Das Bezirksgericht Dietikon ZH hat einen Untersuchungsgefangenen, der mit seiner Geliebten, einer Gefängnisaufseherin, aus der Strafanstalt Limmattal floh, wegen Anstiftung zum Entweichenlassen von Gefangenen verurteilt. Dies, obwohl das Gericht den Prozess zunächst nicht führen wollte, da es den Beschuldigten wegen eines Selbstbegünstigungsprivilegs für straflos hielt. Die Staatsanwaltschaft erreichte vor dem Obergericht, dass die Sache doch zur Entscheidung vor das Bezirksgericht gelangte.
Unbestrittenermassen bat der Beschuldigte die Gefängnisaufseherin, ihm zur Flucht zu verhelfen. Aufgrund dessen hat sie den Entschluss gefasst, ihn aus der Haft entweichen zu lassen. Damit hat der Beschuldigte die Gefängnisaufseherin bewusst und gewollt im Sinne von Art. 24 Abs. 1 StGB zur Tat bestimmt. Als von ihr verübte Haupttat hat das Gericht zu Recht auf Art. 319 StGB abgestellt; dieser ist wegen des Beamtenstatus der Gefängnisaufseherin lex specialis zu Art. 305 StGB (Begünstigung).
Da Art. 319 StGB nur von Beamten begangen werden kann, also echtes Sonderdelikt ist, stellt sich zunächst die Frage, wie die Anstiftung zum Sonderdelikt durch einen Extraneus, der mangels Beamtenstellung die Haupttat selbst gar nicht begehen könnte, strafrechtlich zu behandeln ist. Nach Art. 26 StGB, der die Teilnahme am Sonderdelikt regelt, scheint die Sache klar: Wird die Strafbarkeit durch eine besondere Pflicht des Täters begründet, so wird der Anstifter, dem diese Pflicht nicht obliegt, auch bestraft, er geniesst jedoch eine obligatorische Strafmilderung. Strafbegründend wirkt hier die der Vollzugsbeamtin obliegende Pflicht, für ein korrektes Funktionieren des Strafvollzugs zu sorgen.
Es ist insoweit also nachvollziehbar, für den Beschuldigten eine Strafbarkeit wegen Anstiftung zum Entweichenlassen von Gefangenen anzunehmen. Dies jedoch nur dann, wenn das Kernproblem des Falls nahezu ausgeblendet wird. Entscheidend kommt es darauf an, ob auch die selbstbegünstigungsmotivierte Anstiftung strafbar ist.
Weil für den Gefangenen grundsätzlich eine notstandsähnliche Zwangslage angenommen wird, greift das Selbstbegünstigungsprivileg unbestritten, wenn dieser sich eigenständig dem Strafvollzug entzieht. Das Gericht führt dazu aus, die Straflosigkeit der Selbstbegünstigung sei allerdings kein Freibrief, Amtshandlungen zu verunmöglichen oder zu erschweren, in diesem Fall also die der Vollzugsbeamtin obliegende Pflicht, die Gefangenen zu beaufsichtigen.
Die Erwägungen des Gerichts erscheinen als gesicherte Rechtsposition. Es fehlt jeder Hinweis darauf, dass es in der Strafrechtswissenschaft eine viel diskutierte Frage ist, ob die selbstbegünstigungsmotivierte Anstiftung zur Gefangenenbefreiung straflos ist. Letzteres ist mit Blick auf die deutschsprachige Fachliteratur die mehrheitlich vertretene Ansicht.
Begründet wird sie insbesondere damit, dass es eine den Gleichheitssatz verletzende willkürliche Ungleichbehandlung sei, wenn die unmittelbar durchgeführte Selbstbefreiung aufgrund eines humanitären Entgegenkommens straflos sei, nicht aber die mittelbar erreichte Selbstbefreiung. Die notstandsähnliche Zwangslage des Gefangenen sei in beiden Fällen dieselbe, sodass sich eine Ungleichbehandlung von Quasi-Täterschaft und Teilnahme nicht rechtfertige.