, 6B_548/2009 vom 3.12.2009 E. 3.3).
Dasselbe gilt – wie die Oberstaatsanwaltschaft zutreffend ausführt – für Sachschäden, die infolge einer Verkehrsregelverletzung entstanden sind. Dies, weil die angeblich verletzten Verkehrsregeln das Allgemeininteresse an einem geordneten und ungehinderten Verkehrsablauf und nicht etwa das Vermögen von potenziellen Unfallbeteiligten schützen (BGE 138 IV 258 E. 4; vgl. Mazzucchelli/Postizzi, Basler Kommentar, 2. Aufl. 2014, Art. 115 StPO N 88).
Demzufolge ist der Beschwerdeführer durch die geltend gemachten SVG-Widerhandlungen des Beschuldigten, selbst wenn der Tatvorwurf zutreffend wäre, nicht unmittelbar in seinen Individualrechtsgütern verletzt worden.
2.4 Aus dem Gesagten ergibt sich daher, dass auf die Beschwerde wegen fehlender Beschwerdelegitimation des Beschwerdeführers nicht eingetreten werden kann.
Entscheid 2N 16 73 des Luzerner Kantonsgerichts vom 29.9.2016
Staatsanwaltschaft muss im Zweifel anklagen
Nach dem Grundsatz «in dubio pro duriore» muss bei gravierenden Sexualdelikten Anklage erhoben werden, selbst wenn die Wahrscheinlichkeit eines Freispruchs und einer Verurteilung in etwa gleich gross sind.
Sachverhalt:
Eine Jugendliche wirft einem Jugendlichen ein Sexualdelikt vor. Die Vorinstanz erliess eine Einstellungsverfügung. Die Anzeigeerstatterin gelangt an die Anklagekammer.
Aus den Erwägungen:
II.2.a) Die Staatsanwaltschaft verfügt u. a. die Einstellung des Verfahrens, wenn kein Tatverdacht erhärtet ist, der eine Anklage rechtfertigt (Art. 3 Abs. 1 JStPO i.V.m. Art. 319 Abs. 1 lit. a StPO) oder wenn kein Straftatbestand erfüllt ist (lit. b).
Entscheidend für die (materiellrechtliche) Einstellung eines Strafverfahrens ist die Frage, ob der Verdacht gegen die beschuldigte Person in der Untersuchung nicht in dem Masse erhärtet wurde, dass Aussicht auf ein verurteilendes Erkenntnis besteht, sondern ein Freispruch zu erwarten ist. Beim Entscheid über die Einstellung des Verfahrens oder eine Anklageerhebung hat somit die Staatsanwaltschaft eine Prognose über den Ausgang eines allfälligen gerichtlichen Verfahrens zu machen. Eine Einstellung kann und muss immer dann erfolgen, wenn aufgrund objektiver Kriterien von vornherein feststeht, dass jedes andere Ergebnis als ein Freispruch ausgeschlossen erscheint (vgl. Oberholzer, Grundzüge des Strafprozessrechts, 3. Aufl., N 1395 f.; Landshut /Bosshard, in: Donatsch / Hansjakob / Lieber, StPO Komm., Art. 319 N 15 ff.; BSK StPO – Grädel / Heiniger, Art. 319 N 8; GVP 2001 Nr. 76).
b) Der Entscheid über die Einstellung eines Verfahrens hat sich nach dem Grundsatz «in dubio pro duriore» zu richten, welcher sich aus dem Legalitätsprinzip ergibt. Er bedeutet, dass eine Einstellung durch die Staatsanwaltschaft grundsätzlich nur bei klarer Straflosigkeit bzw. offensichtlich fehlenden Prozessvoraussetzungen angeordnet werden darf. Hingegen ist, sofern die Erledigung mittels Strafbefehl nicht in Frage kommt, Anklage zu erheben, wenn eine Verurteilung wahrscheinlicher erscheint als ein Freispruch.
Falls sich die Wahrscheinlichkeiten eines Freispruches oder einer Verurteilung in etwa die Waage halten, drängt sich in der Regel, insbesondere bei schweren Delikten, eine Anklageerhebung auf (BGer 6B_856/2013 E. 2.2 m.w.H.). Stehen sich widersprechende Aussagen gegenüber, ist dieses Wahrscheinlichkeitskalkül besonders gewissenhaft vorzunehmen. Eine auf ein Einzelzeugnis gestützte Verurteilung erscheint namentlich dann möglich, wenn dieses durch Indizien gestützt wird (Landshut / Bosshard, in: Donatsch / Hansjakob / Lieber, StPO Komm., Art. 319 N 15 ff.). Aussagen sind in der Regel vom urteilenden Gericht zu würdigen. Gerade auch bei Beziehungsdelikten, in denen Aussage gegen Aussage steht, ist zudem die unmittelbare Wahrnehmung durch das Gericht unverzichtbar (BGer 6B_856/2013 E. 2.2 m.w.H.).
c) Das Strafverfahren ist einzustellen, wenn – in der vorstehend dargestellten Bewertung – kein vernünftiger Zweifel daran besteht, dass der Sachrichter entweder von der Unschuld der beschuldigten Person überzeugt sein oder zumindest derartige Zweifel an dessen Schuld haben wird, dass eine Verurteilung von vornherein ausgeschlossen erscheint (Oberholzer, a.a.O., N 1396; Landshut /Bosshard, in: Donatsch / Hansjakob / Lieber, StPO Komm., Art. 319 N 15 ff.; BSK StPO – Grädel/Heiniger, Art. 319 N 8; GVP 2001 Nr. 76).
Ausgangspunkt dieser Prognose über den Ausgang des Verfahrens bildet Art. 10 Abs. 3 StPO. Als Beweiswürdigungsregel bedeutet «in dubio pro reo», dass sich der Richter nicht von der Existenz eines für den Beschuldigten ungünstigen Sachverhalts überzeugt erklären darf, wenn bei objektiver Betrachtungsweise erhebliche und nicht zu unterdrückende Zweifel bestehen, ob sich der Sachverhalt tatsächlich so verwirklicht hat. Können erhebliche Zweifel über eine für den Beschuldigten ungünstige Tatsache nicht unterdrückt werden oder kann eine für den Beschuldigten günstigere Tatversion vernünftigerweise nicht ausgeschlossen werden, darf eine Verurteilung nicht erfolgen (BGE 127 I 38 E. 2.a; Oberholzer, a.a.O., N 691).
3. Wer eine Person weiblichen Geschlechts zur Duldung des Beischlafs nötigt, namentlich indem er sie bedroht, Gewalt anwendet, sie unter psychischen Druck setzt oder zum Widerstand unfähig macht, ist wegen Vergewaltigung zu bestrafen (Art. 190 Abs. 1 StGB). Der sexuellen Nötigung schuldig macht sich, wer eine Person unter obgenannten Voraussetzungen zur Duldung einer beischlafsähnlichen oder anderen sexuellen Handlung nötigt (vgl. Art. 189 Abs. 1 StGB).
4.a) In der Einstellungsverfügung spricht die Vorinstanz (zunächst) davon, dass die Aussagen des Beschwerdegegners nicht sehr glaubhaft seien und seine Negierung sexueller Absichten klar wahrheitswidrig sei. Er sei offensichtlich bemüht, ihn belastende Umstände auszublenden, als Missgeschick zu erklären, zum «Spiel» umzudeuten oder nicht wahrgenommen zu haben.
Die Schilderungen der Beschwerdeführerin werden hingegen als wesentlich realistischer und insgesamt nachvollziehbarer eingestuft mit dem Vorbehalt, dass sich auch bei ihr verschiedene Unstimmigkeiten ergeben hätten. Diesen Feststellungen kann beigepflichtet werden. Für die Glaubhaftigkeit der Aussagen der Beschwerdeführerin sprechen zudem insbesondere auch der anschliessende Chat mit ihrer besten Freundin wie auch der Chat mit dem Beschwerdegegner.
Werden aber die Aussagen der Beschwerdeführerin als glaubhafter und nachvollziehbarer eingestuft, steht nicht von vornherein fest, dass jedes andere Ergebnis als ein Freispruch ausgeschlossen erscheint bzw. ein Fall von klarer Straflosigkeit vorliegt. Indem die Vorinstanz das Strafverfahren dennoch einstellte – und dies zudem mit eingehender und akribischer Beurteilung tat (die angefochtene Verfügung umfasst 13 Seiten) – überschritt sie das ihr diesbezüglich zustehende Entscheidungsermessen.
Unter solchen Voraussetzungen ist – zumal beim Vorwurf von gravierenden Sexualstraftaten – von einem Zweifelsfall auszugehen und in Anwendung des Grundsatzes «in dubio pro duriore» obliegt es dem Sachrichter, unter eingehender Würdigung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht abschliessend den angezeigten Sachverhalt hinsichtlich Schuld bzw. Nichtschuld des Beschwerdegegners zu beurteilen.
b) Hinzu kommt, dass fraglich erscheint, ob die Aussagen der Beschwerdeführerin tatsächlich derart widersprüchlich sind, wie dies von der Vorinstanz erwogen wurde. So sind die (angeblich widersprüchlichen) Aussagen zum Vorfall vom [ …] 2015 für die Geschehnisse vom [ …] 2015 wohl nicht zentral. Auch die angeblichen Widersprüche bezüglich der Fixierung bzw. des Festhaltens und der damit einhergehenden Wehrlosigkeit und den geschilderten Abwehrhandlungen könnten sich damit erklären lassen, dass der Beschwerdegegner die Beschwerdeführerin teilweise gehalten, teilweise aber nur auf ihr gesessen/gelegen hatte und ihre Abwehrmöglichkeiten daher entsprechend unterschiedlich gross waren.
Ebenso liesse sich der Umstand, dass sie sich nicht früher vom Wohnort des Beschwerdegegners entfernte, damit erklären, dass sie zwar ihre Mutter angerufen hatte, damit diese sie (früher als vereinbart) abhole, die Mutter hingegen nicht früher hat kommen können. Entgegen der Auffassung in der Einstellungsverfügung könnten zudem die Aussagen der Beschwerdeführerin, sie sei zum Beschwerdegegner gegangen, um über den Zusammenbruch von dessen Freundin am Vorabend zu reden, zumal dies auch ihre beste Freundin sei, insbesondere aufgrund des Chatprotokolls durchaus glaubhaft sein. Gleich verhält es sich mit den Aussagen der Beschwerdeführerin, dass sie die kleinen Geschwister des Beschwerdegegners habe sehen wollen, da sie kleine Kinder liebe.
c) Des Weiteren spricht die Einstellungsverfügung den Tathandlungen des Beschwerdegegners die notwendige Gewalt ab. Dass jedoch Festhalten und Fixierung durch «Draufliegen» nicht als Gewalt im Sinne der Bestimmungen von Art. 189 ff. StGB gelten sollen, erscheint fraglich. Die Beschwerdeführerin will sich zudem tätlich gewehrt und dem Beschwerdegegner auch gesagt haben, dass sie dies nicht wolle. Trotz dem Vorhandensein sexueller Themen hat sie sich auch bereits zuvor im Chat immer klar gegen sexuelle Handlungen mit diesem geäussert, da sie einerseits dafür zu jung sei und er andererseits der Freund ihrer besten Freundin sei.
d) Schliesslich bestehen auch Anhaltspunkte, dass dem Beschwerdegegner wohl bewusst sein musste, dass die Beschwerdeführerin die Handlungen nicht wollte. Er selber gab nämlich zu Protokoll, dass die Beschwerdeführerin gesagt habe, er soll aufhören, er habe kurz aufgehört und dann jedoch weitergemacht. Ebenso gab er zu, dass die Beschwerdeführerin ihn weggestossen habe, dass sie (zuerst) nicht gewollt habe, dass sie sich körperlich gewehrt habe und dass sie zu ihm «nein» gesagt habe. Damit kann auch nicht zweifelsfrei davon ausgegangen werden, dass dem Beschwerdegegner der subjektive Tatbestand gefehlt habe.
e) Nicht massgeblich sein kann, ob zuvor im Chat oder auch beim Treffen sexuelle Themen eine Rolle spielten. Selbst wenn dies der Fall gewesen war und dies über das unter den heutigen Jugendlichen übliche Ausmass hinausgegangen wäre, kann und darf darin selbstverständlich kein Freipass für sexuelle Handlungen des Beschwerdegegners gegen den Willen der Beschwerdeführerin erblickt werden. Ebensowenig kann man der Beschwerdeführerin einen (einstellungsbegründenden) Vorwurf in Bezug auf ihre Kleidung machen, auch diese stellt klarerweise keine Erlaubnis für sexuelle Handlungen gegen ihren Willen dar. Massgebend und wesentlich ist, ob die Beschwerdeführerin zum Zeitpunkt der Vornahme die sexuellen Handlungen wollte oder ob sie sich dagegen wehrte sowie verwahrte und ob der Beschwerdegegner dies erkennen konnte, sich jedoch darüber mit strafrechtlich relevanten Nötigungsmitteln hinweggesetzt hat. Daher ist für die strafrechtliche Beurteilung grundsätzlich auch nicht massgebend, ob sich die Beschwerdeführerin trotz des früheren Vorfalls und in Abwesenheit von dessen Mutter alleine zum Beschwerdegegner nach Hause und abseits der Geschwister in den Aufenthaltsraum im Keller begeben hatte. Die jugendliche Beschwerdeführerin scheint wohl darauf vertraut zu haben, dass ihre Äusserungen gegenüber dem Beschwerdegegner, dass sie mit ihm keinen Sex haben wolle, genügen sollten und er dies respektieren werde.
f) Insgesamt sind die Voraussetzungen für den Erlass einer Einstellungsverfügung nicht gegeben. Es steht nicht von vorneherein und mit hinreichender Sicherheit fest, dass jedes andere Ergebnis als ein Freispruch ausgeschlossen erscheint. Bei Sexualdelikten (insbesondere auch unter Jugendlichen) handelt es sich zudem um schwere Delikte, bei welchen eine Anklageerhebung auch vorzunehmen ist, selbst wenn die Wahrscheinlichkeit eines Freispruchs und einer Verurteilung in etwa gleich gross wären.
Entscheid AK.2016.127 der Anklagekammer des Kantons St. Gallen vom 22.6.2016