Rund 250000 Personen leben in der Schweiz von der Sozialhilfe. In den letzten sechs Jahren fällten das Bundesgericht und die kantonalen Verwaltungsgerichten in diesem Bereich gut 700 Entscheide, rund 120 Entscheide pro Jahr1 – überraschend wenig für ein Rechtsgebiet, das die finanziellen Lebensgrundlagen bedürftiger Personen regelt. Zum Vergleich: 2007 fällte nur schon das Zürcher Sozialversicherungsgerichte über 2500 Urteile.2
Dass so wenige Sozialhilfeempfänger Rechtsmittel ergreifen, ist nicht zuletzt deshalb erstaunlich, weil man davon ausgehen muss, dass ein erheblicher Prozentsatz der Sozialhilfeverfügungen fehlerhaft ist. Zwar gibt es darüber keine einheitlichen Erhebungen. Aber ein Blick auf das statistisch besser dokumentierte Sozialversicherungsrecht zeigt: Im Kanton Zürich wurden etwa im Jahre 2007 in der Invalidenversicherung 504 Beschwerden ganz oder teilweise gutgeheissen oder führten zu einer Rückweisung. Total 518 Beschwerden wurden abgewiesen oder das Gericht trat gar nicht auf sie ein.3
Eine weitere Statistik des Bundesamtes für Sozialversicherungen (BSV) bestätigt, dass in den meisten Kantonen über 40 Prozent der Beschwerden gutgeheissen werden oder eine Rückweisung erfolgt. In der Region Nordostschweiz sind es sogar über 50 Prozent.4
Wenn also in der Invalidenversicherung über die Hälfte der angefochtenen Verfügungen fehlerhaft sind, kann man davon ausgehen, dass es sich in der Sozialhilfe ähnlich verhält. Umso mehr als die IV-Stelle von Zürich eine kantonale Behörde mit Hunderten von spezialisierten Mitarbeitern und einem eigenen Rechtsdienst ist, während die Sozialhilfe von jeder Gemeinde selber vollzogen wird – häufig ohne Juristen, teilweise durch die gewählten Gemeinderäte. Und nicht einmal durch ausgebildete Verwaltungsbeamte.
Warum aber werden bei dieser Ausgangslage so wenige Sozialhilfeverfahren geführt? Warum gibt es kaum darauf spezialisierte Anwälte? Weshalb findet sich zum Thema nur wenig Literatur?5 Diesen Fragen soll im Folgenden – aus der Sicht eines Anwaltes – nachgegangen werden.
1 Sozialhilfe: Guter Rechtsschutz besonders wichtig
Wer Sozialhilfe beziehen muss, der ist auf der untersten Stufe des Systems der sozialen Sicherheit angelangt. Wegen der Subsidiarität gibt es kein weiteres staatliches Sicherheitsnetz mehr, wenn diese einmal gekürzt oder gestrichen wird. Die Folgen sind für die Betroffenen einschneidend: Wem nicht einmal mehr die Sozialhilfe die Lebenskosten bezahlt, dem drohen Obdachlosigkeit und Ruin.
Zwar garantiert Art. 12 der Bundesverfassung (BV) das Recht auf Hilfe in Notlagen. Wenn die Sozialhilfebehörde aber die Bedürftigkeit der betroffenen Person verneint, weil sie etwa davon ausgeht, dass sie über nicht deklariertes Einkommen verfügt, kann sich die Person nicht auf Art. 12 BV berufen. Und sogar für Bedürftige gilt das Recht auf Nothilfe nicht absolut.
Die Sozialhilfe kann zum Beispiel auch dann verweigert werden, wenn sich jemand nach Ansicht der Sozialhilfebehörde in rechtsmissbräuchlicher Weise darauf beruft und sich etwa weigert, an einem zumutbaren Arbeitsprogramm teilzunehmen.6 Es kommt also immer wieder vor, dass die Sozialhilfe gänzlich verweigert wird.
Weil dies für die Betroffenen existenzielle Folgen haben kann, ist es umso wichtiger, dass es zu keinen fehlerhaften Entscheiden kommt. Falls eine Behörde doch einmal einen falschen Entscheid trifft, müssen sich die Betroffenen effizient und rasch wehren können.
Allerdings: Die Realität sieht völlig anders aus. Im Gegensatz zu anderen «sozialen» Rechtsbereichen wie Arbeitsrecht, Mietrecht oder Sozialversicherungsrecht, wo die Verfahrensbestimmungen dem Umstand Rechnung tragen, dass bei einem Verlust der Arbeitsstelle, der Wohnung oder der Erwerbsfähigkeit ein besonders hohes Rechtsschutzbedürfnis der betroffenen Personen besteht, ist das Sozialhilfeverfahren alles andere als «kundenfreundlich» und der Zugang zum Recht schwierig ausgestaltet. Dies ist stossend, weil kaum ein grösseres Rechtsschutzbedürfnis denkbar ist als dasjenige einer Person, der die wirtschaftlichen Lebensgrundlagen zu Unrecht entzogen worden sind.
a) Erste Hürde: Akteneinsicht
Bereits die Akteneinsicht – die wichtigste Voraussetzung, um Rechtsansprüche überhaupt prüfen zu können – wird im Sozialhilfeverfahren häufig zum Problem. Das Recht auf Akteneinsicht ist verfassungsrechtlich geschützt. Es ist Grundvoraussetzung, damit der Anspruch auf rechtliches Gehör überhaupt garantiert werden kann (Art. 29 Abs. 2 BV). In fast allen anderen Rechtsbereichen ist es zur Selbstverständlichkeit geworden, dass die betroffene Person oder ihr Rechtsvertreter die Akteneinsicht schriftlich verlangen kann. Das heisst, die Akten werden per Post zugestellt. Bei der Akteneinsicht gegenüber privaten Personen oder Bundesbehörden ergibt sich der Anspruch aus Art. 8 Abs. 5 Datenschutzgesetz (DSG). Gerade im Sozialhilferecht besteht dieses Recht aber nicht – zumindest nicht im Kanton Zürich. Zwar sieht auch das kantonale Datenschutzrecht vor, dass die Akteneinsicht schriftlich zu erfolgen hat7, jedoch ist kantonales Recht nicht mehr anwendbar, sobald ein Verwaltungsverfahren anhängig gemacht wurde.8 In aller Regel wird die Akteneinsicht aber erst dann verlangt, wenn die betroffene Person, allenfalls vertreten durch einen Rechtsanwalt eine bereits erlassene Verfügung auf ihre Richtigkeit überprüfen will. In diesem Zeitpunkt ist aber bereits das kantonale Verwaltungsrechtspflegegesetz (VRG) anwendbar.
Der massgebende § 8 Abs. 2 VRG lautet: «Der Regierungsrat regelt die Herausgabe und Zustellung von Akten zur Einsichtnahme.» Obwohl diese Bestimmung immerhin seit 1998 in Kraft ist, hat der Regierungsrat die Modalitäten der Akteneinsicht bis heute nicht geregelt. Die Stadt Zürich füllt diese Lücke so, dass sie sich auch bei anwaltlicher Vertretung weigert, die Akten per Post zuzustellen. Der Anwalt muss die Akten persönlich im zuständigen Sozialzentrum einsehen.
Dies wäre ja noch zumutbar, wenn dort die Akten akturiert und geordnet bereitliegen würden und abgeholt werden könnten. Aber auch dies ist nicht der Fall, sondern die Akten sind teilweise in Papierform abgelegt, teilweise aber nur im Computer gespeichert. Zudem können gar nicht alle Daten per Knopfdruck ausgedruckt werden.
Der Anwalt muss mit dem zuständigen Sachbearbeiter vielmehr jede einzelne Computermaske öffnen und dann entscheiden, ob die sich darin befindenden Protokolle, Aktennotizen oder Budgetberechnungen ausgedruckt werden sollen oder nicht.
Das Verwaltungsgericht hat die Praxis der Sozialhilfebehörden, die Akten ungeordnet zu führen, zwar bereits mehrfach gerügt. Aber selbst seine Androhung, in Zukunft keine ungeordneten Aktendossiers der Soziahilfebehörden zu akzeptieren, hat bisher zu keiner Praxisänderung geführt.9
Fazit: Nur schon bis ein Anwalt über die vollständigen Akten verfügt, muss er mit einem unverhältnismässig grossen Aufwand rechnen.
Zum Vergleich: Für das Sozialversicherungsverfahren schreiben Art. 46 und 47 des Bundesgesetzes über den allgemeinen Teil des Sozialhilferechts (ATSG) in Verbindung mit Art. 8 Abs. 2 der entsprechenden Verordnung (ATSV) und mit Verweis auf den bereits erwähnten Art. 8 Abs. 5 DSG ausdrücklich vor, dass der Sozialversicherer die Akten systematisch (sprich akturiert) zu führen hat und dass Akten auf Gesuch schriftlich und unentgeltlich10 zuzustellen seien. Warum dies nicht auch für die Sozialhilfe gelten soll, ist nicht einsichtig.
b) Keine aufschiebende Wirkung
Wer mit einer Verfügung der Sozialbehörde der Stadt Zürich nicht einverstanden ist, muss zunächst eine Verfügung der Einzelfallkommission verlangen (1. Instanz). Gegen diese Verfügung ist dann Einsprache zu erheben. Diese wird von der Einspracheinstanz (2. Instanz) behandelt. Gegen deren Entscheid steht dann der Rekurs an den Bezirksrat11 (3. Instanz) offen. Erst wenn diese drei verwaltungsinternen Instanzen durchlaufen sind, steht mit dem Verwaltungsgericht die erste unabhängige gerichtliche Rechtsmittelinstanz zur Verfügung.
Derart lange Rechtsmittelwege stehen im Widerspruch zur tatsächlichen Situation, in der sich die betroffenen Personen befinden: Wem die Sozialhilfe gekürzt oder gar ganz verweigert worden ist, dem drohen unmittelbar Obdachlosigkeit, Verwahrlosung und Existenzverlust.
Die Situation ist also weit dramatischer als etwa bei einer Person, die lange auf einen IV-Entscheid oder auf ein zivilrechtliches Urteil über Unterhaltsbeiträge warten muss. Während in diesen Fällen in der Regel die Sozialhilfe mit Vorschussleistungen einspringt, gibt es für Personen, bei denen das Sozialamt nicht mehr bezahlen will, gerade keine Möglichkeiten, ihre wirtschaftliche Existenz während des laufenden Verfahrens sicherzustellen. Angesichts dieser gravierenden Folgen müsste ein besonders rascher Zugang zu einer unabhängigen richterlichen Überprüfung möglich sein.
Auch dazu ein Querverweis: Wer der Ansicht ist, sich zu Unrecht in Untersuchungshaft zu befinden – auch das ein sehr einschneidender staatlicher Eingriff – kann innert 48 Stunden die Überprüfung durch einen unabhängigen Haftrichter verlangen.12 Bis in einem Sozialhilfeverfahren ein Entscheid des Verwaltungsgerichts vorliegt, vergehen aber mehrere Monate.
In dieser Zeit erhält die betroffene Person von keiner Seite finanzielle Unterstützung, weil häufig den Rechtsmitteln die aufschiebende Wirkung entzogen wird. Gesuche um sofortige Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung bringen meist nichts, befindet doch die zuständige Behörde (Bezirksrat) über solche Gesuche jeweils erst zusammen mit dem Endentscheid.
Gemäss § 25 und § 55 VRG müssen für den Entzug der aufschiebenden Wirkung «besondere Gründe» gegeben sein. Das lässt dem Richter praktisch freies Ermessen. Immerhin müsste dieser Entzug der aufschiebenden Wirkung gemäss den gesetzlichen Vorgaben Ausnahme bleiben. Der Richter hat die gegenüberliegenden Interessen und die Prozessaussichten zu berücksichtigen.13
Erfolgt in der Hauptsache eine Ablehnung, so wird in aller Regel auch der Entzug der aufschiebenden Wirkung gutgeheissen, da im Wesentlichen dieselben Fragen geprüft werden. Störend ist, dass das Interesse des Staates, keine ungerechtfertigte Sozialhilfe ausrichten zu müssen, gleich hoch gewertet wird wie das Interesse der betroffenen Person, seine Lebenskosten bestreiten zu können. Angesichts der existenziellen Bedeutung der Sozialhilfeunterstützung müsste der Entzug der aufschiebenden Wirkung nur in eng definierten Ausnahmefällen zulässig sein, zum Beispiel, wenn die Rechtsmittelerhebung aussichtslos oder gar rechtsmissbräuchlich ist.
c) Wer bezahlt den Anwalt?
Für jeden Anwalt, der eine Rechtsvertretung in einem Sozialhilfeverfahren übernimmt, stellt sich die Frage, wer seine Arbeit entschädigt. Der Klient kommt als Sozialhilfebezüger kaum in Frage.
Rechtsschutzversicherungen decken Sozialhilfeverfahren ebenfalls nicht. Dies leuchtet übrigens nicht ganz ein, sind doch die meisten anderen typischen «sozialen» Rechtsgebiete wie Arbeitsrecht, Mietrecht und Sozialversicherungsrecht regelmässig von den Rechtsschutzversicherungen gedeckt. Weshalb gerade im besonders existenziellen Bereich der Sozialhilfe keine Rechtsschutzdeckung gewährt wird, ist nicht nachvollziehbar.
Falls der Klient den Anwalt doch irgendwie bezahlen kann und das Honorar in Raten abstottert, dann ist dies nicht immer unproblematisch. Schliesslich ist das Anwaltshonorar nicht im Grundbedarf des Sozialhilfebezügers enthalten. Es handelt sich dabei um situationsbedingte Kosten gemäss Ziffer C.1.8. der Skos-Richtlinien.14
Spart sich ein Sozialhilfeempfänger die Raten für das Anwaltshonorar also vom Grundbedarf ab, so kann er schnell den Verdacht wecken, entweder über nicht deklarierte Einnahmen zu verfügen, weil er ja sonst unmöglich einen Anwalt bezahlen könnte, oder aber das Sozialhilfegeld zweckwidrig zu verwenden, was eine Kürzung der Sozialhilfe zur Folge hat.15 Ich werde von den Mitarbeitern der Sozialämter jedenfalls immer wieder gefragt, wer denn mein Anwaltshonorar bezahle.
Somit muss der Anwalt die Rechtsvertretung in aller Regel ohne Vorschüsse und ohne Kostengutsprache übernehmen. Dies ginge ja noch, wenn er ernsthaft damit rechnen könnte, dass ein Gesuch um unentgeltliche Rechtsverbeiständung (URB) bewilligt wird oder dass ihm bei Obsiegen eine kostendeckende Parteientschädigung zugesprochen wird. Weder das eine noch das andere ist aber der Fall.
d) «Erfolgshonorar»?
Ein Anspruch auf unentgeltliche Rechtsvertretung besteht gemäss Art. 29 Abs. 3 BV dann, wenn die betroffene Person bedürftig, ihr Rechtsbegehren nicht aussichtslos und der Beizug eines Rechtsvertreters notwendig ist.
In den Fällen, in denen im materiellen Entscheid festgehalten wird, dass der Sozialhilfebezüger seine Bedürftigkeit nicht nachweisen konnte, weil er über nicht deklariertes Einkommen oder Vermögen verfügt, wird zu Recht immer auch das URB-Gesuch abgewiesen.16 Im Sozialhilfeverfahren sind der materielle Entscheid und der Entscheid über das URB-Gesuch also häufig besonders eng miteinander verknüpft, weil es um dieselbe Frage geht: Ist die betreffende Person finanziell bedürftig oder nicht? Dies führt dazu, dass ein Prozess für den Anwalt besonders unattraktiv ist, weil er regelmässig kein URB-Honorar erhält, wenn er in der Hauptsache verliert.
Aber auch wenn die Bedürftigkeit bejaht wird und der Prozess in der Hauptsache aus anderen Gründen verloren geht (etwa weil eine monierte Budgetberechnung halt doch korrekt war), bleibt es fraglich, ob das URB-Gesuch bewilligt wird. Denn sehr häufig wird bei einem Unterliegen gleichzeitig Aussichtslosigkeit angenommen, wobei diese in einem unzulässigen Umkehrschluss einfach damit begründet wird, dass die angefochtene Verfügung ja rechtens gewesen sei. Das ist etwa einem Verwaltungsgerichtsurteil zu entnehmen.17 Dort ging es um die Frage, ob die Sozialhilfe gekürzt werden durfte, weil die betroffene Person nicht an einem Abklärungsprogramm teilnehmen wollte. Die Beschwerde wurde abgewiesen, weil die Streichung der Sozialhilfe als verhältnismässig betrachtet wurde (E 4).
Die Aussichtslosigkeit wird ebenfalls damit begründet, dass die Weisung, an einem Abklärungsprogramm teilzunehmen, verhältnismässig gewesen sei. Mit anderen Worten sind die Begründung für die materielle Abweisung und für die Abweisung des URB-Gesuches wegen Aussichtslosigkeit deckungsgleich.
Für den Sozialhilfebezüger – und für seinen Anwalt – bedeutet dies, dass er bei materiellem Unterliegen praktisch nie damit rechnen kann, dass sein URB-Gesuch bewilligt wird. Damit arbeitet der Anwalt quasi auf Erfolgsbasis, weil er nur bei Obsiegen mit einem – durch die Parteientschädigung gedeckten – Honorar rechnen kann.
2 Anwaltliche Vertretung nicht zwingend bejaht
Wenn die Rechtsmittelinstanzen die Bedürftigkeit anerkennen müssen und auch keine Aussichtlosigkeit annehmen können, dann weisen sie die URB-Gesuche häufig mit der Begründung ab, es fehle an der Notwendigkeit einer anwaltlichen Vertretung. Die Rechtsprechung unterscheidet hier, je nachdem, wie stark mit dem angefochtenen Entscheid in die Rechte der betroffenen Person eingegriffen wird, zwischen leichten, relativ schweren und besonders schweren Fällen.
In leichten Fällen wird die Notwendigkeit regelmässig verneint, in besonders schweren Fällen bejaht.18 In relativ schweren Fällen wird die Notwendigkeit der anwaltlichen Vertretung nur dann bejaht, wenn besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten hinzukommen, die der Gesuchsteller alleine nicht zu bewältigen vermag.19
Es stellt sich somit die Frage, wo die Sozialhilfeverfahren einzuordnen sind. Zwar hält die Lehre fest, dass die Notwendigkeit der anwaltlichen Vertretung in der Regel zu bejahen sei, weil die Betroffenen gegenüber den fachlich und juristisch versierten Behörden in der Regel unterlegen sind20, es sich um einen schwerwiegenden Eingriff handle21 und weil eine schwere Beeinträchtigung eines Grundrechts zur Diskussion steht.22 Diese Auffassung ist deshalb richtig, weil der Entzug von Sozialhilfe zum Verlust der Existenzgrundlagen führen kann. Das Bundesgericht geht aber im Entscheid 2P.234/2006 vom 14. Dezember 2006 in Erw. 5.1. davon aus, dass es sich beim Entzug von Sozialhilfe um einen relativ schweren Eingriff handle.23
Dieser Bundesgerichtsentscheid hat sich – obwohl er nicht publiziert ist – zumindest im Kanton Zürich zum heimlichen Leitentscheid für die Frage der Notwendigkeit gemausert. Dutzendfach wird er vom Verwaltungsgericht und den Bezirksräten zitiert.
Im erwähnten Entscheid verweigerte das Bundesgericht dem Beschwerdeführer die URB für das kantonale Beschwerdeverfahren vor Verwaltungsgericht deshalb, weil er als Psychologe (lic. phil.) im Einspracheverfahren, das er noch alleine geführt hatte, gezeigt hatte, dass er durchaus in der Lage war, seine Interessen in genügender Art und Weise wahrzunehmen. Er sei akademisch gebildet und durchaus schreibgewandt und habe ohne anwaltliche Unterstützung auch die – formell und inhaltlich durchaus genügende – staatsrechtliche Beschwerde ans Bundesgericht verfassen können.
Im Übrigen konnte der Beschwerdeführer auch ohne weiteres zwischen dem materiellen Begehren und dem Begehren um Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung unterscheiden und hat die entsprechenden Anträge auch korrekt gestellt. Das Bundesgericht kommt zum Schluss, es sei unter diesen Umständen nicht notwendig gewesen, dass sich der Beschwerdeführer für die Verfahren vor Bezirksrat und vor kantonalem Verwaltungsgericht von einer Anwältin vertreten liess.
Als Grundsatz wird in Erw. 5.1. weiter festgehalten: «Im Bereich der Sozialhilfe, in dem es regelmässig vorab um die Darlegung der persönlichen Umstände geht, ist allerdings die Notwendigkeit der anwaltlichen Verbeiständung nur mit Zurückhaltung anzunehmen. Zur relativen Schwere des Falles müssen besondere rechtliche oder tatsächliche Schwierigkeiten hinzukommen, denen der Ansprecher auf sich alleine gestellt nicht gewachsen wäre.»
Dieser Grundsatz wird seither in Dutzenden von Entscheiden des Bezirksrats und des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich zitiert, um die Notwendigkeit der anwaltlichen Vertretung abzulehnen. Allerdings werden die Anforderungen an die intellektuellen Fähigkeiten der Beschwerdeführer laufend reduziert.
Während das Bundesgericht die Notwendigkeit bei einem Akademiker abgelehnt hat, der sowohl die Einsprache als auch die staatrechtliche Beschwerde in überzeugender Art und Weise selber verfassen konnte und sich mit dem Institut der aufschiebenden Wirkung bestens auskannte, genügt dem Verwaltungsgericht im Entscheid vom 19. Dezember 200724, dass der Beschwerdeführer eine selbständige Erwerbstätigkeit als Marktfahrer ausgeübt hat. Im Entscheid vom 15. November 200725 genügte bereits die Tatsache, dass eine Beschwerdeführerin ohne Berufsabschluss das Rekursverfahren beim Bezirksrat ohne Anwalt durchgeführt hatte. Im Entscheid vom 5. Dezember 200726, wird die Ablehnung damit begründet, dass sich der Beschwerdeführer im Rekursverfahren damit abgefunden hatte, dass ihm dort die URB nicht gewährt wurde. Im Entscheid vom 7. Dezember 200727 wurde die Notwendigkeit einer anwaltlichen Vertretung deshalb verneint, weil der bei seiner Mutter lebende Beschwerdeführer am 19. Mai 2006 selbständig einen Brief ans Sozialzentrum geschrieben hatte.
Selbst bei teilweisem Obsiegen werden URB-Gesuche wegen fehlender Notwendigkeit abgelehnt, weil der Beschwerdeführer das Verfahren auch ohne Anwalt hätte führen können.28
In unteren Verwaltungsinstanzen werden die Behörden bei der Anwendung von 2P.234/2006 noch kreativer: Im Beschluss des Bezirksrats Zürich vom 28. August 200829 wird die Notwendigkeit mit folgender Begründung abgelehnt: «Die Rekurrentin konnte sich der Sozialberatung gegenüber immer angemessen und klar ausdrücken. Die Zusammenarbeit war gut gewesen. Es waren bei der Rekurrentin keine Defizite bezüglich geschäftlichen Handelns aufgefallen. So ist die Rekurrentin teilzeitlich berufstätig, war in der Lage eine Wohnung zu finden et cetera.» Hier genügt offenbar schon, dass die Rekurrentin in der Lage war, vernünftig zu kommunizieren, als Aushilfsverkäuferin zu arbeiten und eine Wohnung zu finden. Wer dazu in der Lage ist, der kann in den Augen des Bezirksrats auch ein Rekursverfahren selber führen.
Die Einspracheinstanz der Sozialbehörde der Stadt Zürich hat in einem Entscheid vom 3. Juni 2008 sogar bei einer teilweisen Gutheissung der Einsprache die unentgeltliche Rechtsvertretung wegen fehlender Notwendigkeit abgelehnt. Aus der Begründung: «Die teilweise Gutheissung der Einsprache ist denn primär auch nicht auf die Argumentation des Vertreters zurückzuführen, sondern auf die im Sozialhilfeverfahren geltende Untersuchungsmaxime.»
Im Entscheid vom 20. März 200830, wo ebenfalls ein Rekurs gutgeheissen wurde, macht sich der Bezirksrat denn gar nicht mehr die Mühe, die URB-Abweisung inhaltlich zu begründen, sondern begnügt sich mit einem Allgemeinplatz: «Das vorliegende Verfahren bietet weder in tatsächlicher noch in rechtlicher Hinsicht besondere Schwierigkeiten, die den Beizug eines Rechtsvertreters erfordern würden. Dementsprechend ist das Gesuch um unentgeltliche Rechtsvertretung abzuweisen.»
In einem anderen Fall verweigerte der Bezirksrat Zürich mit Entscheid vom 17. Juli 200831, die Notwendigkeit der anwaltlichen Vertretung, obwohl die behandelnde Psychologin der Rekurrentin dieser schriftlich eine mittlere bis schwere Depression attestierte. Der Bezirksrat hält fest: «Eine Depression zieht nicht eo ipso tatsächliche Handlungsfähigkeit nach sich.» Und weiter: «Die Rekurrentin selber hat bei der Sozialberatung nie den Eindruck erweckt, aus welchen Gründen auch immer nicht in der Lage zu sein, ihre Forderungen zu stellen. Dass es um die Kooperation mit ihr nicht immer gut bestellt war, hatte aus behördlicher Sicht weniger mit Unfähigkeit als mit Unwillen zu tun.»
Fazit: Den Bundesgerichtsentscheid 2P.234/2006 vom 14. Dezember 2006, der die Notwendigkeit in einem besonderen Einzelfall eines juristisch bestens versierten Akademikers abgelehnt hatte, weiten untere Instanzen in unzulässiger Art und Weise so aus, dass die Notwendigkeit bei jedem Beschwerdeführer abgelehnt wird, der halbwegs in der Lage ist, vernünftig zu kommunizieren oder einen Brief zu verfassen. Damit wird der Anspruch auf eine unentgeltliche Rechtsvertretung faktisch ausgehebelt.
Jeder Anwalt, der ein Sozialhilfemandat übernimmt und dessen Klient schon einmal einen Brief selber geschrieben oder sogar eine Einsprache oder einen Rekurs verfasst hat, muss ernsthaft damit rechnen, dass das URB-Gesuch abgelehnt wird, und zwar unabhängig davon, ob er materiell obsiegt oder nicht.
Letzteres ist im Einspracheverfahren besonders stossend, weil dort auch bei Obsiegen keine Parteientschädigungen ausgerichtet werden32, aber die Bestellung eines unentgeltlichen Rechtsbeistands möglich wäre.33
3 Sozialhilfemandate für Anwälte oft ein Verlustgeschäft
Im Rekurs- und Beschwerdeverfahren kann gemäss § 17 Abs. 2 VRG bei einer Gutheissung eine Parteientschädigung zugesprochen werden, wenn der Sachverhalt oder die umstrittenen Rechtsfragen den Beizug eines Anwalts rechtfertigen oder wenn die angefochtene Verfügung offensichtlich unbegründet war. Wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, dann besteht ein bedingter Anspruch auf Parteientschädigung.34
Somit ist auch für die Zusprache einer Parteientschädigung – wie bei der unentgeltlichen Rechtsverbeiständung – primär auf die Notwendigkeit der anwaltlichen Vertretung abzustellen. Diese wird wie erwähnt nur mit grosser Zurückhaltung angenommen, so dass selbst bei einer Gutheissung häufig keine Parteientschädigungen ausgerichtet werden.35
Aber selbst wenn bei Gutheissung einer Beschwerde eine Parteientschädigung zugesprochen wird, ist diese in den wenigsten Fällen kosten-deckend. In der Praxis werden häufig Pauschalbeträge von 1000 bis 1500 Franken veranschlagt.36 Diese decken häufig den tatsächlichen Aufwand des Anwalts nicht.
Hier zeigt sich eine weitere Besonderheit des Sozialhilfeverfahrens: In anderen Verwaltungsverfahren kann der Anwalt bei Obsiegen damit rechnen, dass ihm die Differenz zwischen einer ungenügenden Parteientschädigung und seinem tatsächlichen Aufwand vom Klienten ersetzt wird. Häufig kann der Anwalt diese Differenz aus den Vorschusszahlungen selber ersetzen. Von einem Soziahilfeempfänger kann der Anwalt aber weder Vorschüsse verlangen, noch kann er mit Aussicht auf Erfolg nachträglich die ausstehenden Honorare einholen. Fazit: Selbst bei Gutheissung der Beschwerde ist ein Sozialhilfemandat für den Anwalt häufig ein Verlustgeschäft.
Prozessieren ohne Anwalt: Keine Alternative
Man könnte sich nun allen Ernstes fragen, ob es bei dieser Ausgangslage nicht sinnvoller wäre, die Anwälte zögen sich aus dem Sozialhilferecht zurück und liessen die Betroffenen selber prozessieren. Die Untersuchungsmaxime sollte ja garantieren, dass die Rechtsmittelinstanzen von Amtes wegen die Begehren der Rekurrenten und Beschwerdeführer prüfen.
In Tat und Wahrheit sind aber die formellen Anforderungen an die Rekurse und Beschwerden hoch, auch wenn die Beschwerdeführer nicht anwaltlich vertreten sind. Anschaulich zeigt dies der Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich vom 16. Juni 200837: Ein Sozialhilfeempfänger reichte gegen einen Beschluss des Bezirksrats fristgerecht beim Verwaltungsgericht eine Beschwerde ein. Er stellte aber keine Anträge, sondern beantragte lediglich eine Fristerstreckung von zwanzig Tagen, weil er wegen einer Radio- und Chemotherapie nicht in der Lage gewesen war, die Beschwerde rechtzeitig zu begründen.
Das Verwaltungsgericht setzte dem Beschwerdeführer nicht etwa eine kurze Nachfrist zur Verbesserung, sondern trat auf die Beschwerde nicht ein. Begründet wird dies damit, dass das VRG keine Fristverlängerungen von gesetzlichen Fristen zulasse und dass der Beschwerdeführer nicht völlig unerfahren sei in Rechtsmittelverfahren. So habe er circa zwei Jahre zuvor – damals allerdings anwaltlich vertreten – bereits einmal ein Beschwerdeverfahren betreffend Sozialhilfe geführt. Mit anderen Worten mutet das Verwaltungsgericht dem Beschwerdeführer zu, dass er die wesentlichen Regeln eines Rechtsmittelverfahrens zu kennen hat, weil er vor zwei Jahren in einem solchen Verfahren durch einen Anwalt vertreten worden war.
Etwas überspitzt gesagt geht das Verwaltungsgericht davon aus, dass es nicht nur zu den Pflichten des Anwalts gehört, seinen Mandanten gut zu vertreten, sondern ihn auch juristisch so weit zu schulen, dass der Mandant seine Rechtsmittelverfahren in Zukunft selbständig ohne Beizug eines Anwaltes führen kann.
Die Praxis des Verwaltungsgerichts ist also viel strenger als etwa diejenige des Sozialversicherungsgerichts. Dort hat ein rechtsunkundiger Beschwerdeführer von Gesetzes wegen einen Anspruch darauf, dass ihm eine kurze Nachfrist gewährt wird, wenn seine Beschwerdeschrift nicht den formellen Erfordernissen genügt.38 Man muss sich auch fragen, warum das Verwaltungsgericht sich nicht auf § 56 Abs. VRG gestützt hat. Gemäss dieser Bestimmung kann der Präsident des Verwaltungsgerichts das Nötige zur Verbesserung einer ungenügenden Beschwerde anordnen. Dies ergibt sich auch aus § 70 in Verbindung mit § 23 Abs. 2 VRG.39
Ein weiteres Problem ist, dass die Sozialhilfeverfügungen häufig nicht in nachvollziehbarer Art und Weise begründet sind. Oft bestehen die Verfügungen einfach aus dem Sozialhilfebudget und einer Rechtsmittelbelehrung, allenfalls unter Angabe der massgebenden Gesetzesbestimmungen. Da es sich bei Sozialhilfeverfügungen um Erlasse der sogenannten Massenverwaltung handelt, ist es grundsätzlich nachvollziehbar, dass nicht für jede Verfügung eine mehrseitige Begründung verfasst werden kann. Für eine rechtsunkundige Person ist es aber häufig schwierig bis unmöglich, eine Sozialhilfeverfügung oder ein Sozialhilfebudget auf seine Richtigkeit zu überprüfen. Dafür sind Kenntnisse der Skos-Richtlinien und der massgebenden Sozialhilfegesetze notwendig.40 Im Weiteren wenden die meisten Kantone auch interne Weisungen an41, die einem Laien nicht ohne weiteres bekannt sein dürften.
Kurz: Eine aussichtsreiche Alternative bietet das selbständige Prozessieren für die allermeisten – in aller Regel rechtsunkundigen – Sozialhilfeempfänger nicht.
4 Verteidigungsrechte bei Sozialhilfebetrug eingeschränkt
In Fällen, wo einem Sozialhilfebezüger vorgeworfen wird, längere Zeit zu Unrecht Sozialhilfegelder bezogen zu haben, werden diese natürlich zurückgefordert.42 Gleichzeitig wird regelmässig eine Strafanzeige wegen Betrugs eingereicht.
Nachdem es in der Vergangenheit immer wieder zu Freisprüchen gekommen ist, weil den Sozialhilfeempfängern nicht nachgewiesen werden konnte, arglistig gehandelt zu haben, führte der Kanton Zürich am 1. Januar 2008 mit § 48a Sozialhilfegesetz (SHG) eine gesonderte Strafbestimmung ein, die derjenigen des Betrugs gleicht, aber keine Arglist mehr verlangt, sondern bereits das unrechtmässige Erlangen von Sozialhilfeleistungen durch unwahre Angaben oder Verschweigen unter Strafe stellt.43
Ein Sozialhilfeempfänger, dessen Sozialhilfe eingestellt wurde und gegen welchen eine Rückforderung geltend gemacht wurde, ist, selbst wenn er ein Rechtsmittel ergriffen hat, in einer Zwickmühle. Im Strafverfahren dürfte er eigentlich vom Recht der Aussageverweigerung Gebrauch machen. Auch eine allfällige Selbstbegünstigung dürfte im Strafverfahren nicht zusätzlich bestraft werden. Das sind elementare Verteidigungsrechte im Strafverfahren.
Wenn derselbe Sozialhilfeempfänger erneut ein Gesuch um wirtschaftliche Sozialhilfe stellt, weil er ja von irgendetwas leben muss, dann wird von ihm verlangt, dass er seine Finanzen nicht nur in Bezug auf seine aktuelle Situation offen legt, sondern auch für die Zeit, für welche die – noch nicht rechtskräftige – Rückforderung erfolgt ist und für die ein – noch nicht rechtskräftig erledigtes – Strafverfahren eingeleitet wurde.
Damit steht ein Sozialhilfeempfänger vor einer schwierigen Entscheidung: Entweder nimmt er seine Rechte im Strafverfahren wahr und verliert damit seine zukünftigen Sozialhilfeansprüche wegen Verletzung der Mitwirkungspflicht, oder aber er legt dem Sozialamt seine früheren finanziellen Verhältnisse offen und verzichtet somit auf seine Verteidigungsrechte, weil die Strafbehörden von den Sozialhilfebehörden jegliche Informationen einholen können.
Da den betroffenen Personen meistens keine andere Wahl bleibt, als sich während der laufenden Rückforderungs- und Strafverfahren erneut für Sozialhilfe anzumelden, sind sie faktisch gezwungen, im Strafverfahren auf wesentliche Verteidigungsrechte zu verzichten. Diese Situation ist rechtsstaatlich unbefriedigend. Eigentlich müsste ein Betroffener seine Verteidigungsrechte wahrnehmen können, ohne damit seine Lebensgrundlage zu gefährden.
5 Rechtszugang für Sozialhilfeempfänger muss besser werden
Aus dem oben Ausgeführten ergeben sich vier Forderungen, die erfüllt sein müssten, um den Sozialhilfeempfängern einen genügenden Zugang zum Recht zu verschaffen:
1 ATSG für Verfahren im Bereich der Sozialhilfe
Die Sozialhilfeverfahren dauern zu lange, es sind zu viele verwaltungsinterne Rechtsmittelinstanzen vorgesehen und es bestehen prozessuale Hürden wie zum Beispiel bei der Akteneinsicht. Das VRG trägt den Besonderheiten des Sozialhilfeverfahrens zu wenig Rechnung. Diese Probleme könnten vermieden werden, wenn für den Bereich der Sozialhilfe ein einfaches, kostenloses und niederschwelliges Verfahren gelten würde, das dem Umstand Rechnung trägt, dass es sich bei Sozialhilfeempfängern um besonders stark vom Staat abhängige Personen mit einem besonders grossen Rechtsschutzbedürfnis handelt.
In anderen sogenannten «sozialen» Rechtsbereichen bestehen gerade deshalb besondere, «kundenfreundlich» ausgestaltete Verfahrensordnungen. Würde zum Beispiel das ATSG für den Sozialhilfebereich für anwendbar erklärt, so wären viele der dargelegten Verfahrensprobleme gelöst. Für die mit dem Vollzug der Sozialhilfe betrauten Gemeinden ist die Anwendung des ATSG ja nichts Neues, gilt dieser ja bereits heute im Bereich der Zusatzleistungen, dessen Vollzug ebenfalls den Gemeinden obliegt.
2 Spezialisierte Rechtsdienste
Wie dargelegt, ist die Führung von Sozialhilfeverfahren für freischaffende Rechtsanwälte in der Regel ein Verlustgeschäft. Deshalb gibt es kaum spezialisierte Anwälte in diesem Bereich. Umso dringender, dass unabhängige – private oder öffentliche – Rechtsdienste geschaffen werden, die kostenlos, aber mit Erfahrung und Fachwissen Rechtsvertretungen im Bereich der Sozialhilfe wahrnehmen können. Ähnlich wie die zahlreichen spezialisierten Rechtsdienste für behinderte Personen, die von diversen Behindertenorganisationen angeboten werden, könnten solche Sozialhilferechtsdienst die Interessen der Sozialhilfeempfänger kostenlos und kompetent vertreten.
3 Lockerung der URB-Praxis
Des Weiteren müssen auch die Gerichte und die rechtsanwendenden Behörden ihre strenge Praxis für die Bewilligung der unentgeltlichen Rechtsvertretung aufgeben. Sozialhilfeempfänger sind regelmässig bedürftig und bei einer Kürzung oder Streichung der Sozialhilfe sind sie auch regelmässig stark betroffen. Sehr häufig sind Sozialhilfeempfänger intellektuell überfordert oder gesundheitlich angeschlagen und nicht in der Lage, ihre Rechte selber wahrzunehmen. Entsprechend sollte die Notwendigkeit einer anwaltlichen Vertretung in Sozialhilfeverfahren im Regelfall bejaht werden. Nur wenn die betroffene Person in Rechts- und Verfahrensfragen besonders versiert ist, sollte die Notwendigkeit verneint werden.
4 Aufschiebende Wirkung als Grundsatz
Da der Entzug von Sozialhilfe einen sehr starken Eingriff in die Rechte der Betroffenen darstellt, sollte ein Rechtsmittel gegen eine Sozialhilfeverfügung in aller Regel aufschiebende Wirkung haben. Das Interesse des Staates darf nicht höher gewertet werden als das Interesse der Betroffenen, sich gegen den Entzug der Sozialhilfe und damit gegen den Verlust ihrer Lebensgrundlagen zu wehren. Deshalb sollten im Sozialhilfeverfahren die Voraussetzungen für den Entzug der aufschiebenden Wirkung besonders streng sein und auf Extremfälle beschränkt werden, etwa wenn ein Rechtsmittel in rechtmissbräuchlicher Art und Weise ergriffen wird oder wenn die Rechtsbegehren aussichtslos sind.
Als Schlussfazit ist festzuhalten: Es ist damit zu rechnen, dass in Zukunft sowohl die absolute Anzahl wie auch der prozentuale Anteil an Personen, die von staatlicher Sozialhilfe abhängig sind, zunehmen wird. Wenn die Sozialhilfekosten stark wachsen, dann steigt auch der Druck auf die Gemeinden, in diesem Bereich Einsparungen vorzunehmen. Schon heute lässt sich eine deutlich strengere Verwaltungspraxis als noch vor zehn Jahren feststellen. Deshalb wird in Zukunft ein wirksamer und leichter Zugang zum Recht für die schwächsten Glieder der Gesellschaft besonders wichtig werden.
Sozialhilfe: Verwaltungsverfahren und Rechtsschutz einheitlich vereinfachen
Die meisten der hier zitierten Entscheide und Gesetzesbestimmungen stammen aus dem Kanton Zürich. Für andere Kantone können sich in Einzelfällen Abweichungen ergeben, da die kantonalen Sozialhilfe- und Verfahrensgesetze unterschiedlich ausgestaltet sind. Die grundsätzlichen Probleme bestehen aber in allen Kantonen: Die anwendbaren Verwaltungsverfahrensgesetze nehmen zu wenig Rücksicht auf die Tatsache, dass man es im Sozialhilferecht, anders als in anderen Bereichen des Verwaltungsrechts, mit besonders schutzwürdigen Personen zu tun hat, die in einem starken Abhängigkeitsverhältnis zum Staat stehen.
Es wäre deshalb wünschenswert, dass die aktuelle Diskussion zu einem Bundesrahmengesetz zur Existenzsicherung sich nicht auf eine materiell-rechtliche Vereinheitlichung des Sozialhilferechts beschränkt, sondern auch eine einheitliche Vereinfachung des Verfahrensrechts und des Rechtsschutzes angestrebt wird.
1 Walter Schmid, «Karge Behandlung der Sozialhilfe im Recht», NZZ vom 1. Oktober 2008, S. 19; siehe auch Voll/Häfeli, in: Häfeli (Hrsg.), Das Schweizerische Sozialhilferecht, Luzern 2008, S. 384.
2 Rechenschaftsbericht 2007 des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich, S. 28.
3 Ebenda.
4 Beiträge zur sozialen Sicherheit, Evaluation der Regionalärztlichen Dienste (Rad), Forschungsbericht Nr. 13/07, Tabelle 44, S. 65.
5 Während vieler Jahren war die einzige umfassende Abhandlung diejenige von Wolfers, Grundriss des Sozialhilferechts, Bern 1993. Erst vor kurzem ist eine neue Publikation erschienen: Häfeli (Hrsg.), Das Schweizerische Sozialhilferecht, Luzern 2008.
6 Urteil des Bundesgerichts vom 4. März 2003, 2P.147/2002, Erw. 3.2.; Skos-Richtlinien, Ziff. A.8.5.
7 § 17 DSG-ZH i.V.m. § 10 Abs. 2 der Datenschutzverordnung.
8 § 3 Abs. 2 lit. b DSG-ZH.9 Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich vom 2. Dezember 2004, VB.2004.00412, Erw. 2, mit Verweis auf VB.2000.00221. Das Verwaltungsgericht leitet die Pflicht der Behörden, geordnete Akten zu führen, aus § 7 Abs. 1 und 2 bzw. § 57 Abs. 1 VRG ab. Siehe auch Breitschmid, in: Häfeli (Hrsg.), Das Schweizerische Sozialhilferecht, Luzern 2008, S. 347. Immerhin: Es wurde die Einführung eines neuen Computerprogramms für die Dateiverwaltung und damit verbunden eine Verbesserung der Akteneinsicht in Aussicht gestellt.
10 Art. 9 ATSV.
11 Der Bezirksrat beaufsichtigt im Kanton Zürich bezirksweise die Gemeinden und öffentlich-rechtlichen Körperschaften. Er schreitet ein, wenn er in einer Gemeinde «Unordnung, Missbräuche, Gesetzes- oder Pflichtverletzungen» wahrnimmt.
12 § 62 Abs. 2 StPO-ZH.
13 Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich vom 30. Juli 2008, VB.2008.00337, Erw. 4.
14 So ausdrücklich im Urteil des Verwaltungsgerichts vom 2. September 2008, VB.2008.00301.
15 § 24 lit. b Ziff. 5 SHG.
16 Siehe Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich vom 7. Februar 2008, VB.2007.00523, Erw. 5.
17 Siehe Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich vom 1. Juli 2008, VB.2008.00206, Erw. 518 Meichssner, Das Grundrecht auf unentgeltliche Rechtspflege (Art. 29 Abs. 3 BV), Basler Studien zur Rechtswissenschaft, Reihe B Öffentliches Recht, Band 77, Basel 2008, S. S. 124ff.
19 BGE 130 I 182, Erw. 2.2.; BGE 120 I 232, Erw. 2.5.2.; BGE 120 Ia 45, Erw. 2a.
20 Kölz/Bosshart/Röhl, VRG-Kommentar, 2. Auflage, Zürich 1999, Rz. 11 zu § 17.
21 Breitschmid, in: Häfeli (Hrsg.), Das Schweizerische Sozialhilferecht, Luzern 2008, S. 353.
22 Meichssner, a. a. O., S. 127.
23 Allerdings war diese Frage gar nicht umstritten, da offenbar auch der Beschwerdeführer davon ausging, dass es sich um einen relativ schweren Eingriff handle.
24 VB.2007.0477, Erw. 6.
25 VB.2007.0423, Erw. 5.4.
26 VB.2007.0467, Erw. 6.3.
27 VB.2007.00317, Erw. 6.3.
28 Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich vom 7. Februar 2008, VB.2007.00466, Erw. 6; dort erfolgte die Verneinung der Notwendigkeit, weil der Beschwerdeführer in der Vergangenheit als stellvertretender Geschäftsführer gearbeitet hatte.
29 SO.2008.45, Erw. 4.3.
30 SO.2008.15, Erw. 7.1.
31 SO.2008.35, Erw. 4.3.
32 § 17 Abs. 1 VRG.33 § 16 Abs. 2 VRG.
34 Kölz/Bosshart/Röhl, VRG-Kommentar, Rz. 4 zu § 17.
35 Z.B. Entscheid des Bezirksrats Meilen vom 22. September 2008 (SO.2008.15), Erw. 3.2; Entscheid des Bezirksrats Horgen vom 16. Oktober 2008 (SO.2008.22), Erw. 6.2.
36 Dazu einige Urteile des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich: Urteil vom 23. August 2007, VB.2007.00217; Urteil vom 3. Dezember 2007, VB.2007.00317; Urteil vom 21. August 2007, VB.2007.00075.
37 VB.2008.00243.
38 § 18 Abs. 3 GSVG.
39 Kölz/Bosshart/Röhl, VRG-Kommentar, Rz. 8 zu § 56.
40 So dürfen die Budgets im Kanton Aargau erheblich von den Skos-Richtlinien abweichen; siehe § 10 der Sozialhilfeverordnung.
41 Im Kanton Zürich das Sozialhilfe-Behördenhandbuch,www.sozialhilfe.zh.ch.
42 § 26 SHG.
43 Art. 335 Abs. 2 StGB stellt es den Kantonen völlig frei, Zuwiderhandlungen im Bereich des kantonale Verwaltungs- und Prozessrecht mit Sanktionen zu bedrohen. Als kantonales Verwaltungsstrafrecht gelten Strafrechtssätze, die der Durchsetzung verwaltungsrechtlicher Bestimmungen dienen sollen. Darunter fallen auch die Sozialhilfegesetze (BGE 117 Ia 472).