Der Ständerat behandelte im Juni als Erstrat die ZPO-Revisionsvorlage. Bei der beabsichtigten Ausweitung des Schlichtungsverfahrens folgte er den Vorschlägen des Bundesrats. Das heisst: Neu dürfen die klagenden Parteien ein Schlichtungsverfahren auch bei Streitigkeiten beantragen, für die eine einzige kantonale Instanz nach Artikel 5 und 6 ZPO zuständig ist – also etwa bei Streitigkeiten des geistigen Eigentums und des Kartellrechts, bei Klagen gegen den Bund und bei Handelsstreitigkeiten (plädoyer 2/2018).
Urteilsvorschlag bis 10 000 Franken Streitwert
Zudem sollen die Schlichtungsbehörden künftig «in den übrigen vermögensrechtlichen Streitigkeiten» einen Urteilsvorschlag bis zu einem Streitwert von 10 000 Franken unterbreiten dürfen – bisher war das bis 5000 Franken möglich. Und wer unentschuldigt einer Schlichtungsverhandlung fernbleibt, kann neu mit einer Ordnungsbusse bis zu 1000 Franken bestraft werden. Das gilt sowohl für Kläger als auch für Beklagte (plädoyer 2/2020).
Wie der Bundesrat hat der Ständerat aber zwei weitere Vorschläge zur Ausweitung des Schlichtungsverfahrens nicht übernommen, die in der Vernehmlassung eingebracht wurden. Der Schweizerische Mieterinnen- und Mieterverband hatte vorgeschlagen, die Schlichtungsbehörden nach einem gescheiterten Schlichtungsversuch zu verpflichten, den Parteien einen Urteilsvorschlag zu unterbreiten. Aktuell steht ihnen das frei (Artikel 210 Absatz 1 ZPO). Quer stellt sich der Ständerat auch zur Forderung, die Streitwertgrenze für Entscheide der Schlichtungsbehörde von 2000 auf 5000 Franken zu erhöhen. Dies, obwohl der Vorschlag unter anderem von den Kantonen Basel-Stadt, Genf, Luzern, Schwyz und Zug sowie vom St. Galler Anwaltsverband und vom Schweizerichen Verband der Friedensrichter und Vermittler in der Vernehmlassung eingebracht wurde.
Die Vorlage liegt zurzeit bei der Rechtskommission des Nationalrats. Im Mai wird sie der Nationalrat während der dreitägigen Sondersession beraten.
Neue Urteile zum Schlichtungsverfahren
In den letzten zwei Jahren hat sich nicht nur das Parlament mit dem Schlichtungswesen befasst. Das Bundesgericht und verschiedene kantonale Gerichte fällten grundlegende Urteile zum Schlichtungsverfahren. Eine Auswahl der wichtigsten Entscheide:1
- Ausnahmen vom Schlichtungsverfahren (Artikel 198 ZPO): Werden gleichzeitig mit einer Unterhaltsklage vorsorgliche Massnahmen beantragt, muss aufgrund von Artikel 198 litera h ZPO kein Schlichtungsverfahren mehr durchgeführt werden.2
- Verzicht (Artikel 199 ZPO): Lässt sich ein anwaltlich vertretener Beklagter auf eine direkt beim Gericht und nicht bei der Schlichtungsbehörde eingereichte Unterhaltsklage mit Streitwert über 100 000 Franken ein, hat er konkludent auf die Durchführung eines Schlichtungsverfahrens verzichtet.3
- Verhandlung (Artikel 203 ZPO): Erklärt der Beklagte, er werde nicht an der Schlichtungsverhandlung teilnehmen, darf die Schlichtungsbehörde den Kläger trotzdem nicht von der Verhandlung dispensieren. Der Kläger muss an der Verhandlung teilnehmen, und sei es auch nur, um die Klagebewilligung abzuholen.4
- Persönliches Erscheinen (Artikel 204 ZPO): «Erhebliche Spannungen» zwischen den Parteien stellen keinen wichtigen Grund dar, der dazu berechtigen würde, nicht persönlich an der Verhandlung zu erscheinen.5
- Säumnis (Artikel 206): Wenn ein Anwalt nach einem bewilligten Verschiebungsgesuch am Vortrag der Schlichtungsverhandlung ohne Angaben eines Entschuldigungsgrundes telefonisch ausrichten lässt, er werde an der Verhandlung nicht teilnehmen, kann er mit einer Ordnungsbusse bestraft werden – im konkreten Fall mit 300 Franken.6
- Kosten (Artikel 207): Reicht ein Kläger vor der Schlichtungsverhandlung einen aussergerichtlichen Vergleich ohne Kostenregelung ein, kann ihm die Schlichtungsbehörde die Kosten auferlegen, weil er das Verfahren mit seinem Schlichtungsgesuch verursacht hat.7
- Einigung (Artikel 208 ZPO): Wird ein schriftlicher, aussergerichtlicher Vergleich wörtlich im Abschreibungsentscheid der Schlichtungsbehörde wiedergegeben, stellt er zusammen mit dem Abschreibungsentscheid einen definitiven Rechtsöffnungstitel dar, auch wenn er nicht in das Protokoll aufgenommen und dieses von den Parteien unterzeichnet wurde.8
- Urteilsvorschlag (Artikel 210 ZPO): Wer einen Urteilsvorschlag akzeptiert, aber nicht die darin enthaltene Kostenregelung, muss diese mit Beschwerde anfechten.9
- Entscheid (Artikel 212 ZPO): Beantragt ein Kläger in einer vermögensrechtlichen Streitigkeit bis 2000 Franken einen Entscheid, gelten die Regeln des vereinfachten Verfahrens. Das Verfahren ist mündlich und soll sich auf diejenigen Fälle beschränken, die bereits bei der ersten Anhörung spruchreif sind, ohne dass ein aufwendiges Beweisverfahren durchgeführt wird.10 Die Schlichtungsbehörde kann aber nach erfolgtem Verfahren nachträglich auf einen Entscheid verzichten und den Parteien eine Klagebewilligung ausstellen oder einen Urteilsvorschlag unterbreiten.11
1 Die ausgewählten Urteile stammen aus einem Referat von Rechtsanwalt Claude Schrank am «Basler ZPO-Tag 2021» vom 12.11.2021 (plädoyer 6/2021).
2 BGer 5A_1006/2020 vom 16.3.2021, E. 3.1.
3 BGer 5A_1006/2020 vom 16.3.2021, E. 3.3.
4 Bger 4A_416/2019 vom 5.2.2020, E.4.2-4.5.
5 BGer 4A_588/2019 vom 12.5.2020, E. 6.2.
6 Kantonsgericht Luzern, Urteil 1C 19 28 vom 6.3.2020, E. 5.1–5.6.
7 BGer 4A_510/2020 vom 11.11.2020, E. 4.3.
8 Kantonsgericht Luzern, Urteil 2C 20 24 vom 11.9.2020, E. 5.2.2.
9 Obergericht des Kantons Bern, Urteil ZK 20 394 vom 22.12.2020, E. 10.1.
10 BGE 147 III 440, E. 3.3.2.
11 Obergericht des Kantons Schaffhausen, Urteil 40/2018/19 vom 17.1.2020, E. 3.1.3.