Gewöhnlich nehmen Berufsverbände oder Gewerkschaften Stellung zu Gesetzesentwürfen der Regierungen oder Parlamente. Der Verband der schweizerischen Anwältinnen und Anwälte (SAV) ist einen Schritt weiter gegangen: Er präsentiert gleich ein vollständiges «Schweizer Anwaltsgesetz» inklusive Anhänge und eines Erlasses über die Anpassungsänderungen weiterer Gesetze, vorab Prozessordnungen. Der Entwurf wurde Mitte Februar 2012 der Bundesverwaltung zugestellt, um ihn «ins ordentliche Gesetzgebungsverfahren zu übernehmen» (Anwaltsrevue 2/2012, S. 68).
Der Basler Advokat Ernst Staehelin schildert im Verbandsblatt «Anwaltsrevue» (2/2012) die Entstehungsgeschichte. Das Projekt geht auf einen Beschluss des Vorstands des SAV aus dem Jahr 2009 zurück. Der Grund dazu war einfach: Mit der Inkraftsetzung einer schweizerischen Zivilprozessordnung (ZPO) und Straf- respektive Jugendstrafprozessordnung (StPO / Jugend-StPO) auf Anfang 2011 bestand keine Rechtfertigung mehr für kantonale Regelungen des Anwaltsberufs. Die Vorgabe des SAV-Vorstands lautete: Vom BGFA (Bundesgesetz vom 23. Juni 2000 über die Freizügigkeit der Anwältinnen und Anwälte) sind die bewährten Regeln zu übernehmen, gleichzeitig sind Verbesserungen und Aktualisierungen an den heutigen Stand vorzunehmen und, drittens, sich aufdrängende neue Themen direkt ins Bundesgesetz aufzunehmen. Der nun vorliegende und bereits ins Gesetzgebungsverfahren des Bundes eingespeiste Entwurf war in Tuchfühlung mit den kantonalen Anwaltsverbänden erarbeitet worden.
Im Wesentlichen unverändert aus dem BGFA übernommen wurde die Organisation der Berufsausübungsbewilligung, der Registrierung der praktisch tätigen Anwältinnen und Anwälte sowie deren Disziplinierung: Hier wurde die Zuständigkeit bei den kantonalen Behörden belassen. Einzig soll neu auf Bundesebene ein zentrales Anwaltsregister geschaffen werden, ohne dass dem Bund aber materielle Überprüfungskompetenzen zukämen. Die kantonalen Anwaltsregister sollen aufgehoben werden. Die Alimentierung des Registers soll durch die Kantone erfolgen. Beim Disziplinarrecht sieht der SAV-Entwurf gegenüber den Regeln des BGFA Milderungen für die Klientschaft des Verbands vor: So sollen Verwarnungen und Verweise nach bereits zwei Jahren (bisher fünf), Bussen nach drei (bisher fünf) und das befristete Berufsausübungsverbot bereits fünf Jahre nach Anordnung gelöscht werden (bisher zehn).
Die Organisation der Aufsichtsbehörde (Wahl, Grösse, Bestückung) obliegt nach dem Entwurf weiter den Kantonen. Praktisch unverändert sollen die Bestimmungen des BGFA über die EU/Efta-Anwältinnen und Anwälte fortdauern; sie sollen sogar auf ausländische Anwälte über den EU/Efta-Kreis hinaus gelten. Wesentlicher Inhalt eines Anwältegesetzes sind die Berufsregeln bzw. -pflichten. Auch hier soll den Mitgliedern des SAV aber kein neues Ungemach blühen, wurde der bisherige Katalog von Artikel 12 BGFA doch praktisch unverändert in den Bundesentwurf überführt. Es bestehe «kein Anlass» für einschneidende Änderungen, schreibt der Mitverfasser und Präsident der SAV- Arbeitsgruppe Ernst Staehelin.
Kleinere Änderungen im Gesetzesentwurf wurden «neuliberal» angegangen: lieber keine Regelung als eine schwierig zu handhabende. So soll Artikel 12 litera d BGFA über die objektive Werbung und das Bedürfnis der Öffentlichkeit nach Information gänzlich aufgehoben werden. Die Grundsätze des Bundesgesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) würden bereits heute eine lautere Anwaltswerbung fordern, was ausreiche.
Bei der Geheimhaltungspflicht (bisher Artikel 13 BGFA) indessen sieht der Berufsverband eine Präzisierung als angezeigt. Darunter soll nicht nur fallen, was den Anwältinnen und Anwälten «infolge ihres Berufes von ihrer Klientschaft anvertraut worden ist», sondern auch das, was sie «in dessen Ausübung wahrgenommen haben»; eine Ausdehnung also auf Tatsachen, die sie von dritter Seite erfahren haben.
Ergänzungen von bisherigem Recht im Sinn von Präzisierungen betreffen die interessanten Bereiche des Begriffs des Anwaltsberufs, des Titelführungsrechts und der Unterscheidung zwischen Fähigkeitsausweis und Ausübungsbewilligung.
Den Anwaltsberuf übt nach dem Entwurf aus, wer unter Verwendung des Titels als Anwalt tätig ist. Dabei ist es egal, ob die Tätigkeit im Monopolbereich wie bisher - also der gerichtlichen Vertretung im Zivil- und Strafrecht - oder ausserhalb des Monopolbereichs stattfindet. Damit der Titel verwendet werden darf, ist allerdings zwingend die Registrierung im neuen zentralen Anwaltsregister nötig. Wer derart als Anwalt tätig ist, untersteht den Rechten und Pflichten des Anwaltsberufs.
Nach dem heutigen BGFA kann sich ein rein beratend tätiger Wirtschaftsanwalt oder ein vor Verwaltungsbehörden und -gerichten auftretender Inhaber des Anwaltspatents ohne den Eintrag im (kantonalen) Register Anwalt nennen. Neu soll die Titelführung vom Registereintrag abhängen.
Wie nennt sich nun ein Inhaber des Anwaltspatents, der sich nicht im neuen zentralen Register eintragen lässt, weil dafür kein Anlass besteht? Nach dem Entwurf des SAV sollen die Inhaber des Anwaltspatents, welche den Anwaltsberuf nicht ausüben, auf andere Weise auf die bestandene Anwaltsprüfung hinweisen müssen, etwa indem sie sich «Inhaber des anwaltlichen Fähigkeitsausweises» nennen.
Diese Änderung in der Titelführung würde auch unzählige Juristen mit Anwaltspatent betreffen, die in ihrem Berufsleben gar nie anwaltlich tätig waren, wie Beamte, Richter, Bankiers oder aber aktive Anwälte im Ruhestand. Als Motiv für diese «Klärung» nennt der SAV die Interessen des Publikums. Es soll auf einen Blick erkennen können, welcher Jurist dem Berufsgeheimnis und einer Beaufsichtigung untersteht und wer nicht. Es darf wohl die Prognose gestellt werden, dass hier das letzte Wort noch nicht gesprochen ist. Allzu gross ist der Kreis von Anwaltspatentträgern, die nicht ohne weiteres auf ihren Titel verzichten dürften.
Der Unterschied zwischen dem fachlichen Fähigkeitsausweis und der Polizeibewilligung zur Ausübung des Anwaltsberufs - eben in der Form der Aufnahme im Berufsregister - führt zur Konsequenz, dass der «Patententzug» durch die Aufsichtsbehörde als Folge von beruflichen Pflichtverletzungen nur die Polizeibewilligung betrifft. Durch Löschung im Register wird die Berufsausübung verboten, nicht aber die fachliche Fähigkeit dazu aufgehoben. Im Unterschied zu heute dürfte aber mit dem Ausübungsverbot auch das Verbot der Titelführung als Anwalt einhergehen. Diese Präzisierung leuchtet aus der Optik des Publikumsinteresses ein.
Neu ist hier das Bestreben (und legitime Interesse eines schweizerischen Berufsverbands) zum Abschied vom Kantönligeist hin zu einer eidgenössischen Vereinheitlichung der Anforderungen und Ausbildung der Anwältinnen und Anwälte. Allerdings bleiben die Vorschläge auf halbem Weg stehen: So sollen die Prüfungen zwar wie bisher durch kantonale Kommissionen vorgenommen werden, allerdings auf der Grundlage bundesrechtlicher Regeln. Damit müssen keine neuen Bundesinstanzen geschaffen werden.
Der SAV-Entwurf sieht einen schriftlichen und einen mündlichen Prüfungsteil vor und überlässt es den Kantonen zu entscheiden, ob die gesamte Prüfung nach dem Praktikum oder gestaffelt in zwei Teilen absolviert werden muss. Der Verband will sich bei der Ausarbeitung eines Prüfungsreglements noch einmal einbringen und zu Wort melden.
Das Berufspraktikum soll mindestens 18 Monate dauern, wovon deren drei bei einem registrierten Anwalt (beziehungsweise einer Anwältegesellschaft) zu absolvieren sind. Die Kantone dürfen längere Praktika vorschreiben oder können diese Verteilung der Praktikumsstellen «bei Bedarf» abändern. Für das Praktikum ausserhalb der Anwaltskanzlei schreibt der Entwurf nicht ein Praktikum an einem Gericht vor, sondern an jeder Stelle, die in der Zivil-, Straf- und Verwaltungsrechtspflege tätig ist sowie bei einer Staatsanwaltschaft oder einer mit «der Rechtsanwendung befassten Abteilung in Wirtschaft und Verwaltung» (Artikel 10 Absatz 2 Entwurf).
Mit dem schwer gewichteten Praktikum in Anwaltskanzleien - bisher nicht die Regel - darf der Verdacht, der SAV betreibe die Vermittlung günstiger Arbeitskräfte für seine Mitglieder, durchaus aufkommen.
Bei den Anwaltshonoraren kapituliert der Entwurf auf halbem Weg - oder schon früher. Er begnügt sich mit einem blossen Hinweis, dass die Honorierung durch Vereinbarung mit der Kundschaft geregelt werde, unter Vorbehalt der «Berufsregeln» und, was selbstverständlich ist, der für die Behörden massgebenden Entschädigungsregeln nach Massgabe des Prozessausgangs und für die unentgeltliche Rechtsvertretung.
Angesichts der Brisanz des Themas Anwaltshonorare wurde hier allzu schnell die heisse Kartoffel fallen gelassen. Während die Honorare von Ärzten, Architekten, Vermögensverwaltern geregelt, sonstwie bekannt oder mindestens errechenbar sind, herrscht im Honorardschungel der Advokatur nach wie vor Düsterheit - und ein schlechter Ruf in der Öffentlichkeit. Dazu beigetragen haben nicht nur die horrenden Stundenansätze der Wirtschaftsanwaltskanzleien, sondern der Umstand, dass seit Jahrzehnten kaum ein Wettbewerb über das Honorar besteht, und der Rechtsuchende kaum eine Möglichkeit hat, den Preis zu verhandeln. Trotz freier Anwaltschaft ist der finanzielle Zugang zum Recht immer noch mehrheitlich monopolisiert. Weder die Anwaltsschwemme noch Kosteneinsparungen in den Anwaltskanzleien durch elektronische Arbeitsabläufe in den vergangenen zehn Jahren haben sich auf die Honorare ausgewirkt. Hier hat der Berufsverband SAV eine Chance verpasst, Goodwill für den Anwaltsberuf in der Öffentlichkeit zu schaffen.
Bei der umstrittenen Anwaltsgesellschaft, bei der zurzeit ein ungeregelter Zustand herrscht, zeigte der SAV hingegen keine Hemmungen, Neuland zu betreten. Die Anwaltsgesellschaft wird im Entwurf SAV grundsätzlich legalisiert und geregelt, und zwar sollen Anwaltsgemeinschaften sowohl als Personen- als auch als Kapitalgesellschaften möglich sein.
Erinnern wir uns kurz daran, dass die unter den kantonalen Hoheiten und Anwaltsgesetzen entstandene Rechtslage mit Bezug auf Anwaltsgesellschaften äusserst unterschiedlich und unübersichtlich ist. So werden zum Beispiel an den Rändern der Schweiz, in St. Gallen und den welschen Kantonen, allen voran Genf, keine Kapitalgesellschaften als Form von Anwaltsgemeinschaften zugelassen. Die Begründung liegt in der Romandie in der französischen Tradition der grösstmöglichen Unabhängigkeit der Advokatur.
In St. Gallen wiederum haben die Anwaltskammer (kantonale Aufsichtsbehörde) wie auch auf Beschwerde hin das Kantonsgericht (Entscheid vom 18. Januar 2011) anwaltliche Kapitalgesellschaften als mit Artikel 8 Absatz 1 litera d BGFA unvereinbar erklärt. Nach dieser Vorschrift müssen Anwältinnen und Anwälte in der Lage sein, «den Anwaltsberuf unabhängig auszuüben», und können sie «Angestellte nur von Personen sein, die ihrerseits in einem kantonalen Register eingetragen sind». Dies ist nach der Rechtslage in St. Gallen bei Kapitalgesellschaften nicht der Fall. Und bei Personengesellschaften? Hier wird die Zulässigkeit damit begründet, dass Kollektivgesellschaften zwar trotz fehlender Rechtspersönlichkeit am Rechtsverkehr teilnehmen könnten. Indessen seien die Gesellschafter allein Träger von Rechten und Pflichten, womit für im Register eingetragene Gesellschafter die Anwaltsrechte und -pflichten unverändert gelten würden.
Andere Kantone haben Kapitalgesellschaften zugelassen, sei es, wenn sie ausschliesslich aus Anwälten bestehen, sei es, dass Nicht-Anwälte als Gesellschafter zugelassen sind, bei Beschlüssen aber garantiert sein muss, dass die Anwälte in der Mehrheit sind und die Beschlüsse mit einem gewissen Quorum von Anwälten zustande kommen müssen. Der Entwurf des SAV (Artikel 38 bis 43) geht von der letzteren - liberalsten - Regelung aus, wie sie etwa im Kanton Zürich besteht. Demnach ist jede vom schweizerischen Recht zugelassene Rechtsform möglich, unter der Voraussetzung, dass als Gesellschafter nur natürliche Personen aufgenommen werden können, dass sich der Hauptzweck der Anwaltsgesellschaft auf die Erbringung von Rechtsdiensleistungen beschränken muss und dass die Gesellschafter zu mindestens drei Vierteln aus registrierten Anwälten bestehen.
Alle Entscheidungen der Anwaltsgesellschaft müssen sodann «ausschliesslich mit einer Stimmenmehrheit der registrierten Gesellschafter zustande kommen» und die Vorgesetzten der obersten Leitungs- und Verwaltungsorgane sowie der Gesellschafter- oder Generalversammlung registrierte Anwälte sein. Ferner dürfen nicht registrierte Gesellschafter eingesetzt werden, sofern sie natürliche Personen sind und «eine dem tatsächlich praktizierten Gesellschaftszweck dienende, berufliche Tätigkeit in der Anwaltsgesellschaft ausüben». Schliesslich muss die Gesellschaft neben den einzelnen Anwälten eine Berufshaftpflichtversicherung abschliessen, die mindestens eine Million Franken Schaden abdeckt.
Zusätzlich sind Holdingverhältnisse an Anwaltsgesellschaften zulässig, sofern diese - wenn nicht schweizerische natürliche Personen die Gesellschaft halten - ihrerseits aus registrierten Anwälten als Gesellschafter bestehen. Der einzige Holdingzweck besteht im Halten von Beteiligungen an Anwaltsgesellschaften. Die Regeln über den Vorsitz von Leitungs- und Führungsorganen der Gesellschaft gelten auch für die Holding, ebenso die Stimmenmehrheiten bei Beschlüssen (Artikel 42 Entwurf). Der SAV-Entwurf enthält noch einige Regeln über ausländische Anwälte in der Schweiz, auf die hier nicht eingegangen wird.
Für eine kritische Würdigung des SAV-Entwurfs zuerst ein Blick zurück: Der SAV war jahrzehntelang ein Verband, der im Hintergrund um eine gewisse Koordination im Föderalismus des kantonalen Anwaltswesens bemüht war. Die kantonalen Verbände betrieben vor allem Standespolitik. Das Hohelied der anwaltlichen Unabhängigkeit und für die Öffentlichkeit nicht verständliche Honorarregeln (mit breitem Ermessensspielraum) gehörten als tragende Pfeiler dazu. Die Anwältegeneration der 68er fühlte sich durch diese Verbände nicht vertreten. Es kam zur Gründung der «Permanences» in der Westschweiz und zum Anwaltskollektiv in Zürich, später zur Gründung der Demokratischen Juristinnen und Juristen Schweiz (DJS) mit kantonalen Ablegern. Im vergangenen Jahrzehnt haben dann auch linke und liberale Anwälte in den SAV gefunden, die tendenziell durchlässiger, weniger standesfixiert und fortschrittlicher geworden ist.
Der Entwurf des SAV für ein Schweizer Anwaltsgesetz kann in dieser neuen Epoche gesehen werden und ist grundsätzlich positiv zu werten.
Zu bedauern ist, wie erwähnt, dass das Honorarwesen - Grund für ein schlechtes Renommée des Anwaltsberufs - als heisse Kartoffel nicht einer Regelung zugeführt worden ist, die für das rechtsuchende Publikum transparent ist.
Mit der Regelung der Berufsbezeichnung und der Unterscheidung in den Fähigkeitsnachweis und die Berufsausübungsbewilligung - letztere gekennzeichnet durch den Eintrag im neuen Bundesverzeichnis - dürfte der Entwurf einen Weg durch eine nicht hindernisfreie Zone eingeschlagen haben. Dasselbe dürfte erst recht im Zusammenspiel mit den Anwaltsgesellschaften gelten. Zwar erstaunt es nicht, dass im Rahmen eines neu zu schaffenden Bundesgesetzes die Mehrheitsmeinung unter den Kantonen zum Durchbruch gelangte und Anwaltsgesellschaften - sowohl Personen- als auch Kapitalgesellschaften - zulässig sein sollen.
Für Grosskanzleien - auch eine jüngere Entwicklung in der Schweiz - dürfte die Gesellschaftsform den Erwartungen der (ausländischen) Kundschaft entsprechen, werden doch die Grossmandate nicht an einzelne Anwälte, sondern der Firma erteilt, es dürfte dem Auftraggeber egal sein, welche angestellten Anwälte mit der Ausführung betraut werden. Sobald aber Hunderte von angestellten Associates mit Anwaltstitel in Teamarbeit Grossaufträge abwickeln, stellt sich die Frage nach dem Sinn der Berufsausübungsbewilligung. Die Arbeitssituation ist nämlich nicht anders als bei grossen Treuhandfirmen oder Unternehmensberatern und der Bezug zum Anwaltsberuf ist eigentlich nicht sichtbar. Eine Tätigkeit im Monopolbereich findet in der Regel nicht statt; eine persönliche Verantwortlichkeit der angestellten Juristen ist ebensowenig gegeben.
Man fragt sich, was die Kontrolle über die Anwaltstätigkeit, die mit dem Registereintrag dieser Anwälte der Öffentlichkeit vorgegaukelt wird, faktisch wert ist. Kein Richter oder Gegenanwalt wird deren Tätigkeit beurteilen können. Das Anwaltsverzeichnis des Bundes wird Tausende von angestellten Anwältinnen und Anwälten vermerken, über die eine eigentliche Kontrolle gar nicht möglich ist. Abgesehen von der Namensführung als Anwältin oder Anwalt unterscheidet sich auch der Inhalt der Tätigkeit dieser Wirtschaftsanwälte nicht von demjenigen einer Treuhand-, Revisions- oder Unternehmensberatungsgesellschaft. Auf Dauer stellt sich die Frage, was diese Heerscharen von assoziierten Anwälten faktisch mit den Strukturen des Anwaltsberufs gemeinsam haben. Möglicherweise müsste erwogen werden, dass die Aufnahme in das Anwaltsverzeichnis auch an gewisse spezifisch anwaltliche Tätigkeiten in eigener Verantwortlichkeit geknüpft würde. Damit ist ein Tätigkeitsfeld des SAV in weiterer Zukunft bereits skizziert.
Für die kleineren, forensisch und im herkömmlichen Sinn beratenden Anwaltskanzleien im Umfeld des Monopolbereichs sind keine Gründe für eine Anwaltsgesellschaft ersichtlich. Haftungsüberlegungen werden oft dafür ins Feld geführt. Angesichts der Tatsache, dass jeder Anwalt ohnehin verpflichtet ist, eine Haftpflichtversicherung abzuschliessen, ist das nicht nachvollziehbar. Dass angestellte Anwälte in einem Konflikt zwischen der Weisung des Arbeitgebers und den Mandatspflichten stehen, lässt sich nicht wegdiskutieren.
Die Anwaltsgesellschaften werden nicht aus beruflichen Gründen, sondern aus egoistischen Motiven gegründet. Die in den Kernstädten meist höheren Einkommenssteuern fallen beim angestellten Partner oder Sozius weg, wenn er - was wohl immer noch die Regel ist - seinen Wohnsitz im steuergünstigen «Speckgürtel» hat. Schliesslich verlangt man ja nicht mehr als die Gleichbehandlung mit dem Nachbarn, der zum Beispiel Kadermitglied einer Bank oder Versicherung oder Treuhandfirma ist.
Auch hier ist zu bedauern, dass der SAV zu wenig differenziert hat. Vielleicht bringt der Gesetzgeber Korrekturen an. Schaden würde es jedenfalls nicht.
Vorgehen des Anwaltsverbands «nicht bedenklich, höchstens unsympathisch»
«Aufgrund eines von Alt-SAV-Präsident Ernst Staehelin stetig weiterentwickelten Entwurfs und dank der Kooperation und Mitarbeit aller 24 kantonalen Anwaltsverbände ist es gelungen, dieser Tage dem Bundesamt für Justiz ein von allen involvierten Seiten unterstütztes ‹Schweizer Anwaltsgesetz› vorzuschlagen.» So beginnt Beat von Rechenberg, Präsident des Schweizerischen Anwaltsverbandes (SAV) sein Editorial in der Ausgabe 2/2012 der Verbandszeitschrift «Anwaltsrevue», die den Gesetzesvorschlag vorstellt.
Folco Galli, Sprecher des Bundesamtes für Justiz, stellt auf Nachfrage klar, dass der Schweizerische Anwaltsverband keinen Auftrag hatte, ein solches Gesetz auszuarbeiten. «Dass im vorliegenden Fall Vorschläge derart konkret und detailliert ausgearbeitet worden sind, dürfte wohl auf die besondere juristische Kompetenz des SAV zurückzuführen sein.» Er erinnert sich nur an einen vergleichbaren Präzedenzfall - den Alternativentwurf für eine Bundesverfassung der Professoren Alfred Kölz und Jörg Paul Müller in den 1990er-Jahren.
Dass ein Verband ein fertiges Gesetz vorschlage, sei eher «atypisch», sagt auch Felix Uhlmann, Professor für Staats- und Verwaltungsrecht und Rechtsetzungslehre an der Universität Zürich: «Normalerweise erarbeitet die Verwaltung einen Gesetzesvorschlag, der dann in die Vernehmlassung geht.» Er finde das Vorgehen des SAV staatsrechtlich nicht problematisch, sagt Uhlmann, «solange es transparent ist». Problematischer sei, wenn Lobbyisten versuchten, etwas in Gesetze reinzuschmuggeln. «Denn die Verwaltung kann schon versucht sein, etwas zu übernehmen, wenn es fixfertig vorliegt.»
Schützenhilfe erhält Uhlmann von seinem Kollegen Andreas Kley, Professor für öffentliches Recht, Verfassungsgeschichte sowie Staats- und Rechtsphilosophie an der Universität Zürich: «Ich würde eine solche Eingabe als Petition sehen.» Als solche sei das Vorgehen des SAV nicht bedenklich - «höchstens unsympathisch».
Felix Uhlmann fragt sich allerdings, ob es vom SAV taktisch geschickt war, so vorzugehen. Denn die Verwaltung könne versucht sein, die Vorschläge abzulehnen, um sich nicht dem Vorwurf der Beeinflussbarkeit auszusetzen. «Und dann würden auch die guten Vorschläge nicht einfliessen», sagt er. Es gibt keine Garantie, dass die Arbeit übernommen wird, dessen ist sich René Rall, Generalsekretär des SAV, bewusst. Doch dieses Risiko sei eher klein, «da der Bedarf für eine gesamtheitliche Regelung des Anwaltsberufes offensichtlich» sei.
Aufgrund der Dringlichkeit des Themas habe sich der Anwaltsverband für diesen Weg entschieden. «Das Prozessrecht wurde für die ganze Schweiz verallgemeinert - da ist es angebracht, dass nun auch das Anwaltsgesetz (BGFA) angepasst wird.» Das BGFA sei weder ein umfassendes Anwaltsgesetz, noch regle es innerstaatlich sämtliche Aspekte der Freizügigkeit der Anwältinnen und Anwälte. Dass das Vorgehen ungewöhnlich ist, weiss René Rall - «aber wir verfügen auch über ein Know-how für das Erarbeiten eines Gesetzesvorschlages, das nicht viele andere Verbände haben». Zudem würden einige Parlamentarier beabsichtigen, das Vorhaben des SAV noch mit einer Motion zu unterstützen.
Wie es mit dem Entwurf des «Schweizer Anwaltsgesetzes» nun weitergehen wird, war bis zum Redaktionsschluss laut EJPD-Sprecher Galli noch nicht klar. ch