Meinen Brief schreibe ich aus Rom, wo das Wetter mild ist. Den Master in Rechtswissenschaften an der Uni­versität Freiburg will ich mit einer zweisemestrigen Auslandserfahrung abschliessen. Zum Glück kann ich das trotz der aktuellen Pandemie ­verwirklichen. Italien ermöglicht mir das Erlernen einer dritten Landessprache, um alle Entscheidungen des Bundesgerichts zu verstehen und an den Diskussionen meiner lieben Tessiner Juristenkollegen teilzunehmen. Mein Mobilitätsjahr absolviere ich an der «Sapienza – Università di Roma», der grössten Universität ­Europas. Das breit gefächerte juristische Kursangebot ermöglicht es  mir, meinen Master um den Schwerpunkt Europarecht zu erweitern.

Im ersten Semester hatte ich unter anderem die Gelegenheit, einen Kurs über vergleichendes öffentliches Recht zu belegen. Er zeigte mir, dass ein Studium im Ausland bereits ein ­Prozess des Rechtsvergleichs ist. Es ist schwierig, die italienische Lebensweise und den allgemeinen Kontext zu ignorieren, die sich sowohl in Bezug auf den Universitätsbetrieb als auch auf die täglichen Gewohnheiten stark vom schweizerischen System unterscheiden. Zum Beispiel: Bei den ­Prüfungen gibt es keine Höchstzahl an Versuchen, so lassen sich die Noten verbessern – in der Schweiz hingegen kann man in der Regel zwei Mal an die Prüfung und dann ist Schluss.

Zunächst war ich von der Komplexität der Uni-Verwaltung verwirrt. Doch dank der herzlichen Aufnahme durch meine drei italienischen Mitbewohnerinnen verinnerlichte ich die römischen Gepflogenheiten schnell. Ich entdeckte die legendäre Pracht Roms, die sich bei Spaziergängen durch das Zentrum als unerschöpflich erwies. Der einzige Wermutstropfen bleibt die laute Atmosphäre. Ich brauchte einige Tage, um zu merken, dass die Krankenwagen nicht durch mein Zimmer fuhren.

Mitte Februar beginne ich mein zweites Semester an der ­Sapienza. Die Zeit in Rom brachte mir nicht nur wertvolle italienische Freundschaften. Sie hat mir auch das hohe akademische Niveau und das sehr ­angenehme Leben in der Schweiz in Erinnerung gerufen.

Zélie Jeanneret-Grosjean, 22, studiert Rechtswissenschaften auf Masterstufe an der Universität Freiburg. Sie absolviert aktuell zwei Auslandsemester an der Universität Rom.