Die schweizerische Richtervereinigung zählt zu ihren Aufgaben, Fragen zu Grundsätzen der Berufsethik von Richtern zur Diskussion zu stellen. Sie gründete dazu 2014 eine Ethikkommission. Diese besteht aus neun Mitgliedern, die im Hauptberuf Richter sind oder waren (siehe Unten).
Laut Kommissionsmitglied Peter Albrecht hat sich das Gremium bisher schwerpunktmässig mit selbst aufgegriffenen Themen beschäftigt. Zum Vorgehen sagt Kommissionsmitglied Franziska Plüss: «Wir greifen reale Fälle auf oder fassen mehrere ähnliche Fälle zusammen, um dann daraus Leitplanken für die Richterschaft auszuarbeiten.» Zum Teil verändere die Kommission Fälle, um betroffene Richter zu schützen.
Die Kommission trifft ihre Entscheide laut Albrecht in einer mündlichen Beratung, wobei bis heute stets weitgehende Einigkeit erreicht worden sei. Durchsetzen kann die Kommission die Empfehlungen nicht: «Es sind bewusst keine Sanktionsmöglichkeiten vorgesehen.» Die Kommission verstehe sich nicht als Aufsichts-, Kontroll- oder Untersuchungsbehörde der Richter.
Seit Ende 2016 veröffentlicht die Ethikkomission ihre Stellungnahmen auf der Homepage der Richtervereinigung (www.svr-asm.ch " Ethik " Stellungnahmen). Zwei wichtige Fälle betreffen die Ausstandspflicht bei Clubmitgliedschaften und die Grenzen von Nebenbeschäftigungen.
Richteramt und Rotary-Mitgliedschaft
Der Fall: Ein Arbeitsgerichtspräsident ist gleichzeitig auch Mitglied des Rotary Clubs. Der Richter führte ein Verfahren, in dem die beklagte Partei ebenfalls Mitglied des örtlichen Rotary Clubs ist. Der Ethikkommission stellten sich folgende Fragen: Kann der Richter im erwähnten Verfahren ein unvoreingenommenes Verhalten an den Tag legen, sodass kein begründeter Verdacht auf Parteilichkeit entsteht? Soll der Richter seine Mitgliedschaft im Rotary Club offenlegen müssen?
Aus der Empfehlung: Die Kommission beschäftigte sich zuerst mit dem Wesen des Rotary Clubs. Sie stellte dabei fest: «Deklariertes Ziel von Rotary ist unter anderem die Pflege von Freundschaften sowie die Förderung verantwortungsbewusster privater, geschäftlicher und öffentlicher Betätigung aller Mitglieder. Zwecks Pflege dieser Freundschaften wird von den Mitgliedern die Einhaltung von Präsenzregeln gefordert.» Der Schluss der Kommission: Wenn die Pflege von Freundschaften ein explizites Ziel des Vereins darstelle und dazu von den Mitgliedern noch strenge Anwesenheitspflichten einzuhalten seien, entstehe der Verdacht auf «Mauschelei» unter Rotariern und damit ein Verdacht auf Parteilichkeit.
So kommt die Kommission zu einem Fazit, das nicht verwundert: Beim Richter sei aufgrund seiner Rotary-Mitgliedschaft «auf eine Befangenheit zu schliessen, und er hat aus berufsethischer Sicht in den Ausstand zu treten». Dies unabhängig davon, ob er aus seiner eigenen Sicht zur beklagten Partei tatsächlich ein freundschaftliches Verhältnis pflege. «Würde er die Verhandlung dennoch führen, wäre dies geeignet, das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Justiz zu beeinträchtigen.»
Die Kommission bejaht auch den Anspruch «zumindest der Verfahrensbeteiligten» auf Kenntnis der Mitgliedschaft des Richters im Rotary Club. Dafür wäre die Erstellung eines öffentlichen Registers, in welchem Richterpersonen auch ihre Mitgliedschaften in Serviceclubs bekanntgeben müssten, laut Kommission «sicher zielführend».
Vollzeit-Richter als Paarberater
Der Fall: X. arbeitet vollamtlich als erstinstanzlicher Zivilrichter. Er beurteilt Fälle aus dem gesamten Spektrum des Zivilrechts, mit Ausnahme des Familienrechts. Daneben übt er am Gericht auch die Funktion des Geschäftsleiters aus. Schon vor seiner Wahl zum Richter bildete sich X. in Kursen und Studien im Bereich Paarberatung weiter. Er ersucht die Aufsichtsbehörde, ihm neben seiner hauptamtlichen Tätigkeit in begrenztem Umfang eine entgeltliche Nebenbeschäftigung als selbständiger Paarberater zu bewilligen.
Aus der Empfehlung: Laut der Ethikkommission ist Paarberatung eine anspruchsvolle Tätigkeit, die sich nicht einfach so nebenbei betreiben lasse: «Sie bindet Ressourcen, Aufmerksamkeit und Energie, sie absorbiert Arbeitskraft.» Ausserdem werde sie typischerweise zu Erwerbszwecken ausgeübt. Eine Nebenbeschäftigung als Paarberater unterscheide sich damit wesentlich von anderen, ebenfalls anspruchsvollen Nebenbeschäftigungen insbesondere kultureller oder wissenschaftlicher Art.
Die Kommission ist der Ansicht, dass diese Nebenbeschäftigung geeignet sei, die Erfüllungen der Amtspflichten als Richter und damit das Ansehen der Gerichtsbehörden zu beeinträchtigen. Weil X. ein volles Pensum als Richter bekleide und zudem die Nebenfunktion eines Geschäftsleiters ausübe, habe dieser Umstand besondere Bedeutung. Die Erfüllung der Amtspflichten werde beeinträchtigt, wenn Richteramt und nebenberufliche Tätigkeit zusammen ein Ausmass von deutlich mehr als 100 Prozent annähmen.
Zu berücksichtigen sei auch, dass X. eine Nebenbeschäftigung ausüben möchte, die keinen Zusammenhang mit seinem Richterberuf habe: «Synergien zu seiner richterlichen Tätigkeit ergeben sich nicht, sodass kein öffentliches Interesse die Erteilung der Bewilligung nahelegen könnte.»
Weil Nebenerwerbstätigkeiten regelmässig zu finanziellen Bindungen, Anreizen, Beeinflussungen und Abhängigkeiten führen würden, sind laut Ethikkommission Ansehen und Unabhängigkeit des Richteramts fast zwangsläufig in Frage gestellt. Eigentliche Nebenerwerbstätigkeiten seien in einer Justizverfassung, die auf dem Grundsatz der richterlichen Unabhängigkeit aufbaue, grundsätzlich wesensfremd: «Wirtschaftliche Bindungen und Interdependenzen sind mit Amt und Stellung nicht zu vereinbaren.» Fazit der Kommission: «Aus berufsethischer Sicht sollte eine solche Nebenerwerbstätigkeit nicht ausgeübt werden.»
Die Mitglieder der Kommission
Die Ethikkommission der Schweizerischen Richtervereinigung kann direkt über die Mail-Adresse ethik@svr-asm.ch kontaktiert werden oder über die Postadresse:
SVR-ASM Ethikkommission, p.A. Obergericht des Kantons Bern, Hochschulstrasse 17, 3001 Bern.
Der Kommission gehören folgende Mitglieder an:
- Peter Albrecht, ehemaliger Gerichtspräsident Strafgericht BS
- Olivier Bindschedler Tornare, Richter Verwaltungsgericht GE
- Emanuela Epiney-Colombo, Richterin Appellationsgericht TI
- Stephan Gass, Kantonsrichter BL
- Gabriella Matefi, Richterin am Appellationsgericht BS
- Marcel Ogg, Oberrichter TG
- Franziska Plüss, Oberrichterin AG
- Christian Trenkel, Oberrichter BE
- Nathalie Zufferey Franciolli, Bundesstrafrichterin