Die lange vorherrschende Vorstellung der traditionellen Kernfamilie bestehend aus Vater, Mutter und Kindern ist in den letzten Jahrzehnten zunehmend einer neuen Realität gewichen. Schätzungen zufolge haben in der Schweiz 6000 bis 30 000 Kinder gleichgeschlechtliche Eltern. Die Hälfte dieser Familien wurde durch eine Samenspende gegründet.1
Nicht nur in Bezug auf gleichgeschlechtliche Paare hat in den vergangenen Jahren ein gesellschaftlicher Wandel stattgefunden, dessen Dynamik sich in der Gesetzgebung widerspiegelt. Auch Konkubinatspaare mit Kindern, Patchworkfamilien und Einelternfamilien werden zur Realität, die es bei gesetzgeberischen Vorhaben und in der erbrechtlichen Planung zu berücksichtigen gilt.
Da das gesetzliche Erbrecht an das rechtliche, nicht an das biologische Kindesverhältnis anknüpft (Art. 457 f. ZGB), wird nachfolgend – auch vor dem Hintergrund dieser jüngsten Entwicklungen – aufgezeigt, wie sich die rechtlichen Rahmenbedingungen von ausserhalb der Kernfamilie gelebten Familienmodellen verändert haben, weiter verändern werden und wie sich dies auf die erbrechtliche Planung auswirkt.
1. Entstehung des Kindesverhältnisses
1.1 Zur Mutter
Nach Art. 252 Abs. 1 ZGB gilt die ein Kind gebärende Frau als dessen Mutter (Mater semper certa est). Das geltende Fortpflanzungsmedizingesetz (FMedG)2 verbietet alle Verfahren (Eizellen- und Embryonenspende sowie Leihmutterschaft), die zu einer Spaltung der Mutterschaft führen.3 Kommt es dennoch zur Spaltung der genetischen und biologischen Mutterschaft, entscheidet die Geburt über die Zuordnung des Kindes. Auch bei einer «gespaltenen Mutterschaft» besteht das Kindesverhältnis ausschliesslich zur gebärenden Mutter. Eine Anfechtung der Mutterschaft ist de lege lata nicht möglich.4
1.2 Zum Vater
Das Abstammungsrecht knüpft bei der Bestimmung der Vaterschaft an die Mutter an. Nach Art. 252 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 255 Abs. 1 ZGB gilt der Ehemann als Vater des Kindes, unabhängig davon, ob er der Erzeuger des Kindes ist oder ob eine Lebensgemeinschaft mit einem anderen Mann besteht (Pater est, quem nuptiae demonstrant). Ist die Mutter nicht verheiratet, entsteht das Kindesverhältnis zum Vater durch Anerkennung oder Gutheissung einer Vaterschaftsklage, unabhängig davon, ob eine genetische Vaterschaft vorliegt.5
Die Vaterschaftsvermutung des Ehemanns kann durch Anfechtung ausgeräumt werden. Der Kreis der Anfechtungsberechtigten beschränkt sich auf den Ehemann, sofern er nicht der Zeugung durch einen Dritten zugestimmt hat und das Kind, wenn der gemeinsame Haushalt von Mutter und Ehemann während seiner Minderjährigkeit dauerhaft aufgelöst wurde. Nicht anfechtungsberechtigt sind die Mutter und der genetische Vater des Kindes (Art. 256 ZGB). Dies wird allgemein mit dem Schutz der Ehe und des Familienfriedens begründet. 6 Die aus der Anerkennung resultierende Vermutung der Vaterschaft ist einfacher zu beseitigen. Gemäss Art. 260a ZGB ist jeder, der ein ideelles oder materielles Interesse daran hat, zur Anfechtung der Anerkennung berechtigt. Zu den Aktivlegitimierten gehören namentlich auch die Heimat- und Wohnsitzgemeinde. 7
Wurde das Kind mittels Samenspende gezeugt, bleibt die Vaterschaftsklage ausgeschlossen, es sei denn, die Samenspende erfolgte wissentlich bei einer Person, die keine Bewilligung für fortpflanzungsmedizinische Verfahren hatte.8 Wird kein Kindsverhältnis zu einem Mann begründet und weigert sich die Mutter, den Namen des Vaters bekanntzugeben, wird dem Kind ein Beistand bestellt, der für die Herstellung des Kindesverhältnisses zum Vater und die Wahrung der Unterhaltsansprüche zu sorgen hat. 9
1.3 Adoption
Nach geltendem Recht können nur verheiratete Paare gemeinschaftlich ein Kind adoptieren.10 Gleichgeschlechtliche oder Konkubinatspaare sind von der gemeinsamen Adoption ausgeschlossen. Im Nachgang zum «Haager Übereinkommen vom 29. Mai 1993 über den Schutz von Kindern und die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Internationalen Adoption» erliess das Parlament 2001 ein entsprechendes Bundesgesetz11 zur Regelung des Verfahrens von internationalen Adoptionen. Die Voraussetzungen sind streng, das Verfahren dauert meist mehrere Jahre.12
Seit 2018 kann mittels Stiefkindadoption nach Art. 264c ZGB eine Person ein Kind adoptieren, mit dessen Mutter oder Vater sie verheiratet ist, in eingetragener Partnerschaft lebt oder eine faktische Lebensgemeinschaft führt. Das Paar muss seit mindestens drei Jahren einen gemeinsamen Haushalt führen. Personen in faktischer Lebensgemeinschaft dürfen nicht mit Dritten verheiratet oder durch eingetragene Partnerschaft mit diesen gebunden sein.
Nach Schweizer Recht gilt seit 1973 das Prinzip der «Volladoption». Demnach erhält das Adoptivkind nach Art. 267 ZGB die Rechtsstellung eines Kindes der adoptierenden Personen. Das Prinzip der Volladoption bezieht sich auf alle Wirkungen des Kindesverhältnisses; so werden etwa Name, Bürgerrecht, elterliche Sorge und Unterhaltspflicht ausschliesslich durch die neue Familie bestimmt.13 Da das gesetzliche Erbrecht an das rechtliche Kindesverhältnis knüpft, wirkt sich die Volladoption auf das Erbrecht aus. Nach Art. 457 Abs. 1 ZGB sind die nächsten Erben eines Erblassers seine Nachkommen. Mit der Adoption wird das gesetzliche Erbrecht zur neuen Familie begründet, das bisherige Erbrecht zur «Ursprungsfamilie» erlischt.14
2. Ausserhalb der Kernfamilie
2.1 Gleichgeschlechtliche Paare
Nach geltendem Recht haben gleichgeschlechtliche Paare in der Schweiz keine Möglichkeit, mit Hilfe von fortpflanzungsmedizinischer Unterstützung ein Kind zu zeugen: Verboten sind nach Art. 119 Abs. 2 lit. d BV in Verbindung mit Art. 4 FMedG Eizell- und Embryonenspende sowie Leihmutterschaft, sprich alle Verfahren, die zu einer Spaltung der Mutterschaft führen. Aber auch zur Samenspende, die zu einer gespaltenen Vaterschaft führt, haben gleichgeschlechtliche Paare in der Schweiz keinen Zugang.15
2.1.1 Gespaltene Vaterschaft
Die Samenspende, die zu einer gespaltenen Vaterschaft führt, ist in der Schweiz zwar erlaubt, aber Verheirateten vorbehalten.16 Weder ledige heterosexuelle Paare noch gleichgeschlechtliche Paare (auch wenn sie in einer eingetragenen Partnerschaft leben) haben Zugang zur Samenspende. Angesichts dieser restriktiven Bestimmungen erstaunt es nicht, dass gleichgeschlechtliche Paare zur Erfüllung ihres Kinderwunsches nicht selten von Angeboten im Ausland Gebrauch machen und dafür in Länder mit liberaleren Gesetzgebungen reisen.
Zeugt ein Paar bestehend aus zwei Frauen mittels Samenspende ein Kind, das von einer der beiden Frauen ausgetragen wird, gilt diese gestützt auf Art. 252 ZGB als Mutter des Kindes. Möchte ihre Partnerin gleichberechtigter Elternteil werden, so muss sie ihre rechtliche Mutterstellung auf dem Wege der Stiefkindadoption erwirken. Das Paar muss dafür darlegen, dass es mindestens drei Jahre einen gemeinsamen Haushalt geführt hat, wenigstens ein einjähriges Pflegeverhältnis zwischen dem Kind und der adoptierenden Person bestanden hat, eine Zustimmung der leiblichen Eltern vorliegt und der Altersunterschied zwischen adoptierender Person und Kind zwischen 16 und 45 Jahren beträgt. Zugunsten des Kindeswohls kann auf begründetes Gesuch hin im Einzelfall von der Altersunterschiedsregel abgewichen werden (Art. 264d Abs. 2 ZGB).
2.1.2 Leihmutterschaft
Bei Paaren bestehend aus zwei Männern mit Kinderwunsch gestaltet sich die Lage komplizierter. Im Gegensatz zu Frauenpaaren, die ihr Kind selbst austragen können, sind sie auf eine Leihmutter angewiesen, was in der Schweiz verboten ist. Um das Verbot zu umgehen, wird nicht selten nach einer Leihmutter in Ländern gesucht, in denen die Rechtsordnung Leihmutterschaft zulässt. Dabei fragt sich, wie die Schweiz mit so im Ausland begründeten Kindesverhältnissen umgeht.
In einer differenzierten Auseinandersetzung kam das Bundesgericht in BGE 141 III 312 entgegen der Vorinstanz zum Schluss, dass trotz im Ausland ergangenem Vaterschaftsurteil eine Anerkennung eines in Kalifornien mittels Leihmutterschaft begründeten Kindesverhältnisses dem Schweizer Ordre public widerspricht. Die aus der EMRK und der KRK fliessende Rechtsposition des Kindes vermöge den Ordre-public-Verstoss in Bezug auf das Verhältnis zum genetischen Vater jedoch zurückzudrängen. Den nicht genetischen Vater verwies es auf die Stiefkindadoption.
Diese Rechtsprechung bestätigte das Bundesgericht im kurz darauf publizierten Entscheid BGE 141 III 328. Ein Ehepaar liess, auch in Kalifornien, mittels Eizell- und Samenspende Zwillinge zeugen und von einer Leihmutter austragen. Die Samenspende erfolgte anonym. Die Kinder hatten somit zu beiden Elternteilen keine genetische Verwandtschaft. Die Schweizer Behörden verweigerten die Anerkennung und Eintragung im Schweizer Personenstandsregister vollumfänglich. Das Bundesgericht schützte das Urteil der Vorinstanzen und begründete seinen Entscheid in analoger Argumentationsweise mit einem Verstoss gegen den Ordre public. Es nahm in Kauf, dass der Entscheid die Elternlosigkeit der beiden Kinder zur Folge hatte.
Aus der bisherigen Rechtsprechung lässt sich somit ableiten, dass zumindest dem genetisch nicht verwandten Elternteil eines mit Hilfe einer Leihmutter im Ausland geborenen Kindes die Anerkennung der Elternstellung versagt bleibt. Wird die Elterneigenschaft des andern Elternteils anerkannt, besteht die Möglichkeit der Stiefkindadoption. Wird beiden Eltern die Anerkennung versagt, ist Elternlosigkeit des Kindes die Folge und die Konsequenzen dürften gravierender sein. Zwar bleibt die Möglichkeit einer Einzel- oder im Fall eines verheirateten heterosexuellen Paars der gemeinsamen Adoption. Dabei handelt es sich indes um einen langwierigen Prozess, der je nach Fallkonstellation mit erheblichen Unsicherheiten verbunden sein dürfte.17
2.2 Nachlassplanung
Das gesetzliche Erbrecht knüpft unmittelbar an die rechtliche Elternschaft und das rechtliche Kinderverhältnis an. Im Falle der traditionellen Kernfamilie und bei Konkubinatskindern ergeben sich bei der Begründung des gesetzlichen Erbrechts kaum Schwierigkeiten. Das Kindesverhältnis entsteht, wie erwähnt, zur Mutter mit der Geburt und zum Vater je nach Konstellation durch Vermutung, Anerkennung oder Gutheissung der Vaterschaftsklage. Komplizierter sind die Fragestellungen bei Adoptiv- und künstlich erzeugten Kindern, deren Kindesverhältnis auf dem Wege der Adoption begründet werden muss. Mit einer Volladoption erlischt das Kindesverhältnis zur Ursprungsfamilie. Bis das Adoptionsverfahren beendet ist, bleibt das Kindesverhältnis und unter anderem auch das gesetzliche Erbrecht zur Ursprungsfamilie bestehen.
Möchte ein Paar ein Kind aus dem Ausland adoptieren, können aufgrund der langen Dauer internationaler Adoptionen mehrere Jahre verstreichen, bis die Adoption vollendet ist. Diese Zeit ist von Rechtsunsicherheit geprägt. Stirbt das Paar oder ein Elternteil während des Verfahrens, hat das Kind keine gesetzliche Erbberechtigung, selbst wenn zwischen «Adoptiveltern» und Kind bereits ein mehrjähriges Pflegeverhältnis bestanden hat. Das Erbrecht gegenüber der Ursprungsfamilie ist nicht erloschen, obwohl das Kind eventuell die Familie nicht einmal kennengelernt hat.
Partner in einer faktischen Lebensgemeinschaft (Konkubinat) haben untereinander keine gesetzliche Erbenstellung (im Gegensatz zu Ehegatten und eingetragenen Partnerinnen und Partnern nach Art. 462 ZGB). Wenn der Partner oder die Partnerin verstirbt, sind Vermögensverfügungen zugunsten des anderen Partners oder der Partnerin nur durch testamentarische Verfügungen möglich, welche die Pflichtteile anderer gesetzlicher Erben nicht verletzen dürfen und je nach Kanton mit Steuernachteilen verbunden sind. Aus Sicht des Kindes mit ledigen Eltern hat dies zur Folge, dass der gesetzliche Erbteil und damit sein Pflichtteil grösser sind, da der Nachlass als Ganzes auf die Nachkommen übergeht und dieser somit nicht mit dem überlebenden Lebenspartner geteilt werden muss.
3. «Ehe für alle»: Das wird sich ändern
Mit der 2013 eingereichten parlamentarischen Initiative «Ehe für alle» forderte die Grünliberale Fraktion den Bundesrat auf, alle rechtlich geregelten Lebensgemeinschaften für Paare ungeachtet ihres Geschlechts oder ihrer sexuellen Orientierung zu öffnen. In der Folge wurden zwei Vorlagen in die Vernehmlassung geschickt. Zum einen die sogenannten Kernvorlage «Ehe für alle» und ergänzend dazu die Variante «originäre Elternschaft und Zugang zu fortpflanzungsmedizinischen Verfahren für weibliche Paare». Obschon beide Vorlagen positiv aufgenommen wurden, entschieden die Kommission für Rechtsfragen des Nationalrats und in der Folge der Bundesrat, dass die Variante nicht weiterverfolgt werde. Es wurde befürchtet, dass die Vorlage politisch nicht mehrheitsfähig wäre, der Bundesrat wollte diese Gesetzesänderungen später in Angriff nehmen. Dennoch sprachen sich im Juni 2020 der Nationalrat und im Dezember 2020 der Ständerat mit deutlicher Mehrheit für die Öffnung der Ehe mit der Variante «originäre Elternschaft und Zugang zu fortpflanzungsmedizinischen Verfahren für weibliche Paare» aus.18 Gegen die Gesetzesvorlage kam das Referendum zustande.
3.1 Abschaffung der eingetragenen Partnerschaft
Werden die Gesetzesänderungen vom Volk angenommen, ist die Ehe auch gleichgeschlechtlichen Paaren zugänglich. Die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare wird die 2007 eingeführte eingetragene Partnerschaft grundsätzlich ersetzen. Existierende eingetragene Partnerschaften sollen entweder beibehalten oder in eine Ehe umgewandelt werden können. Gleichgeschlechtliche Paare, die in einer eingetragenen Partnerschaft leben, sind aus erbrechtlicher Sicht untereinander bereits heute den verheirateten Paaren gleichgestellt.
3.2 Gleichgeschlechtliche Elternschaft
Mit der Öffnung der Ehe für alle steht gleichgeschlechtlichen Paaren nebst der Stiefkindadoption auch die gemeinschaftliche Adoption im Sinne von Art. 264a ZGB offen. Die Problematik der langen Adoptionsverfahren und der damit einhergehenden Unsicherheiten in Bezug auf die rechtliche Stellung zum zu adoptierenden Kind wird sich derweil für gleichgeschlechtliche Paare im gleichen Ausmass stellen, wie es bis anhin für heterosexuelle Paare bei der Adoption der Fall war.19
Da einstweilen an den bestehenden Grundsätzen zur Begründung eines Kindesverhältnisses festgehalten wird, gelten Frauen, die zum Zeitpunkt der Geburt mit der Mutter verheiratet sind, analog der heute geltenden Vaterschaftsvermutung inskünftig von Gesetzes wegen als der andere Elternteil. Dies soll namentlich auch gelten, wenn das Kind durch eine Samenspende im Sinn des FMedG gezeugt wird. Für Frauenpaare bringt die «Ehe für alle» bei der Begründung von Kindesverhältnissen mehr Rechtssicherheit.
Für gleichgeschlechtliche Männerpaare mit Kinderwunsch wird sich die Situation nur marginal verbessern. Ihnen steht nebst der Stiefkindadoption nun auch die gemeinsame Adoption offen. Aufgrund des verfassungsmässig verankerten Verbots der Leihmutterschaft (Art. 119 Abs. 2 lit. d BV) bleibt es für Männerpaare nach Schweizer Recht aber schwierig, ihren Kinderwunsch zu erfüllen. Mit einer einfachen und baldigen Gesetzesänderung zur Behebung dieses Umstands ist nicht zu rechnen. Das Verbot der Leihmutterschaft fusst primär im Schutz der Frau vor einer Instrumentalisierung und Kommerzialisierung ihres Körpers sowie im Kindeswohl.20 Dass den Männern dadurch der Zugang zur Fortpflanzungsmedizin erschwert wird, ist eine Folge davon. Ausserdem soll mit dem Verbot der Leihmutterschaft eine Spaltung der Mutterschaft verhindert werden. Gedanken wie eine übermässige Bindung nach Art. 27 Abs. 2 ZGB durch den Leihmutterschaftsvertrag und ein möglicher Konflikt mit dem Recht des Kindes auf Kenntnis der eigenen Abstammung (Art. 119 Abs. 2 BV) spielen auch eine Rolle bei der bisherigen Ablehnung der Leihmutterschaft.21 Dies zeigt, dass mit einer Liberalisierung der bestehenden Prinzipien eine Reihe grundsätzlicher Fragen zu klären sind, die weit über den Aspekt der Diskriminierung männlicher Paare hinausgehen.
4. Ausblick
Der Gesetzgeber hat erkannt, dass die geltenden rechtlichen Rahmenbedingungen mit den gelebten Realitäten nur noch teilweise übereinstimmen. Im Juli 2019 wurde daher unter der Leitung der Freiburger Professorin Alexandra Jungo eine Expertengruppe beauftragt, den Reformbedarf im Abstammungsrecht zu prüfen und Empfehlungen für eine kohärente Gesamtreform zu formulieren. Der Bericht der Expertengruppe wird Mitte 2021 erwartet.22
Auch ein Blick über die Landesgrenzen hinaus zeigt, dass die Fragen rund ums Thema Abstammungsrecht allgegenwärtig sind. Im belgischen Senat und in der niederländischen Staatskommission wurde beispielsweise der Vorschlag der Einführung eines «Mehrelternmodells» diskutiert. Je nach Ausgestaltung könnten darin intentionale, soziale und biologische Eltern ein rechtliches Verhältnis zum Kind begründen.23 In Ontario (Kanada) ist seit 2017 der «All Families are Equal Act» in Kraft, der neben einem geschlechtsneutralen Abstammungsrecht – in diesem Gesetz wird auf Begriffe wie «Vater» und «Mutter» bewusst verzichtet – auch die Mehrelternschaft zulässt.24 So können bis zu vier Elternteile ein «pre-conception parentage agreement» abschliessen.25 Auch in Deutschland wird zurzeit ein Gesetzesentwurf diskutiert, mit dem die sogenannte «Co-Mutterschaft» oder «Mit-Mutterschaft» eingeführt werden soll. Dabei soll «Mit-Mutter» des Kindes sein, wer zum Zeitpunkt der Geburt mit der Mutter des Kindes verheiratet ist, welche die Mit-Mutterschaft anerkannt hat oder mit welcher die Mit-Mutterschaft gerichtlich festgestellt ist. 26
Alle Familienmodelle führen unausweichlich zur Frage, welche Leitprinzipien hinter dem Abstammungsrecht stehen und ob es noch sachgerecht ist, zwischen rechtlichen, biologischen und sozialen Müttern, Vätern oder Eltern zu unterscheiden. Durch die Vielfalt an Arten, wie ein Kindesverhältnis begründet werden kann, ist die biologische Elternschaft längst nicht mehr der einzige Anhaltspunkt für eine tatsächliche oder rechtliche Elternschaft. Der gesellschaftliche und politische Diskurs, der in den nächsten Jahren zu führen sein wird, wird voraussichtlich weitere Anpassungen im Abstammungs- und womöglich auch im Erbrecht mit sich bringen.
1 Vgl. Vernehmlassungsergebnisse «Ehe für Alle» der Organisationen und Institutionen, Dachverband Regenbogenfamilien, S. 246.
2 SR. 810.11.
3 Art. 4 FMedG.
4 Basler Kommentar – Zivilgesetz I, Basel 2018, Ingeborg Schwenzer und Michelle Cottier, Art. 252, N9.
5 Basler Kommentar, a.a.O., Art. 252, N 13.
6 Vgl. BGer 5A_332 /2017; vgl. Heinz Hausheer / Thomas Geiser / Regina E. Aebi-Müller, Das Familienrecht des Schweizerischen Zivilgesetzbuches, Bern 2018, Rz. 16.35.
7 Art. 260a Abs. 1 ZGB.
8 Art. 23 Abs. 2 FMedG.
9 BGE 142 III 545.
10 Art. 264a ZGB.
11 SR 211.221.31: Bundesgesetz zum Haager Adoptionsübereinkommen und über Massnahmen zum Schutz des Kindes bei internationalen Adoptionen (BG-HAÜ) vom 22.6.2001.
12 Vgl. Monique Jametti Greiner, «Der neue internationale Kindesschutz in der Schweiz», in: FamPra.ch, Nr. 2/2008, S. 302 f.
13 Basler Kommentar – Zivilgesetzbuch I, Basel 2018, Peter Breitschmid, Art. 267 N 2.
14 Vgl. Art. 267 Abs. 2 ZGB; für Einzelfragen zum Erbrecht vgl. Abschnitt 2.2.
15 Art. 3 Abs. 3 FMedG.
16 Ebd.
17 Sandra Hotz, «Ehe für alle – Wie weiter? Teil II», in: SJZ 117/2021, S. 75 ff.
18 Sandra Hotz, «Ehe für alle – Wie weiter? Teil I», in: SJZ 117/2021, S.22 ff.
19 Vgl. 1.3 Adoption.
20 So in Botschaft FMedG, BBl 1996 III, S. 205, 254.
21 Vgl. Andrea Büchler / Nora Bertschi, «Gewünschtes Kind, geliehene Mutter, zurückgewiesene Eltern», in: FamPra 2013 33, S. 40 ff.
22 Vgl. www.bj.admin.ch/bj/de/home/gesellschaft/gesetzgebung/abstammungsrecht.html (zuletzt abgerufen am 12.3.2021).
23 Anatol Duta, «Mehrelternschaft jenseits der elterlichen Verantwortung – wenn ja, mit welchen Rechtsfolgen?», in: Ruth Arnet / Paul Eitel / Alexandra Jungo / Hans Rainer Künzle (Hrsg.), Der Mensch als Mass, Zürich 2019, S. 131 ff.
24 Andrea Büchler / Michelle Cottier, «Transgender, Intersex und Elternschaft in der Schweiz und im Rechtsvergleich», in: FamPra 2020, S. 875 ff., 885 ff.
25 Childrens Law Reform Act, Section 9 (1): «pre-conception parentage agreement» means a written agreement between two or more parties in which they agree to be, together, the parents of a child yet to be conceived.»
26 Vgl. Hotz, a.a.O., Teil I, S. 22 ff., S. 30 f.