Sein Name klingt wie eine italienische Modemarke: Brenno Brunoni. Seine Kleidung verrät italienische Eleganz. Und die blauen Augen des Tessiners leuchten, besonders wenn es um Autos geht. In seiner Garage in Lugano steht ein Lotus. Mit diesem Sportwagen fährt er hin und wieder mit Helm und Rennanzug die GP-Strecke in Hockenheim ab. «Andere haben auf dem Mobiltelefon ein Foto der Freundin als Bildschirmschoner», sagt er lachend und zeigt auf sein Handy: «Lotus Elise ist meine Freundin.» Brunoni wirkt dynamisch wie ein Rennauto, wissbegierig und vor allem technisch versiert.
Letztes Jahr hat er sich einen Traum erfüllt: In seiner Garage steht neben dem Lotus ein Aston Martin V8 Vantage. Seit seiner Studienzeit in Bern schwärmt er für das Auto, das James Bond im Film «Goldfinger» fuhr. «Ich glaube, im ersten Studienjahr habe ich mehr Kinovorstellungen besucht als Vorlesungen», sagt er auf Schweizerdeutsch mit charmantem Akzent. Für zwei Jahre ist er der Anwalt der Anwälte, die Kühlerfigur des Schweizerischen Anwaltsverbandes (SAV). Nun, in der Halbzeit seines Präsidiums, macht er für eine Sitzung einen Boxenstopp in Bern, am Sitz des SAV.
Der 62-jährige Anwalt, Notar und Mediator aus Lugano war immer schon engagiert: Neun Jahre war er Zentralpräsident des Automobilclubs der Schweiz (ACS), bis vor acht Jahren hat er als Oberst in der Militärjustiz gewirkt. «Eigentlich dachte ich, ich hätte meine Engagements abgeschlossen, oder wie wir Tessiner sagen: Ho già dato, ich habe meine Spende bereits geleistet.» Dann kam die Anfrage des Tessiner Anwaltsverbandes. Ein Tessiner im Vorstand des SAV, das hat Tradition. Dies nicht zuletzt, weil der Tessin, nach Zürich und Genf der drittgrösste Kantonalverband ist. Zwei Jahre im Vorstand, dann zwei Jahre zweiter Vizepräsident, danach erster Vizepräsident, und vor gut einem Jahr wählte ihn die Delegiertenversammlung schliesslich zum Präsidenten. «Mit sechs Jahren Vorbereitung aufs Präsidium kenne ich heute die Stärken und Schwächen des Verbandes», sagt er. Für ihn ist die Schweiz ein Land mit 26 Republiken. «Der Föderalismus ist eine tragende Säule unseres Landes», konstatiert er und präzisiert sogleich: «Ein Brauch eines Kantons darf aber nicht zu einer Bremse werden.»
In seine Amtszeit fällt die Einführung des vereinheitlichten Prozessrechts. Wichtig ist ihm die Freizügigkeit. Sie findet für ihn die Grenze bei der Sprache. «Ich verstehe schon, wenn ein Zürcher Anwalt sich fragt, was ihm das vereinheitlichte Prozessrecht und die Freizügigkeit bringen, wenn er in Lugano wegen der Sprache nicht vor Gericht auftreten kann.» Es gehe ihm nicht darum, das Gärtchen Tessin zu schützen: «Das Recht auf den
eigenen Richter erachte ich hier als wichtiger. Das heisst, der Klient muss direkt verstehen können, was im Prozess geschieht, ohne auf eine Übersetzung angewiesen zu sein», argumentiert er. Ein Anliegen ist ihm das Bundesgesetz über die Freizügigkeit der Anwältinnen und Anwälte (BGFA). «Das Gesetzt regelt die Materie eigentlich unvollständig», sagt er. Er wünscht sich mehr Einheitlichkeit bei Ausbildung und Zulassungsprüfungen.
«Wenn sich der SAV im eidgenössischen Gesetzgebungsprozess einbringen will, dann müssen wir in Bern präsent sein und den Parlamentariern auch ein Argumentarium liefern. Das können wir am besten als Zentralverband tun.» Der SAV will deshalb noch enger mit den Kantonalverbänden zusammenarbeiten.
Immerhin hat ihn sein Amt schon über die Landesgrenzen hinaus gefordert. Gemeinsam mit dem Präsidenten des deutschen Anwaltsvereins hat Brunoni Anfang Jahr eine Erklärung zum Ankauf der Steuersünder-CDs abgegeben: Auch bei der Verfolgung von Steuersündern seien rechtsstaatliche Grundsätze einzuhalten.
Nun kann er die Saat aus seiner Zeit im Vorstand ernten: die Einführung der SuisseID kombiniert mit einem Mitgliederausweis. Darauf ist Brunoni - ganz der Technikfreak - stolz: «Selbst in meiner Kanzlei wurde mir ironisch unterstellt, die SuisseID sei nur mein Spielzeug. Da sagte ich aber», und unverhofft purzelt ihm ein urberndeutsches Wort aus dem Mund, «Giele, ihr werdet schon noch merken, wie wichtig die Karte ist.»
Tessiner machen fast zehn Prozent der praktizierenden Schweizer Anwälte aus. Die grosse Anwaltsdichte in seinem Kanton deutet Brunoni nicht als gutes Zeichen. «Warum wir im Tessin so viele Anwälte haben, weiss ich nicht», erklärt er. Tessiner Anwälte als Handlanger italienischer Steuerhinterzieher? «Ich habe keine Ahnung», sagt Brunoni.
Er selbst arbeitet in einer alteingesessenen Wirtschaftskanzlei. Zu deren Gründer zählt der Tessiner Financier Tito Tettamanti. «Vor ein paar Jahren waren wir noch zwanzig Anwälte, aber das hat sich nicht bewährt», sagt er. Mittlerweile hat die Kanzlei, die als AG organisiert ist, fünf Aktionäre. In seiner Kanzlei arbeiten auch Treuhänder, dies vor allem, weil italienische Klienten aus Angst vor staatlicher Korruption die Dienste von Schweizer Kanzleien in Anspruch nehmen, wie Brunoni erklärt. Er selbst ist immer noch forensisch tätig. Internationales Recht und Schiedsgerichte sind seine Spezialgebiete. «Trotz der Spezialisierung des Einzelnen sollte eine Kanzlei alle Rechtsgebiete abdecken», ist er überzeugt. «Auch die Einer- oder Zweierkanzleien braucht es weiterhin. Generalisten sind immer noch sehr wichtig.»
Ungefähr vierzig Prozent seiner Arbeitszeit nimmt das SAV-Präsidium in Anspruch. Brunoni bekommt dafür eine Entschädigung von 24 000 Franken pro Jahr. Mittlerweile beschweren sich schon mal seine Partner in der Kanzlei oder seine Frau. Er hat nachgerechnet: An fünfzig Tagen fehlte er im ersten Präsidialjahr im Büro. Seine Frau freut sich auf die Zeit danach, wenn er an einem Wochenende mal nicht durcharbeiten wird. Ab und zu gönnt er sich eine Fahrt mit seinem Mercedes Station zum Fusse des Monte Brè und pedalt dann mit dem Bike aus dem Kofferraum auf den Berg rauf. Bis in drei Jahren will der Vater von zwei erwachsenen Söhnen sein Pensum weiter reduzieren und nur noch «Rosinen picken», wie er sagt. Das ist für ihn die Arbeit als Schiedsrichter.
Während sieben Jahren war er für die FDP Bezirksrichter in Lugano, vier Jahre Richter am Obergericht. Dann kam das Angebot aus der Advokatur. «Es ist ein Privileg, entscheiden zu dürfen», sinniert er. Das schlimmste sind für ihn Richter, die noch einmal über «den Fall schlafen wollen». «Irgendwann muss man entscheiden. Und sonst gilt: Il y a encore des juges à Lausanne.» Da ist er wieder ganz der Rennfahrer: Je kürzer der Boxenstopp, umso besser.