Seit zwei Wochen bin ich nun in Strassburg und ­arbeite fleissig an Beschwerden, die beim Europäischen ­Gerichtshof für Menschenrechte erhoben wurden. Als Haupt­gewinn des Moot Courts «René Cassin 2015» winkte den Gewinnerinnen nämlich ein vierwöchiges Praktikum an dieser ­Institution, welche über die Einhaltung der Menschenrechte in den Mitgliedstaaten des Europarats wacht. Die Planung war schnell erledigt: ein E-Mail an die Personalverantwortliche des Gerichtshofs, eine Nachricht an meine ehemalige Mitbewohnerin, schon war das Praktikum ver­einbart und das Zimmer gemietet.

Die Arbeit am Gerichtshof ­gestaltet sich sehr angenehm. Hauptsächlich helfe ich mit, ­­

(Un-)Zulässigkeitsentscheide zu verfassen. Von Januar bis Juli 2015 sind 165 Beschwerden gegen die Schweiz von einem Einzelrichter als unzulässig erklärt ­worden. Ungefähr 280 Beschwerden sind noch anhängig. Die Praktikanten werden zudem ermuntert, an sonstigen Aktivitäten teilzunehmen. So besuchte ich in meiner ersten Woche das Euro­päische Parlament, um die Rede von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker zum «State of the Union» zu hören. In meiner zweiten Woche nahm ich an einer Verhandlung der Grossen Kammer im Fall Paposhvili gegen Belgien teil. Auch zur Vereidigung der neuen Richter für Monaco und Armenien waren wir eingeladen.

Neben freundlichen Kollegen und Vorgesetzten treffe ich hin und wieder eine Richterin oder ­einen Richter in der Cafeteria an – wenn ich mich denn überhaupt an einen der 47 Köpfe ­erinnere, die ich mir natürlich vorsorglich eingeprägt hatte. Das Büro teile ich mit einer deutschen Rechtsreferendarin. Nebenan ­sitzen Praktikanten aus Rumänien, Frankreich, China, Zypern, Deutschland und der Schweiz. Der Austausch unter uns «Stagiaires» ist sehr angeregt. Wir vergleichen die diversen Rechtsordnungen oder ­tauschen uns über Dossiers aus.

Vier Wochen Praktikum am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte sind sehr kurz, aber sie sind eine wertvolle Arbeitserfahrung.

Chiara Nyfeler absolvierte einen Bachelor in Internationalen ­Beziehungen an der Uni Genf und machte danach einen zweisprachigen Master (deutsch-französisch) in Rechtswissenschaften an den ­Universitäten Genf und Basel. Nach den vier Wochen in Strassburg beginnt sie ein Anwaltspraktikum in einer Zürcher Kanzlei.