1. Kaum dogmatische Grundlagen
Mit einer Desinteresseerklärung bringt ein Geschädigter in einem Strafverfahren zum Ausdruck, dass er an der Strafverfolgung und Bestrafung des Beschuldigten kein Interesse hat. Er will nichts mehr mit dem Strafverfahren zu tun haben und es ist ihm, salopp gesagt, egal, wie das Strafverfahren endet. Was bewirkt eine solche Erklärung und was ist beim Ausstellen derselben zu beachten?
Desinteresseerklärungen sind in der Praxis gar nicht so selten anzutreffen. Weniger häufig sind demgegenüber Beiträge zu den dogmatischen Grundlagen, den Voraussetzungen und den Rechtswirkungen von Desinteresseerklärungen.1 Die Erklärungen werden terminologisch auch als Desinteresse-Erklärungen, Desinteressementserklärungen oder Desinteressements-Erklärungen bezeichnet.
2. Verschiedene Beweggründe
Welches sind die Beweggründe von geschädigten Personen oder Opfern, eine Desinteresseerklärung abzugeben? Bei Vermögensdelikten ist die Desinteresseerklärung in der Regel Bestandteil eines umfassenden Vergleichs im Zivilpunkt zwischen dem Beschuldigten und dem Geschädigten. Die Erklärung ergeht als Gegenleistung zur finanziellen Wiedergutmachung des Schadens der geschädigten Person. Solche Vereinbarungen sind nicht unzulässige Händel mit der Gerechtigkeit, solange die Schadenersatzzahlung sich im Rahmen des tatsächlich angefallenen Schadens bewegt und eine Genugtuungszahlung nicht überrissen ist. Es soll nicht der Eindruck entstehen, die Desinteresseerklärung sei durch Schweigegeld erkauft worden.2
Die Desinteresseerklärung kann auch losgelöst von einer materiellen Gegenleistung abgegeben werden, etwa bei Delikten zwischen Nahestehenden. Hier ist nicht auszuschliessen, dass ein Opfer im Nachgang zu einer Aussöhnung mit dem Täter bereit ist, die Erklärung abzugeben. Schliesslich dürfte es Fälle geben, bei denen eine geschädigte Person von sich aus das inkriminierte Verhalten für nicht strafbar hält und dies gegenüber den Strafverfolgungsbehörden mit einer Desinteresseerklärung kundtut.
Auch die Strafverfolgungsbehörden haben zum Teil ein Interesse an der Abgabe einer Desinteresseerklärung. Dies gibt ihnen die Möglichkeit, «sich eines komplizierten und langwierigen Geschäfts» zu entledigen.3
3. Bei Antrags- und Offizialdelikten
Eine Desinteresseerklärung ist eine einseitige Willenserklärung des Geschädigten im Strafverfahren.4 Sie ist empfangsbedürftig, bedingungsfeindlich und muss freiwillig erfolgen. Das Bundesgericht hat ausdrücklich festgehalten, dass die Erklärung offensichtlich nicht einem Prozessvergleich gleichzustellen sei.5 Bei einem Vergleich werde Ungewisses einer Regelung zugeführt, was bei der Desinteresseerklärung nicht der Fall sei. Diesbezüglich hätten die staatlichen Strafverfolgungsbehörden abzuklären, ob in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht eine Straftat vorliege, was nicht zur Disposition der Parteien stehe.6
Eine ausdrückliche gesetzliche Grundlage zur Desinteresseerklärung existiert nicht. In der Praxis wird die Erklärung, gemäss Art. 120 StPO auf die Privatklägerschaft zu verzichten, in der Regel der Desinteresseerklärung gleichgestellt.7 Bei der Desinteresseerklärung ist abzugrenzen, ob sie im Kontext mit Antragsdelikten oder Offizialdelikten steht.
Erklärt die geschädigte Person oder das Opfer bei einem Antragsdelikt sein Desinteresse an der Strafverfolgung und der Bestrafung, gilt diese Erklärung in der Regel als Rückzug des Strafantrags, wenn sie eindeutig und vorbehaltlos erfolgt.8 Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung ist aber bei Strafverfahren gegen mehrere Personen zwischen Desinteresseerklärung und Rückzug des Strafantrags zu unterscheiden.9 Ein Rückzug des Strafantrags führt zur Einstellung des Verfahrens. Der Rückzug des Strafantrags gegen einen Beschuldigten hat zur Folge, dass auch allfällige Strafverfahren gegen Mitbeteiligte – Mittäter und Teilnehmer – einzustellen sind (sog. Unteilbarkeitsgrundsatz, vgl. Art. 33 Abs. 3 StGB). Die Desinteresseerklärung wird einem Verzicht auf die Privatklägerschaft gemäss Art. 120 StPO gleichgestellt, was aber nicht automatisch das Dahinfallen des Strafantrags bewirkt.10 Wie sich unschwer erkennen lässt, bestehen in diesem Bereich gewisse Unsicherheiten. Ein Geschädigter ist aus diesem Grund gut beraten, in seiner Erklärung ausdrücklich festzuhalten, dass er auf seine Privatklägerstellung verzichten und seinen Strafantrag zurückziehen will. Fehlt diese Ausdrücklichkeit, liegt es an den Strafverfolgungsbehörden, die Erklärung des Geschädigten auszulegen und gegebenenfalls bei ihm nachzufragen. Diese Grundsätze gelten erst recht für den Beschuldigten, sofern er überhaupt einen Einfluss auf die Abfassung der Erklärung hat – zum Beispiel bei einer Vergleichsvereinbarung.
Bei Offizialdelikten hat eine Desinteresseerklärung keine verfahrensbeendende Wirkung. Der Geschädigte erklärt damit im Wesentlichen, dass er mit einer Einstellung des Strafverfahrens einverstanden wäre.11 Ungeachtet dieser Erklärung haben die Strafverfolgungsbehörden aber abzuklären, ob in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht eine strafbare Handlung vorliegt.12 Es gilt ohne Einschränkung das Offizialprinzip. Mit anderen Worten erleidet die Strafuntersuchung durch die Desinteresseerklärung keinen Abbruch.
Bei der Beurteilung von Offizialdelikten lässt sich aus einer Desinteresseerklärung auch nichts zugunsten des Beschuldigten für die Strafzumessung ableiten, wie das Bundesgericht konstant festhält.13 Obwohl die Erklärung im Bereich der Offizialdelikte an sich nichts zugunsten der beschuldigten Person bewirkt, kommt es immer wieder vor, dass auch hier Desinteresseerklärungen abgegeben werden. Beschuldigte hoffen darauf, dass sie die Strafverfolgungsbehörden positiv stimmen können und es doch zu einer Berücksichtigung zu ihren Gunsten kommt.14 Diese Hoffnung ist bei gewissen Konstellationen und insbesondere in Wirtschaftsstrafverfahren berechtigt, selbst wenn das Verfahren nicht eingestellt wird. Die Desinteresseerklärungen führen oft zu einer Entspannung und haben, wie Baumgartner festhält, unausgesprochen «entlastende Wirkung bei der Bemessung des Strafantrags und bei der Strafzumessung».15
Wirkung zeitigt die Desinteresseerklärung bei Offizialdelikten auf Seiten des Geschädigten. Er erklärt damit, dass er auf seine Rechte als Straf- und Zivilkläger verzichtet.16 Der Verzicht kann sich entweder nur auf die Strafklage, auf die Zivilklage oder auf beide beziehen. Entscheidend ist wiederum der Wortlaut oder die Auslegung der Erklärung im Einzelfall.
Die Desinteresseerklärung führt aber nicht dazu, dass die geschädigte Person später nicht eine Zivilklage gegen den Beschuldigten auf dem Zivilweg einleiten kann, es sei denn, die Erklärung erfolgt erst nach dem Abschluss der erstinstanzlichen Hauptverhandlung und ist nicht ausdrücklich auf die Strafklage beschränkt (vgl. Art. 122 Abs. 4 StPO e contrario).
Widersprüchlich wäre es, wenn die geschädigte Person vorbehaltlos ihr Desinteresse an der Strafverfolgung erklärt, aber gleichzeitig an ihren Rechten gemäss Art. 118 StPO festhalten möchte. Die vorbehaltlose Desinteresseerklärung hat meines Erachtens die Wirkung von Art. 120 StPO.17 Sie ist endgültig und kann grundsätzlich nicht mehr zurückgenommen werden. Mit der Erklärung entfallen auch die Teilnahme- und Verfahrensrechte des Geschädigten, namentlich das Akteneinsichtsrecht.18 In Wirtschaftsstraffällen kann dieser Rechtsverlust nachteilige Folgen für den Geschädigten mit sich bringen, da er seine Einflussnahme auf den weiteren Prozessverlauf preisgibt und keinen Zugang zu den Akten mehr hat.19
4. Geringes Interesse an Strafverfolgung
Im Rahmen des Wiedergutmachungsartikels von Art. 53 StGB kann eine Desinteresseerklärung bei Offizialdelikten von Bedeutung sein. Die zuständige Behörde kann von einer Strafverfolgung oder einer Bestrafung absehen, wenn unter anderem das Interesse des Geschädigten an der Strafverfolgung gering ist. Mit der Desinteresseerklärung dokumentiert der Geschädigte, dass sein Interesse an der Strafverfolgung einer Strafbefreiung nach Art. 53 StGB nicht entgegensteht.20
Die formelle Abgabe einer Desinteresseerklärung ist aber keine zwingende Voraussetzung für die Bejahung des geringen Strafverfolgungsinteresses des Geschädigten.21 Dieses Interesse des Geschädigten ist im Übrigen nur eine unter anderen Voraussetzungen für eine Strafbefreiung nach Art. 53 StGB. Erforderlich sind die vollständige Deckung des Schadens, die Erfüllung der Voraussetzungen für die Ausfällung einer bedingten Strafe sowie ein geringes Interesse der Öffentlichkeit an der Bestrafung des Beschuldigten. Nur wenn alle Voraussetzungen erfüllt sind, darf von der Strafverfolgung oder der Bestrafung abgesehen werden. Eine spezielle Art einer Desinteresseerklärung sieht Art. 55a Abs. 1 StGB vor.22
5. Verzicht auf ein Rechtsmittel
Der Verzicht auf ein Rechtsmittel ist gemäss Art. 386 Abs. 1 StPO nur nach Eröffnung des anfechtbaren Entscheids möglich, also während laufender Rechtsmittelfrist. Nach dem alten zürcherischen Strafprozess bedeutete die Desinteresseerklärung eines Geschädigten seinen Verzicht, später Rekurs gegen die Einstellungsverfügung zu ergreifen.23 Da eine geschädigte Person mit einer Desinteresseerklärung gemäss Art. 120 StPO auf ihre Rechte im Strafverfahren verzichtet, verliert sie ihre Parteistellung. Gemäss Lehre geht damit ein Verzicht auf die Legitimation zur Anfechtung einer Einstellung oder eines Freispruchs einher.24
Dieser Verzicht gilt – als Ausnahme zu Art. 386 Abs. 1 StPO –, selbst wenn er bereits vor der Eröffnung des anfechtbaren Entscheids abgegeben wurde. Wird die Desinteresseerklärung im Rahmen eines Vergleichs zwischen dem Geschädigten und dem Beschuldigten abgegeben, kann es sinnvoll sein, den Vergleichsvertrag mit der Erklärung der Rechtsmittelbehörde einzureichen.25 Das Vorliegen einer Desinteresseerklärung hindert die Strafverfolgungsbehörde respektive die Staatsanwaltschaft nicht daran, bei einem Freispruch ein zulässiges Rechtsmittel zu ergreifen.26
6. Vorsicht bei mehreren Beteiligten
Besonderer Aufmerksamkeit bedarf die Abgabe einer Desinteresseerklärung, wenn mehrere Personen, sei es als Mittäter oder Teilnehmer, an einer Straftat beteiligt sind. Dies gilt insbesondere bei Antragsdelikten. Schliesst zum Beispiel ein Geschädigter mit einem Gehilfen einen Vergleich ab, weil ihm dieser seinen finanziellen Schaden ersetzt hat, und gibt der Geschädigte im Gegenzug eine Desinteresseerklärung ab, sollte er daran denken, dass bei Antragsdelikten die Erklärung als Rückzug des Antrags gilt und entsprechend auch gegenüber dem Täter Wirkung entfaltet. Es gilt der Unteilbarkeitsgrundsatz von Art. 33 Abs. 3 StGB. Es ist nicht möglich, einen Strafantrag nach Wahl nur gegen einzelne Beteiligte zurückzuziehen.
Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung ist insbesondere bei dieser Konstellation zwischen Desinteresseerklärung und Rückzug des Strafantrags zu unterscheiden.27 Wird in der Desinteresseerklärung der Strafantragsrückzug nicht ausdrücklich erwähnt, ist durch Auslegung zu ermitteln, ob der Geschädigte im Wissen um den Unteilbarkeitsgrundsatz gegen alle Beteiligten den Strafantrag zurückziehen will oder gerade nicht. Kann ein Rückzug gegen alle Beteiligen – etwa aufgrund einer ausdrücklich gegenteiligen Erklärung – ausgeschlossen werden, liegt auch für den eigentlichen Empfänger der Desinteresseerklärung kein Strafantragsrückzug vor.
Der Geschädigte kann, wenn er nicht einen Rückzug des Strafantrags gegen Mitbeteiligte aussprechen will, einen Antrag auf Einstellung des Verfahrens bezüglich eines spezifischen Beteiligten stellen. Ein solches Begehren auf Einstellung darf nicht als Rückzug des Strafantrags uminterpretiert werden.28
Im erwähnten Bundesgerichtsurteil erklärte die Antragstellerin ihr Desinteresse an der Strafverfolgung gegen C und D. Diese hätten den Tatbestand des angezeigten Delikts (Hausfriedensbruch) nicht erfüllt. Der Strafantrag gegen unbekannt sei vom Desinteresse aber nicht betroffen. Er solle bestehen bleiben.29 In der Folge stellte die Staatsanwaltschaft das Verfahren gegen C und D ein. Demgegenüber verurteilte sie X, die zwischenzeitlich als Täterin ermittelt wurde, mit Strafbefehl wegen Hausfriedensbruch. X beanstandete ihre Verurteilung und verlangte ebenfalls eine Einstellung. Die Desinteresseerklärung sei als Rückzug des Strafantrags zu qualifizieren und gelte wegen des Unteilbarkeitsgrundsatzes auch gegenüber ihr. Die staatsanwaltschaftliche Einstellung gegenüber C und D erfolgte aber nicht wegen eines ungültigen oder zurückgezogenen Strafantrags, sondern mangels Erfüllung des Tatbestands. Gemäss Bundesgericht hat die Staatsanwaltschaft dadurch kein Bundesrecht verletzt. Die Verurteilung von X sei rechtens.
7. Formale Voraussetzungen
Legitimiert zur Abgabe einer Desinteresseerklärung sind die geschädigte Person, das Opfer sowie die nach Art. 30 StGB zum Strafantrag berechtigte Person. Gibt eine anzeigende Person (vgl. Art. 301 Abs. 1 StPO), die weder geschädigt noch Privatklägerin ist, eine Desinteresseerklärung ab, nachdem sie eine Strafanzeige eingereicht hat, gilt die Desinteresseerklärung als Rückzug der Strafanzeige. Bei Offizialdelikten kommt dem Rückzug keine verfahrensbeendende Wirkung zu. Die Strafverfolgungsbehörden müssen in diesen Fällen trotzdem ermitteln. Vorsicht ist bei Konzernverhältnissen geboten. Die Desinteresseerklärung muss von derjenigen Konzerngesellschaft – oder mehreren – rechtsgültig unterzeichnet sein, die berechtigt ist, den Strafantrag zurückzuziehen oder auf die Rechte gemäss Art. 120 StPO zu verzichten. Sie ist wirkungslos, wenn sie z. B. durch die Konzernmutter unterzeichnet wird, jedoch eine Tochtergesellschaft im Sinne von Art. 115 StPO geschädigt ist.
Adressaten einer Desinteresseerklärung sind die Strafverfolgungsbehörden, d. h. je nach Verfahrensstadium die Polizei, die Staatsanwaltschaft, das erstinstanzliche Gericht oder eine Rechtsmittelinstanz. Da es sich bei der Desinteresseerklärung um eine einseitige Willenserklärung handelt, bedarf sie nicht der Zustimmung der Beschuldigten. Die Erklärung ist empfangsbedürftig. Ihre Wirkung kann sie nur dann entfalten, wenn die Strafverfolgungsbehörden von ihr Kenntnis erhalten. Es ist also möglich, die Erklärung gegenüber der beschuldigten Person abzugeben, z. B. in einem aussergerichtlichen oder vor einem Zivilgericht geschlossenen Vergleich, und sie erst nachher der zuständigen Strafverfolgungsbehörde zur Kenntnis zu bringen.30
Die Desinteresseerklärung bedarf keiner spezifischen Form. Sie kann schriftlich erfolgen, was die Regel ist, oder mündlich zu Protokoll gegeben werden (vgl. Art. 119 Abs. 1 StPO analog). Erfolgt sie als schriftliche Eingabe, ist sie zu datieren und zu unterzeichnen (gegebenenfalls mit anerkannter digitaler Signatur, vgl. Art. 110 Abs. 1 StPO, zweiter Satz, sowie Abs. 2 StPO). Da keine Schriftlichkeit im engeren Sinn verlangt ist, reicht die Nachbildung der eigenhändigen Unterschrift (Kopie, Fax etc.).31 Erfolgt die Desinteresseerklärung im Rahmen eines umfassenden Vergleichs im Zivilpunkt, empfiehlt es sich unter Umständen, die Erklärung auf einem separaten Dokument zu erstellen. Dies jedenfalls dann, wenn eine der Parteien sich dagegen ausspricht, den kompletten Vergleichstext den Strafverfolgungsbehörden einzureichen. Bestehen seitens der Strafverfolgungsbehörden Zweifel an der Freiwilligkeit und Echtheit einer Erklärung, müssen sie bei der geschädigten Person nachfragen.32
In zeitlicher Hinsicht kann im Strafverfahren eine Desinteresseerklärung zu jeder Zeit abgegeben werden. Beinhaltet die Desinteresseerklärung einen Rückzug des Strafantrags, hat sie spätestens vor der Eröffnung des Urteils der zweiten kantonalen Instanz zu erfolgen (vgl. Art. 33 Abs. 1 StGB). Wird eine Desinteresseerklärung bereits vor der Einreichung eines Strafantrags eingereicht, führt sie zu einem Verzicht auf den Strafantrag, sofern dies ausdrücklich aus der Erklärung hervorgeht (vgl. Art. 30 Abs. 5 StGB). Unzulässig ist hingegen die Einreichung einer befristeten Desinteresseerklärung, sei es aufschiebend oder resolutiv befristet.33
Eine fehlende oder falsche Bezeichnung der Erklärung schadet nicht. Entscheidend ist vielmehr der Inhalt der Erklärung nach dessen Wortlaut oder Auslegung.
8. Rückzug und Widerruf
Eine Desinteresseerklärung kann nicht zurückgezogen bzw. widerrufen werden, wenn sie gleichzeitig einem Rückzug des Strafantrags oder einem Verzicht gemäss Art. 120 StPO gleichkommt (vgl. Art. 33 Abs. 3 StGB [für den Strafantrag] sowie Art. 120 Abs. 1 StPO [«Der Verzicht ist endgültig»]). Diese einmal erfolgten Rückzüge können nicht mehr widerrufen werden. Fragt sich, ob dies auch dann gilt, wenn die geschädigte Person die Desinteresseerklärung unter Irrtum, Täuschung oder Drohung abgegeben hat. Kann in diesen Fällen ausnahmsweise ein Widerruf doch noch erfolgen? Beim Rückzug eines Strafantrags ist ein Irrtum unbeachtlich.34 Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung sind die Gründe für diesen Ausschluss der Irrtumsanfechtung bei einer Desinteresseerklärung aber nicht gegeben.35 Die Erklärung ist folglich nur endgültig und kann nicht zurückgezogen werden, sofern sie in Kenntnis aller relevanten Umstände, also irrtumsfrei, erfolgte. Treten etwa nach der Einstellung einer Strafuntersuchung neue Umstände zutage, steht eine vorher abgegebene Desinteresseerklärung einer Anfechtung der Nichtwiederaufnahme des Verfahrens durch den Geschädigten nicht im Weg.36 Bei den Tatbeständen der Täuschung und Drohung kann Art. 386 Abs. 3 StPO analog herbeigezogen werden. Demzufolge ist eine Desinteresseerklärung unbeachtlich bzw. kann zurückgezogen werden, wenn sie durch Täuschung, eine Straftat (wie Drohung) oder eine unrichtige behördliche Auskunft, deren Unrichtigkeit nicht sofort erkennbar war, veranlasst worden ist.37 Daraus folgt auch, dass eine mit solchen Willensmängeln behaftete Desinteresseerklärung für die Strafverfolgungsbehörden nicht beachtlich ist, wenn sie denn von den Willensmängeln Kenntnis haben. Die Erklärung kann keine Rechtswirkungen entfalten.
Kein Widerrufsgrund ist in der Regel die Nichterfüllung einer Vergleichsvereinbarung. Aus diesem Grund ist einem Geschädigten stets zu empfehlen, die Desinteresseerklärung erst abzugeben, nachdem der Beschuldigte ihm seine aus der Vergleichsvereinbarung hervorgehenden Ansprüche vollständig befriedigt hat. Dabei handelt es sich um eine bedingte Verpflichtung gegenüber dem Beschuldigten, eine Desinteresseerklärung abzugeben (für den Fall, dass er seiner Zahlungspflicht nachkommt). Dies ist – im Gegensatz zur bedingten Abgabe der eigentlichen Desinteresseerklärung – ohne weiteres zulässig.
9. Klare Formulierung notwendig
Bei der Formulierung von Desinteresseerklärungen haben sowohl der Verfasser als auch die beschuldigte Person – wenn sie überhaupt einen Einfluss auf die Abfassung hat – darauf zu achten, dass sie sich präzis ausdrücken. Der Inhalt der Erklärung sollte genügend klar zum Ausdruck kommen und späteren Unwägbarkeiten vorbeugen. Auf jeden Fall ist zu empfehlen, ausdrücklich zu erwähnen, dass ein allfälliger Strafantrag sowie die Erklärung nach Art. 118 StPO zurückgezogen werden und auf jede weitere Teilnahme am Verfahren verzichtet wird. Weiter empfiehlt es sich, die Wirkung der Erklärung als Rechtsmittelverzicht ausdrücklich festzuhalten, damit sich der Geschädigte der Tragweite seiner Erklärung bewusst ist. Aus Sicht des Beschuldigten bzw. der Verteidigung gilt es unter Umständen, bei der Formulierung von zweiseitigen Vergleichsvereinbarungen darauf zu achten, dass Formulierungen möglichst vermieden werden, die eigentlichen Schuldeingeständnissen in strafrechtlicher Hinsicht gleichkommen.
Will die geschädigte Person bei mehreren Beteiligten lediglich gegenüber einer oder einzelnen Personen eine Erklärung abgeben, muss sie bei Antragsdelikten Vorsicht walten lassen. Die Desinteresseerklärung bzw. der Rückzug des Strafantrags wirkt gegenüber allen Beteiligten. Als Alternative kann eine geschädigte Person in dem Sinn ihr Desinteresse erklären, dass sie ausdrücklich einen Antrag auf Einstellung des Verfahrens gegen einen spezifischen Beteiligten stellt, nicht aber ihren Strafantrag zurückzieht.
Vgl. Robert Hauser, «Die Desinteressementserklärung des Geschädigten», in: ZStrR 81/1965, S. 431 ff.
Vgl. Niklaus Ruckstuhl, Rz. 3.173, in: Marcel Alexander Niggli / Philippe Weissenberger (Hrsg.), Strafverteidigung, Handbücher für die Anwaltspraxis, Band VII, Basel 2002.
Vgl. Hauser, a.a.O., S. 431.
Vgl. BGer 6P.88/2006
vom 1.2.2007, E.5.4.2.
Vgl. BGer 6P.88/2006
vom 1.2.2007, E.5.4.3.
Vgl. BGer 6P.88/2006
vom 1.2.2007, E.5.4.3.
Vgl. Goran Mazzucchelli/Mario Postizzi, Art. 120 StPO N 1, in: Marcel Alexander Niggli / Marianne Heer / Hans Wiprächtiger (Hrsg.), Basler Kommentar Schweizerische Strafprozessordnung, 2. Aufl., Basel 2014; Viktor Lieber, Art. 120 StPO N 1 und 3, in: Andreas Donatsch /Thomas Hansjakob / Viktor Lieber (Hrsg.), Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung (StPO), 2. Aufl., Zürich 2014; a. M. Niklaus Oberholzer, Grundzüge
des Strafprozessrechts, Bern 2012, Rz. 541.
Vgl. BGer 6B_527/2016 vom 23.12.2016, E. 5.1.; Niklaus Schmid, Schweizerische Strafprozessordnung, Praxiskommentar, 2. Aufl., Zürich/St. Gallen 2013, Art. 304 StPO N 5. Eine solche Erklärung kann z. B. wie folgt lauten: «Hiermit erkläre ich ausdrücklich mein Desinteresse an der Strafverfolgung von Herrn X.»
Vgl. BGer 6B_510/2011
vom 17.10.2011, E. 2.4.
Vgl. BGE 138 IV 252, E. 4.2.1.; Lieber, a.a.O., Art. 120 StPO N 5; Christof Riedo, Art. 30 StGB N 107, in: Marcel Alexander Niggli /
Hans Wiprächtiger (Hrsg.), Basler Kommentar Strafrecht I, 3. Aufl., Basel 2013.
Vgl. Lorenz Droese, Die Akteneinsicht des Geschädigten in der Strafuntersuchung vor
dem Hintergrund zivilprozessualer Informationsinteressen,
Zürich 2008, S. 101.
Vgl. BGer 1B_191/2008
vom 29.7.2008, E. 5.3.
Vgl. etwa BGer 6B_521/2008
vom 26.11.2008, E. 6.4.;
BGer 6B_764/2009
vom 17.12.2009, E.1.9.1.
Vgl. Matthias Maurer, Der Vergleichsvertrag, Zürich 2013, S. 146.
Hans Baumgartner, Rz. 7.51,
in: Niggli/Weissenberger (Hrsg.), a.a.O.
Vgl. Mazzucchelli/Postizzi, a.a.O., Art. 120 StPO N 1.
A. M. Oberholzer, a.a.O., Rz. 541.
Vgl. Droese, a.a.O., S. 101.
Vgl. Christoph Hohler/Niklaus Schmid, «Die Stellung der Bank und ihrer Mitarbeiter im Strafverfahren unter besonderer Berücksichtigung der Verantwortlichkeit der Bank nach StGB Art. 100quater f.», in: AJP 5/2005, S. 520.
Vgl. BGE 135 V 19 f., E. 3.2. ff.
Vgl. Günter Stratenwerth, Schweizerisches Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band II, Bern 2006, § 7 Rz. 12.
Siehe dazu eingehend Roberto Colombi, Häusliche Gewalt – die Offizialisierung im Strafrecht am Beispiel der Stadt Zürich, Eine dogmatische und empirische Studie, Zürich 2009.
Vgl. Entscheid der Justizdirektion Zürich vom 3. März 1969, in: SJZ 66/1970, S. 291.
Vgl. Schmid, a.a.O., Art. 386 StPO N 1; Martin Ziegler / Stefan Keller, Art. 386 StPO N 1, in: Niggli /
Heer / Wiprächtiger (Hrsg.), a.a.O.
Vgl. Franz Riklin, StPO Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung mit JStPO, StBOG und weiteren Erlassen, 2. Aufl.,
Zürich 2014, Art. 386 StPO N 1.
Vgl. Hauser, a.a.O., S. 433.
Vgl. BGer 6B_510/2011 vom 17.10.2011.
Vgl. BGE 132 IV 101, E. 3.3.3.
Vgl. BGer 6B_510/2011
vom 17.10.2011, Sachverhalt lit. A.
Vgl. Schmid, a.a.O., Art. 304 StPO N 5.
Vgl. Colombi, a.a.O., S. 186.
Vgl. Colombi, a.a.O., S. 187.
Vgl. Colombi, a.a.O., S. 202;
«Die Erklärung gilt erst ab …» oder «Die Erklärung gilt nur bis zum …».
Vgl. BGE 79 IV 97, E. 4.
Vgl. BGer 6P.88/2006
vom 1.2.2007, E. 5.4.4.
Vgl. BGer 6P.88/2006
vom 1.2.2007, E. 5.4.4.; siehe auch Pra 96 (2007), Nr. 95.
Vgl. Schmid, a.a.O., Art. 120 StPO N 3.