plädoyer: Der Nationalrat diskutiert über mehrere vermieterfreundliche Vorstösse, das Bundesgericht hat in seinem Nettorendite-Urteil von 2020 (siehe Kasten) zulasten der Mieter entschieden. Verschieben sich im Mietrecht die Kräfte zugunsten der Vermieter?
Carmen Wettstein: Dieser Schluss drängt sich auf, wenn man sich den Bundesgerichtsentscheid und die ebenfalls vermieterfreundliche Rechtsprechung unterer Instanzen vor Augen hält. Störend finde ich auch, dass die Gerichte gegenüber der Politik vorpreschen: Das Bundesgericht zum Beispiel hat seinen wegweisenden Entscheid in Sachen Nettorendite zu einem Zeitpunkt gefällt, als auf politischer Ebene noch über das Thema diskutiert wurde.
Hans Bättig: Man sollte sich immer vor Augen halten, wo die praktische Bedeutung solcher Entscheide und von parlamentarischen Vorstössen liegt. Das Urteil zur Nettorendite zum Beispiel betrifft einen Bruchteil der Fälle, die uns Mietrechtsexperten im Alltag beschäftigen. Gleiches gilt für das angeblich heiss diskutierte Thema Anfechtung des Anfangsmietzinses: Bei den etwa 400 000 Mieterwechseln pro Jahr zählt die Statistik lediglich gut 1000 Anfechtungen.
plädoyer: Befürworten Sie das Nettorendite-Urteil des Bundesgerichts?
Bättig: Ja. Das Bundesgericht hat klar gesagt, dass nach dem bisherigen Renditesatz ein «lächerlich tiefer» Mietzins resultiere. Aber die Aufgabe des Bundesgerichts ist nicht einfach: Einerseits enthalten Gesetz und Verordnung keine klaren Regeln und seit 1990 sind sämtliche Mietrechtsrevisionen auf parlamentarischer Ebene gescheitert. Andererseits muss sich die Rechtsprechung in Einzelfallentscheiden herausbilden – gerade auch in den äusserst komplizierten Fällen zur Nettorendite. Dabei ist das Bundesgericht kein Fachgericht für Mietrecht, sondern eher eine Allgemeinpraxis für Vertragsrecht. Bemerkenswert: 17 Prozent der Mieter in der Schweiz wohnen in der Romandie. Sie produzieren 77 Prozent aller Bundesgerichtsurteile im Mietrechtsbereich. Auf die 70 Prozent Deutschschweizer entfallen gerade mal 14 Prozent. Wir haben also einen unerklärlichen Röstigraben, wenn es um mietrechtliche Streitigkeiten geht. Ich führe diesen auf die «Anwaltsfabriken» der Mieterverbände in der Westschweiz zurück.
Wettstein: Ich gebe Ihnen recht, dass es zumindest im Bereich Nettorendite gar nicht so viele Fälle gibt. Aber der Entscheid, den das Bundesgericht 2020 traf, war wegweisend. Das war ein politisches Signal – nicht zuletzt deshalb, weil damit eine jahrzehntelange Praxis geändert wurde.
plädoyer: Zurzeit sind im Mietrecht verschiedene Vorstösse pendent: Eine parlamentarische Initiative vom Präsidenten des Hauseigentümerverbandes Hans Egloff fordert, dass Mieter den Anfangsmietzins künftig nur noch bei einer Notlage anfechten dürfen. Weshalb dieser Vorschlag?
Bättig: Anstoss zu dieser Initiative gab der Fall von zwei Genfer Bankangestellten mit zusammen rund 180 000 Franken Einkommen. Sie mieteten in Zürich eine 3,5-Zimmer-Wohnung für rund 3900 Franken und fochten nach Vertragsunterzeichnung den Anfangsmietzins an. Das Bundesgericht hat sich in seinem Entscheid im Jahr 2016 auf den Standpunkt gestellt, dass diese Rahmenbedingungen keine Rolle spielen und man die Frage abstrakt beurteilen müsse. Es war dieser Entscheid, der die Wespen auf Vermieterseite zum Fliegen brachte.
Wettstein: Im Gesetz steht, dass eine Anfechtung des Anfangsmietzinses möglich ist, wenn er im Vergleich zum vorherigen Mietverhältnis erheblich erhöht wurde oder sich der Mieter wegen einer persönlichen und familiären Notlage oder wegen der Verhältnisse auf dem örtlichen Markt für Wohn- und Geschäftsräume zum Vertragsschluss gezwungen sah. Das Zürcher Obergericht, das mehrheitlich bürgerlich besetzt ist, hat in besagtem Fall aus «oder» «und» gemacht. Das Bundesgericht hat dies in der Folge richtigerweise korrigiert. Die parlamentarische Initiative fordert nun, dass wieder auf die Rechtsprechung des Zürcher Obergerichts umgeschwenkt wird. Dabei geht es nicht um die zwei Banker. Würde man die Anforderungen für eine Anfechtung des Anfangsmietzinses erhöhen, wären auch ganz viele «normale Leute» betroffen.
Bättig: Hier stellt sich ebenfalls die Frage nach der praktischen Auswirkung: Von 3,5 Millionen Mietern in der Schweiz fechten pro Jahr knapp 1000 den Anfangsmietzins an. Wenn es nun einen Drittel weniger solche Anfechtungen gibt, ändert dies weder am Mietzinsniveau etwas noch an der sozialen Verfassung des Landes.
Wettstein: Die Anfechtungsquote steigt in jenen Kantonen, in denen die Formularpflicht eingeführt wurde. Zuvor konnten die Mieter die Mietzinsentwicklung nicht nachvollziehen. Aufgrund der Formulare können sie feststellen, ob der Mietzins für eine Wohnung zum Beispiel von 900 auf 2000 Franken erhöht wurde.
plädoyer: In Städten wie Zürich ist die Nachfrage nach Wohnungen grösser als das Angebot. Liegt es da nicht nahe, dass einige Vermieter übersetzte Anfangsmietzinse verlangen?
Wettstein: Das ist tatsächlich so. Die Möglichkeit zur Anfechtung des Anfangsmietzinses ist deshalb vor allem ein wichtiges Signal an die Vermieter: Sie können nicht einfach Fantasiepreise verlangen, sondern müssen mit einer Anfechtung rechnen – eben auch, weil die Hürden dafür nicht allzu hoch sind. Würde man die Hürden erhöhen, fiele dieses präventive Signal weg und die Mieten würden wohl steigen. Betreffend Anfechtung des Anfangsmietzinses sollte deshalb das heutige Gesetz so belassen werden.
Bättig: Die Anfechtung des Anfangsmietzinses in der heutigen Form ist vielen Vermietern schon länger ein Dorn im Auge. Sie stören sich am Umstand, dass jemand einen Vertrag unterschreiben und diesen gleich nach der Unterschrift anfechten kann. Gemäss meiner Erfahrung sehen das die meisten Mieter gleich. Darum fechten sie die Anfangsmietzinse nur sehr selten an, weil sie sich meines Erachtens richtigerweise sagen: «Ich habe das ja freiwillig so unterschrieben.»
plädoyer: Carmen Wettstein, als Anwältin dürften Sie wenig Freude haben, wenn ein Klient nach Unterzeichnung der Vollmacht ein tieferes Honorar zahlt als abgemacht. Halten Sie die Anfechtung des Anfangsmietzinses unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben nicht auch für bedenklich?
Wettstein: Das Mietrecht hat auch eine Schutzfunktion. Zwischen der Vermieter- und der Mieterschaft besteht ein Machtungleichgewicht. Und die zentralen Aspekte dieses Schutzes sind seit den frühen 90er-Jahren der Mietzins- und der Kündigungsschutz. Mit dem Vertragsverhältnis zwischen Anwältin und Klient ist das Mietrecht nicht vergleichbar. Es gibt genügend Anwälte auf dem Markt.
Bättig: Ein Hauptproblem des geltenden Mietrechts ist meiner Meinung nach, dass es vor allem diejenigen Mieter schützt, die bereits eine Wohnung haben. Die sogenannten «Uralt-Mieter», die seit über 20 Jahren in einem Mietobjekt leben, profitieren von sehr tiefen, unrealistischen Mietzinsen. Diejenigen, die neu eine Wohnung suchen müssen, haben es demgegenüber nicht leicht und müssen oft tiefer in die Tasche greifen. Für die Vermieter ist ein Wohnungswechsel in der Regel die einzige Gelegenheit, die Mietzinse dem Markt anzupassen. Eine Anpassung wiederum ist alles andere als einfach: Es gibt in der Praxis unzählige Kriterien, wenn es um die Bestimmung der Orts- und Quartierüblichkeit geht. Die Vermieter legen den Mietzins deshalb nach Erfahrungswerten fest.
plädoyer: Der Präsident des Hauseigentümerverbands spricht von «übertriebenen, praxisfernen Anforderungen an den Beweis der Orts- und Quartierüblichkeit». Der Nachweis sei unweigerlich zum Scheitern verurteilt. Mit einer weiteren Initiative verlangt er eine Vereinfachung. Wäre damit nicht auch den Mietern gedient?
Wettstein: Tatsächlich sind die Vergleichskriterien sehr streng, wenn man die Orts- und Quartierüblichkeit bestimmen will: In einem Bundesgerichtsentscheid heisst es zum Beispiel, dass eine Wohnung mit Cablecom-Anschluss nicht mit einer anderen vergleichbar sei, die keinen solchen Anschluss hat. Im Endeffekt begrüsse ich diese Strenge aber, sie stellt einen Schutz für die Mieter dar. Würde man die Kriterien entsprechend der Initiative von Egloff reduzieren, gäbe dies sicher viel Futter für streitlustige Anwälte. Dem Rechtsfrieden wäre es aber weniger zuträglich.
Bättig: Der Versuch, Wohnungen nach den heutigen Kriterien zu vergleichen, gleicht der Suche nach der Nadel im Heuhaufen: Man muss untergliedern nach Ort, Grösse, Bauperiode, Ausstattung, Zustand. Es ist – wie das Bundesgericht selber sagt – fast unmöglich, vergleichbare Objekte zu finden. Ich würde stattdessen auf die Durchschnittsmietzinse abstellen, diese sind relativ robust. Man bestimmt einen Mittelwert, und die Schlichtungsbehörde kann dann je nachdem noch feststellen, ob die Wohnung in gutem Zustand ist und sich der konkrete Mietzins im Durchschnitt bewegt – ergo zumindest vergleichsweise ortsüblich ist.
plädoyer: Das wäre dann aber eine Art Marktmiete, die es in der Schweiz gemäss Verfassung und Gesetz eben nicht geben soll. Es gilt das Prinzip der Kostenmiete – das gemäss Mieterverband seit Jahren schleichend ausgehöhlt wird.
Bättig: Ich sage nun etwas, was meine politischen Weggefährten nicht gern hören dürften: Die Marktmiete ist in der Schweiz längst Realität. Und ich glaube, dass niemand, der sich in der Immobilienbranche auskennt, das Gegenteil behaupten würde. Ich bin froh, dass dem so ist. Der Mieterverband spricht immer von der Teuerung und den steigenden Mietzinsen. Ich hingegen sage: Man muss die Mietzinse ins Verhältnis zu den Löhnen setzen. 1970 betrug der Mietzinsanteil am durchschnittlichen Haushaltseinkommen rund 22 Prozent – heute liegt er bei 18 Prozent. Die Leute verdienen mehr. Und weil sie mehr verdienen, leisten sie sich mehr. Die Mietzinse sind also weitgehend marktgerecht, und die Ortsüblichkeit ist nach Bundesgericht das «Marktelement».
Wettstein: Verfassung und Gesetz schreiben aber eben nicht die Markt-, sondern die Kostenmiete vor. Und in Relation zu den Löhnen gesetzt werden die Mietzinse nicht. Herr Bättig hat an anderer Stelle gesagt, dass die «Uralt-Mieter» zu günstig wegkommen. Dem möchte ich entgegnen, dass diesen gegenüber ja auch einmal ein Anfangsmietzins festgelegt wurde. Und offensichtlich war er genug hoch, dass die Vermieter eine genügende Rendite erzielen konnten. Es ist davon auszugehen, dass sie es auch Jahre später noch können. Sollte das aufgrund wesentlicher Änderungen nicht mehr der Fall sein, hätten die Vermieter die Möglichkeit zur Anpassung.
plädoyer: Gemäss einer Studie der Raiffeisen-Bank beträgt die Abweichung der effektiven Mietzinse von den gesetzlichen Vorgaben 14 Milliarden Franken jährlich. SP-Nationalrätin Jacqueline Badran forderte deshalb mit einer Initiative eine periodische Kontrolle der Rendite durch eine Behörde. Der Vorstoss wurde knapp abgelehnt. Wäre er ein taugliches Mittel gewesen, um zu hohe Renditen zu verhindern?
Bättig: Diese Raiffeisen-Studie ist nicht viel mehr als eine Milchbüchleinrechnung. Ich kann für mich in Anspruch nehmen, zu jenen Leuten in der Schweiz zu zählen, die am meisten Nettorenditeberechnungen gemacht haben. Das ist alles wahnsinnig kompliziert, und mir ist keine solche Rechnung bekannt, die nicht mindestens einen Fehler enthält.
Wettstein: Den richtigen Ansatz verfolgte meiner Meinung nach die Volksinitiative «Ja zu fairen Mieten». Sie forderte nach der Jahrtausendwende, den Mietzins ab dem Zeitpunkt der Bewohnung eines Mietobjekts zu indexieren. Die Vorlage scheiterte, weil sie überladen war. Man sollte sich aber in der Tat fragen, wie viel Rendite man mit einer Liegenschaft erzielen darf. Die Initiative von Jacqueline Badran setzte deshalb an der richtigen Stelle an. Leider scheiterte sie bereits in der nationalrätlichen Kommission, was die aktuellen politischen Kräfteverhältnisse im Mietrecht gut abbildet.
plädoyer: Eine parlamentarische Initiative der FDP fordert vereinfachte Kündigungsmöglichkeiten wegen Eigenbedarfs. Wenn es um das Kriterium der «Dringlichkeit» des Eigenbedarfs geht, seien die Voraussetzungen der Rechtsprechung zu streng. Teilen Sie diese Ansicht?
Bättig: Der Hauptkritikpunkt in diesem Kontext ist die «kalte Erstreckung», also die Erstreckung durch das Erstreckungsverfahren selbst. Gerade aus der Westschweiz werden zahlreiche Beschwerden beim Bundesgericht eingereicht, die eigentlich aussichtslos sind. Bei Eigenbedarfskündigungen geht es in der Regel nämlich nicht darum, ob ein Eigenbedarf vorliegt oder nicht – das ist meist unzweifelhaft. Hingegen ist die Behauptung, der Eigenbedarf werde vom Vermieter nur vorgeschoben, oft das Mittel der Wahl, um das Verfahren in die Länge zu ziehen. Häufig ist vor Bundesgericht dann die maximale Erstreckungsdauer schon abgelaufen.
Wettstein: Ich erachte die FDP-Initiative als extremen Angriff auf den Kündigungsschutz. Es war ursprünglich gar die Idee der Bürgerlichen, die ZPO zu ändern und bei Eigenbedarfsfällen ein schnelleres Kündigungsverfahren einzuführen. Dieses Vorhaben erlitt glücklicherweise Schiffbruch, doch die beabsichtigte Anpassung im OR abzuwehren, ist Arbeit genug.
plädoyer: Besteht bei Eigenbedarfskündigungen nicht die Gefahr, dass dem Vermieter pro forma unlautere Absichten unterstellt werden und vom Erstreckungsrecht missbräuchlich Gebrauch gemacht wird?
Wettstein: Es geht hier nicht um Missbrauch, sondern um die Wahrnehmung eines Rechts. Es kann bei allen Kündigungen, auch bei solchen aus Eigenbedarf, Mieter geben, die effektiv Härtefälle darstellen: weil sie alt und eingeschränkt mobil sind, finanziell schlecht gestellt oder weil sie die falsche Nationalität haben. Der Vermieter hat diesen Leuten seine Wohnung vermietet. Und falls er immer schon die Absicht gehabt hatte, dass dereinst sein Sohn einziehen soll, hätte er den Mietvertrag eben befristet abschliessen müssen. Es kann nicht sein, dass er eines Tages kommt und die Wohnung sofort für sich oder seine Nachkommen einfordert. Jedenfalls gilt es, die Interessen der Mieter in solchen Fällen genauso zu gewichten wie in anderen Fällen auch.
Bättig: Das Wort «missbräuchlich» würde ich in diesem Zusammenhang ebenfalls vermeiden. Es ist meiner Meinung nach nicht missbräuchlich, wenn man gern noch etwas länger in einer Wohnung bleiben würde. Es ist aber eine beliebte Taktik, dem Vermieter eine missbräuchliche Geltendmachung des Eigenbedarfs vorzuwerfen. In solchen Fällen gibt es zumindest in der Romandie ein aufwendiges Beweisverfahren, und man verschafft sich als Mieter Zeit. Ich bin der Meinung, dass zumindest in Fällen von nicht dringlichem Eigenbedarf das Mietverhältnis erstreckt werden sollte, wenn die entsprechenden Voraussetzungen gegeben sind. Aber man sollte die maximale Erstreckungsdauer herabsetzen.
plädoyer: Mit einer weiteren Initiative aus dem bürgerlichen Lager sollen «missbräuchliche Untermieten» vermieden werden. Ein Argument: Gerade in Städten würden Wohnungen vielfach zu Mietzinsen untervermietet, die über dem vom Hauptmieter bezahlten Mietzins liegen. Schützt diese Initiative damit nicht auch einen Grossteil der Mieterschaft?
Wettstein: Solche Fälle mag es geben, aber die parlamentarische Initiative hat dennoch eklatante Schwächen: Es wird nicht unterschieden zwischen Wohnungs- und Geschäftsmieten, ebenso wenig zwischen der Untervermietung von einzelnen Zimmern und Wohnungen. Vor allem aber sollen vermeintlich missbräuchliche Untervermietungen neu einen ausserordentlichen Kündigungsgrund darstellen. Man muss sich das vorstellen: Jemand geht auf Reisen, hat seine Wohnung untervermietet und kommt aufgrund eines unvorhersehbaren Ereignisses später als geplant zurück. Nun soll ihm die Wohnung ausserordentlich gekündigt werden können? Das geht zu weit.
Bättig: Der Weltreisende oder die Schlummermutter sind nicht das Problem. Das Problem ist, dass es wiederum in der Romandie offenbar zum Volkssport geworden ist, eine Wohnung bei einem Auszug nicht zu kündigen, sondern unterzuvermieten.
plädoyer: Der Mieterverband fordert, dass das Mietrecht nicht mittels verschiedener einzelner Initiativen, sondern umfassend revidiert wird. Ist das heute nötig?
Bättig: Ich habe mich schon bei der letzten Revision vor rund 30 Jahren auf den Standpunkt gestellt: Das Mietrecht funktioniert grundsätzlich gut – nicht zuletzt deshalb, weil weder die Vermieter noch die Mieter besonders viel davon verstehen. Im Zweifelsfall schliesst man deshalb Vergleiche. Dazu kommt, dass im Mietrecht die Parteien oft auch nachher durch den Vertrag verbunden bleiben. Man muss sich zusammenraufen, deshalb ist auch die Streitquote so tief. Ich bin der Ansicht, dass der Leidensdruck bei den Betroffenen im Mietrechtsbereich gar nicht so gross ist. Deshalb meine ich, man sollte im Mietrecht eigentlich möglichst wenig ändern.
Wettstein: Tatsache ist, dass es heute keine Mehrheiten für Mieteranliegen gibt. Es ist deshalb schwierig, auf Verbesserungen für Mieter hinzuarbeiten und eine umfassende Revision anzustreben.
Carmen Wettstein, 54, arbeitet als Rechtsanwältin in Zürich, spezialisiert auf Miet- und Pachtrecht. Sie ist Präsidentin des Mieterverbands des Kantons Zürich.
Hans Bättig, 70, ist Fürsprecher in Bern mit Mietrecht als bevorzugtem Tätigkeitsgebiet. Er ist nebenamtlicher Sekretär des Berner Hauseigentümerverbandes.
Jahrzehntealte Praxis gekippt
Mieter können unter gewissen Voraussetzungen die Höhe des Anfangsmietzinses als missbräuchlich anfechten und dessen Herabsetzung verlangen. Ob Missbräuchlichkeit vorliegt, bestimmt sich entweder danach, ob mit dem Mietzins ein übersetzter Ertrag aus der Mietsache erzielt wird (übersetzte Nettorendite) oder ob sich der Mietzins im Rahmen des Orts- oder Quartierüblichen bewegt. Sind Liegenschaften weniger als 30 Jahre alt, ist in erster Linie auf die Nettorendite abzustellen.
Mit Urteil 4A_554/2019 vom 26. Oktober 2020 hat das Bundesgericht festgelegt, dass die Nettorendite, die ein Vermieter aus einem Mietobjekt erzielen darf, bei einem Referenzzins von zwei oder weniger Prozent um maximal zwei Prozent über dem Referenzzins liegen darf. Bis zum neuen Entscheid war während Jahrzehnten lediglich ein Zuschlag von einem halben Prozent zulässig.