Es war 1971, als die Schweizer Männer dem Wahl- und Stimmrecht für Frauen zustimmten. Dreissig Jahre später gründeten vier Juristinnen die Netzwerkorganisation «Juristinnen Schweiz». Grund genug, 2011 zum Doppeljubiläum ein Buch mit vierzig Frauenporträts zu veröffentlichen. Die Journalistinnen Christine Krebs und Regula Zehnder machten sich auf die Suche nach Pionierinnen - und wurden fündig.
Zu Wort kommen unter anderem die Bernerin Ruth im Obersteg Geiser, erste Baudirektorin in der Schweiz: «Ich war weder im Schützenverband noch in einer Studentenverbindung. Ich war einfach im Amt.» Der Reigen geht weiter mit Verena Bräm-Burckhardt, der ersten Oberrichterin des Kantons Zürich, der ersten Bundesrichterin Margrith Bigler-Eggenberger und der ersten Bundesrätin Elisabeth Kopp. Zitat: «Frauenstreiks sind nicht meine Sache.» Die Texte kommen zum Teil als erweiterte Lebensläufe daher. Spannender sind die Interviews. Unnötig hingegen die weit über hundert leeren Seiten. Der Band sei «als Schreib- und Notizbuch gestaltet, mit viel Raum für Inspiration», schreiben die Herausgeberinnen. Doch so viel Stoff zum Nachdenken findet sich leider nicht.
Ebenfalls kurz und bündig, jedoch mit mehr Tiefgang, ist das Buch «Staatsdenker»: Eine Galerie von 15 Männern, die sich über das Staatswesen Schweiz staats- und verwaltungsrechtliche Gedanken gemacht haben. Frauen sind nicht vertreten. Die Porträts erschienen leicht verändert erstmals in ius.full. Einige Aufsätze enthalten aktuelle und überraschende Bezüge. So die Vorschläge von Jakob Dubs (1822-1879) für eine Verfassungsgerichtsbarkeit im Bund oder für die Volkswahl des Bundesrates. Dubs war Kantonsrat, Regierungsrat, Staatsanwalt, Nationalrat, Ständerat, Bundesrat und Bundesrichter. Weiterhin aktuell ist Peter Saladins Werk aus dem Jahr 1984: «Wozu noch Staaten?» Besonders anregend ist das Schlusskapitel zur Zukunft des Staatswesens mit Leitfragen, wohin die Reise gehen könnte: Den Rahmen bildet nicht mehr der Nationalstaat, sondern ein Raum jenseits davon - sei es Europa oder gleich der ganze Planet.
Besprochene Bücher:
Christine Krebs, Regula Zehnder
Juristinnen Schweiz. 40 Frauen, die bewegen - 40 Jahre Frauen in Bewegung
Editions Weblaw, Bern 2011, 240 Seiten, Fr. 39.-
Lorenz Engi
Staatsdenker. 15 bedeutende Schweizer Juristen und Politiker im Porträt
Schulthess, Zürich 2011, 140 Seiten, Fr. 58.-
Roland Gysin
Prozessrecht
Alexander Misic
Verfassungsbeschwerde. Das Bundesgericht und der subsidiäre Schutz verfassungsmässiger Rechte (Art. 113-119 BGG)
Schulthess, Zürich 2011, 414 Seiten, Fr. 93.-
Die subsidiäre Verfassungsbeschwerde garantiert als ultima ratio einen minimalen Individualrechtsschutz auf Bundesebene gegen letztinstanzliche kantonale Entscheide, soweit nicht eine Beschwerde in Zivilsachen, Strafsachen oder öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten zulässig ist. Die vorliegende Dissertation behandelt die wichtigsten Grundlagen dieses relativ neuen Rechtsmittels und seinen sachlichen Anwendungsbereich.
Eingehend untersucht werden die Sachurteilsvoraussetzungen. Denn erfahrungsgemäss scheitern die meisten Verfassungsbeschwerden an formellen Fehlern. Anschaulich wird dies mit einer Kasuistik dargelegt. Auch sonst überzeugt die Arbeit mit einer reichen Auswahl von Praxisbeispielen. Eine Würdigung der Ergebnisse und eine nützliche Checkliste runden das Werk ab.
Bewertung: Ein «must have» für forensisch tätige Anwältinnen und Anwälte. me
Sozialversicherungsrecht
Kaspar Saner
Das Vorsorgeverhältnis in der obligatorischen und weitergehenden beruflichen Vorsorge. Grundlagen, Gemeinsamkeiten und Eigenheiten in den beiden Teilbereichen
Schulthess, Zürich 2012, 231 Seiten, Fr. 72.-
Vorsorgeverhältnisse umfassen meist die obligatorische und die weitergehende Berufsvorsorge. Deren Verhältnis ist in Literatur und Praxis überwiegend ungeklärt. Die Dissertation macht deutlich, dass sich mit einer methodischen Abgrenzung und Einordnung der beiden Rechtsbereiche offene Fragen klären lassen.
Hilfreiche Lösungsansätze bietet die innovative Schlussfolgerung, die weitergehende Vorsorge sei sowohl dem Privatrecht als auch dem Sozialversicherungsrecht zuzuordnen. Der Autor beeindruckt mit zahlreichen dogmatisch fundierten Regeln für die rechtliche Behandlung des umhüllenden Vorsorgeverhältnisses. Durch die Nähe zur Praxis liefert das Werk nützliche Instrumente zur Auslegung, Ergänzung und Korrektur von Vorsorgereglementen.
Bewertung: Bietet Praxisrelevante Instrumente und Lösungsansätze. sfu
Europarecht
Astrid Epiney, David Furger, Jennifer Heuck
«Umweltplanungsrecht» in der Europäischen Union und Implikationen für das schweizerische Recht
Schulthess, Zürich 2011, 289 Seiten, Fr. 78.-
Keines der bilateralen Abkommen zwischen der Schweiz und der EU betrifft das Umweltrecht. Die Frage der Vereinbarkeit des schweizerischen Umweltrechts mit den unionsrechtlichen Anforderungen stellt sich jedoch bei den in Verhandlung befindlichen Elektrizitätsabkommen, einer allfälligen Beteiligung der Schweiz an der Europäischen Chemikalienagentur REACH sowie einem möglichen EU-Beitritt.
Die Studie unterzieht die beiden Rechtsordnungen in den folgenden Bereichen einem Vergleich: Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP), strategische Umweltprüfung (SUP), integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung sowie Gewässer-, Vogel- und Habitatschutz. Sie stellt fest, dass für eine parallele Rechtslage ein gewisser Anpassungsbedarf besteht.
Bewertung: Instruktiv für Umwelt- und Europarechtler und Mitarbeiter der Verwaltung. af
Verfassungsrecht
Lucien Müller
Videoüberwachung in öffentlich zugänglichen Räumen - insbesondere zur Verhütung und Ahndung von Straftaten
Dike, Zürich 2011, 376 Seiten, Fr. 89.-
In Zeiten von Google Street View und lauter werdenden Rufen nach Sicherheit behandelt die Dissertation ein Thema von wachsender Bedeutung. Einem Überblick über den Stand der Technik folgen Hinweise auf die von der Videoüberwachung in öffentlichen Räumen ausgehenden Gefahren für die demokratische und rechtsstaatliche Ordnung. Ausführlich wird aufgezeigt, dass Verfassungs-, Polizei- und Datenschutzrecht der Videoüberwachung enge Grenzen setzen.
Um dem Recht Genüge zu tun, braucht es laut dem Verfasser klare Zweckangaben und Schranken auf Gesetzesstufe und ein unabhängiges Vorab- und Nachkontrollverfahren. Praktikern dürfte das Werk vor allem bezüglich der Verwertung von Videoaufnahmen in Straf-, Sozialversicherungs- oder Migrationsrechtsfällen Argumente liefern.
Bewertung: Wichtiger Beitrag zum politischen Diskurs; für Praktiker punktuell wertvoll. mz
Opferrecht
Jelena Riniker
Opferrechte des Tatzeugen. Die Problematik des Opferbegriffs nach OHG und die strafrechtliche Qualifikation der Verletzung der psychischen Integrität
Dike, Zürich 2011, 256 Seiten, Fr. 72.-
Eine schwere Körperverletzung, Tötung oder Vergewaltigung kann nicht nur die direkt betroffene Person schädigen, sondern auch bei Sekundäropfern wie Tatzeugen oder Angehörigen zu Schockschäden führen.
Die bei der Opferentschädigungsbehörde des Kantons Bern tätige Juristin untersucht, wann diese Personen Anspruch auf Opferhilfe geltend machen können: Die psychische Verletzung muss mindestens den Grad einer einfachen Körperverletzung erreichen, dem Täter mindes-
tens ein Fahrlässigkeitsvorwurf gemacht werden können und der erlittene Schaden muss adäquat kausal sein.
Die Tat muss also geeignet gewesen sein, nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge und der allgemeinen Lebenserfahrung eine psychische Traumatisierung herbeizuführen.
Bewertung: Nützlich für alle im Bereich Opferhilfe, Gewaltdelikte und Personenschäden. kpf
Immaterialgüterrecht
Daniel Agten
Der Schutz von Unternehmenskennzeichen bei Kollisionen mit anderen Unternehmens- und
Waren- oder Dienstleistungskennzeichen in der Schweiz
Stämpfli, Bern 2011, 274 Seiten, Fr. 85.-
Die Dissertation geht der bislang wenig untersuchten Problematik der Kollision von Firmen (Unternehmenskennzeichen) mit anderen Kennzeichenrechten nach. Einem einführenden allgemeinen Teil zum schweizerischen Kennzeichenrecht folgt schwerpunktmässig die Auseinandersetzung mit der Judikatur zu einzelnen Kollisionstatbeständen.
Der Autor leitet eine Theorie der Koexistenz von Kennzeichen her, welche in die Erkenntnis der grundsätzlichen Gleichwertigkeit der einzelnen Kennzeichenrechte mündet. Die Ausführungen sind konzise strukturiert und angenehm kurz. Bereits anhand des fein ziselierten Inhaltverzeichnisses findet der Praktiker Antworten auf konkrete Kollisionskonstellationen (Firma vs. Firma, Domain- Name beziehungsweise Marke et vice versa). Lobenswert ist weiter das Stichwortverzeichnis.
Bewertung: Praxisnaher Einblick in die stetig zunehmenden Kennzeichenkollisionen. tva
Wirtschaftsrecht
Monika Roth
Compliance in a nutshell
Dike, Zürich 2011,
106 Seiten, Fr. 39.-
Die Autorin führt in diesem handlichen Büchlein gut in das Thema der Compliance ein. Während in einem ersten, kürzeren Teil die Grundlagen (Begriffe, Aufgabenverteilung, Umfeld, Verantwortlichkeiten) erläutert werden, stellt der zweite Teil konkret die verschiedenen Aspekte des Compliance-Prozesses sowie die Facetten von Compliance in einer Unternehmung dar. Die wichtigsten Rechtsgebiete mit Bezug zum Thema werden kurz angetippt.
Einen Schwerpunkt bilden Analyse und Bewertung des Compliance-Risikos. Die Autorin verzichtet fast vollständig auf die Angabe von weiterführenden Hinweisen mit Ausnahme der einschlägigen Gesetzesartikel. Die eher knapp gehaltenen Ausführungen werden in geeigneter Weise mit Beispielen und Grafiken verdeutlicht.
Bewertung: Guter Ein- und Überblick, geeignet als Lektüre für unterwegs. jsp
Zivilprozessrecht
Benedikt Seiler
Die Berufung nach der Schweizerischen Zivilprozessordnung
Helbing Lichtenhahn, Basel 2011, 786 Seiten, Fr. 98.-
Seilers Werk stellt die erste umfassende Monographie zur Berufung nach der Zivilprozessordnung und damit ein wertvolles Nachschlagewerk dar. Der Autor leuchtet sämtliche Themen rund um dieses Rechtsmittel aus und geht dabei konsequent in die gewünschte Breite und Tiefe. Das detaillierte Inhaltsverzeichnis bietet der Leserschaft eine dankbare Orientierung in den oft nicht gerade knapp gefassten Kapiteln.
Von grossem Nutzen sind die rund hundertseitige Erörterung möglicher Anfechtungsobjekte, die Darstellung des notwendigen Inhalts der Berufungseingabe sowie die tabellarische Übersicht der Zustellung eines Entscheids während des Fristenstillstands. Die ausführliche Zusammenfassung der Ergebnisse als Abschluss bietet auch dem eiligen Leser einen guten Einblick.
Bewertung: Umfangreiches Nachschlagewerk für den Praktiker. cf