Für Frédéric Krauskopf ist die Professur an der Universität Bern Berufung, nicht bloss Beruf: «Es ist ein wunderbares Gefühl, den Vorlesungssaal mit dem Wissen zu verlassen: Ich wurde gehört und habe bei einzelnen Studenten sogar das Interesse gefördert.» Selbstbewusst fügt der 41-Jährige hinzu: «Dozent sein liegt mir, ich habe das Gefühl, das ist mein Ding!» Ohne Lehre würde er den Beruf nicht ausüben wollen. «Das wäre eine schreckliche Vorstellung.»
Genauso schrecklich fände er eine Nebentätigkeit etwa bei einer Bank oder einer Versicherung. Auch mit einem Nebenjob als Konsulent in einer Anwaltskanzlei kann er nichts anfangen, obwohl er mehrfach angefragt wurde. «Meine Unabhängigkeit ist mir heilig», sagt er bestimmt. Unabhängig sein bedeute aber nicht, meinungslos zu sein.
“Keine gekauften Überzeugungen”
Ein Wissenschafter solle persönliche Überzeugungen haben. «Aber er darf nicht gekaufte Überzeugungen haben.» Professoren, die nebenbei für Grossbanken oder als Rechtskonsulenten in Wirtschaftskanzleien arbeiteten, müssten doch bei jeder Kritik darauf achten, «dass sie dosiert ist und die Klientschaft nicht schmerzt», sagt er mit einem Augenzwinkern.
Krauskopf gilt als Koryphäe des Haftpflichtrechts. Man findet beinahe keine Tagung zu diesem Thema, bei der er nicht als Referent eingeladen wäre. Wer einmal eines seiner Referate erlebt hat, weiss: Hier referiert ein Schnelldenker mit Leidenschaft. Auf eloquente und witzige Art verglich Krauskopf kürzlich an einer Tagung zum Thema «Rechtsschutzversicherungen und Anwalt» einige «unverständliche» AGB-Bestimmungen in Rechtsschutzversicherungen. Lautes Lachen war bis in die hintersten Reihen zu vernehmen – nicht wenige der amüsierten Gäste waren Vertreter der Versicherungen. Ein Tagungsteilnehmer fasste es so zusammen: «Bei Krauskopf kann man viel lachen und dabei erst noch enorm viel lernen.» Auch seine Studenten sind des Lobes voll: «Er ist authentisch und kann den kompliziertesten Stoff anhand lebensnaher Beispiele verständlich erklären.»
Krauskopf ist seit 2012 ordentlicher Professor für Privatrecht und Rechtsvergleichung an der Uni Bern. Zudem ist er Direktor des Instituts für Haftpflicht- und Versicherungsrecht an derselben Uni sowie Lehrbeauftragter an der Universität Basel im Fachbereich Privatrecht. Vor seiner akademischen Karriere arbeitete Krauskopf als Rechtsanwalt in der Zürcher Kanzlei Baur Hürlimann.
“Amerikanisierung” des Haftpflichtrechts
Auf die Frage, was an Haftpflichtrecht so interessant sei, muss Krauskopf nicht lange um eine Antwort ringen: «Das Zusammenspiel von Gesellschaften, Versicherungen und Haftpflicht ist interessant.» Die entscheidende Frage sei immer, welches Verhalten, welche Aktivitäten und Tätigkeiten sowie welche Unterlassungen eine Haftung auslösen sollen. Unsere Gesellschaft habe in den letzten Jahrzehnten eine unglaubliche Entwicklung zu immer mehr Haftungen gemacht. Illustrativ nennt der Professor zahlreiche Bundesgesetze, die neue oder verschärfte Haftungsgrundlagen enthalten – «etwa im medizinischen Bereich oder in der Finanzmarktregulierung». Zu dieser Tendenz beitragen würden auch die immer zahlreicher werdenden Versicherungsobligatorien, wie etwa das «Bundesgesetz über das Bergführerwesen und Anbieten weiterer Risikoaktivitäten» aus dem Jahre 2010.
Laut Krauskopf hat das Haftpflichtrecht dazu beigetragen, dass sich die Gesellschaft mehr und mehr zu einer Anspruchsgesellschaft entwickle. Auch in der Literatur werde bisweilen sehr deutlich eine «Amerikanisierung» des Haftpflicht- und Prozessrechts gefordert. Ein Spezialist aus der Praxis für Genugtuungsrecht habe ihn denn kürzlich auch auf die grösser gewordenen Summen beim Schmerzensgeld in der Schweiz hingewiesen.
Für Krauskopf ist das nicht durchwegs schlecht. Doch diese Entwicklung dürfe nicht unkritisch hingenommen werden. Reformen des Haftpflichtrechts seien nötig: «Es gibt wichtige Baustellen.» Zum Beispiel verlangt Krauskopf, dass die Schweiz
die Verjährung überdenkt. «Es braucht kurze Verjährungsfristen, die aber erst zu laufen beginnen, wenn der Schaden bekannt ist.» Bei der Asbestproblematik würde die Frist je nach Schadenseintritt erst nach zwanzig oder dreissig Jahren ausgelöst.
Der Professor ist sich bewusst, dass diese Meinung im Parlament kaum mehrheitsfähig ist. «Das hätte zur Folge, dass in gewissen Fällen der Schädiger auch nach dreissig Jahren in Anspruch genommen werden kann.» Krauskopf nennt ein Beispiel: «Macht ein Arzt einen Behandlungsfehler, der sich erst nach zwanzig Jahren manifestiert, könnte er nach eben dieser Zeit belangt werden.» Das schaffe neue Probleme. «Was ist, wenn der Arzt bereits im Ruhestand ist und die Versicherung aufgelöst hat, weil er ja nicht mehr praktiziert?» Solche Probleme könne man aber einfach lösen: «Stammt die haftungsauslösende Handlung aus der Zeit, als ein Versicherungsschutz bestand, dann ist die berufliche Haftpflichtversicherung verpflichtet, diesen Schaden zu decken.»
Auf Kritik stösst bei Krauskopf der Entschädigungsfonds, mit dem man das Problem der Spätschäden von Asbestgeschädigten lösen will. Die Idee dahinter: Wer über den Entschädigungsfonds Geld erhält, soll auf zivilrechtliche Ansprüche verzichten. Altbundesrat Moritz Leuenberger, der einen runden Tisch zur Entschädigung der Asbestopfer leitete, preist den Fonds als «gerechte Lösung» an. Krauskopf sieht das anders: «Ich erkenne auch Gefahren, weil damit letztlich den Geschädigten der Zugang zum Gericht versperrt wird. Indem man ihnen rasch und unkompliziert Geld in Aussicht stellt, verleitet man sie zum Verzicht auf ihre zivilrechtlichen Ansprüche.»
Krauskopf bedauert, dass in der Diskussion um die Revision des Verjährungsrechts vergessen wurde, dass sich die Problematik der Spätschäden überall stellen könne, nicht nur bei den Asbestfällen. Es gebe auch andere schädigende Substanzen, die sich zeitverzögernd auf den Menschen auswirken würden – «zum Beispiel Radioaktivität».
Sinniert Krauskopf mal nicht über privatrechtliche Probleme, verbringt er viel Zeit mit seinen vier Kindern und seiner Frau, die ebenfalls Juristin ist. Zweimal in der Woche gehe er Joggen oder mit den Kindern Biken. Und jeden Freitagabend schlüpft er in die Rolle des Co-Trainers im lokalen Leichtathletikclub für Neun- und Zehnjährige. Der langjährige Klavierspieler lebt mit seiner Familie auf der welschen Seite der Sprachgrenze, in Corminbœuf nahe Freiburg.