Wer seine juristische Bibliothek aktuell halten will, merkt bald: Die Anschaffung einer neuen Auflage eines Kommentars bedeutet, dass man für das unterdessen dickere Buch nicht nur mehr Platz schaffen, sondern auch tiefer in die Tasche greifen muss. Ein paar Beispiele:Kostete die erste Auflage des Gleichstellungs-kommentars von Helbing Lichtenhahn noch 48 Franken, so sind es heute 92. Der kombinierte Basler Kommentar zum Zivilgesetzbuch I und II stieg von 885 auf 975 Franken. Beim Zürcher Kommentar von Schulthess kostet der Band zum Arbeitsvertrag in der aktuellen Auflage von 2006 174 Franken, die Auflage davor aus dem Jahr 1983 noch 68. Der Berner Kommentar von Stämpfli zu den Artikeln 68 bis 96 des Obligationenrechts kostete in der ersten Auflage 168 Franken, in der aktuellen zweiten Auflage sind es 348 Franken.
Den Berner Kommentar, aber auch die «grüne Reihe», Periodika und Publikationen, druckt der Stämpfli-Verlag in seiner eigenen, hochmodernen Druckerei. Die Halle, in der die Druckmaschinen stehen, ist mit 4560 Quadratmetern genau gleich gross wie der Berner Bundesplatz.
Welcher Titel der beste im Programm ist, will Manfred Hiefner, deutscher Rechtsanwalt und Geschäftsführer bei Stämpfli, nicht verraten. Rentabel sind laut Stämpfli diejenigen Titel, die in der Praxis gebraucht werden. Dazu gehören vor allem die Handkommentare. Zugpferd ist da derjenige zum Strafrecht von Straten-werth/Wohlers. Aber auch die grüne Stämpfli-Reihe lässt die Kasse klingeln.
Gesetzesrevisionen freuen die Verlage
Seit den Neunzigerjahren hat die Zahl der neuen Bücher kontinuierlich zugenommen. Dies bestätigen auch Helbing und Lichtenhahn in Basel und der Zürcher Schulthess Verlag. Manfred Hiefner von Stämpfli vermutet, dass der immer schnellere Rhythmus im Gesetzgebungsprozess und die häufigeren Gesetzes-revisionen Gründe für die wachsende Zahl der Publikationen sind.
Über diese Entwicklung zeigt sich Stämpfli nicht unglücklich. Auch Helbing Lichtenhahn ist mit diesem Trend zufrieden. Anders Andreas Hohnheiser, deutscher Rechtsanwalt und geschäftsführender Verleger von Schulthess: «Während früher ein bestimmtes Lehrbuch den Markt abgedeckt hat, erfordert heute fast jeder Lehrstuhl eine eigene Publikation. Das hat zur Folge, dass nur noch ein Bruchteil der früheren Auflage abgesetzt werden kann.»
Kurzlehrbücher dank Bologna gefragter
Die Konzentration auf rechtliche Publikationen erfolgte bei Helbing und Lichtenhahn mit der Übernahme durch das deutsche Familienunternehmen C. H. Beck aus München im Jahr 1998. Als Mitglied der Verlagsleitung ist der promovierte Jurist Men Haupt für das Programm verantwortlich. Haupt ist ein Spross der gleich-namigen Berner Verlegerfamilie und seit seinem Ausscheiden aus der Leitung der Haupt AG 2003 bei Helbing Lichtenhahn. Zugpferde des Verlags, der in einer eleganten Altstadtliegenschaft im Herzen Basels seinen Sitz hat, sind die Basler Kommentare und die Commentaires romands. Mit der Übernahme der Editions Payot vor fünf Jahren hat der Verlag das französischsprachige Programm stark ausgebaut. Auch der graue Basler Kommentar wächst kontinuierlich. Die Erwei-terung der Kurzkommentare steht ganz oben auf der Agenda.
Auch die Bologna-Reform hat das Verlagsgeschäft angekurbelt. «Das Jus-Studium ist oberflächlicher und schnelllebiger geworden. Das hat Auswirkungen auf das Konzept eines Lehrbuches», beobachtet Haupt von Helbing Lichtenhahn seit ein paar Jahren. Mit verschiedenen Reihen reagiert der Basler Verlag auf diesen Trend: Die Kurzlehrmittel «Gesellschaftsrecht kompakt» und der «Grundkurs im Obliga-tionenrecht» entsprechen dem Zeitgeist. Auch Fachhochschüler zählen immer häufiger zur Zielgruppe.
Ähnlich sieht es Andreas Hohnheiser von Schulthess: «Die Nachfrage nach Kurzlehrbüchern und Einführungswerken ist seit der Bildungsreform stark gestiegen.» Die Nachfrage nach Standardwerken sei aber ungebrochen. «Unsere Felsen in der Brandung sind die Werke von Häfelin/Haller/Keller, Gauch/Schluep/ Schmid/Emmenegger und Tuor/ Schnyder/Schmid/Rumo-Jungo», so Hohnheiser.
Stämpfli hat nach eigenen Aussagen primär den juristischen Praktiker im Visier. Trotzdem achtet auch der Berner Verlag auf den Nachwuchs: Auf Anfang Jahr hat Stämpfli die violett-gelben Haupt-Repetitorien vom Berner Haupt Verlag übernommen.
Aus günstigen Skripten werden teure Bücher
Das Familienunternehmen Schulthess hat seinen Sitz in einem Altstadthaus im Zürcher Niederdorf. Im Untergeschoss befindet sich ein weiteres Standbein: die Buchhandlung. Schulthess betreibt auch Buchhandlungen in Genf und Basel und im Internet. Wie Helbing Lichtenhahn hat auch Schulthess keine eigene Druckerei mehr. Beide lassen ihre Bücher und Publikationen in der Schweiz und in Deutschland drucken.
Zu Auflagenzahlen und Umsatz will keiner der drei Verlage Angaben machen. Je höher die Auflage, umso rentabler der Titel, lautet der Grundsatz im Verlagswesen. «Ab 1000 verkauften Titeln wird es für Stämpfli langsam interessant», sagt Manfred Hiefner. Erscheine ein Titel in einer Reihe, verkaufe er sich regelmässig besser. Bei der traditionellen Marke von Stämpfli, der grünen Reihe, sei dies klar der Fall.
Seit gut zehn Jahren geben die Professoren der Universität Bern ihre Vorlesungsskripte, in der grünen Reihe oder als Stämpfli-Skripte heraus. Vorher gab es die Lehrmittel kopiert und broschiert zu einem günstigen Preis in der Universitätsbuchhandlung zu kaufen. «Das Bundesgericht hielt die Berner Skripte für kaum zitierwürdig. Auch die Anwälte getrauten sich nicht, Studienliteratur zu zitieren», erklärt der emeritierte Zivilrechtler Heinz Hausheer diesen Schritt. Einen Deal zwischen der Uni und dem Verlag gebe es aber nicht. Tatsache für die Studenten ist: Vom Uni-Skript zum Stämpfli-Buch haben sich die Kosten mindestens verdreifacht.
Ebenfalls ärgerlich für die Käufer juristischer Literatur: Bücher und Kommentare werden – trotz teilweise gestiegener Auflage – nicht günstiger. Kein Wunder: Kein Praktiker kann es sich leisten, auf die Standardwerke zu verzichten.
Haupt von Helbing Lichtenhahn macht aber auch geltend, dass die Verlage teilweise auf eine Preiserhöhung verzichtet hätten, weil einzelne Werke sonst nicht mehr gekauft würden. «Gerade Studenten sind bei den Buchpreisen ausgesprochen sensibel», sagt Haupt. «Ab einem Verkaufspreis von 78 Franken kopieren sie lieber das Buch des Kollegen.»
Keine Angaben zu Umsatzzahlen
Laut den drei Verlagen finanzieren die rentablen Titel die weniger einträglichen Publikationen, wie Dissertationen oder Schriftenreihen. Preisabsprachen gebe es unter den drei Grossen nicht, sagen sie. Die Kalkulation ist bei allen etwa gleich: Fast die Hälfte des Ladenpreises geht an Buchhandel und Zwischenhandel. «Nach Produktionskosten, Verlagsgemeinkosten und Honoraren bleibt für uns nicht viel übrig», sagt Haupt von Helbing Lichtenhahn.
Trotzdem, 2008 hat der Basler Verlag nach eigenen Aussagen das beste Ergebnis seit seinem Bestehen im Jahr 1822 geschrieben. Weitere Zahlen gibt der Verlag nicht bekannt. Nur so viel: «Seit 2003 nimmt unser Umsatz und unser Rentabilität stetig zu», sagt Haupt. Auch Schulthess hüllt sich bei den Geschäftszahlen in Schweigen. Von Stämpfli ist nur bekannt, dass 2008 der Umsatz bei den Publi-kationen um 8,5 Prozent gestiegen ist, derjenige bei den elektronischen Medien um 20 Prozent.
Zugutehalten kann man den Verlagen, dass sie mit durchschnittlich zehn Prozent des Ladenpreises den Autoren ein branchenübliches Honorar bezahlen. Die Autorinnen und Autoren der Schweiz (AdS) empfehlen in der Belletristik ein Honorar von zehn bis fünfzehn Prozent des Ladenpreises – wobei beim maximalen Prozentsatz mindestens 20000 Exemplare abgesetzt werden müssten. Bei Taschen-büchern liegt das Autorenhonorar bei sechs bis acht Prozent. Auflagen von Fachpublikationen sind regelmässig tiefer als von Belletristik.
Hans Wiprächtiger ist Herausgeber und Autor der Basler Kommentare zum Strafrecht und zum Bundesgerichtsgesetz. Er bestätigt: «Der Verdienst – sowohl als Autor wie auch als Herausgeber – geht in Ordnung.» Die Autorenentschädigung von zehn Prozent erachtet auch der Stämpfli-Autor Hausheer als angemessen. «Davon leben könnte ich allerdings nicht. Denn die Deutschschweiz ist im Vergleich zu Deutschland ein winziger Markt mit sehr niedrigen Auflagezahlen.»
Die grosse Konkurrenz für die drei Grossverlage heisst Ex Libris. Dort ist die juristische Literatur im Online-Shop mit einem Rabatt von 15 Prozent zu haben.
Apps für Smartphones sind die Zukunft
Die Zukunft sehen die Verlage im digitalen Bereich. Den Gewinn aus den Fachpublikationen investiert Stämpfli momentan vollumfänglich in neue IT-Systeme. Seit 2009 ist der Berner Verlag auch zu einem Drittel an der Swisslex beteiligt. Ein Drittel gehört Schulthess und ein Drittel der Berner Anwaltskanzlei Python & Peter. Die Swisslex hat laut eigenen Angaben 25000 Nutzerinnen und Nutzer. Die Zeitschriften von Stämpfli sind auch über diesen Weg abrufbar. Als Nächstes ist die Aufschaltung der Handkommentare geplant. Auch die jüngsten Teile des Berner Kommentars sollen noch in diesem Jahr abrufbar sein. Manfred Hiefner von Stämpfli ist sicher, dass Juristen früher oder später keine Bibliothek mehr haben werden. Zukunftsträchtig sei dabei nicht das reine e-Book, also das Buch in elektronischer Form, das auf dem Computer oder unterwegs mit Hilfe eines Lesegerätes gelesen werden kann. «Solange die Fussnoten und Querverweise nicht vernetzt sind, ist der Nutzen für den Leser des e-Books im Vergleich zu einer Online-Datenbank nicht gross.» Die Zukunft sieht Hiefner in der digitalen Vernetzung und in den Apps, also den Mini-Applikationen der Smartphones.
Kostenpflichtige Log-ins für die Web-Recherche
Bei Schulthess können schon heute juristische News über Twitter auf das Handy oder per E-Mail abonniert werden. «An juristischen Apps wird bislang nur intern gearbeitet», sagt Andreas Hohnheiser. Manfred Hiefner von Stämpfli kann sich gut vorstellen, dass in Zukunft neue Gerichtsurteile auf dem Smartphone abgerufen werden. Die Devise lautet vorderhand, eine intelligente Verbindung von Print und Online anzubieten. Schulthess hat mit der «Zeitschrift für Steuerrecht» ein, nur online abrufbares, Periodikum im Sortiment.
Während die Periodika von Schulthess über Swisslex online abgerufen werden müssen, macht Stämpfli vorderhand unter recht.ch die meisten Zeitschriften via Netz zugänglich. Daneben bietet das Portal verschiedene Recherchemodule und e-Books – unter anderem Dissertationen und Schriftenreihen. Um die entsprechenden Urteile und Aufsätze zu lesen, bedarf es eines kostenpflichtigen Log-ins. Bei den Dissertationen oder Schriftenreihen kann der Kunde per Mausklick selbst entscheiden, ob er die Publikation im Online-Shop kaufen oder als PDF-Do-kument auf seinen Computer laden will. Der Kunde hat auch die Möglichkeit, nur einzelne Kapitel zu kaufen.
Auf legalis.ch, der Online-Plattform von Helbing Lichtenhahn, sind vier von sieben juristischen Zeitschriften abrufbar. Das Log-in ist kostenpflichtig. Darunter ist auch die neueste Publikation auf dem Markt: «iusfocus.ch – Aktuelle Rechtsprechung kompakt». «Im Bereich online haben wir aber noch Defizite», gesteht Haupt ein. «Wir wollen die Kontrolle darüber haben, was aus unserem Programm ins Netz kommt. Deshalb zögern wir mit der Digitalisierung. Denn einmal aus der Hand gegeben, ist die Verbreitung nicht mehr kontrollierbar.» Der Aufbruch in eine neue, digitale Welt ist für die Verlage eine Herausforderung. In einem internen Papier hat Schulthess die Zukunft so definiert: «Es geht um eine passgenaue, praxis-orientierte Fachinformation. Just in time, crossmedial und von höchster Qualität.» Zum Preis ist damit nichts gesagt.
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Les trois grands acteursdes bibliothèques juridiques
Elles se trouvent dans chaque étude d’avocat, dans tous les tribunaux et dans l’ensemble des bibliothèques. Aucun étudiant n’a pu achever ses études sans leur aide :les ouvrages et les publications des grandes éditions Stämpfli, Schulthess et Helbing Lichtenhahn. Cettederniére, avec la reprise des Editions Payot, a fortement renforcé son programme en langue française. Les Commentaires romands constituent le moteur de l’édition et le nombre des ventes ne peut pas uniquement provenir des ventes en Suisse romande.