Beide Bücher sind hochaktuell. Im Kommentar zur schweizerischen Strafprozessordnung (StPO) äussern sich 16 Autoren aus Wissenschaft und Praxis. Die Schwierigkeit, ein gänzlich neues Gesetz zu kommentieren, lösen sie durch Rückgriff auf Praxis und Lehre zu den bisherigen kantonalen StPO und auf Entscheide der Europäischen Gerichtshöfe. So erschliessen sich neue Lösungsansätze scheinbar altbekannter Fragen; dasselbe wird auch durch eine sehr kritische und schöpferische Beleuchtung des neuen Gesetzes erreicht.
Überzeugend dargestellt sind etwa die Erwägungen zu Sinn und Zweck des Anwalts der ersten Stunde: eine hilfreiche Anleitung für die Ermittlungsbehörden zur Umsetzung dieses neuen Instituts. Mit solchen richtungsweisenden Überlegungen unterstützt der Kommentar pragmatisch die Rechtsvereinheitlichung, die mit der schweizerischen StPO beabsichtigt ist. Weiter nutzen die Autoren die Gelegenheit, allgemeine Grundsätze zu erläutern und in den Kontext der Revision einzubetten. Ein unverzichtbares Werk.
Niklaus Schmid behandelt übergangsrechtliche Fragen und bildet Fallkonstellationen, die zu interessanten Überlegungen einladen. Er legt umfassend dar, inwiefern übergangsrechtliche Fragen berücksichtigt beziehungsweise beantwortet werden müssen. Eine thematische Gliederung findet sich etwa bei Fragen zur Zuständigkeit, Beweismittelbeschaffung und -verwertung oder im Zusammenhang mit Zwangsmassnahmen; eine übersichtliche Darstellung im Rechtsmittelverfahren und bei der Vollstreckung.
Wo das neue Gesetz scheinbar ungeachtet konkreter übergangsrechtlicher Probleme starre Regeln aufstellt, werden Lösungen aufgezeigt, wie unbillige oder impraktikable Ergebnisse oder Verfahrensschritte vermieden werden können. Dabei werden Vorwirkungen des neuen Rechts wie auch Nachwirkungen des alten als mögliche Auswege skizziert. Die Schrift sensibilisiert für übergangsrechtliche Fragen und bietet konkrete Lösungsansätze auch über den Gesetzeswortlaut hinaus. Sie gibt dem Praktiker ein wertvolles Instrument in die Hand, zu dem er in den kommenden Monaten besonders oft greifen wird.
Für den Praktiker ist die Wahl klar: am besten beide Werke.
Thomas Heeb, Petar Hrovat
Besprochene Bücher
Andreas Donatsch / Thomas Hansjakob / Viktor Lieber (Hrsg.)
Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung (StPO)
Schulthess Verlag, Zürich 2010,
2244 Seiten, Fr. 448.-
Niklaus Schmid
Übergangsrecht der Schweizerischen Strafprozessordnung (StPO)
Dike Verlag, Zürich / St. Gallen 2010,
130 Seiten, Fr. 39.-
Neue Bücher
Datenschutz
Peter Gola
Datenschutz und Multimedia am Arbeitsplatz. Rechtsfragen und Handlungshilfen für die betriebliche Praxis, 3. Auflage
Datakontext Fachverlag, Heidelberg 2010, 234 Seiten, Fr. 68.90
Am Arbeitsplatz eingesetzte Kommunikationstechniken wie E-Mail, Internet und Intranet werfen neue arbeits- und datenschutzrechtliche Fragen auf. Diese Publikation behandelt die Thematik nach deutschem Recht. Für die Schweiz stellen sich die exakt gleichen Rechtsfragen. Ausführlich analysiert werden die Rechtsgrundlagen wie der Persönlichkeitsschutz im Arbeitsverhältnis, der Schutz des Fernmeldegeheimnisses oder die bereichsspezifischen Datenschutzregelungen. Speziell dargelegt ist der Datenschutz bei der Mischnutzung, sprich: bei privater und dienstlicher Nutzung von E-Mail und Internet. Weitere Themen sind die Grenzen von Kontrollen, die möglichen Folgen einer unbefugten Nutzung, die Publikation von Personendaten oder die Ermittlung von Bewerberdaten aus dem Internet.
Bewertung: Für Juristen, IT- und Personalverantwortliche sehr zu empfehlen. me
Werberecht
Lucas David / Marc Schwenninger / Manuel Senn / André Thalmann
Werberecht Kommentar,
2. Auflage Orell Füssli Verlag, Zürich 2010, 420 Seiten, Fr. 98.-
Das Werk befasst sich mit den Grundsätzen der Schweizerischen Lauterkeitskommission zur kommerziellen Kommunikation und analysiert rund 150 Artikel aus 50 verschiedenen Bundeserlassen. Es zeigt die Grenzen erlaubter Werbung für Waren, Dienstleistungen und politische Meinungsbildung auf und erklärt die lauterkeitsrechtliche Generalklausel, die Spezialnorm über unlautere Werbe- und Verkaufsmethoden sowie die Preisbekanntgabeverordnung, die sich darauf stützt. Behandelt werden auch Regelungen, die sich auf einzelne Medien beziehen und über die gesamte Rechtsordnung verstreut sind wie Aussen-, Internet-, Radio- und Fernsehwerbung. Ebenso informativ sind die Passagen, die auf Produkte bestimmter Branchen zugeschnitten sind, etwa Tabakwaren, Kosmetika, Arzneimittel oder Finanzen.
Bewertung: Für Praktiker, Studenten, Texter und Art-Direktoren gleichermassen geeignet. tva
Heimvertrag
Peter Breitschmid / Thomas Gächter (Hrsg.)
Rechtsfragen zum Heimaufenthalt und dessen Finanzierung
Dike Verlag, Zürich / St. Gallen 2010, 231 Seiten, Fr. 48.-
Auch wenn die Tagung, deren Referate die Grundlage des Buchs bilden, schon etwas zurückliegt (2008), ist der Inhalt für die Zukunft dennoch wegweisend. Es geht um die komplexe, intransparente und bislang rechtlich wenig normierte Thematik rund um die Heime und ihre Finanzierung. Im Hinblick auf die Einführung der neuen Pflegefinanzierung im Januar 2011 haben die Autoren ihre Referate aktualisiert und erweitert. Sie thematisieren das uneinheitliche Finanzierungssystem, die mangelnde Kostentransparenz und die nicht kostendeckenden Tarife. Ausführlich zur Sprache kommen auch der zunehmend an Bedeutung gewinnende Heimvertrag, die Ergänzungsleistungen und die Hilflosenentschädigung. Gut verständliches Basiswissen über die Alters- und Pflegeheimfinanzierung am Beispiel des Kantons Zürich.
Bewertung: Wertvoller Beitrag zur Diskussion über die dringend notwendige (Neu-)Regelung der Heimfinanzierung. ab
Strafrecht
Loïc Wacquant
Bestrafen der Armen: Zur neoliberalen Regierung der sozialen Unsicherheit
Verlag Barbara Budrich, Opladen 2009, 359 Seiten, Fr. 49.90
Der französische Soziologe setzt sich mit der Politik der Repression gegenüber Straftätern und sozial Schwachen in den USA auseinander. Seine in «Elend hinter Gittern» (2000) skizzierten Überlegungen vertiefend stellt er einen Ausbau der rechten Hand des Staates (Polizei, Justiz) bei gleichzeitigem Abbau seiner linken (Sozialstaat) fest. Überzeugend legt er dar, dass es sich um einen funktionalen Zusammenhang und nicht bloss eine zeitgleiche Entwicklung handelt. Wacquant, ein Schüler des französischen Soziologen Pierre Bourdieu, macht eine Wende in der Strafrechtspolitik aus: Leitstern ist nicht mehr das Doppelgespann Verbrechen und Strafe, sondern die Regulierung der sozialen Unsicherheit. Einzelne der Thesen zur neoliberalen Rechtspolitik lassen sich durchaus auf die Schweiz übertragen.
Bewertung: Einer der zentralen kritischen Beiträge zur gegenwärtigen (Straf-)Rechtssoziologie. sb
Urheberrecht
Felix Frey
Der Musikförderabzug der Suisa bei den Senderechten
Stämpfli Verlag, Bern 2010, 160 Seiten, Fr. 62.-
Die Urheberrechtsgesellschaft Suisa leitet von ihren Einnahmen aus der Aufführung und Sendung von musikalischen Werken 2,5 Prozent an die eigene Stiftung für Musik weiter. Damit unterstützt sie Projekte des schweizerischen Musikschaffens. Die Abgabe schmälert die Entschädigung der Urheber, was der Autor als nicht gerechtfertigt erachtet: Die Suisa-Einnahmen von kommerziellen Radiosendern, die ohne Gebühren finanziert werden, stünden ohne Zwangsabgabe den Urhebern zu. Denn diesen Urhebern komme - anders als bei Sendern, die über Gebühren gefördert werden - ein grösserer Anteil am Aufmerksamkeitserfolg zu. Diese Unterscheidung trage den tatsächlichen Verhältnissen Rechnung und stutze den Eingriff in die Eigentumsfreiheit der Urheber auf eine verfassungskonformere Dimension zurecht.
Bewertung: Ein Versuch zur Unterhöhlung der Solidargemeinschaft der Urheber. reb
Familienzulagen
Ueli Kieser / Marco Reichmuth
Bundesgesetz über die Familienzulagen. Praxiskommentar
Dike Verlag, Zürich / St. Gallen 2010, 389 Seiten, Fr. 98.-
Das Bundesgesetz über die Familienzulagen (FamZG) ist am 1. Januar 2009 als neues Rahmengesetz zur Vereinheitlichung der kantonalen Familienzulagenordnungen in Kraft getreten. Der Praxiskommentar zeigt einleitend die Entstehung des Familienzulagengesetzes und seine Schnittstellen zu anderen Rechtsgebieten auf, insbesondere dem Sozialversicherungsrecht. Ausführlich kommentiert er sodann alle Artikel des FamZG unter Beizug der Verordnung über die Familienzulagen (FamZV). Hinweise auf kantonale Vorschriften und Beispiele runden das Werk ab. Nebst Rechtsprechung und Gesetzgebung (Stand 1. Mai 2010) wurden auch die Gesetzesmaterialien und die Weisungen des Bundesamtes für Sozialversicherungen einbezogen. Auch die Unterschiede und Entwicklungen zum bisherigen Recht werden aufgegriffen.
Bewertung: praxisnah, ausführlich, umfassend. kub
Erbrecht
Peter Weimar †
Berner Kommentar. das Erbrecht, Art. 457-516 ZGB
Stämpfli Verlag, Bern 2009, 30 Seiten, Fr. 345.-
Im Vergleich zur Erstausgabe aus dem Jahr 2000 ist das Werk um über 30 Artikel ergänzt worden (481-516 ZGB). Die bereits kommentierten Artikel (457-480 ZGB) wurden überarbeitet. Der 13. Titel des schweizerischen Zivilgesetzbuchs (ZGB) behandelt «die gesetzlichen Erben»; im 14. Titel werden «die Verfügungen von Todes wegen» geregelt: die Verfügungsfähigkeit, Verfügungsfreiheit, Verfügungsarten, Verfügungsformen und Willensvollstrecker. Nicht kommentiert sind die zwei letzten Abschnitte des 14. Titels des ZGB. Die Kommentierung der einzelnen Gesetzesartikel umfasst über hundert Seiten. Eine bereichernde Ergänzung hierzu sind die umfangreichen Vorbemerkungen zu den einzelnen ZGB-Abschnitten, die im Lehrbuchstil daherkommen. Die Literatur ist bis Mitte 2009 nachgetragen.
Bewertung: Mit dem überarbeiteten und ergänzten Referenzwerk ist der Leser für den ersten Teil des Erbrechts gewappnet. da
Zivilprozessrecht
Karl Spühler / Luca Tenchio / Dominik Infanger (Hrsg.)
Basler Kommentar. Schweizerische Zivilprozessordnung
Helbing Lichtenhahn Verlag, Basel 2010, 2157 Seiten, Fr. 448.-
Am 1. Januar 2011 wird die Schweizerische Zivilprozessordnung in Kraft treten. Höchste Zeit, sich ernsthaft mit den anstehenden Änderungen zu befassen. Mit dem Basler Kommentar liegt ein erster, umfangreicher Kommentar vor. Die Autoren stammen grösstenteils aus dem Grossraum Zürich und setzen sich insbesondere mit den neuen prozessualen Formen und Lösungen des Zivilverfahrens auseinander; so beispielsweise mit der Mediation, dem Gerichtsstand am Vertragserfüllungsort und der bis anhin wenig bekannten Schutzschrift. Mit Blick auf den Jahreswechsel darf aber nicht unberücksichtigt bleiben, dass bei umstrittenen Punkten wie etwa beim Novenrecht die Meinungen der Experten auseinandergehen. Da sind wohl die ersten höchstrichterlichen Entscheide abzuwarten.
Bewertung: Ein Kommentar, der spätestens auf den 1. Januar 2011 in die Bibliothek gehört. sf