Grundrechte
Polizeikontrolle verletzt Grundrechte
Das Bezirksgericht Zürich spricht einen Politaktivisten frei. Ihm war vorgeworfen worden, an einem Stand Handynummern registriert zu haben, obwohl nur die Abgabe von Infomaterial bewilligt worden sei. Eine Standbewilligung diene nicht der Inhaltskontrolle.
Sachverhalt:
Die Stadt Zürich erteilte A. mehrere Standbewilligungen. Unter anderem wurde ihm erlaubt, an einem Stand Infomaterial zur Menschenrechtsgruppe «augenauf» und über die Partei der Arbeit (PdA) an Passanten abzugeben sowie Unterschriften für die Initiative für eine soziale Einheitskrankenkasse zu sammeln. Monate später wurde gegen A. eine Bussenverfügung erlassen, weil er gegen Auflagen der Standbewilligung verstossen habe. Die Standaktion sei entgegen der drei eindeutig festgeschriebenen Bewilligungszwecke betrieben worden.
Aus den Erwägungen:
1.Die Einsprachegegnerin würdigte das Verhalten des Einsprechers als Verstoss gegen Art. 37 APV (Allgemeine Polizeiverordnung der Stadt Zürich). Laut Art. 37 APV werden Übertretungen der Allgemeinen Polizeiverordnung oder der Vorschriften anderer von städtischen Behörden oder Amtsstellen erlassenen Verordnungen, Reglementen, Beschlüssen und Verfügungen mit Polizeibusse bis zu 500 Franken bestraft.
3. Gemäss Art. 20 Abs. 2 APV bedarf die über den Gemeingebrauch hinausgehende Benützung des öffentlichen Grundes und des darüber liegenden Luft raumes einer vorherigen Bewilligung des Polizeiamtes. Bei dieser Art von Bewilligung handelt es sich um eine Bewilligung «sui generis». Sie dient nicht oder nur mittelbar dem Schutz der Polizeigüter, sondern der Koordination und Prioritätensetzung zwischen verschiedenen Nutzungen der öffentlichen Sachen (Häfelin/Müller, Zürich 2002, 4. Aufl., N 2405). Die Bewilligung vom 14. September 2004 erlaubte der PdA, im Hinblick auf den 17. September 2004 am Helvetiaplatz in Zürich 4 einen Stand mit Plakatständer aufzustellen und Informationsmaterial zur Menschenrechtsgruppe «augenauf» und über die PdA Passantinnen und Passanten abzugeben sowie Unterschriften für die Initiative für eine soziale Einheitskrankenkasse zu sammeln. Gemäss Ziff. 1.2 unter Auflagen und Bedingungen der Bewilligung dürfen keine weiteren Aktivitäten durchgeführt werden.
Es gilt nun festzustellen, ob das Vorgehen an diesem Infostand, die Abgabe von Informationen über die Möglichkeit der Prepaid-Karten-Registrierung wie auch die Aufnahme der Handynummern von interessierten Personen, gegen die Bewilligung und deren Auflage in Ziff. 1.2 tatsächlich verstossen hat.
B. Entgegennahme der Handynummern:
1.Es kann zunächst festgehalten werden, dass die Entgegennahme von Handynummern nicht mehr eine Abgabe von Informationsmaterial im wörtlichen Sinne darstellt. Aufgrund dessen muss nun untersucht werden, ob diese Aktivität noch als vom Sinn und Zweck der Bewilligung gedeckt angesehen werden kann.
2.Verlangt der Staat für die Ausübung von Grundrechten auf öffentlichem Boden eine Bewilligung, so stellt dies eine Grundrechtseinschränkung dar. Das Bewilligungsverfahren darf nicht der Inhaltskontrolle dienen, sondern muss die Koordination unterschiedlicher, einander tangierender Benützungsanliegen und damit die rechtsgleiche Behandlung Betroffener sicherstellen. Mit der Bewilligung darf die Benützung öffentlichen Grundes im Rahmen der Verhältnismässigkeit von der Einhaltung von Vorschriften abhängig gemacht werden, die dem Schutz anderer Rechtsgüter dienen. Diese Vorschriften dürfen aber nicht der Kontrolle des Inhalts dienen (Jörg Paul Müller, Grundrechte in der Schweiz, Bern 1999, 3. Aufl., S. 213 f.).
Bei einer Erlaubnis im Hinblick auf den gesteigerten Gemeingebrauch von Strassen, und folglich auch von öffentlichen Plätzen, geht es um die Zuteilung von Nutzungsrechten, um «Kontrolle aus Gemeinwohlgründen zum Zwecke optimaler Nutzung eines staatlich dargebotenen Gutes». Sie ist Administrierungs- und Bewirtschaftungsinstrument eines öffentlichen Gutes (Zürcher Studien zum öffentlichen Recht, Urs Saxer, Die Grundrechte und die Benutzung öffentlicher Strassen, Zürich 1988, S. 252). Diese Ausführungen erhellen, dass die Bewilligungspflicht auf dem Gebiet der ideellen Nutzung öffentlichen Grundes grundsätzlich, das heisst, ausser wenn eine unmittelbare, schwere Gefahr für hochwertige Rechtsgüter (wie Leib und Leben) droht, nicht der Inhaltskontrolle dient. Wichtig ist folglich, dass die Polizei genau regeln kann, wo und zu welchen Zeiten in welchem Umfange ein gesteigerter Gebrauch des öffentlichen Gutes beabsichtigt wird. Diese Informationen braucht sie, um die Benutzung entsprechender Orte zu koordinieren. Für eine entsprechende Koordination kann es aber nicht notwendig sein, dass der Ablauf einer Standaktion bis ins letzte Detail bekannt ist. Sinn und Zweck dieser polizeilichen Bewilligung ist nämlich nicht die Inhaltskontrolle.
(Urteil GU060004/U des Einzelrichters des Bezirksgerichts Zürich vom 9. Februar 2006, rechtskräftig)
Konsumkredit
Mangel bei Preistransparenz: Vertrag nichtig
Das Bundesgericht stoppt die Praxis einer Bank, die Mehrwertsteuer bei der Angabe des effektiven Jahreszinses in einem Leasingvertrag ausser Acht zu lassen.
Sachverhalt:
B. schloss mit der Bank X. einen Leasingvertrag über einen gebrauchten Personenwagen ab. Im Vertrag wird der effektive Jahreszins mit 6,06 Prozent angegeben. Darauf teilte B. der Bank X. schriftlich mit, dass er das geleaste Fahrzeug zurückgeben wolle und nichts mehr bezahlen werde. Der Leasingvertrag sei nichtig, weil der Leasingzins falsch angegeben werde. Gemäss der Formel des Konsumkreditgesetzes betrage der Zins 8,934 Prozent und nicht wie im Vertrag aufgeführt 6,06 Prozent
B. reichte darauf beim Bezirksgericht Zürich Klage gegen die Bank X. ein mit dem Rechtsbegehren, es sei festzustellen, dass der zwischen den Parteien abgeschlossene Leasingvertrag ungültig sei. Die Bank X. erhob Widerklage mit dem Antrag, der Kläger sei zur Zahlung von Fr. 31334.40 nebst Zins zu verpflichten. B. zog seine Klage zurück.
Mit Beschluss vom 15. April 2005 schrieb das Bezirksgericht Zürich die Hauptklage als durch Rückzug erledigt ab. Mit Urteil vom gleichen Tag hiess es die Widerklage im Umfang von Fr. 5569.40 nebst Zins gut und wies sie im Mehrbetrag ab. Die von der Bank X. dagegen erhobene Berufung wies das Obergericht ab. Die Bank X. zog den Fall an Bundesgericht weiter.
Aus den Erwägungen:
2.2 Von Interesse sind im vorliegenden Fall die auf den Leasingvertrag anwendbaren Bestimmungen des KKG betreffend die Form und den Inhalt des Vertrages sowie betreffend die Berechnung des effektiven Jahreszinses. Danach muss der schriftlich abzuschliessende Leasingvertrag namentlich folgende Angaben enthalten (Art. 11 Abs. 1 und 2 lit. a, b und e KKG): Die Beschreibung der Leasingsache und ihren Barkaufpreis im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses sowie die Anzahl, die Höhe und die Fälligkeit der Leasingraten und den effektiven Jahreszins.
Der effektive Jahreszins wird im ersten Abschnitt des KKG, welcher die verwendeten Begriffe in allgemeiner Form definiert, wie folgt umschrieben (Art. 6 KKG): Der effektive Jahreszins drückt die Gesamtkosten des Kredits für die Konsumentin oder den Konsumenten in Jahresprozenten des gewährten Kredits aus. Die Gesamtkosten werden ihrerseits in Art. 5 KKG als sämtliche Kosten definiert, welche die Konsumentin oder der Konsument für den Kredit einschliesslich der Zinsen und sonstigen Kosten bezahlen muss. Diese Definitionen stimmen inhaltlich – und auch zum grössten Teil wörtlich – mit jenen der bereits erwähnten Änderungsrichtlinie Nr. 90/88 vom 22. Februar 1990 überein (Koller-Tumler, Basler Kommentar, Obligationenrecht I, 2. Auflage, Basel 1996, N. 1 zu Art. 4/5 aKKG).
Gemäss Art. 33 Abs. 4 KKG wird bei Leasingverträgen der effektive Jahreszins auf der Grundlage des Barkaufpreises der Leasingsache bei Vertragsabschluss (Kalkulationsbasis) und bei Vertragsende (Restwert) sowie der einzelnen Tilgungszahlungen (Leasingraten) berechnet. Ebenfalls auf Leasingverträge anwendbar ist die allgemein für Konsumkreditverträge geltende Bestimmung von Art. 34 KKG. Deren erster Absatz erklärt zunächst die Definition der Gesamtkosten gemäss Art. 5 KKG als für die Berechnung des effektiven Jahreszinses massgebend, wobei ergänzt wird, dass der Kaufpreis einzuschliessen ist. Im zweiten Absatz werden sodann die Kosten aufgezählt, die bei der Berechnung nicht zu berücksichtigen sind. Darunter fallen insbesondere solche Kosten, «welche die Konsumentin oder der Konsument durch den Erwerb von Waren oder Dienstleistungen unabhängig davon zu tragen hat, ob es sich um ein Bar- oder um ein Kreditgeschäft handelt» (Art. 34 Abs. 2 lit. b KKG). Auch diese Vorschriften – das heisst Art. 34 Abs. 1 und Abs. 2 lit. b KKG – sind inhaltlich mit den entsprechenden Bestimmungen der Änderungsrichtlinie Nr. 90/88 vom 22. Februar 1990 identisch (Koller-Tumler, a. a. O., N. 4 zu Art. 16/17 aKKG).
2.3 Die Angabe des effektiven Jahreszinses im Leasingvertrag vom 4./5. März 2003 mit 6,06 Prozent beruht auf der Annahme, dass bei allen Rechnungsposten (Barkaufpreis, Leasingraten, Rest- wert) die Mehrwertsteuer nicht zu berücksichtigen ist. Die Vorinstanz ist dagegen zum Ergebnis gekommen, dass die Leasingraten samt Mehrwertsteuer in die Rechnung einzusetzen sind, was unter Anwendung der gemäss Art. 33 Abs. 1 KKG vorgeschriebenen Formel zu einem effektiven Jahreszins von 8,32 Prozent führt.
4.2 In Bezug auf den Rechnungsposten «Leasingraten» verhält es sich wie folgt: Dazu ist in steuerrechtlicher Hinsicht zu-nächst festzuhalten, dass als Lieferung im Sinne von Art. 5 lit. a MWSTG auch die Überlassung eines Gegenstandes zum Gebrauch oder zur Nutzung gestützt auf einen Leasingvertrag gilt (Art. 6 Abs. 2 lit. b MWSTG; Camenzind/Honauer/Vallender, a. a. O., Rz. 231).
Daraus ergibt sich eine Steuerpflicht des Leasinggebers für das Entgelt, das er im Leasingvertrag mit dem Leasingnehmer vereinbart hat (Camenzind/Honauer/Vallender, a. a. O., Rz. 239 f.; Rolf Daniel Geier, Die Behandlung von Leasinggeschäften im schweizerischen MWST-Recht, in: Der Schweizer Treuhänder, 2001, S. 865–872, insbes. S. 865 und 867). Die entsprechende Steuer hat die Beklagte im Leasingvertrag vom 4./5. März 2004 dem Kläger denn auch belastet: Er musste die Leasingraten samt 7,6 Prozent Mehrwertsteuer bezahlen.
Diese Steuer hat ihre Grundlage und Ursache im Leasingvertrag der Parteien. Sie wäre im Falle des Barkaufs des Fahrzeuges von der Beklagten zu dem im Leasingvertrag angegebenen «Barkaufpreis» von 50 000 Franken nicht angefallen. Es ist deshalb unter dem Gesichtspunkt von Art. 34 Abs. 2 lit. b KKG richtig, für die Berechnung des effektiven Jahreszinses beim Rechnungsposten «Leasingraten» den Betrag von Fr. 828.40 monatlich einzusetzen, das heisst, die dem Kläger in Rechnung gestellte Mehrwertsteuer zu berücksichtigen.
5. Unter diesen Umständen ist mit der Vorinstanz davon auszugehen, dass die Angabe des «effektiven Jahreszinses» im Leasingvertrag der Parteien mit 6,06 Prozent gesetzeswidrig ist und auf 8,32 Prozent hätte lauten sollen. Dieser Formmangel kann entgegen der Auffassung der Beklagten nicht als blosser Rechnungsfehler im Sinne von Art. 24 Abs. 3 OR betrachtet und korrigiert werden. Es handelt sich dabei nicht um ein Versehen, das den Parteien bei der Umrechnung vertraglicher Unterlagen gemeinsam unterlaufen ist (BGE 119 II 341 E. 2 S. 343 mit Hinweisen). Die Berechnung ist vielmehr mathematisch korrekt vorgenommen worden, hat jedoch zu einem falschen Resultat geführt, weil beim Rechnungsposten «Leasingraten» ein die Vorschriften des KKG verletzender Betrag eingesetzt wurde. Darin liegt wegen eines Verstosses gegen Art. 11 KKG ein Formmangel des Leasingvertrages, der gemäss Art. 15 Abs. 1 KKG zu einer Vertragsnichtigkeit sui generis führt, die nach Art 15 Abs. 4 KKG darin besteht, dass der Leasingnehmer den geleasten Gegenstand zurückgeben muss und die Leasingraten zu zahlen hat, die bis zur Rückgabe geschuldet sind (zum Ganzen Favre-Bulle, a. a. O., N. 4 zu Art. 15 KKG, N. 7 zu Art. 33 KKG, N. 4 zu Art. 37 KKG; Koller-Tumler, a. a. O., N. 3 zu Art. 18 aKKG).
(Urteil 4C.58/2006 der I. Zivilabteilung des Bundesgerichts vom 13. Juni 2006)
Sozialversicherungen
Mitwirkungsrechte auch bei Medas-Gutachten
Wenn die IV ein Gutachten einholen will, muss sie vorgängig die Namen der Gutachter bekannt geben. Das EVG stellt klar, dass dies auch für Gutachten von medizinischen Beratungsstellen (Medas) gilt.
Sachverhalt:
In einem laufenden Einspracheverfahren teilte die IV-Stelle dem Versicherten R. am 13. Januar 2005 mit, es sei eine medizinische Abklärung notwendig. Diese werde von der Abklärungsstelle X., Dr. Y., durchgeführt. Der Zeitpunkt werde mit ihm vereinbart. Triftige Einwendungen gegen die begutachtende Person und allfällige Gegenvorschläge seien innert zehn Tagen bei der IV-Stelle schriftlich einzureichen. Mit Eingabe vom 21. Januar 2005 teilte R. der IV-Stelle mit, er sei mit der Abklärungsstelle X. nicht einverstanden und rügte Verfahrensmängel. Mit Schreiben vom 11. Februar 2005 hielt die IV-Stelle an der Begutachtungsstelle fest. Am 28. Februar 2005 forderte sie den Versicherten auf, die Medas-Vollmacht zu unterzeichnen. Daraufhin ersuchte R. die IV-Stelle am 10. März 2005 um Erlass einer beschwerdefähigen Verfügung. Mit Verfügung vom 1. April 2005 hielt diese an der Abklärung durch die Abklärungsstelle X. fest.
R. erhob dagegen Beschwerde ans Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich. Dieses hiess die Beschwerde mit gut und wies die Sache an die Verwaltung zurück, damit diese im Sinne der Erwägungen neu verfüge. Sowohl das Bundesamt für Sozialversicherungen als auch R. erhoben dagegen Beschwerde ans Eidgenössische Versicherungsgericht.
Aus den Erwägungen:
2.5In BGE 132 V 93 hat das Eidgenössische Versicherungsgericht erwogen, der Anordnung einer Begutachtung komme kein Verfügungscharakter zu. Um eine solche Anordnung handelt es sich beim Verwaltungsakt vom 13. Januar 2005. Mit diesem wurde gegenüber der versicherten Person lediglich formlos mittels Realakt die vorgesehene Beweismassnahme eröffnet. Erhebt diese keine Einwendungen, bleibt es dabei und es ist keine Verfügung zu treffen. Weiter hat das Gericht im erwähnten Urteil ausgeführt, zu unterscheiden sei zwischen der Anordnung einer Expertise und dem Entscheid über die in der Folge geltend gemachten Ausstands- und Ablehnungsgründe gegenüber der Person des Gutachters. Erhebt die versicherte Person substanziierte Einwendungen, welche eine Befangenheit der an der Begutachtung mitwirkenden sachverständigen Person im Sinne gesetzlicher Ausstands- und Ablehnungsgründe zu begründen vermögen, hat der Versicherungsträger darüber eine Verfügung zu erlassen. Im vorerwähnten Entscheid BGE 132 V 93 hat das Eidgenössische Versicherungsgericht daran festgehalten, dass Verfügungen, mit denen substanziiert vorgetragene gesetzliche Ausstands- und Ablehnungsgründe abgelehnt wurden, selbständig anfechtbar sind, weil sie für die versicherte Person einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken können.
Zu Einwendungen anderer Art wie etwa mangelnde Qualität der mitwirkenden Sachverständigen und Anderes hat der Versicherungsträger im Rahmen der Beweiswürdigung im Endentscheid Stellung zu nehmen.
2.6 Mit der Verfügung vom 1. April 2005 wurde dem Versicherten nur die Gutachterstelle genannt, ohne anzugeben, welche Fachärzte an der Begutachtung mitwirken würden. Er konnte daher nicht erkennen, ob eine unbefangene Beurteilung seines Gesundheitszustandes gewahrt sein werde. Stellt die Ernennung eines Sachverständigen einen selbständig anfechtbaren Zwischen entscheid dar, sofern die versicherte Person substanziiert gesetzliche Ausstandsgründe geltend gemacht hat und diese abgewiesen werden, muss dasselbe auch gelten, wenn ihr gar keine Gelegenheit gegeben worden ist, Ausstandsgründe vorzubringen, weil ihr die Namen der Gutachter nicht bekannt gegeben worden sind. Diese zu kennen, ist für den Betroffenen unabdingbar, um die Einhaltung der Ausstandsvorschriften überprüfen zu können.
2.7 Hinzu kommt, dass aus verfahrensrechtlichen, insbesondere prozessökonomischen Gründen über substanziiert vorgetragene gesetzliche Ausstandsgründe mög- lichst vorab und nicht erst zusammen mit dem Entscheid in der Sache zu befinden ist. Ein solches Vorgehen trägt zugleich der Obliegenheit der Verfahrensbeteiligten Rechnung, Ausstandsgründe zu rügen, sobald sie von diesen Kenntnis haben. Andernfalls läuft die anordnende Behörde Gefahr, dass ihr Sachentscheid in einem anschliessenden Rechtsmittelverfahren wegen der Verletzung von Ausstandsgründen als Ganzes aufgehoben wird (BGE 132 V 106 Erw. 6.2). Auch prozessökonomische Gründe sprechen somit für ein Eintreten auf die gegen die Verfügung vom 1. April 2005 gerichtete Beschwerde.
3. Nach dem unter der Überschrift «Verfügbare Dienste» stehenden Art. 59 Abs. 3 IVG (in der seit 1. Januar 2004 in Kraft stehenden Fassung) können die IV-Stellen Spezialisten der privaten Invalidenhilfe, Experten, medizinische und berufliche Abklärungsstellen sowie Dienste anderer Sozialversicherungsträger beiziehen. Sind die versicherungsmässigen Voraussetzungen erfüllt, so beschafft sich die IV-Stelle gemäss Art. 69 Abs. 2 IVV (in der seit 1. Januar 2003 in Kraft stehenden Fassung) die erforderlichen Unterlagen, insbesondere über den Gesundheitszustand, die Tätigkeit, die Arbeits- und Eingliederungsfähigkeit des Versicherten sowie die Zweckmässigkeit bestimmter Eingliederungsmassnahmen. Zu diesem Zwecke können Berichte und Auskünfte verlangt, Gutachten eingeholt, Abklärungen an Ort und Stelle vorgenommen sowie Spezialisten der öffentlichen oder privaten Invalidenhilfe beigezogen werden. Laut Art. 72bis IVV (in der seit 1. Januar 1979 unverändert in Kraft stehenden Fassung) trifft das Bundesamt mit Spitälern oder anderen geeigneten Stellen Vereinbarungen über die Errichtung von medizinischen Abklärungsstellen, welche die zur Beurteilung von Leistungsansprüchen erforderlichen ärztlichen Untersuchungen vornehmen. Es regelt Organisation und Aufgaben dieser Stellen und die Kostenvergütung. Somit können die IV-Stellen auch nach dem In-krafttreten des ATSG sowohl natürliche Personen als Einzelgutachter wie auch medizinische Abklärungsstellen als Institutionen zur Durchführung ihrer Aufgaben beiziehen.
Dies ist auch die Auffassung des BSV, das darauf hinweist, dass ansonsten Art. 59 Abs. 2 IVG (seit 1. Januar 2004: Abs. 3) und Art. 72bis IVV hätten abgeändert oder aufgehoben werden müssen. Bei der Abklärungsstelle X. handelt es sich um eine solche Medas.
4.1 Art. 44 ATSG hat folgenden Wortlaut: «Muss der Versicherungsträger zur Abklärung des Sachverhalts ein Gutachten einer oder eines unabhängigen Sachverständigen einholen, so gibt er der Partei deren oder dessen Namen bekannt. Diese kann den Gutachter aus triftigen Gründen ablehnen und kann Gegenvorschläge machen.»
5. Zu prüfen ist auf dem Wege der Auslegung, ob medizinische Abklärungsstellen unter den Anwendungsbereich von Art. 44 ATSG fallen.
6.1 Nach dem Wortlaut von Art. 44 Satz 1 ATSG hat der Versicherungsträger der versicherten Person die Namen bekannt zu geben, wenn ein Gutachten «einer oder eines unabhängigen Sachverständigen» («un expert indépendant», «un perito indipendente») eingeholt wird.
Laut Satz 2 dieser Bestimmung kann die versicherte Person «den Gutachter» («l’expert», «il perito») aus triftigen Gründen ablehnen. Gemäss IV-Rundschreiben Nr. 200 des BSV vom 18. Mai 2004 findet aufgrund des Wortlautes des Gesetzes Art. 44 ATSG nur in denjenigen Fällen Anwendung, in denen ein Gutachten bei einem oder einer Sachverständigen und somit bei einer natürlichen Person, nicht aber bei einer Institution wie der Medas in Auftrag gegeben wird. Indem im zweiten Satz von Art. 44 ATSG (in der deutschsprachigen Fassung) nicht mehr zwischen männlicher und weiblicher Form unterschieden wird, liegt jedoch der Gedanke nahe, der Gesetzgeber habe den Begriff des Gutachters in einem funktionellen Sinn gebraucht.
Darunter ist somit zu verstehen, wer (als beauftragtes Subjekt) ein Gutachten erstellt und dafür verantwortlich zeichnet. Sachverständiger («expert», «perito») bedeutet demnach zum einen das mit der Begutachtung beauftragte Subjekt und zum andern die natürliche Person, die das Gutachten erarbeitet. Die fehlende Erwähnung der Abklärungsstellen in Art. 44 ATSG lässt daher nicht darauf schliessen, die Bestimmung sei nicht anwendbar, wenn der Auftrag an eine Institution erteilt wird, da diese im so verstandenen Begriff des Gutachters enthalten ist. Ebenso wenig kann nach dem Gesagten aus dem Gebrauch der männlichen und weiblichen Form für den Sachverständigen in Satz 1 von Art. 44 ATSG abgeleitet werden, als Gutachter oder Sachverständiger im Sinne der Gesetzesbestimmung komme nur eine natürliche Person, nicht aber eine Abklärungsstelle in Frage.
6.2Sodann muss es sich nach dem Wortlaut von Art. 44 ATSG um einen «unabhängigen» («indépendant», «indipendente») Sachverständigen handeln. Nach dem bereits erwähnten IV-Rundschreiben Nr. 200 vom 18. Mai 2004 schliesst die Formulierung «unabhängiger Sachverständiger» verwaltungsinterne Personen aus. Zur Begründung wird auf Andreas Freivogel (Zu den Verfahrensbestimmungen des ATSG, in: Schaffhauser/Kieser [Hrsg.], Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts [ATSG], St. Gallen 2003, S. 89) verwiesen. Gemäss diesem ist als Auslegungshilfe BGE 123 V 331 beizuziehen.
Danach seien «unabhängige Sachverständige» Drittpersonen, die aufgrund ihrer besonderen Fachkenntnisse zur Aufklärung des Sachverhalts beigezogen werden. Keine unabhängigen Sachverständigen in diesem Sinne seien dagegen verwaltungsinterne Personen, die eine Verfügung treffen oder vorbereiten (Andreas Freivogel, a. a. O., S. 101). Nach dieser Lehrmeinung kommt Unabhängigkeit dem verwaltungsexternen Sachverständigen zu. Demgegenüber vertritt Kieser (ATSG-Kommentar, N 6 f. zu Art. 44) die Auffassung, der Gesetzgeber habe mit dem Begriff der Unabhängigkeit nicht die Stellung des Gutachters (versicherungsintern oder -extern) gemeint, sondern dessen Unabhängigkeit. Die Anwendung von Art. 44 ATSG auf Medas-Gutachten hat Kieser im Rahmen eines Podiumsgesprächs befürwortet (siehe: «Unhaltbare Zustände bei den Medas», in: plädoyer 03/4, S. 9). Zumindest dem Wortlaut nach hat der Gesetzgeber nicht eine Unterscheidung zwischen verwaltungsinternen und -externen Gutachten vorgenommen, sondern das Kriterium der Unabhängigkeit verwendet. Ob eine solche Unterscheidung überhaupt zu treffen ist, braucht im vorliegenden Fall nicht geprüft zu werden. Für die vorliegend streitigen Belange genügt vielmehr die Feststellung, dass es sich bei der Medas gemäss der auch nach dem Inkrafttreten des ATSG weiterhin geltenden Rechtsprechung des Eidgenössischen Versicherungsgerichts (BGE 123 V 175) um eine unabhängige und unparteiliche Gutachterstelle handelt. Die Medas als Institution erfüllt damit das Erfordernis der Unabhängigkeit, weshalb vom Wortlaut her einer Anwendung von Art. 44 ATSG auf diese Begutachtungsstellen nichts entgegensteht.
7.1Die Gesetzesmaterialien enthalten keine klaren Aussagen hinsichtlich der Frage, ob Art. 44 ATSG auf medizinische Abklärungsstellen Anwendung findet. Die Kommission des Nationalrates für soziale Sicherheit und Gesundheit ging im Bericht vom 26. März 1999 zur Parlamentarischen Initiative Sozialversicherungsrecht davon aus, dass die Invalidenversicherung im Bereich Gutachten ein «geschlossenes Sys tem» hat. Art. 44 ATSG (damals noch Art. 52 des Entwurfs) könne dazu führen, dass dieses System in Einzelfällen durchbrochen werde. Die Kommission sah aber im Interesse der einheit lichen Anwendung des ATSG keine Abweichung im IVG vor (BBl 1999 4602). Nach Ansicht des BSV kann dies nur bedeuten, dass Art. 44 ATSG in der Invalidenversicherung nur zur Anwendung kommen soll, wenn gleich wie in der Unfall- und der Militärversicherung ein einzelner Arzt oder eine Ärztin als Sachverständige mit einem Gutachten beauftragt werden, nicht hingegen, wenn der Auftrag beispielsweise an eine Medas geht. Das «geschlossene System» bezieht sich jedoch auf den Kreis der Gutachter (Medas), nicht auf das dabei zu beachtende Verfahren.
Nach der damals geltenden Rechtsordnung (siehe BGE 125 V 401) wurde bezüglich der Mitwirkungsrechte, die nun durch Art. 44 (Art. 52 des Entwurfs) ATSG geregelt sind, nicht zwischen Gutachten unterschieden, die von natürlichen Personen erstellt werden, und solchen, mit denen eine Abklärungsstelle betraut wurde. Sie waren altrechtlich in beiden Fällen nicht zu gewähren. Die Durchbrechung des «geschlossenen Systems» kann daher nur so gemeint sein, dass durch die Einräumung von Mitwirkungsrechten die Begutachtung durch eine Medas in Einzelfällen von der versicherten Person mit Erfolg abgelehnt werden kann und durch eine natürliche Person erfolgen muss oder dass es einer Medas in Einzelfällen nicht möglich sein könnte, rechtzeitig die Namen der an der Begutachtung mitwirkenden Ärztinnen und Ärzte mitzuteilen und sie daher auf die Begutachtung verzichten muss. Es kann daraus jedoch nicht geschlossen werden, dass bei einer Begutachtung durch die Medas grundsätzlich keine Mitwirkungsrechte einzuräumen sind.
7.2Die Kommission des Ständerates führt im Bericht vom 27. September 1990 zur Parlamentarischen Initiative Allgemeiner Teil Sozialversicherung zu Art. 52 des Entwurfs aus, Gutachten von unabhängigen Sachverständigen seien in der Sozialversicherung nicht selten, doch sei das «Gutachterrecht» im VwVG und in einzelnen Sozialversicherungsgesetzen unterschiedlich ausgestaltet. Die vorliegende einheitliche Regel sei einfach und wahre die Rechte der Partei (BBl 1991 II 261). Das Militärversicherungsgesetz sah in Art. 93 Abs. 1 MVG eine fast gleiche Regel vor. Die Kommission des Nationalrates schlug daher dessen Aufhebung vor. Mit Bezug auf die Invalidenversicherung stellte sie fest, dass sich keine entsprechende Norm auf Gesetzes ebene findet (BBl 1999 4601).
7.3 Sinn und Zweck von Art. 44 ATSG ist es somit, die Mitwirkungsrechte der Versicherten einheitlich auszugestalten. Die Bestimmung steht im 2. Abschnitt «Sozialversicherungsverfahren» des 4. Kapitels «Allgemeine Verfahrensbestimmungen». Die Bekanntgabe der Namen dient dem Ziel, das Abklärungsverfahren der Sozialversicherer derart zu vereinheitlichen, dass dieses nicht im Nachhinein wegen formeller Mängel in Zweifel gezogen und das Gutachten nachträglich wegen gesetzlicher Ausstands- und Ablehnungsgründe in der Person des Gutachters als beweisuntauglich erklärt werden muss.
Die Nichtbeachtung der Ausstandspflicht stellt in der Regel eine schwerwiegende Verletzung der Verfahrensvorschriften dar und hat deshalb ungeachtet der materiellen Interessenlage die Aufhebung des unter Mitwirkung einer ausstandspflichtigen Person gefassten Entscheids zur Folge (Kölz/Bosshart/Röhl, Kommentar zum Verwaltungsrechtspflegegesetz des Kantons Zürich, 2. Aufl., Zürich 1999, N 7 zu § 5a). Aus verfahrensökonomischen Gründen ist es daher angebracht, über den Ausstand möglichst vorab und nicht erst zusammen mit dem Entscheid in der Sache zu befinden. Die Geltendmachung von Ausstandsgründen, wie sie insbesondere Art. 36 Abs. 1 ATSG vorsieht, setzt die Kenntnis der Namen des oder der in Frage kommenden Gutachter voraus. Fehlen Angaben über die Person des Sachverständigen, kann die betroffene Person ihre dort verankerten Ansprüche nicht wirksam oder allenfalls zu spät geltend machen. Zwischen dem Gutachten eines Sachverständigen als natürliche Person und dem einer Begutachtungsstelle besteht insofern kein Unterschied, als beide der fachärztlichen Beurteilung eines medizinischen Sachverhalts zuhanden des auftraggebenden Versicherungsträgers dienen, worauf bereits die Vorinstanz hingewiesen hat.
Das Medas-Gutachten zeichnet sich zudem durch die polydisziplinäre Zusammenarbeit mehrerer Experten aus. Bei Vorliegen von Ausstandsgründen in der Person eines oder mehrerer Fachärzte ist dem von einer Institution erstellten Gutachten genauso der Beweiswert abzusprechen wie der von einer Einzelperson erstellten Expertise. Insbesondere ist einem Ausstands- oder Ablehnungsgrund gegen einen von mehreren Experten kein geringeres Gewicht beizumessen als einem solchen gegen einen Facharzt, der ein Gutachten als Einzelperson erstellt. Es verhält sich in diesem Punkt ähnlich wie bei einem Gericht, wo in der Person von Richterinnen und Richtern liegende Ausstands- und Ablehnungsgründe nicht ein unterschiedliches Gewicht haben, je nachdem, ob sie als Mitglied eines Spruchkörpers oder als Einzelrichter tätig sind. Für Sachverständige gelten grundsätzlich die gleichen Ausstands- und Ablehnungsgründe, wie sie für Richter vorgesehen sind (BGE 120 V 364) Auch bei einer Begutachtungsstelle nehmen letztlich eine oder mehrere natürliche Personen die Begutachtung vor. Es besteht daher kein sachlicher Grund, die Anwendung von Art. 44 ATSG auf Gutachten zu beschränken, die von einer Einzelperson selb ständig und in eigenem Namen erstellt werden. Andernfalls wäre es dem Belieben der Versicherer überlassen, mit der Wahl der Gutachter darüber zu befinden, ob die versicherte Person ihre Mitwirkungsrechte wahren kann oder nicht. Dies kann unter dem Aspekt des Rechtsgleichheitsgrundsatzes nicht Sinn und Zweck der Bestimmung sein.
8.1 Es liegt jedoch nicht nur im Interesse der versicherten Person, allenfalls vor der Begutachtung Ablehnungsgründe geltend machen zu können. Auch für die Versicherungsträger erweist es sich als vorteilhaft, wenn sie da rüber befinden können, bevor der in der Regel arbeits- und zeitaufwändige Prozess einer interdisziplinären Begutachtung durch eine Medas seinen Lauf nimmt. Oft erfahren sie nämlich erst aufgrund der vorgebrachten Einwände vom Vorliegen von Ausstands- und Ablehnungsgründen in der Person des oder der Begutachtenden.
8.4 Art. 44 ATSG regelt den Zeitpunkt der Bekanntgabe der Namen der sachverständigen Personen nicht ausdrücklich. Vom Normzweck her ist jedoch von einer vorgängigen Mitteilung auszugehen. Denn nur so wird gewährleistet, dass die Mitwirkungsrechte ihre Funktion erfüllen (Kieser, ATSG-Kommentar, N 10 zu Art. 44). Die Bestimmung fordert indessen nicht, dass die Namensnennung gleichzeitig mit der Anordnung der IV-Stelle über die durchzuführende Begutachtung zu erfolgen hat. Ein Zusammenlegen der beiden Mitteilungen ist zwar zweckmässig und rationell, jedoch im Rahmen der Begutachtung durch eine Medas aus sachlichen Gründen oftmals nicht praktikabel. Es muss daher genügen, wenn die Namen der Gutachter der versicherten Person erst zu einem späteren Zeitpunkt eröffnet werden. In jedem Fall muss dies aber frühzeitig genug erfolgen, damit sie in der Lage ist, noch vor der eigentlichen Begutachtung ihre Mitwirkungsrechte wahrzunehmen.
Es rechtfertigt sich daher, die jeweilige Begutachtungsstelle damit zu beauftragen. Sie ist am ehesten in der Lage, die Namen der mit der Abklärung befassten Gutachter zu nennen, und sie kann diese zusammen mit dem konkreten Aufgebot oder jedenfalls möglichst frühzeitig der versicherten Person bekannt geben. Diese wird ihre Einwände alsdann gegenüber der IV-Stelle geltend machen können, welche darüber noch vor der eigentlichen Begutachtung zu befinden haben wird. Bei einem solchen Vorgehen stehen auch praktische Gründe einer Anwendung von Art. 44 ATSG auf Medas-Gutachten nicht entgegen.
9.Die IV-Stellen werden somit künftig im Sinne von BGE 132 V 93 in Form einer einfachen Mitteilung an die versicherte Person ein Medas-Gutachten anordnen. Dabei handelt es sich um einen Realakt und nicht um eine beschwerdefähige Verfügung. Sind der IV-Stelle die Namen der begutachtenden Personen aufgrund der besonderen Situation bei den Medas zu diesem Zeitpunkt nicht bekannt, wird sie dies der versicherten Person mitteilen mit dem Hinweis, dass ihr diese zu einem späteren Zeitpunkt direkt von der Begutachtungsstelle genannt würden und sie dannzumal allfällige Einwendungen der IV-Stelle gegenüber geltend machen könne. Die Medas wird alsdann zusammen mit dem konkreten Aufgebot oder rechtzeitig, bevor sie das Gutachten an die Hand nimmt, die Namen der mit dem Begutachtungsauftrag befassten Fachärzte und ihre fachliche Qualifikation bekannt geben. Allfällige Einwendungen wird die versicherte Person jedoch nicht gegenüber dieser, sondern nur gegenüber der dafür zuständigen IV-Stelle geltend zu machen haben. Handelt es sich dabei um gesetzliche Ausstands- und Ablehnungsgründe, wird diese mittels einer beschwerdefähigen Verfügung darüber zu befinden haben.
(Urteil I 686/05 und I 698/05 der I. Kammer des Eidgenössischen Versicherungsgerichts vom 14. Juli 2006)
Strafrecht
Berechnung der Verjährung fehlerhaft
Das Obergericht des Kantons Solothurn zwingt die Staatsanwaltschaft im Fall einer eingestürzten Tiefgarage zu weiteren Ermittlungen. Fehlerhafte Bauhandlungen seien zwar verjährt, nicht aber die unterlassene Beseitigung des gefährlichen Zustandes.
Sachverhalt:
Am 27. November 2004 stürzte in Gretzenbach die Decke einer Tiefgarage ein. Dadurch wurden sieben Feuerwehrleute, die einen Brand an einem Auto in der Tiefgarage löschen wollten, getötet. Drei Feuerwehrleute konnten geborgen werden, zwei von ihnen wurden verletzt. Die Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn eröffnete ein Strafverfahren gegen unbekannt. Sie gelangte zur Auffassung, allfällige Delikte seien verjährt und stellte das Verfahren mit Verfügung vom 11. Januar 2006 ein. Die drei Feuerwehrmänner, die lebend geborgen werden konnten, und Angehörige der verstorbenen Feuerwehrmänner erhoben gegen diese Verfügung Beschwerde an die Beschwerdekammer des Obergerichts des Kantons Solothurn.
Aus den Erwägungen:
7.a)Die den meisten Straftatbeständen zugrunde liegende Pflicht, nicht in fremde Rechtsgüter einzugreifen bzw. letztere zu gefährden, kann in der Regel nicht nur durch aktives Handeln, sondern auch durch Unterlassen verletzt werden. Das geltende schweizerische Recht enthält jedoch für diese Pflichtverletzung keine allgemeine gesetzliche Regelung, sondern lediglich einzelne Spezialtatbestände. Dennoch ist in der Rechtsprechung und Lehre unbestritten, dass auch unechte Unterlassungsdelikte geahndet werden müssen. Ein unechtes Unterlassungsdelikt ist gegeben, wenn im Gesetz wenigstens die Herbeiführung des Erfolgs durch Tun ausdrücklich mit Strafe bedroht wird, der Beschuldigte durch sein Tun den Erfolg tatsächlich hätte abwenden können und infolge seiner Rechtsstellung dazu auch so sehr verpflichtet war, dass die Unterlassung der Erfolgsherbeiführung durch aktives Tun gleichwertig erscheint. Erforderlich ist mithin eine qualifizierte Rechtspflicht zum Handeln (Garantenpflicht), eine besondere Rechtsstellung (Garantenstellung).
Rechtsprechung und herrschende Lehre unterscheiden im Wesentlichen zwischen Garanten pflichten, die auf den Schutz eines bestimmten Rechtsgutes gegen alle ihm drohenden Gefahren gerichtet sind (Obhuts- oder Beschützerpflichten), und Garantenpflichten, die auf die Abwendung aller von einer bestimmten Gefahrenquelle ausgehenden Bedrohungen gerichtet sind (Überwachungs- oder Sicherungspflichten). Eine Garantenstellung kann sich unter anderem aus Gesetz, Vertrag oder Ingerenz ergeben (Kurt Seelmann, Basler Kommentar, Strafgesetzbuch I, 2003, Art. 1 N 40; Urteil 6S.449/2004 vom 21. September 2005, Erw. 4 mit Hinweisen).
b)Die Frist für die Verfolgung eines Unterlassungsdelikts beginnt mit dem Tag, an welchem oder – wenn die Pflicht zum Handeln sich über eine bestimmte Zeitspanne erstreckt – bis zu welchem der Täter hätte handeln sollen. Bei den unechten Unterlassungsdelikten ist der Zeitpunkt ausschlaggebend, an welchem der Garant hätte handeln sollen. Wenn die Garantenpflicht unbestimmte Zeit dauert, so beginnt die Verfolgungsverjährung in dem Zeitpunkt zu laufen, in dem der Erfolg des Unterlassungsdelikts eingetreten ist (Peter Müller, Basler Kommentar, a. a. O., Art. 71 N 7). In BGE 122 IV 61 hat das Bundesgericht entschieden, dass die Verjährung erst am Unfalltag zu laufen beginnt, wenn ein Verantwortlicher den Betrieb einer fehlerhaften Anlage aufrechterhält, obwohl er Kenntnisse von technischen Problemen hatte.
c)Die Staatsanwaltschaft geht aufgrund der bisher getätigten Ermittlungen davon aus, dass der Einsturz durch verschiedene Fehler im Rahmen der Planung und Ausführung des Baus der Einstellhalle verursacht worden sei. Grundsätzlich könne von drei Fehlerbereichen ausgegangen werden: Planungsfehler des Ingenieurs, Fehler bei der Ausführung der Stützenköpfe, Anbringen einer zu hohen Überschüttung gegenüber der Berechnung des Ingenieurs. Das Zusammenspiel dieser drei Faktoren habe in Verbindung mit dem Brand zum Einsturz der Halle geführt. Zumindest der Umstand der zu hohen Überschüttung scheine in der Zeit von Oktober 1990 bis März 1991 sowohl dem Ingenieur als auch dem bauleitenden Architekten und dem Bauherrn bekannt gewesen zu sein.
In verjährungsrechtlicher Hinsicht vertritt der Staatsanwalt mit Verweis auf Riklin (zum Straftatbestand des Art. 229 StGB, in BR 1985, S. 50) die Auffassung, dass das Bestehenlassen einer im Sinne von Art. 117, 125 oder 227 durch sorgfaltswidrige Handlungen geschaffenen Gefahrenlage als mitbestrafte Nachtat anzusehen sei, welche keine neue Verjährungsfrist auslöse. Dieser Auffassung kann aus folgenden Gründen so nicht gefolgt werden:
Gemäss Stratenwerth (Günter Stratenwerth, Schweizerisches Strafrecht Allgemeiner Teil I, 3. Aufl., § 18 N 12) müssen als mitbestrafte Nachtaten vor allem Delikte gelten, die der Ausnutzung oder Sicherung eines bereits erreichten deliktischen Erfolges dienen. Die Nachtat halte die bereits eingetretene Rechtsgutverletzung nur aufrecht oder werte sie aus, erscheine aber nicht als deren typisches Begleitdelikt. Die Nachtat könne nicht als mitbestraft angesehen werden, wenn sie einen neuen, selbstständigen Schaden bewirke oder ein weiteres Rechtsgut verletze. Auch Jürg-Beat Beckmann (in: Basler Kommentar, a. a. O., Art. 68 N. 22) vertritt die Auffassung, dass als mitbestrafte Nachtat nur jene gelten kann, die üblicher- oder notwendigerweise auf die Vortat folgt bzw. mit ihr verbunden ist, wobei der Unrechtsgehalt dieser Tat bereits im Strafrahmen des die Vortat erfassenden Tatbestandes mitberücksichtigt worden sein müsse. Die Nachtat gelte nur dann als mitbestraft, wenn kein neues Rechtsgut verletzt werde. Nach Noll/Trechsel (a. a. O., § 38, S. 282) ist für die Straflosigkeit der Nachtat immer erforderlich, dass sie sich gegen dasselbe Rechtsgut und denselben Geschädigten richtet wie die Haupttat und dass der Tatbestand der Haupttat den Unrechtsgehalt der Nachtat mit umfasst.
Im vorliegenden Fall kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Tatbestand der Haupttat den Unrechtsgehalt der Nachtat mitumfasst. Denn es stehen, wie die Vertreter der Angehörigen resp. Geschädigten zu Recht vorbringen, zwei voneinander unabhängige Haupttaten zur Diskussion, nämlich das Schaffen eines gefährlichen Zustandes und die unterlassene Beseitigung dieses Zustandes, nachdem er in einem späteren Zeitpunkt bekannt geworden ist. Gegen die Auffassung des Staatsanwaltes spricht im Weiteren der Umstand, dass ein Verhalten nur dann als mitbestrafte Nachtat gelten kann, wenn diese von derselben Person begangen wird wie die Haupttat. Vorliegend steht aufgrund der bisherigen Ermittlungen indessen nicht fest, ob als Unterlassungstäter die gleichen Personen in Frage kommen wie als Haupttäter. Denn es herrscht in der Tat, wie die Vertreter der Angehörigen resp. Geschädigten zu Recht erwähnen, noch keine Klarheit darüber, wie mit dem Wissen von der zu hohen Überschüttung und der mangelnden Statik umgegangen wurde, das heisst, wer die baulichen oder organisatorischen Massnahmen unterlassen hat, die den Einsturz der Halle hätten verhindern können. Zusammenfassend sind somit selbständige Begehungsdelikte (welche gemäss den oben erwähnten Ausfühungen verjährt sind) und selbständige Unterlassungsdelikte zu beurteilen, betreffend deren die Verjährung erst an dem Tag zu laufen beginnt, an welchem oder bis zu welchem der Täter hätte handeln sollen.
d)Wie bereits dargelegt, ist das Vorliegen einer Garantenstellung Voraussetzung für die Strafbarkeit durch Unterlassen. Der Staatsanwalt geht davon aus, dass den Bauverantwortlichen zumindest der Umstand der zu hohen Überschüttung bekannt gewesen war. Dass dieses Wissen sie offensichtlich nicht verpflichtet hatte – aus Vertrag und/oder Ingerenz –, die wegen der zu hohen Überschüttung bestehende Gefahr eines Einsturzes der Halle zu verhindern, sei dies, indem die Abtragung der zu hohen Überschüttung veranlasst oder zumindest über die bestehende Gefahr informiert worden wäre, kann nicht angenommen werden. Ebenso wenig, dass eine derartige Verpflichtung spätestens mit dem Verkauf der letzten Stockwerkseigentumseinheit geendet hatte. Denn auch nach dem Verkauf der Liegenschaft, das heisst bis zum Tag des Unfalls, wäre eine Information oder Warnung der Käuferschaft möglich gewesen. Dies gilt insbesondere für den Bauherrn, für welchen eine qualifizierte Rechtspflicht zur Information bestand.
Der Staatsanwalt beruft sich in diesem Zusammenhang zwar auf den Entscheid des Bundesgericht vom 21. September 2005 (6S.449/2004), wonach eine solche Informationspflicht (durch die Bauverantwortlichen an die Werkeigentümerin, dass in Anbetracht eines Unfalls eine Überprüfung der Sicherheit eines Garagentores geboten wäre) nicht als eine qualifizierte Rechtspflicht und daher nicht als strafrechtliche Garantenpflicht anzusehen sei, da die Unterlassung einer derartigen Information nicht ungefähr gleich schwer wiege wie ein aktives Handeln oder allfällige Unterlassungen bei der Herstellung und beim Einbau des Garagentores.
Dieser Entscheid kann indessen nicht in dem Sinne auf den vorliegenden Fall bezogen werden, als auch hier die Informationspflicht nicht als qualifizierte Rechtspflicht und damit nicht als strafrechtliche Garantenpflicht anzusehen wäre, denn im Unterschied zu jenem Fall geht es hier um Mängel, die während der Ausführung des Werkvertrages bereits bekannt waren. Aber auch in Bezug auf den Bauleiter und den Ingenieur kann gestützt auf ihre vertraglichen Abmachungen mit dem Bauherrn betreffend Bauaufsicht und Kontrollpflichten eine Garantenstellung, welche über den Tag des Verkaufs der Liegenschaft andauert, nicht offensichtlich ausgeschlossen werden (Franz Riklin, in: Gauch/Tercier, Das Architektenrecht, 3. Aufl., 1995, N 1812).
Riklin weist, was Gefahren für andere Personen anbetrifft, darauf hin, dass es letztlich stets der Bauherr sei, der mit dem von ihm veranlassten Bau eine Gefahrenlage hervorgerufen habe; auch wenn er Bauunternehmer gerade wegen ihrer besonderen Fachkenntnisse beigezogen habe und insofern ein Haftungsübergang auf diese stattfinde, könne sich der Bauherr, wenn ein Bauunternehmer nachlässig arbeite und Gefahrenquellen entstehen lasse, die möglicherweise später ausser Kontrolle gerieten, nicht so von ihm absetzen, als ginge ihn die Haftungsfrage überhaupt nichts mehr an. Wenn diese Gegebenheiten auftreten, nehme der bauleitende Architekt als sachkundige Hilfsperson des Bauherrn dessen – durch den Einsatz von Fachleuten begrenzte – Garantenstellung ein.
Wie weit der Bauleiter dabei zu gehen habe, ergebe sich unter anderem auch aus den Rechten und Befugnissen, welche für die Bauleitung im Vertrag mit dem Unternehmer vorbehalten worden seien. SIA-Norm 118 sehe diesbezüglich eine Befugnis der Bauleitung vor, die Ausführung der gesamten Vertragsarbeit des Unternehmers zu überwachen und gegebenenfalls verbindliche Weisungen zu erteilen. Insofern übernehme ein Architekt vertretungsweise die Garantenstellung des Bauherrn und sorge an dessen Stelle für die Abwendung von Gefahren. Diese Ausführungen müssen sinngemäss auch für den Ingenieur gelten (für den Bauherrn führen sie im vorliegenden Fall nicht zu einer Entlastung, da dieser gleichzeitig für die Garten- und Umgebungsarbeiten verantwortlich war, für welche Tätigkeit er als Fachmann zu qualifizieren ist).
e)Zusammenfassend ist festzuhalten, dass weder offensichtlich davon ausgegangen werden kann, die verantwortlichen Baufachleute hätten keine Garantenstellung gehabt respektive diese habe nach dem Verkauf der Liegenschaft nicht mehr bestanden, noch, dass die Verjährung für die in Frage stehenden fahrlässigen Unterlassungsdelikte bereits eingetreten sei. Da in Zweifelsfällen beweismässiger und vor allem rechtlicher Art Anklage erhoben werden soll, ist die Beschwerde daher gutzuheissen, die Einstellungsverfügung vom 11. Januar 2006 aufzuheben und die Sache zur Fortsetzung des Strafverfahrens an die Staatsanwaltschaft zurückzuweisen. Dabei hat die Staatsanwalt weitere Ermittlungen vorzunehmen, da aufgrund der bisherigen noch nicht feststeht, wer von den Verantwortlichen welche Informationen an wen weitergegeben und wer es schliesslich unterlassen hat, die nötigen baulichen oder organisatorischen Massnahmen zu ergreifen, welche den tragischen Unfall hätten verhindern können.
(Urteil BKBES.2006.22 der Beschwerdekammer des Obergerichts des Kantons Solothurn vom 12. Juni 2006)
Kommentar:
Das Urteil ist in Bezug auf die Verjährung der Unterlassungen zu begrüssen, jedoch nicht hinsichtlich der Handlungen. Es ist stossend, dass Delikte verjähren können, bevor der Erfolg eingetreten ist. Erst mit dem Eintritt des Erfolgs entsteht das volle Unrecht und damit ein Vergeltungsbedürfnis für die Straftat. Dennoch klammert sich das Obergericht an den Gesetzeswortlaut. Dies, obwohl sich der Gesetzgeber des Problems nicht bewusst ist. Die Bestimmung von Art. 71 StGB (Verjährungsbeginn) wurde im Rahmen der letzten Revision ohne Diskussion unverändert beibehalten. Im Gegensatz dazu wurde in Deutschland das Problem längst erkannt. Zunächst wurde das Gesetz gegen seinen Wortlaut ausgelegt und danach das Strafgesetzbuch geändert. Neu ist der Erfolgseintritt für den Beginn der Verjährung massgeblich. Auch in Italien, Österreich und Frankreich stellt das Gesetz oder die Rechtsprechung in unterschied lichen Formen auf den Erfolgseintritt ab. Die Schweizer Lösung ist damit eine Insellösung.
Markus Läuffer, Rechtsanwalt, Aarau (Rechtsvertreter der Eigentümer der eingestürzten Tiefgarage)
Strafrecht
Gutgläubiger Strafverteidiger geschützt
Ein Strafverteidiger darf einen Kostenvorschuss aus deliktischem Vermögen entgegennehmen und verbrauchen, so lange er gutgläubig ist.
Sachverhalt:
Die Schweizerische Bundesanwaltschaft ermittelt gegen X. und Mitbeteiligte wegen des Verdachts von Vermögensdelikten. Mit zwei Verfügungen vom 11. August 2005 beschlagnahmte sie das Restguthaben von X. ausden Kostenvorschüssen von je 250 000 Franken bei dessen Anwälten, Y. und Z. Gleichzeitig forderte sie beide Rechtsanwälte auf, innert fünf Tagen über die bisherige Verwendung des empfangenen Vorschusses Rechnung abzulegen und das Restguthaben auf ein Konto der Bundesanwaltschaft zu überweisen. Bereits am 8. August 2005 hatten die Rechtsanwälte Y. und Z. der Bundesanwaltschaft geschrieben, dass kein Restguthaben mehr vorhanden sei, und im Namen von X. ein Gesuch um amtliche Verteidigung gestellt.
Am 12. und am 29. August 2005 erhoben X. und die beiden Rechtsanwälte Beschwerde an die Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts. Mit zwei Urteilen vom 31. Januar 2006 wies die Beschwerdekammer die Beschwerden ab. X. und die beiden Rechtsanwälte erhoben dagegen Beschwerde ans Bundesgericht.
Aus den Erwägungen:
3.Gemäss Art. 65 Abs. 1 Satz 3 BStP können Gegenstände und Vermögenswerte, die voraussichtlich der Einziehung unterliegen, beschlagnahmt werden. Dazu gehören Vermögenswerte, die durch eine strafbare Handlung erlangt worden sind (Art. 59 Abs. 1 Ziff. 1 StGB). Die Einziehung ist ausgeschlossen, wenn ein Dritter die Vermögenswerte in Unkenntnis der Einziehungsgründe erworben hat und soweit er für sie eine gleichwertige Gegenleistung erbracht hat oder die Einziehung ihm gegenüber sonst eine unverhältnismässige Härte darstellen würde (Art. 59 Abs. 1 Ziff. 2 StGB).
Wie die Beschwerdekammer im angefochtenen Entscheid zutreffend ausgeführt hat, stellt die Beschlagnahme eine provisorische prozessuale Massnahme dar, die dem Entscheid über die endgültige Einziehung nicht vorgreifen darf. Von der Beschlagnahme ist deshalb nur abzusehen, wenn ein die Einziehung hinderndes Drittrecht i. S. v. Art. 59 Ziff. 1 Abs. 2 StGB eindeutig gegeben ist und damit die Einziehung offensichtlich ausser Betracht fällt.
3.1 Die Beschwerdekammer ging davon aus, dass keine Anhaltspunkte bestünden, um an der Gutgläubigkeit der Rechtsanwälte im Zeitpunkt des Erhalts des Kostenvorschusses zu zweifeln. Die Beschwerdekammer nahm an, spätestens nach ihren Entscheiden vom 22. April 2005 hätten die Rechtsanwälte mit der deliktischen Herkunft der ihnen überwiesenen Kostenvorschüsse rechnen müssen. Der in diesem Zeitpunkt durch Gegenleistungen des Anwalts noch nicht konsumierte Teil des Kostenvorschusses könne damit grundsätzlich beschlagnahmt werden.
3.2.1 Das Bundesgericht hat sich im Entscheid 6S.482/2002 vom 9. Januar 2004 (E. 2.2) mit der Frage befasst, ob der gute Glaube nur im Zeitpunkt des Erwerbs des deliktischen Vermögens oder aber auch im Zeitpunkt der Erbringung der Gegenleistung vorliegen müsse. Es entschied, dass die Einziehung nur ausscheide, wenn auch die Gegenleistung in gutem Glauben erbracht wurde.
Den Beschwerdeführern ist einzuräumen, dass der vorliegende Fall anders liegt als der zitierte Bundesgerichtsentscheid: Dort hatte der Dritte bereits gutgläubig eine Vorleistung (Überlassung von Räumlichkeiten) erbracht und eine Anzahlung entgegengenommen; erst nachträglich wurde jedoch, durch Erklärung der Verrechnung, geltend gemacht, die Vorleistung sei als Gegenleistung für die Anzahlung an den Kaufpreis anzusehen (siehe Entscheid 6S.482/2002, E. 2.3). Dagegen wurde im vorliegenden Fall der Kostenvorschuss von Anfang an im Hinblick auf die zu erbringende Gegenleistung der Anwälte – die Verteidigung im Strafverfahren – gezahlt; der Konnex zwischen Zahlung und Gegenleistung wurde also nicht erst nachträglich, nach Wegfall des guten Glaubens, hergestellt.
Nach dem klaren Wortlaut von Art. 59 Ziff. 1 Abs. 2 StGB ist der Dritte jedoch nur schutzwürdig, wenn er seine Gegenleistung schon erbracht hat (so auch Georges Greiner / Diana Akikol, Grenzen der Vermögenseinziehung bei Dritten unter Berücksichtigung von zivil- und verfassungsrechtlichen Aspekten, AJP 2005, S. 1341 ff., insbes. S. 1348 Fn. 74). Dies wird durch die Botschaft bestätigt, wonach eine Einziehung nicht anzuordnen sei, «soweit der Erwerber in Unkenntnis der die Massnahme rechtfertigenden Umstände eine gleichwertige Gegenleistung erbracht hat» (Botschaft zur Revision des Einziehungsrechts, Strafbarkeit der kriminellen Organisation und Melderecht des Financiers vom 30. Juni 1993, BBl 1993 III 277 ff. Ziff. 223.3 S. 309). Soweit die Gegenleistung noch nicht (gutgläubig) erbracht worden ist, sollen die deliktisch erworbenen Vermögenswerte des Täters nach der gesetzgeberischen Wertung in erster Linie der Entschädigung der Opfer dienen (Art. 59 Ziff. 1 Abs. 1 und Art. 60 StGB).
3.2.2Für den vom Anwalt gutgläubig entgegengenommenen Vorschuss lässt sich deshalb mit guten Gründen die Auffassung vertreten, dass dieser nur insoweit legalisiert und der Einziehung entzogen ist, als der Anwalt im Rahmen des vereinbarten Mandats gutgläubig Leistungen erbracht und insofern einen Honoraranspruch gegen seinen Mandanten erworben hat (so auch Wolfgang Wohlers / Mario Giannini, Vorschüsse ein Minenfeld für Strafverteidiger, in: plädoyer 6/05, S. 34 ff., insbes. S. 38; Mario Giannini, Anwalt liche Tätigkeit und Geldwäscherei, Zur Anwendbarkeit des Geldwäschereitatbestandes [Art. 305bis StGB] und des Geldwäschereigesetzes [GwG] auf Rechtsanwälte, Diss., Zürich 2005, S. 136 ff.); nur insoweit hat der Anwalt ein besseres Recht an den Vermögenswerten als die Geschädigten (vgl. dazu auch Giannini, a. a. O. S. 214).
3.2.3Allerdings werden in der Literatur Bedenken gegen die Einziehbarkeit von Anwaltsvorschüssen und -honoraren und die daraus folgende mögliche Strafbarkeit von Anwälten wegen Geldwäscherei geltend gemacht: Dies verletze das Recht des Beschuldigten auf einen Verteidiger seiner Wahl, gefährde die Unabhängigkeit der Strafverteidigung, verstosse gegen die Berufsausübungs- und Vertragsfreiheit des Strafverteidigers und den Anspruch des Beschuldigten auf Waffengleichheit; sodann seien auch die Unschuldsvermutung und das Anwaltsgeheimnis gefährdet, wenn der Anwalt eines nicht offensichtlich mittellosen Beschuldigten gezwungen sei, ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wegen der möglicherweise deliktischen Natur der Vermögenswerte des Beschuldigten zu stellen (siehe Giannini, a. a. O. S. 147 ff. mit zahlreichen Hinweisen zur in- und ausländischen Literatur und Rechtsprechung).
Viele der erwähnten Probleme stellen sich im vorliegenden Fall nicht: Die beschwerdeführenden Anwälte haben bereits von sich aus, vor der streitigen Beschlag nahmeverfügung, um ihre Bestellung zu amtlichen Verteidigern von X. ersucht. Insofern wird der Beschuldigte auch weiterhin von Anwälten seines Vertrauens verteidigt.
Offen bleiben kann auch, ob – wie Giannini (a. a. O. S. 213 ff.) vorschlägt – Honorar- und Vorschusszahlungen an einen Anwalt aus Gründen der Rechtssicherheit bis zu einem Betrag von 10000 Franken von der Möglichkeit der Einziehung bzw. Ersatzforderung gemäss Art. 59 StGB ausgenommen werden sollten, um eine «Erstversorgung» des Beschuldigten durch einen Verteidiger seiner Wahl und seines Vertrauens im Ermittlungsverfahren zu gewährleisten, ohne dass dieser gezwungen sei, vorweg Nachforschungen über die Herkunft der Vermögenswerte anzustellen. Im vorliegenden Fall betrugen die Vorschüsse je 250000 Franken; davon wurden bis zum 22. April 2005 mit Sicherheit bereits mehr als 10000 Franken je Anwalt verbraucht.
Der weitergehende Vorschlag von Laurent Moreillon / Yves Burnand (Défense pénale et honoraires impurs, Forum Strafverteidigung, Sonderbeilage plädoyer Januar 2004, S. 19 ff., insbes. S. 24), Anwaltshonorare generell von der Einziehung auszunehmen, solange diese eine angemessene Entschädigung der Anwaltstätigkeit darstellen, und zwar unabhängig vom guten Glauben des Anwalts, setzt eine entsprechende gesetzliche Regelung voraus und kann deshalb de lege lata nicht angewandt werden.
3.3.2 Spätestens mit der Zustellung der Beschlagnahmeverfügung vom 11. August 2005 und der darin enthaltenen ausführlichen Begründung des mutmasslich deliktischen Ursprungs der Vermögenswerte konnten die Anwälte nicht mehr gutgläubig Verteidigungsleistungen zulasten dieser Kostenvorschüsse erbringen.
3.4 Nach dem Gesagten durfte die Beschwerdekammer für die Zwecke der Beschlagnahme i. S. v. Art. 65 Abs. 1 Satz 3 BStP davon ausgehen, dass die noch nicht aufgebrauchten Vorschussleistungen voraussichtlich der Einziehung gemäss Art. 59 Ziff. 1 StGB unterliegen. Definitiv wird die Frage, ob und in welcher Höhe die Vorschüsse eingezogen werden können, durch den Einziehungsrichter zu entscheiden sein.
5.Die beschwerdeführenden Rechtsanwälte machen geltend, sie seien nur gegenüber ihrem Mandanten zur detaillierten Abrechnung verpflichtet; die Offenlegung der Honorarnote nach aussen verletze das Anwaltsgeheimnis und das dem Beschuldigten in Art. 6 EMRK garantierte Recht auf wirksame Verteidigung.
5.2Im Einziehungs- wie auchim Beschlagnahmeverfahren hat grundsätzlich der Staat die Voraussetzungen dieser Zwangsmassnahmen zu beweisen. Die Betroffenen trifft jedoch insoweit eine Mitwirkungspflicht, als sie das Zumutbare zur Ermittlung der Gegenleistung i. S. v. Art. 59 Ziff. 1 Abs. 2 StGB beitragen müssen (N. Schmid, Organisiertes Verbrechen Geldwäscherei, Bd. I, Zürich 1998, N 96 zu Art. 59 StGB).
Hierfür genügt die blosse Behauptung, die Vorschüsse seien aufgebraucht, nicht. Auch bei einem aufwändigen Strafverfahren wie dem Vorliegenden kann nicht ohne Weiteres davon ausgegangen werden, dass in weniger als einem Jahr Verteidigerleistungen in Höhe von insgesamt 500000 Franken erbracht worden sind. Die Beschwerdekammer hat hierfür zu Recht eine Aufstellung verlangt, die zumindest in den Grundzügen die aufgewendeten Stunden und die entstandenen Auslagen erkennen lässt.
5.3Allerdings werden der Mitwirkungsmöglichkeit eines Anwalts Schranken gezogen durch das in den kantonalen Anwaltsgesetzen und Art. 13 des Bundesgesetzes vom 23. Juni 2000 über die Freizügigkeit der Anwältinnen und Anwälte (Anwaltsgesetz, BGFA; SR 935.61) festgelegte Anwaltsgeheimnis, das auch strafrechtlich geschützt ist (Art. 321 Ziff. 1 StGB).
5.3.1Das Anwaltsgeheimnis erstreckt sich auf alles, was der Anwalt aufgrund seines Mandats wahrnimmt und erfährt, einschliesslich des Verhaltens des Klienten gegenüber dem Anwalt selbst (BGE 97 I 831 E. 4 S. 838; Michael Pfeifer in: Fellmann/ Zindel, Kommentar zum Anwaltsgesetz, Zürich 2005, N 52 zu Art. 13 BGFA). Es umfasst schon die Tatsache des Bestehens eines Mandats zwischen dem Anwalt und dem Mandanten. Praxisgemäss setzt auch die klageweise Einforderung einer Honorarforderung voraus, dass der Anwalt vom Mandanten oder von der zuständigen Aufsichtsbehörde von seiner Schweigepflicht entbunden wird (Pfeifer, a. a. O., N 66 –69 zu Art. 13 BGFA; vgl. auch Urteil 2P.313/ 1999 vom 8. März 2000).
Allerdings geht es zu weit, in Fällen wie dem Vorliegenden, in denen das Bestehen eines Mandatsverhältnisses bekannt ist, jede Information über erbrachte Verteidigerleistungen als Geheimnisverrat zu betrachten, auch wenn daraus keine Schlüsse auf deren materiellen Inhalt oder die Verteidigungsstrategie gezogen werden können. Beschränkt sich der Verteidiger auf die Angabe der von ihm geleisteten Arbeitsstunden, der entstandenen Auslagen und des Verfahrens, in dem diese Kosten angefallen sind (Ermittlungsverfahren oder einzelne Beschwerdeverfahren), ist nicht ersichtlich, inwiefern dies Geheimhaltungsinteressen des Mandanten verletzen oder gar das Recht auf eine wirksame Verteidigung im Strafverfahren gefährden könnte.
Detailliertere Angaben über Art, Ort und Zeit der Vornahme bestimmter Leistungen können dagegen – auch wenn Namen anonymisiert werden – unter das Anwaltsgeheimnis fallen, wenn sie Rückschlüsse zum Beispiel auf das Verhalten des Beschuldigten oder die Verteidigungsstrategie geben. Insofern ist für eine detaillierte und damit eine von der Bundesanwaltschaft und der Beschwerdekammer überprüfbare Abrechnung die Entbindung der Verteidiger von der Schweigepflicht erforderlich.
5.3.2 Im vorliegenden Fall ist zu berücksichtigen, dass die Beschwerdekammer Ziff. 2 der Beschlagnahmeverfügung nicht als selbständig durchsetzbare Verpflichtung interpretiert hat, sondern als Möglichkeit der beschwerdeführenden Anwälte, die von ihnen erbrachte Gegenleistung und deren Wert darzulegen und dadurch zu verhindern, dass ein nicht der Einziehung unterliegender Teil der Vorschussleistungen beschlagnahmt werde.
Weigern sich die beschwerdeführenden Anwälte, eine Abrechnung zu erstellen oder sind sie dazu – mangels Entbindung von der Schweigepflicht durch ihren Mandanten – nicht (oder nur in groben Zügen) berechtigt, so führt dies nicht zur Beschlagnahme des gesamten Vorschusses. Vielmehr muss dann die Bundesanwaltschaft den Betrag analog Art. 59 Ziff. 4 StGB schätzen. Dabei muss sie berücksichtigen, dass es sich um eine frei gewählte Verteidigung handelte, bei der sowohl die Stundensätze als auch Art und Umfang der Verteidigungsleistungen grundsätzlich frei vereinbart werden können. Die Schätzung muss sich deshalb an Verteidigerhonoraren in vergleichbaren Fällen orientieren und darf nicht die bei einer amtlichen Verteidigung üblichen Ansätze zugrunde legen. Keinesfalls darf eine bewusst niedrige Schätzung als Druckmittel eingesetzt werden, um den Mandanten zum Verzicht auf das Anwaltsgeheimnis zu be