Gianna Schäffeler, 31, Staatsanwältin in Winterthur, beschäftigt die Gerichte nicht nur mit zwingenden Anklagen. Sie klagte Anfang Mai einen 69-jährigen Handwerker wegen «Pornografie» an. Corpus Delicti: ein Heft aus dem Jahr 1988 mit dem Titel «Jung und froh mit nacktem Po», das die Polizei anlässlich einer Hausdurchsuchung im Lager seiner früheren Werkstatt gefunden hatte. Es enthielt unter anderem zehn ganzseitige Fotografien nackter Mädchen und Buben im Alter von etwa 3 bis 15 Jahren. Laut Anklageschrift zeigen die Bilder «explizite und aufdringliche Darstellungen grob sexuellen Inhalts». Dadurch habe sich der Angeklagte wegen Eigenkonsums harter Pornografie mit Minderjährigen strafbar gemacht.
Die Einzelrichterin am Bezirksgericht Winterthur sah die Sache anders und sprach den Handwerker frei. Dem Mann war weder der Besitz noch der «Konsum» des Hefts nachzuweisen. Laut der Bezirksrichterin waren die Bilder auch nicht pornografisch: Sie würden nackte Kinder bei Freizeitaktivitäten zeigen, ein Sexualbezug sei aufgrund der Kameraführung und des Bildausschnitts nicht auszumachen. Schäffeler akzeptiert das Urteil. Die Anklage sei nach dem Prinzip «in dubio pro duriore» (im Zweifel für das Härtere) erfolgt, erklärte sie gegenüber plädoyer.
Bernhard Maag, 55, Rechtsanwalt in Regensdorf ZH, kritisiert die Praxis der Zürcher Gerichte bei der Anonymisierung von Urteilen. Sie verschweigen nicht nur die Prozessparteien, sondern auch die Namen der Anwälte und Ortsangaben.
«Das geht weit über das hinaus, was das Bundesgericht macht», kommentiert Maag auf seiner Internetseite. Der Öffentlichkeit würden wichtige Informationen vorenthalten. Das habe sich beispielsweise in einem Urteil des Verwaltungsgerichts gezeigt. Es anonymisierte in einem Urteil zu Grundstückgewinnsteuern sowohl die betroffene Gemeinde wie auch sämtliche Zahlen.
Erst aus dem veröffentlichten Urteil des Bundesgerichts ging hervor, dass die Gemeinde Regensdorf den Verkäufern einer Liegenschaft 394'700 Franken statt 653'500 Franken Grundstückgewinnsteuern auferlegt hatte. Die Kenntnis dieses Umstands liege im öffentlichen Interesse. Maag: «Obergericht und Verwaltungsgericht haben offensichtlich ein Problem mit der Justizöffentlichkeit.» Und es sei peinlich, dass sich das Obergericht nicht an die eigenen Regeln halte. Gehe es um die Befangenheit von Richtern, nenne der Beschluss der Verwaltungskommission das betroffene Bezirksgericht nicht. In der Liste der Neuheiten auf der Internetseite sei das jeweilige Bezirksgericht jedoch ersichtlich.
Andreas Zuber, 49, Staatsanwalt in Schaffhausen, kann vorderhand aufatmen: Nach einem dreitägigen Prozess wurde er Mitte Mai vom Bezirksgericht Frauenfeld vom Vorwurf des Amtsmissbrauchs und der Urkundenfälschung freigesprochen. Als Oberstaatsanwalt in Kreuzlingen war Zuber mit einer Kollegin für den Tötungsfall Kümmertshausen zuständig gewesen. Dabei handelte es sich mit 42 Prozesstagen um den grössten Strafprozess der Thurgauer Geschichte.
Zuber fand sich selbst auf der Anklagebank wieder, weil der einstige Hauptbeschuldigte ihm und seiner Kollegin vorgeworfen hatte, sie hätten eine Befragung gegen ihn weitergeführt, obwohl sein Pflichtverteidiger nicht anwesend war. Einen bei der Einvernahme geäusserten Satz soll Zuber absichtlich nicht ins Protokoll aufgenommen haben. Weiter ging es um eine angeblich unrechtmässige Telefonüberwachung.
Das Gericht erkannte keine Absicht der beschuldigten Staatsanwälte, dem Betroffenen einen Nachteil zufügen zu wollen. Es lägen zwar Verfahrensfehler, aber kein Amtsmissbrauch vor. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Der Anwalt des einstigen Hauptbeschuldigten hat die schriftliche Urteilsbegründung verlangt. Ob er den Fall weiterzieht, ist noch offen.