1. Vorgeschichte
Die Diskussion um die Revisionsbedürftigkeit des VVG1 begann im Jahr 1990 mit einem Paukenschlag. In einem Grundsatzreferat zeigte der Freiburger Ordinarius Peter Gauch2, 3 detailliert und schnörkellos auf, wie das Gesetz die Versicherten pönalisierte und diskriminierte. Es dauerte dann aber nahezu zehn Jahre, bis die Politik reagierte. Im Jahr 1998 setzte das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement (EJPD)die erste von insgesamt drei Expertenkommissionen ein, welche eine erste Teilrevision (zusammen mit einer Totalrevision des Bundesgesetzes betreffend die Aufsicht über Versicherungsunternehmen VAG) vorbereitete. Diese wurde 2004 vom Parlament verabschiedet.4 Die zweite, im Jahr 2002 vom Bundesrat eingesetzte Kommission, bereitete den im Parlament von der Versicherungswirtschaft gebodigten Versuch einer Totalrevision vor.5, 6
Eine dritte Kommission, welche anschliessend die vom Parlament zusammen mit der Rückweisung der Totalrevision verlangte Teilrevision vorbereitete, nahm 2014 ihre Arbeit auf. Sie legte einen Vorentwurf vor, der versuchte, einen Ausweg aus der verfahrenen Situation zu finden. Auch hochrangige Vertreter der Assekuranz arbeiteten konstruktiv mit, um einen ausgewogenen, wenigstens die wichtigsten Mängel des geltenden Rechts ausgleichenden Kompromiss zu finden.
Der Bundesrat schickte diesen Vorentwurf 2016 in die Vernehmlassung.7 Wie zu erwarten war, liess der Schweizerische Versicherungsverband kein gutes Haar an der Vorlage. Dies löste beim zuständigen Finanzdepartement, das in der Zwischenzeit einen neuen Vorsteher erhalten hatte, einen veritablen Korrekturtsunami aus. Aus dem ausgewogenen Vorschlag der Expertenkommission machte der Bundesrat einen Entwurf, der anstelle der dringend notwendigen Verbesserung der Stellung der Konsumenten versuchte, das Rad der Zeit zurückzudrehen. Nicht nur sollten zahlreiche diskriminierende und pönalisierende Bestimmungen beibehalten werden, an einigen Stellen baute der Bundesrat sogar Verschlechterungen für die Versicherten ein.8
Die grosse Wende brachte dann die Diskussion im Nationalrat, der die Vorlage als Erstrat beriet.9 Vorangegangen war eine breite und kritische Berichterstattung in den Medien. Allen voran der «Kassensturz» des Schweizer Fernsehens setzte sich erfolgreich für eine deutliche Verbesserung der Rechte der Versicherten ein. Dieser mediale Druck und wohl auch die kurz bevorstehenden Wahlen führten dazu, dass das Parlament schliesslich eine Teilrevision verabschiedete, die nicht nur diesen Namen verdient, sondern auch den Versicherten substanzielle Verbesserungen bringt. Diese sind nachfolgend übersichtsartig vorzustellen.
2. Revisionspunkte
2.1 Systematik
Die bisherige Systematik, die den Schaden- die Personenversicherungen gegenüberstellte, war Quelle zahlreicher Probleme.10 Zudem waren viele Bestimmungen im Gesetz falsch eingereiht. Beides wurde mit der Revision behoben. Dem allgemeinen Teil folgt nun ein besonderer Teil, der in vier versicherungszweigbezogene Abschnitte unterteilt ist. Zudem wurden viele Bestimmungen verschoben und damit systematisch richtig platziert.
2.2 Abstufung der Intensität des Versichertenschutzes
Ein Ausbau des Schutzes der Versicherten bewirkt zwangsläufig Beschränkungen der Vertragsfreiheit. Es ist deshalb sinnvoll, nur diejenigen Verträge diesen Beschränkungen zu unterwerfen, bei denen die Versicherten dieses Schutzes auch bedürfen. Zur bisherigen Freistellung der Transportversicherung von den zwingenden Bestimmungen des Gesetzes kamen mit der Revision mehrere neue solcher Freistellungen. Neben den Transport-11 sind neu auch die Kredit- und Kautionsversicherungen12 sowie Verträge mit professionellen Versicherungsnehmern von den zwingenden Bestimmungen freigestellt (Art. 98a).
Der neu ins Gesetz eingeführte Begriff des professionellen Versicherungsnehmers stammt aus dem Fidleg,13 nach dessen Art. 4 zwischen Privatkunden, professionellen Kunden14 und institutionellen Kunden zu unterscheiden ist. Nach dem Vorschlag des Bundesrates zur Revision des VAG15 soll der Begriff auch ins Aufsichtsrecht übernommen werden. Nach Art. 98a VVG gelten als professionelle Versicherungsnehmer:
Vorsorgeeinrichtungen,
Finanzintermediäre nach BankG16 und KAG,17
Versicherungsunternehmen nach VAG,
prudenziell beaufsichtigte ausländische Versicherungsnehmer,
öffentlich-rechtliche Körperschaften, Anstalten und Stiftungen mit professionellem Risikomanagement,
private Unternehmen mit professionellem Risikomanagement,
Grossbetriebe, die zwei von drei Schwellenwerten überschreiten (20 Mio. Franken Bilanzsumme, 40 Mio. Franken Nettoumsatz, 2 Mio. Franken Eigenkapital).
In der Praxis wird die grosse
Frage sein, wann von einem «professionellen Risikomanagement»18 ausgegangen werden kann. In der politischen Diskussion wurde auch schon die Meinung vertreten, die Betreuung eines Unternehmens durch einen Versicherungsmakler stelle ein solches professionelles Risikomanagement dar. Dies trifft nicht zu und darf auch nicht zutreffen. Mit einer derart weiten Auslegung würde der Zweck des Gesetzes, der Schutz der Versicherten, über weite Strecken preisgegeben. Viel Konkreteres lässt sich den amtlichen Akten zu dieser Frage leider nicht entnehmen: In seiner Botschaft zur VVG-Revision verweist der Bundesrat einerseits auf die Fidleg/Finig-Vorlage und andererseits auf die Mifid-II-Richtlinie.19 In der Fidleg/Finig-Botschaft20 findet sich dann – neben einer weiteren Verweisung, dieses Mal auf das KAG21 – ein erster Hinweis, was ein «Unternehmen mit professioneller Tresorerie» kennzeichnet: «Eine professionelle Tresorerie ist gemäss geltender Praxis zu bejahen, wenn das Unternehmen mindestens eine fachlich ausgewiesene, im Finanzbereich erfahrene Person damit betraut, seine Finanzmittel dauernd zu bewirtschaften».22
Einschränkender die Regelung in Art. 2 Abs. 2 AFV:23 Demnach gelten als Anleger mit professioneller Tresorerie: Banken, Effektenhändler, deren Kunden mit schriftlichem Vermögensverwaltungsvertrag, Versicherungen und Pensionskassen. Allerdings ist die Aufzählung nicht abschliessend.
In seinem Vorschlag zur Totalrevision des KAG schlug der Bundesrat vor, den Begriff des «qualifizierten Anlegers» entlang dieser Aufzählung in der AFV zu definieren (allerdings ohne die Kunden mit schriftlichem Vermögensverwaltungsvertrag).24 Das Parlament ergänzte auf Antrag der WAK-NR25 die Liste mit einer weiteren Gruppe, den «Unternehmen mit professioneller Tresorerie».26 Damit schliesst sich der Kreis: Das Parlament qualifizierte Unternehmen mit professioneller Tresorerie als qualifizierte Anleger i.S. von Art. 10 KAG. Konsequenterweise haben Bundesrat und Parlament solche Unternehmen auch als professionelle Kunden i.S. von Art. 4 Abs. 3 Fidleg gewertet. Gleichzeitig lässt sich der Botschaft erstmals eine inhaltliche Umschreibung dessen, was unter einer professionellen Tresorerie zu verstehen ist, entnehmen.27
Nun gehen aber die Vorschläge sowohl zum VVG als auch zum VAG nicht von Kunden mit professioneller Tresorerie, sondern von solchen mit professionellem Risikomanagement aus. Zwar sind dies zwei verschiedene Dinge, man könnte aber auf die Umschreibung in der Fidleg/Finig-Botschaft abstellen und ein Risikomanagement dann als professionell ansehen, wenn mindestens eine qualifizierte Person dauernd damit befasst ist.28
Damit sind allerdings nicht alle offenen Fragen geklärt. Risikomanager sind üblicherweise Ingenieure oder Techniker. Sie müssen Gefahren erkennen, bewerten und eingrenzen können. Dies ist aber nicht die Qualifikation, die eine Freistellung vom zwingenden Charakter des VVG rechtfertigen könnte. Um auf den Schutz durch zwingende Bestimmungen zu verzichten, braucht es eher rechtliche als technische Kenntnisse. Aus diesem Grunde sollten nur diejenigen Risikomanagements als professionell anerkannt werden, die neben den technischen auch die rechtlichen Risiken zu managen wissen. Heikel erscheint auch die generelle Freistellung der Vorsorgeeinrichtungen. Deren Professionalität bezieht sich nämlich einzig auf die zur Rückdeckung abgeschlossenen Kollektivlebensversicherungen, nicht aber auf andere Versicherungszweige (z.B. Organhaftpflichtversicherung für den Stiftungsrat).29
2.3 E-Commerce-Eignung
(Formvorschriften)
Das alte VVG enthielt über zwanzig Bestimmungen, die für einzelne Rechtshandlungen die Schriftform vorschrieben. Zwar hat die Rechtsprechung bei einigen davon die Anforderungen dahingehend gemildert, dass auf eine eigenhändige Unterschrift verzichtet werden kann. Dennoch war es im Rahmen der Revision unbestritten, dass dem elektronischen Geschäftsverkehr möglichst wenig Hürden in den Weg gestellt werden sollen. Der Gesetzgeber hat deshalb nahezu flächendeckend30 das Erfordernis der Schriftform auf jenes der Textform reduziert.
Die Textform stellt einen eigenständigen Formtyp dar, nämlich die unterschriftslose schriftliche Erklärung. Das deutsche Recht enthält in § 126b BGB eine Definition der Textform.31 Im VVG verwendete der Gesetzgeber die Formel «schriftlich oder in einer anderen Form, die den Nachweis durch Text ermöglicht».32 Rechtshandlungen, für die Textform vorgeschrieben ist, können somit per Fax, E-Mail, UBS-Stick, CD-Rom, Speicherkarten, Festplatten oder SMS (soweit sie beim Adressaten dauerhaft gespeichert sind und von ihm an Bildschirm, Display oder als Ausdruck gelesen werden können) gültig vorgenommen werden. Das Einstellen auf die Homepage des Erklärenden genügt nur, wenn es beim Empfänger auf einem dauerhaften Datenträger zur Verfügung gestellt wurde.33
2.4 Widerrufsrecht
Über das Widerrufsrecht wurde schon viel gestritten. Es handelt sich um eines der älteren Anliegen der Konsumentenorganisationen. Seine Aufnahme ins VVG beendet gleichzeitig eine «Merkwürdigkeit» im Obligationenrecht. Nach dessen (mit der VVG-Revision ebenfalls geänderten) Art. 40a galt für Haustürgeschäfte seit 1991 ein Widerrufsrecht. Allerdings waren nach Abs. 2 Versicherungsverträge von der Geltung des Widerrufsrechts ausgenommen. Dies ist deshalb erstaunlich, weil es wohl kaum einen anderen Wirtschaftszweig gibt, der einen so hohen Umsatz mit Haustürgeschäften erzielt. Allerdings muss auch beigefügt werden, dass die Bedeutung des Widerrufsrechts wohl überschätzt wird. Dies zeigen die – leider unveröffentlichten – Zahlen jener Versicherer, die bisher bereits auf freiwilliger Basis ihren Kunden ein Widerrufsrecht eingeräumt haben.
Das Widerrufsrecht ist ähnlich ausgestaltet wie jenes nach OR. Aus diesem Grund kann dazu auf die Literatur zum allgemeinen Vertragsrecht verwiesen werden. Eine versicherungsrechtlich wichtige Besonderheit regelt Art. 2a Abs. 5. Es geht darum, dass bei obligatorischen Haftpflichtversicherungen (allen voran jener des Motorfahrzeughalters) mit direktem Forderungsrecht und Einredeausschluss ein Widerruf fatale Konsequenzen nach sich ziehen kann. Wenn nämlich der Versicherer dem Kunden nach Vertragsabschluss einen Versicherungsnachweis aushändigt, den der Kunde beim Strassenverkehrsamt hinterlegt, so bewirkt ein späterer Widerruf, dass der Vertrag zivilrechtlich dahinfällt. Da der Versicherer im Aussenverhältnis jedoch leistungspflichtig bleibt, bis der Nachweis zurückgezogen wird, hätte dies im Falle eines Schadens zur Folge, dass der Versicherungsnehmer sich unter Umständen gravierenden Regressforderungen ausgesetzt sieht. Um dies zu verhindern, bestimmt Art. 2a Abs. 5, dass bei Verträgen, aus denen Dritte Rechte ableiten können, der Vertrag im Falle eines Widerrufs erst zu dem Zeitpunkt erlischt, zu dem die Dritten keine Rechte mehr geltend machen können.
2.5 Ausbau vorvertraglicher Informationspflichten des Versicherers in Artikel 3
Der Gesetzgeber hat den Katalog der Themen, über die der Versicherer seine Kunden vor Vertragsabschluss informieren muss (Art. 3), um einige Punkte erweitert:
lit. b: Neu muss der Versicherer für jede versicherte Leistung angeben, ob es sich um eine Schaden- oder eine Summenversicherungsleistung handelt. Dies ist zwar eine Kleinigkeit, aber eine für die Praxis sehr wichtige. Oft wird nämlich in den AVB – ob bewusst oder nicht, sei dahingestellt – diese Qualifikation offengelassen. Aus diesem Grund gibt es jedes Jahr Prozesse zur Frage, ob im konkreten Fall von einer Summen- oder einer Schadenversicherungsleistung auszugehen sei.34 Solche Prozesse, die zu den überflüssigsten überhaupt gehören, lassen sich mit dieser simplen Erweiterung der Informationspflicht wirksam verhindern.
lit. f: Die Versicherer mussten bei Lebensversicherungen bisher über die Entwicklung der Rückkaufs- und Umwandlungswerte informieren. Der Gesetzgeber hat dies nun dahingehend erweitert, dass auch über die im Falle des Rückkaufs anfallenden wesentlichen Kostenarten zu informieren ist. Mit dieser Erweiterung hatte die Mehrheit des Parlaments einen weitergehenden Antrag abgelehnt, mit dem die volle Offenlegung der Kosten verlangt wurde. Dies hätte Bank- und Versicherungssparen vergleichbar gemacht, was offensichtlich nicht gewollt war.
Die neue Regelung bringt den Kunden nichts. Nach Art. 127 Abs. 2 lit. c AVO35 sind Abzüge vom Inventardeckungskapital (im Falle eines Rückkaufs) nur zulässig für das Zinsrisiko und die nicht amortisierten Abschlusskosten. Dies bedeutet nichts anderes, als dass die Kostenarten bereits der Verordnung entnommen werden können. Ein zusätzlicher Nutzen erwächst dem Versicherungsnehmer aus der Änderung von lit. f somit in keiner Weise. Von Interesse für den Versicherungsnehmer wäre nicht die Kostenart, sondern die Kostenhöhe. Diese bekannt geben zu müssen, haben die Versicherer im Parlament erfolgreich verhindert.
lit. h: Nach dieser Bestimmung muss der Versicherer neu auch über das Widerrufsrecht sowie über dessen Form und Befristung informieren.
lit. i: Nach Art. 38 Abs. 1 kann der Vertrag vorsehen, dass Schadenanzeigen schriftlich zu erfolgen haben. Da die Standardform des VVG neu die Textform ist, ist es sinnvoll, dass der Versicherer den Versicherungsnehmer gesondert darauf hinweisen muss, wenn er von der Kompetenznorm von Art. 38 Abs. 1 Gebrauch macht und verlangt, dass Schadenanzeigen schriftlich eingereicht werden.
lit. j: Der Sache nach geht es bei lit. j um die sog. hängigen Versicherungsfälle. Da diese Gegenstand einer neuen materiellen Bestimmung sind, werden die Informationspflichten zusammen mit diesen erläutert (unten ad Art. 35c).
Schliesslich wurde in Art. 3a Abs. 2 die absolute Befristung des Rechts des Versicherungsnehmers, wegen einer Verletzung der vorvertraglichen Informationspflichten den Vertrag zu kündigen, von einem auf zwei Jahre erstreckt.
2.6 Information von Kollektivversicherten
Die alte Bestimmung zur Information von Kollektivversicherten (Art. 3 Abs. 3) war viel zu weit gefasst. Sobald «andere Personen als der Versicherungsnehmer einen direkten Leistungsanspruch» haben, war der Versicherungsnehmer verpflichtet, die Mitversicherten «über den wesentlichen Inhalt des Vertrages sowie dessen Änderung oder Auflösung zu unterrichten». Dies bedeutete, dass zum Beispiel der Halter eines Autos sämtlichen Lenkern eine solche Information hätte zukommen lassen müssen. Oder der Familienvater, der für das Haus seiner Familie eine Hausratversicherung abschliesst, müsste seiner Frau und seinen Kindern eine Kollektivversicherten-Information abgeben. Die Beispiele liessen sich beliebig fortsetzen. Das hat in der Praxis allerdings niemand getan.
Die Bestimmung blieb ausserhalb der betrieblichen kollektiven Personenversicherungen toter Buchstabe. Letztere waren es aber, die den Gesetzgeber veranlasst haben, 2004 diese Bestimmung ins Gesetz aufzunehmen.36 Aus diesen Gründen hat das Parlament den Kreis der eine Pflicht zur Abgabe einer Kollektivversicherten-Information auslösenden Versicherungsverträge auf jene beschränkt, die er ursprünglich anvisierte: Die betrieblichen kollektiven Personenversicherungen.
2.7 Anzeigepflicht und Gefahrsänderungen
Die Themen «Anzeigepflichtverletzung» und «Gefahrsänderungen» hängen eng zusammen. Bei beiden geht es um die Verhinderung von Äquivalenzstörungen.37 Die Anzeigepflicht des Versicherungsnehmers soll es dem Versicherer ermöglichen, das zu übernehmende Risiko möglichst präzise einzuschätzen. Ziel ist die Verhinderung einer asymmetrischen Information38 zwischen Versicherer und Versicherungsnehmer.
Falls sich Gefahrstatsachen im Lauf der Zeit ändern, kann es nach Abschluss des Vertrags wiederum zu einer asymmetrischen Information kommen. Der Gesetzgeber sah deshalb schon beim Erlass des VVG vor, dass der Antragsteller bei Vertragsabschluss über sein Risiko informieren muss und Veränderungen bei erheblichen Gefahrstatsachen auch nach Vertragsabschluss dem Versicherer angezeigt werden müssen. Dies ist so weit unbestritten und sollte durch die Revision auch nicht in Frage gestellt werden. Dennoch kam es zu einigen gewichtigen Änderungen.
2.7.1 Zeitliche Anknüpfung von Anzeigepflicht und Gefahrserhöhung
Die vorvertragliche Anzeigepflicht dauert nach geltendem Recht bis zum Zeitpunkt des Zustandekommens des Vertrages. Dies ist jedoch in der Öffentlichkeit praktisch nicht bekannt. Der berühmte durchschnittliche Versicherungsnehmer glaubt, mit dem korrekten Beantworten der Antragsfragen seine vorvertragliche Pflicht abschliessend erfüllt zu haben. Die sogenannte Nachmeldepflicht, das heisst die Pflicht, Änderungen von Gefahrstatsachen, die zwischen der Beantwortung der Risikofragen des Versicherers und dem Zustandekommen des Vertrages eintreten, dem Versicherer zu melden, ist weitherum unbekannt, wird aber vom Bundesgericht konsequent durchgesetzt.39
Dies kann für den Versicherungsnehmer zum blinden Fleck werden, insbesondere dann, wenn der Versicherer den Antrag zu spät, das heisst erst nach Ablauf der Bindungsfrist des Antragstellers annimmt. In diesem Falle verzögert sich der formelle Vertragsabschluss unter Umständen um eine längere Zeit.40
Diese Nachmeldepflicht wollte der Gesetzgeber beseitigen. Massgebend für die Beurteilung der Richtigkeit der vorvertraglichen Gefahrsdeklaration soll neu nicht mehr der Zeitpunkt des Zustandekommens des Vertrages, sondern jener des Ausfüllens des Antragsformulars sein. Spiegelbildlich musste auch der Beginn der Pflicht, Gefahrserhöhungen zu melden, vorverschoben werden, da es andernfalls zu einem blinden Fleck für den Versicherer gekommen wäre. Die Änderung ist zu begrüssen, sie muss aber auch bekannt gemacht werden. Eine zielführende Lösung wäre, wenn die Versicherer flächendeckend in ihren Antragsformularen darauf hinwiesen, dass Änderungen der abgefragten Gefahrstatsachen unverzüglich dem Versicherer zu melden sind.
2.7.2 Anzeigepflicht
Das Thema der Anzeigepflichtverletzung war im Parlament teilweise hochumstritten. Diskutiert wurden neben der Abgrenzung zu den Gefahrsänderungen folgende Änderungsvorschläge:
Bindung des Ausmasses allfälliger Leistungskürzungen an ein Kausalitätserfordernis (Art. 6 Abs. 3 VVG. Beispiel: Beim Abschluss einer Gebäudeversicherung fragt der Versicherer nach der Bauart. Der Versicherungsnehmer erklärt wahrheitswidrig, sein Holzhaus sei aus Stein gebaut. Durch einen Brand entsteht ein Schaden von einer Million Franken. Wäre das Haus aus Stein gebaut gewesen, wäre lediglich ein Schaden von 200 000 Franken eingetreten. Nach altem Recht wäre der Versicherer von seiner Leistungspflicht vollständig befreit gewesen. Neu sollte er lediglich in dem Umfange befreit sein, indem sich die Anzeigepflichtverletzung auf das Schadenausmass ausgewirkt hat, das heisst, vorliegend müsste der Versicherer 200 000 Franken bezahlen). Der Gesetzgeber ist diesem erst im Parlament eingebrachten Antrag nach heftiger Diskussion gefolgt.41
Eine absolute Befristung des Kündigungsrechts des Versicherers auf zwei Jahre: Leider ist das Parlament diesem Antrag nicht gefolgt.42
Die nahezu flächendeckende Umstellung von der Schrift- zur Textform dürfte in wenigen Fällen so grosse Auswirkungen haben wie bei der vorvertraglichen Anzeigepflicht des Versicherungsnehmers.43
Unbestritten war eine Änderung des Randtitels von Art. 5 Abs. 2 VVG. Der in diesem Absatz geregelte Tatbestand betrifft offensichtlich die Fremdversicherung und nicht – wie der historische Gesetzgeber annahm – die Versicherung auf fremde Rechnung. Entsprechend wurde der Randtitel dieses Absatzes geändert.
Schliesslich wurde noch Art. 75 bereinigt, der vorsah, dass eine falsche Altersangabe beim Abschluss einer Lebensversicherung lediglich eine «versicherungstechnische Anpassung» nach sich zieht (in der Regel also eine Prämienerhöhung). Falsche Altersangaben können heute faktisch nicht mehr vorkommen, weil der Versicherer nach dem Geldwäschereigesetz mittlerweile verpflichtet ist, die Identität seines Vertragspartners festzustellen, wozu er sich einen amtlichen Ausweis mit Foto vorlegen lassen muss. Aus diesem Grunde konnte diese Bestimmung ersatzlos gestrichen werden.
2.7.3 Gefahrsänderungen
Das Recht der Gefahrsänderungen erfuhr neben der Änderung beim zeitlichen Geltungsbereich eine für die Praxis wichtige Anpassung: Die Rechtsfolgen einer Gefahrsminderung wurden vollständig neu gestaltet. Die bisherige Regelung war diskriminierend, weil sie spiegelbildlich gleiche Tatbestände ungleich behandelte (Kündigungsrecht des Versicherers bei Gefahrserhöhung, kein Kündigungsrecht des Versicherungsnehmers bei Gefahrsminderung).44
Zudem war die gesetzliche Bestimmung unverständlich formuliert,45 verletzte den Grundsatz der Teilbarkeit der Prämie – weil eine Prämienreduktion erst für künftige Versicherungsperioden verlangt werden konnte – und war zudem dispositiver Natur, womit sie vertraglich auch zuungunsten des Versicherungsnehmers geändert werden konnte. Künftig wird der Versicherungsnehmer nach dem neuen Art. 28a bei einer Gefahrsminderung eine Prämiensenkung verlangen oder den Vertrag kündigen können. Kommt es zwischen den Parteien nicht zu einer Einigung in Bezug auf die Prämiensenkung, können beide Parteien den Vertrag kündigen. Zudem gilt die tiefere Prämie mit sofortiger Wirkung.
Im Übrigen wurde das Recht der Gefahrserhöhung unverändert belassen.46
2.8 Vorläufige Deckungszusagen
Unbestritten war die Einführung einer Regelung der praktisch sehr bedeutsamen vorläufigen Deckungszusagen (Art. 9).
2.9 Abschaffung des Verbots der Rückwärtsversicherung
Ebenfalls keine grossen Wellen warf die längst überfällige Abschaffung des antiquierten Rückwärtsversicherungsverbotes. Für die Praxis wird sich dadurch wenig ändern, weil das Verbot bisher in den kritischen Fällen schlicht ignoriert wurde.47
2.10 Abschaffung der Genehmigungsfiktion
Aufgehoben wurde der bisher auf alle Policen aufgedruckte Art. 12, wonach der Versicherungsnehmer die Police prüfen und Fehler melden muss, widrigenfalls die Police als von ihm genehmigt gilt. Dabei hat der Gesetzgeber aber nur etwas nachgeholt, was das Bundesgericht bereits vorweggenommen hatte.48
Anzumerken ist, dass eine blosse Streichung dieses Artikels die Gefahr birgt, dass ein Versicherer die Genehmigungsfiktion vertraglich wieder aufnimmt. Ein Verbot wäre deshalb die bessere Lösung als eine blosse Streichung gewesen. Immerhin darf die Streichung des Artikels als Indiz dafür gewertet werden, dass eine vertragliche Genehmigungsfiktion als ungewöhnlich angesehen werden müsste.
2.11 Neuregelung des Einbezugs Dritter
Dogmatisch wichtig, für die Praxis aber von untergeordneter Bedeutung, ist die vollständige Neuregelung des Einbezugs Dritter und die Verankerung der Interessenlehre in Art. 16. Von praktischer Bedeutung sind die damit verbundene Streichung der eigentümlichen sekundären Prämienzahlungspflicht der versicherten Dritten sowie das neu umfassend geltende Recht des Versicherers, ausstehende Prämienzahlungen (des Versicherungsnehmers) mit Ansprüchen auf Schadenzahlungen (an die Versicherten) zu verrechnen.
2.12 Ordentliches und ausserordentliches Kündigungsrecht
Neu können alle Versicherungsverträge unabhängig von der vereinbarten Vertragsdauer nach drei Jahren und anschliessend jährlich gekündigt werden (Art. 35a). Von dieser Bestimmung gibt es zwei Ausnahmen: In der Lebensversicherung und in der Zusatzversicherung zur sozialen Krankenversicherung kann nur der Versicherungsnehmer kündigen.49
Nach Art. 35b können beide Parteien jederzeit aus wichtigem Grund kündigen. Der Gesetzgeber hat damit eine ständige Praxis des Bundesgerichts bei Dauerschuldverhältnissen kodifiziert.50 Ein wichtiger Grund liegt vor, wenn der kündigenden Partei die Weiterführung des Vertrags nicht zugemutet werden kann.51
2.13 Hängige Versicherungsfälle
Die Problematik der hängigen Versicherungsfälle stellt sich nur bei den sog. gedehnten Versicherungsfällen. Bei diesen löst das versicherte Ereignis u.U. längere periodische Leistungen des Versicherers aus (Renten, Taggelder, Ausfallentschädigungen etc.). In diesen Fällen stellt sich die Frage, was mit der Leistungspflicht des Versicherers geschieht, wenn während der Laufzeit der periodischen Leistungen der Versicherungsvertrag endet.
Das Bundesgericht hat entschieden, dass eine Vertragsbestimmung, die bei Beendigung des Vertrags die noch offenen Leistungen begrenzt, ungewöhnlich und damit nichtig sei,52 weil es der Versicherer so in der Hand habe, seine Leistungspflicht einseitig zu begrenzen. Der Gesetzgeber hat diese Rechtsprechung in Art. 35c für die Versicherungszweige Unfall und Kranken kodifiziert. Allerdings kam dieser Beschluss nicht ohne Nebengeräusche zustande: Der Bundesrat wollte nämlich mit seinem Entwurf das Rad der Zeit zurückdrehen und dem Bundesgerichtsentscheid die Grundlage entziehen und solche Klauseln zulassen.53
2.14 Abschlagszahlungen
Ins Gesetz neu aufgenommen wurde eine Pflicht der Versicherer, bei bestrittener Leistungspflicht Abschlagszahlungen bis zur Höhe des unbestrittenen Betrags zu leisten. Damit soll (vor allem in der Haftpflichtversicherung) das sogenannte «Aushungern der Geschädigten» verhindert werden. Anvisiert sind Fälle, bei denen Versicherer und Versicherungsnehmer beziehungsweise Geschädigter unterschiedlicher Meinung sind über die Höhe der vom Versicherer zu erbringenden Leistungen.
Der Versicherer bietet den von ihm als korrekt angesehenen Betrag an, aber nur, wenn der Versicherungsnehmer im Gegenzug auf weitere Ansprüche verzichtet. Dieser hat somit nur die Möglichkeit, den seiner Meinung nach ungenügenden Betrag zu akzeptieren oder den aus seiner Sicht richtigen Betrag einzuklagen. Bis ein rechtskräftiges Urteil vorliegt, können mehrere Jahre verstreichen. Ist der Versicherte zur Bestreitung seines Lebensunterhalts auf das Geld angewiesen, so muss er in seiner Not das ungenügende Angebot des Versicherers annehmen. Dieser Praxis hat der Gesetzgeber nun mit Art. 41a Einhalt geboten. Der Versicherer muss den unbestrittenen Teil der Entschädigung leisten. Damit hat der Versicherte Geld für seinen unmittelbaren Lebensunterhalt und die Parteien können in Ruhe über den darüber hinausgehenden Teil der Forderung streiten. Die Versicherer wendeten gegen diese Bestimmung ein, dass «nur die grössten Kälber ihre Metzger selbst finanzieren».54
2.15 Verletzungen von Obliegenheiten
Hochumstritten war im Parlament die gesetzliche Regelung der Obliegenheitsverletzungen. Der bisherige Art. 45 schrieb lediglich vor, dass nur verschuldete Obliegenheitsverletzungen Rechtsfolgen auslösen können. Die Bestimmung löste eine Diskussion darüber aus, ob sie als Grundlage dafür dienen kann, das Kausalitätserfordernis vertraglich wegzubedingen. Dies auch vor dem Hintergrund, dass Art. 29 für gefahrspräventive Obliegenheiten explizit ein Kausalitätserfordernis festschreibt (e contrario wurde daraus abgeleitet, dass das Kausalitätserfordernis bei andern Obliegenheiten wegbedungen werden kann). Wie diese Frage de lege lata zu beantworten ist, kann vorliegend offenbleiben. Jedenfalls war klar, dass der Gesetzgeber zur Frage des Kausalitätserfordernisses Stellung nehmen musste. Mehrheitlich wurde auch befürwortet, ein solches Erfordernis aufzustellen. Meinungsverschiedenheiten gab es aber zur Frage, wen die Beweislast treffen sollte. Schliesslich beschlossen die Räte, die Beweislast für das Fehlen eines Kausalzusammenhanges dem Versicherungsnehmer aufzuerlegen.
2.16 Verjährung
Keine vertragsrechtlichen Forderungen verjähren schneller als solche aus einem Versicherungsvertrag. Seit langem ist weitgehend unbestritten, dass die zweijährige Verjährungsfrist von Art. 46 viel zu kurz ist.55 Das sah auch das Parlament so. Im Katalog mit den Vorgaben für eine Teilrevision, die es mit der Rückweisung der Totalrevision verband, ist denn auch «eine angemessene Verlängerung der Verjährungsfristen» enthalten. Die jetzt beschlossene Verlängerung der Verjährungsfrist auf fünf Jahre wurde diskussionslos angenommen.
2.17 Konkurs des Versicherungsnehmers
Die Regelung des Vertragsschicksals beim Konkurs des Versicherungsnehmers ist eng verknüpft mit jener im Falle einer Handänderung. Bis zur Teilrevision im Jahre 2004 galt die Regel, dass bei einem Wechsel des Eigentümers der versicherten Sache der dazugehörende Versicherungsvertrag auf den Erwerber überging. Die Wettbewerbskommission sah darin einen Grund dafür, dass es neue Versicherer in der Schweiz schwer haben, Fuss zu fassen. Sie schlug vor, in diesen Fällen den Vertrag erlöschen zu lassen. Das Parlament folgte diesem Vorschlag. Ein findiger Beamter entdeckte im Vorfeld der parlamentarischen Diskussion, dass in Art. 55 im Falle des Konkurses des Versicherungsnehmers die Konkursmasse in den Versicherungsvertrag eintrete. Hiefür sollen «dieselben Vorschriften wie bei der Handänderung» gelten. Da aber die Regeln über die Handänderung geändert werden sollten, so der logische Schluss, müssten auch jene zum Konkurs angepasst werden. Konsequenterweise beschloss das Parlament, dass im Falle eines Konkurses des Versicherungsnehmers dessen Versicherungsverträge erlöschen sollen.
Schon bald wurde erkannt, dass die Änderung der Regelung zur Handänderung zu zahlreichen Problemen führte (leiht ein Vater seiner Tochter sein Auto für eine Ferienreise aus, so hätte sein Tod [z.B. bei einem Verkehrsunfall] zur Folge, dass die Kaskoversicherung seines Fahrzeuges erlischt).56 Bereits drei Jahre nach Inkrafttreten der Änderung beschloss das Parlament, bei der Handänderung zur alten Regelung zurückzukehren.57 Leider vergass es aber, auch bei der Regelung des Konkurses des Versicherungsnehmers zum alten Rechtszustand zurückzukehren. Die neue Regelung war umso weniger verständlich, als das Gesetz Verträge erlöschen liess, bei denen das Risiko noch vorhanden und die Prämie bereits bezahlt war (was namentlich bei Firmenkonkursen zu unangenehmen Konsequenzen führte).
Mit der jüngsten Revision kehrte das Parlament auch beim Konkurs des Versicherungsnehmers zum status quo ante zurück. Die Bestimmung wurde zudem verschoben: Der neue Art. 46a entspricht somit materiell dem alten Art. 55, wie er bis zur Teilrevision 2004 galt.
2.18 Mehrfachversicherung
Von den verschiedenen Revisionsvorschlägen zur Mehrfachversicherung hat das Parlament einen (wichtigen) umgesetzt. Häufig entstehen Mehrfachversicherungen ungewollt (z.B. zwei Hausratversicherungen bei einem Paar, das zusammenzieht). Bisher bestand keine rechtliche Möglichkeit, ohne Einwilligung eines der beteiligen Versicherer einen der Verträge aufzulösen. Zwar konnten bisher in der Praxis meistens Lösungen gefunden werden (häufig sprechen sich die Versicherer auf lokaler Ebene ab), dennoch ist es unbefriedigend, dass die Versicherten auf den Goodwill der Versicherer angewiesen sind und keine rechtliche Möglichkeit haben, einen der Verträge aufzulösen. Eine solche hat der Gesetzgeber nun geschaffen. Nach Art. 46b Abs. 2 kann der Versicherungsnehmer, sofern er beim Abschluss des später abgeschlossenen Vertrags keine Kenntnis vom Entstehen einer Mehrfachversicherung hatte, diesen Vertrag innert vier Wochen seit der Entdeckung der Mehrfachversicherung kündigen. In allen anderen Punkten bleibt das Recht der Mehrfachversicherung unverändert (abgesehen von der terminologischen Anpassung: Aus der früheren Doppel- wurde die neue Mehrfachversicherung).
2.19 Sachversicherung
Die Regelungen zur Sachversicherung wurden deutlich gestrafft. Einige Bestimmungen (z.B. zur Entschädigungsbemessung58 oder Vorbehalte zugunsten des kantonalen Rechts)59 konnten ganz gestrichen werden. Andere wurden – weil sie nicht nur für die Sachversicherung bedeutsam sind – in den allgemeinen Teil des Gesetzes verschoben.60 Materiell wurden die Regeln zur Sachversicherung nicht geändert. Das Gesetz wird mit diesen formellen Änderungen jedoch übersichtlicher und besser lesbar. Zudem entfallen unnötige Beschränkungen der Vertragsfreiheit. Insbesondere ist zu begrüssen, dass die absolut zwingende Bestimmung von alt Art. 62 ersatzlos gestrichen wurde. Die Bestimmung verlangte, dass Entschädigungen in der Sachversicherung zwingend nach dem Zeitwert zu bemessen sind. Wie wenig sich die Praxis in dieser Frage an das Gesetz hielt, zeigt der Umstand, dass in der Hausratversicherung die Entschädigung auf der Basis des Neuwertes Marktstandard ist.
2.20 Haftpflichtversicherung
Die Neuerungen zur Haftpflichtversicherung waren die grosse Überraschung dieser Revision. Ziemlich unerwartet nahm das Parlament alte Revisionsanliegen der Konsumenten auf und verhalf ihnen zum Durchbruch. Neu geregelt wurden folgende Punkte:
Bei Betriebs-Haftpflichtversicherungen müssen nicht mehr nur die leitenden Mitarbeiter, sondern alle zwingend mitversichert werden. Im Gesetz stand das zwar bisher nicht, jedoch entspricht es gängiger Praxis, sodass sich in diesem Punkt faktisch nichts ändern wird.
Neu muss die Haftpflichtversicherung zwingend auch Regressansprüche mitversichern. Damit wird die sogenannte «Suva-Klausel», mit der Regressansprüche ausgeschlossen wurden, obsolet.61
Für obligatorische Haftpflichtversicherungen gilt inskünftig ein beschränkter Einredeausschluss. Der Versicherer kann dem Geschädigten Einreden aus grobfahrlässiger oder vorsätzlicher Schadenverursachung, Obliegenheitsverletzungen, Prämienzahlungsverzug oder wegen eines Selbstbehalts nicht entgegenhalten. Eine Haftpflichtversicherung gilt dann als obligatorisch, wenn deren Abschluss durch ein Gesetz oder eine Verordnung des Bundes, der Kantone oder der Gemeinden vorgeschrieben wird.
Die mit Abstand wichtigste Neuerung stellt das direkte Forderungsrecht dar, das nach Art. 60 Abs. 1bis neu für sämtliche Haftpflichtversicherungen, also auch für nicht obligatorische, gilt. Das Anliegen ist uralt und war bisher immer heftig umstritten.62 Nun hat ihm das Parlament – mit einer zustimmenden Empfehlung von Bundesrat Ueli Maurer – zum Durchbruch verholfen.
Schliesslich kann der Geschädigte bei obligatorischen Haftpflichtversicherungen nach Art. 60 Abs. 3 vom Versicherten oder der zuständigen Aufsichtsbehörde die Nennung des Versicherers verlangen. Fraglich ist, welche Behörde als zuständige Aufsichtshörde gilt. In Frage kommen einerseits die Finma und andererseits eine das Obligatorium überwachende Behörde.63 Die Frage wird durch die Rechtsprechung zu klären sein.64
2.21 Wegfall der IPR-Bestimmungen
Die umfangreichen IPR-Bestimmungen wurden ersatzlos gestrichen. Sie waren obsolet, da sie lediglich den grenzüberschreitenden Dienstleistungsverkehr regelten. Dieser setzt jedoch ein Abkommen zwischen der Schweiz und dem Staat, in dem oder von dem aus Dienstleistungen erbracht werden sollen, voraus. Ein solches Abkommen hat die Schweiz bisher nur mit Liechtenstein abgeschlossen. Aus diesem Grund war der Bundesrat der Meinung, dass auf den IPR-Teil im VVG ganz verzichtet werden kann. Er verwies zu Recht darauf, dass das IPRG die Bedürfnisse der Rechtspraxis gut abdecke.65
2.22 Koordinationsrecht
Unbestritten war die Revision des Koordinationsrechts. Unverändert beibehalten wird der Grundsatz, dass Schadenversicherungsleistungen auszugleichen sind und Summenversicherungsleistungen kumuliert werden können. Neu soll aber der Versicherer ein integrales Regressrecht erhalten. Auch dies war eine alte, von nahezu der gesamten Lehre vertretene Forderung. Allerdings hat das Bundesgericht diesen Schritt bereits vorweggenommen. Es hat mit BGE 144 III 209 seine alte Gini /Durlemann-Praxis aufgegeben und den privaten Versicherern ein integrales Regressrecht gewährt.66
3. Aber: Die lange Bremsspur
Das neue VVG tritt am 1. Januar 2022 in Kraft.67 Allerdings gelten lediglich die Formvorschriften sowie das Kündigungsrecht nach den Art. 35a und 35b ab dem Inkrafttreten des Gesetzes für alle bereits laufenden Verträge. Alle anderen Bestimmungen des revidierten Gesetzes gelten lediglich für die nach dem 1. Januar 2022 abgeschlossenen Versicherungsverträge. Da solche aber häufig lange und sehr lange Vertragsdauern aufweisen, wird das alte Recht eine sehr, sehr lange Bremsspur nach sich ziehen.
4. Verbleibende Schutzlücken
Die Revision hat wie dargestellt systematische Klarheit gebracht und einige wichtige Schutzlücken beseitigt. Dennoch verbleiben weitere Lücken (wobei die nachfolgende Liste keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt), weshalb die Stellung der Konsumenten im VVG weiterhin auf der politischen Agenda bleiben sollte.
Widerrufsrecht (Art. 2a und 2b): Im Parlament war umstritten, ob das Widerrufsrecht nicht nur beim Abschluss eines Versicherungsvertrags, sondern auch bei wesentlichen Änderungen gelten soll. Die Mehrheit entschied schliesslich gegen die Erweiterung auf Vertragsänderungen. Dies ist bedauerlich, da Versicherungsverträge wegen ihrer häufig langen Vertragsdauer immer wieder an veränderte Gegebenheiten angepasst werden müssen.
Kündigungsrecht bei Verletzung der vorvertraglichen Informations- und Anzeigepflicht (Art. 3a und 6): Verletzt der Versicherer seine vorvertragliche Informations- oder der Versicherungsnehmer seine Anzeigepflicht, so hat die jeweils andere Partei das Recht, den Vertrag zu kündigen. In beiden Fällen verwirkt dieses Recht vier Wochen, nachdem der Berechtigte von der Pflichtverletzung Kenntnis erlangte (im Falle der Verletzung der Informationspflicht ist zur Auslösung des Kündigungsrechts zudem erforderlich, dass der Versicherungsnehmer auch den Inhalt der Informationen kennt, die der Versicherer hätte erteilen sollen). Unschön bei diesen symmetrisch aufgebauten Pflichten ist, dass das Kündigungsrecht des Versicherungsnehmers zeitlich absolut befristet ist (zwei Jahre), jenes des Versicherers aber nicht.
Eine Befristung des Kündigungsrechts des Versicherers wurde im Parlament mit dem Argument bekämpft, dass damit Anzeigepflichtverletzungen nach zwei Jahren «geheilt» würden. In der Praxis sei es häufig der Fall, dass Anzeigepflichtverletzungen erst im Schadenfall entdeckt würden, was auch erst Jahre nach Vertragsabschluss geschehen kann. Richtig daran ist, dass Anzeigepflichtverletzungen oft erst im Schadenfall entdeckt werden. Unrichtig ist allerdings, dass bei einer absoluten Befristung jede Anzeigepflichtverletzung folgenlos bliebe. Der Versicherer hat immer noch die Möglichkeit, sich auf eine absichtliche Täuschung zu berufen (Art. 28 OR). Diese Bestimmung verlangt jedoch Absicht, während eine Anzeigepflichtverletzung nach zwar bestrittener, aber mehrheitlich vertretener Meinung sogar schuldlos zu Konsequenzen führen kann (eine Auslegung, die auch das Bundesgericht vertritt).
Eine Anzeigepflichtverletzung, die gleichzeitig den Tatbestand der absichtlichen Täuschung erfüllt, kann somit auch bei einer zeitlichen Befristung des Kündigungsrechts weiterhin sanktioniert werden. Eine Befristung würde lediglich bewirken, dass nach zwei Jahren die Anforderungen an eine Kündigung und Leistungsbefreiung höher werden. Keine Kündigungsmöglichkeit (nach Ablauf von zwei Jahren) bestände nur bei fahrlässigen oder schuldlosen Anzeigepflichtverletzungen. Die echten «Ganoven» würden weiterhin zur Kasse gebeten.
Verletzung der Anzeigepflicht (Art. 4–6): Neben der bereits erwähnten absoluten Befristung des Kündigungsrechts sind zwei weitere Schutzlücken zu verzeichnen:
Die erste betrifft die fehlende Berücksichtigung der Verschuldensintensität. Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung kann auch eine schuldlose Anzeigepflichtverletzung deren Rechtsfolgen auslösen.68 Die Lehre teilt diese Meinung mehrheitlich. Ob diese Annahme richtig ist, muss vorliegend offen bleiben. Unabhängig von dieser Kontroverse ist de lege ferenda anzustreben, den Vorbildern des Entwurfs zur Totalrevision oder der neuen deutschen Regelung folgend, die Rechtsfolgen einer Verletzung der Anzeigepflicht klar an ein Verschulden zu binden und deren Schwere nach der Intensität dieses Verschuldens abzustufen.69
Der zweite Punkt betrifft die Beweislast bei der Entkräftung der Erheblichkeitsvermutung nach Art. 4 Abs. 3 VVG. Risikofragen stellen die Versicherer nicht nur, um ein zu übernehmendes Risiko zu prüfen, sondern auch, um statistische Daten für künftige Tarife zu erhalten. Dies zeigt ein einfaches Beispiel: Ein Versicherer vermutet, dass in Häusern oder Wohnungen, in denen ein Hund gehalten wird, weniger Einbruchschäden zu verzeichnen sind. Träfe dies zu, so könnte diesen Kunden bei Hausratversicherungen ein Rabatt auf die Prämie für Einbruchschäden gewährt werden. Um diese These zu verifizieren oder zu falsifizieren, fragt der Versicherer beim Abschluss aller Hausratversicherungsverträge, ob die Kunden zu Hause einen Hund halten. Nach einiger Zeit hat er genug statistische Daten, um Auswertungen vorzunehmen, anhand derer er entscheiden kann, ob und ggf. in welcher Höhe ein solcher Rabatt möglich ist. Dies bedeutet, dass der Versicherer während einiger Zeit eine Gefahrstatsache abfragt, ohne dass sein Tarif diese abbildet. Ob ein Kunde einen Hund hält oder nicht, hat weder auf die Höhe der Prämie noch auf den Deckungsumfang einen Einfluss. Dennoch wird diese Gefahrstatsache als erheblich vermutet (weil sie abgefragt wurde), es obliegt dann dem Versicherungsnehmer, den Beweis dafür zu führen, dass die Tatsache nicht erheblich ist. Um diesen Beweis führen zu können, verfügt der Versicherer über alle notwendigen und der Versicherungsnehmer in der Regel über keine Beweismittel. Dennoch obliegt der Beweis dem Versicherungsnehmer. Dies ist weder sachgerecht noch billig.70
Grobfahrlässigkeit (Art. 14): Der historische Gesetzgeber hat, was im internationalen Vergleich einer sozialpolitischen Grosstat gleichkam,71 eine ausgewogene Regelung für die Folgen einer schuldhaften Schadensverursachung gefunden. Der Versicherer kann bei Vorsatz seine Leistungen verweigern und bei Grobfahrlässigkeit kürzen. Bei leichter Fahrlässigkeit ist er hingegen (zwingend) verpflichtet, die vollen Leistungen zu erbringen. In der Praxis kommt es vor, dass Versicherer in den AVB vorsehen, dass bei grober Fahrlässigkeit ihre Leistungspflicht wegfällt. Um dies zu verhindern, sollte Art. 14 Abs. 2 in die Liste der halbzwingenden Bestimmungen (Art. 98) aufgenommen werden. Fairerweise ist anzumerken, dass (sogar häufiger) auch das Gegenteil vorkommt: dass Versicherer in den AVB auf ihr Kürzungsrecht verzichten.
Verzugsregeln (Art. 20 und 21): Die lange Dauer (zwei Monate) der Unsicherheit über das Vertragsschicksal bei unbenütztem Ablauf der Nachfrist (Art. 21 Abs. 1) kann zu vermeidbaren Deckungslücken oder Doppelversicherungen führen. Zielführend wäre, wenn bereits beim Ansetzen der Nachfrist der Versicherer deklarieren müsste, ob er am Vertrag festhalten will oder nicht.
Unterjährige Vertragsauflösung (Art. 24 und 42): Nach Art. 24 Abs. 1 gilt bei unterjähriger Vertragsauflösung der Grundsatz der Teilbarkeit der Prämie. Die beiden Hauptleistungen – Risikoübernahme und Prämienzahlung – sollen gleichzeitig beginnen und enden. Von dieser Regel machen Art. 24 Abs. 2 und Art. 42 Abs. 3 eine Ausnahme. In diesen Fällen gilt der altrechtliche Grundsatz der Unteilbarkeit der Prämie,72 d.h. der Versicherungsnehmer bezahlt Prämien, aber der Versicherer trägt kein Risiko.
Verjährung (Art. 46): Die neue fünfjährige Verjährungsfrist ist zwar viel besser als die bisherige zweijährige Verjährungsfrist. Aber warum nicht die zehnjährige Regelverjährung? Auf diese Frage geht der Bundesrat in seiner Botschaft mit keinem Wort ein.73 Es gibt aber keinen Grund, Versicherte schlechter zu stellen als z.B. die Bankkunden.74
Hängige Versicherungsfälle (Art. 35c): Die neue Bestimmung ist auf Unfall- und Krankenversicherungen begrenzt. Die Problematik kann sich auch bei Haftpflicht- (Rentenleistungen) oder Sachversicherungen (Betriebsunterbruch) stellen. Es ist deshalb anzustreben, dass die gesetzliche
Regelung auf alle Versicherungszweige ausgedehnt wird.
Obliegenheitsverletzungen (Art. 45): Sog. «versicherungsrechtliche Obliegenheiten» sind entweder echte Obliegenheiten (i.S. des OR) oder vertragliche Nebenpflichten. Bei Ersteren werden die Folgen einer Verletzung in der Regel im Gesetz geregelt.75 Bei den Zweiten löst eine Verletzung eine vertragliche Schadenersatzpflicht aus (nach Art. 97 OR), die der Versicherer mit seiner Leistung verrechnen kann. Nach den allgemeinen vertragsrechtlichen Regeln müsste deshalb der Versicherer den Kausalitätsnachweis führen. Die Abweichung von Art. 45, der diese Beweislast dem Versicherungsnehmer auferlegt, stellt diesen schlechter, als es das OR tut, was zumindest im Verlauf der Revision nie überzeugend begründet wurde.
Versicherung auf fremdes Leben (Art. 74): Eine Versicherung auf ein fremdes Leben kommt nur dann gültig zustande, wenn die versicherte Person dem Vertragsabschluss vorgängig schriftlich zustimmt. Leider gilt dieses Erfordernis nicht für die Festlegung oder Änderung der Begünstigung, obwohl diese doch ein wesentliches Element bei der Erteilung der Zustimmung zum Vertragsabschluss darstellt.76
Doppel- bzw. Mehrfachversicherung (Art. 46b und 46c): Nach Art. 46b Abs. 3 führt eine in betrügerischer Absicht abgeschlossene Mehrfachversicherung zur Leistungsfreiheit des Versicherers. Dies ist so weit unbestritten. Umgekehrt herrscht ebenfalls Einigkeit darüber, dass eine fahrlässig nicht angezeigte Mehrfachversicherung dem Versicherungsnehmer nicht schaden soll. Heikel ist der Fall dazwischen: Der Versicherungsnehmer entdeckt die Mehrfachversicherung, unterlässt aber die Anzeige an die Versicherer, weil ihm dies zu kompliziert ist oder er von seiner Verpflichtung, die Mehrfachversicherung anzuzeigen (Art. 46b Abs. 1) gar nichts weiss (z.B. Versicherung des Reisegepäcks bei Autofahrten sowohl durch die Hausrat- als auch die Kaskoversicherung). Nach einer wörtlichen Auslegung des Gesetzes wäre der Versicherer auch in diesem Fall leistungsfrei. Dies ist stossend, denn eine solche vollständige Leistungsbefreiung sollte nur bei betrügerischem Handeln möglich sein.77
Die Versicherer haften nicht solidarisch. Der Versicherungsnehmer muss jeden Versicherer auf die von ihm geschuldete Teilsumme verklagen.
Unschön ist schliesslich, dass der Versicherungsnehmer zwar verpflichtet ist, die volle Prämie für alle Verträge zu bezahlen, die Versicherer aber nur zu einer Teilleistung verpflichtet sind.78
5. Und dann noch dies
Die öffentliche Diskussion – vor allem während der Phase der parlamentarischen Beratung – wurde sehr intensiv geführt. Besonders in der Kritik standen der Schweizerische Versicherungsverband (SVV) und der Bundesrat. Der «Kassensturz» des Schweizer Fernsehens war einer der lautesten, aber auch meistgehörten Kritiker. Unmittelbar vor Beginn der parlamentarischen Beratungen produzierte dessen Redaktion eine Sendung mit dem Titel «Politiker prellen Konsumenten: Kniefall vor der Versicherungslobby».
Nachdem das Parlament dem Bundesrat und damit auch dem SVV in vielen Punkten nicht gefolgt war, zeigten sich die Versicherer als schlechte Verlierer. Sie beschwerten sich bei der Unabhängigen Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen (UBI) gegen die erwähnte Sendung. In einem im Wesentlichen politisch motivierten Entscheid gab die UBI dem Versicherungsverband recht.79 Die wenig überzeugende rechtliche Begründung des UBI-Entscheides veranlasste die Schweizerische Radio- und Fernsehgesellschaft, Beschwerde beim Bundesgericht einzulegen. Dieses stellte dann mit aller wünschbaren Deutlichkeit klar, dass der Beitrag das Sachgerechtigkeitsgebot nicht verletzte. Der Entscheid der UBI wurde aufgehoben und die Redaktion des Kassensturzes rehabilitiert.80
6. Fiasko abgewendet
Als der Bundesrat seinen Entwurf ans Parlament schickte, waren die Bedenken gross, dass die über zwanzigjährigen Bemühungen zur Modernisierung des Versicherungsvertragsgesetzes in einem Fiasko für die Versicherten enden. Dann allerdings kam mit der Beratung der Vorlage im Nationalrat die grosse Wende. In einer an Spannung fast nicht mehr zu überbietenden Debatte änderte die Mehrheit des Rates die Stossrichtung der Revision von Grund auf.
Wurde also, was lange währte, endlich gut? Nun, das neue Gesetz ist zwar nicht optimal (welches Gesetz ist das schon?), die Stellung der Versicherten hat sich aber deutlich und in wichtigen Punkten verbessert. In diesem Sinne kann die Frage also durchaus bejaht werden. Dies darf aber den Blick auf die verbliebenen Schutzlücken nicht trüben. Zwar ist nicht anzunehmen, dass in näherer Zukunft eine weitere grössere Revision ins Haus steht. Es wird aber immer wieder kleine Revisionsprojekte geben. Einige werden ausgelöst durch notwendige Anpassungen anderer Gesetze, andere durch parlamentarische Vorstösse. Denjenigen, welche die grosse Wende im Nationalrat herbeigeführt haben, geht mit andern Worten die Arbeit nicht aus.
1 Soweit nachfolgend Gesetzesbestimmungen ohne Nennung des Erlasses zitiert werden, ist immer das Versicherungsvertragsgesetz (VVG, SR 221.229.1) gemeint.
2 Das an der Tagung gehaltene Referat wurde in leicht geänderter Darstellung veröffentlicht: Peter Gauch, «Das Versicherungsvertragsgesetz: Alt und revisionsbedürftig!», in: Recht 1990, S. 65–78.
3 Zwar führte der Schweizerische Juristenverein bereits dreissig Jahre früher die gleiche Diskussion. Allerdings kamen die beiden Referenten zu unterschiedlichen Schlüssen. Während Koenig die Meinung vertrat, das Gesetz habe sich «zweifellos im Grossen und Ganzen bewährt», befand de Buren «il faut la reviser: l’entreprise est nécessaire, donc urgente aussi …». Willy Koenig, «Ist das Versicherungsvertragsgesetz revisionsbedürftig?», in: Referate und Mitteilungen des Schweizerischen Juristenvereins, Basel 1961, S. 129–249 (zitierte Aussage: S. 248); René de Buren, «La loi sur le contrat d’assurance doit-elle être révisée?», ebd., S. 251–380 (zitierte Stelle: S. 275). Der Schweizerische Juristenverein befasste sich bereits in den Jahren 1891 und 1899 mit dem Versicherungsvertragsrecht. Während allerdings die dort verabschiedeten Empfehlungen der Wissenschaft beim Bundesrat Gehör fanden und letztlich zum Erlass des VVG führten (vgl. Koenig, a.a.O., S. 131), blieb die erneute Befassung mit diesem Thema im Jahre 1962 folgenlos.
4 Botschaft: BBl 2003, S. 3789–3874, Entwurf: BBl 2003, S. 3910–3915, AS 2005, S. 5245–5251.
5 Botschaft: BBl 2011, S. 7705–7817, Entwurf: BBl 2011, S. 7819–7863, Parlamentarische Beratung:
AB-N 2012, S. 2104 ff.,
AB-N 2012, S. 2203 ff.,
AB-S 2013, S. 261 ff.
6 Der Beitrag der Versicherungswirtschaft bei der Ablehnung der Totalrevision lässt sich überdeutlich dem Votum der zuständigen Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf im Ständerat entnehmen (AB-S 2013, S. 261 ff.).
7 BBl 2016, S. 6362.
8 BBl 2017, S. 5089. Vgl. auch die ausführliche Besprechung der Vorlage in Have 2017, S. 428–470 (mit Beiträgen von Stephan Fuhrer, Hubert Stöckli, Cécile Thomi, Franziska Streich, Helmut Heiss, Stephan Weber, Frédéric Krauskopf, Andrea Eisner-Kiefer, Markus Schmid, Hardy Landolt, Matthias-Christoph Henn, David Mösch und Jürg Zihlmann. Der Tenor der Beiträge lässt sich mit dem Titel des Beitrags von Hubert Stöckli zusammenfassen: «Lieber keine Revision als diese».
9 Stephan Fuhrer, Präelektorale Pirouetten – Zur Beratung des Versicherungsvertragsgesetzes (VVG) im Nationalrat am 9.5.2019.
10 Stephan Fuhrer: Schweizerisches Privatversicherungsrecht, Zürich 2011 (fortan: Privatversicherungsrecht), N 2.104.
11 Die Freistellung der Transportversicherung vom zwingenden Charakter des Gesetzes führte hin und wieder zu Problemen bei den Reiseversicherungen (wichtigster Fall waren Klauseln, mit denen leichtfahrlässig verursachte Schäden [entgegen dem halbzwingenden Art. 14 Abs. 4] von der Deckung ausgeschlossen wurden).
Ursache der Probleme ist, dass die Reiseversicherungen zwar zu den Transportversicherungen gehören, sie aber in der Regel dennoch Konsumentenverträge darstellen. Um diese Probleme zu verhindern präzisiert das Gesetz in Art. 98a Abs. 4, dass Reiseversicherungen nicht zu den freigestellten Transportversicherungen gehören.
12 Diese allerdings nur, soweit es sich um die Versicherung von beruflichen oder gewerblichen Risiken handelt.
13 Bundesgesetz über die Finanzdienstleistungen (Finanzdienstleistungsgesetz, Fidleg) vom 15.6.2015, AS 2018, S. 5247, SR 954.1, teilweise ab 1.1.2019 in Kraft.
14 Professionelle Kunden sind nach Art. 4 Abs. 3 Fidleg: Finanzintermediäre nach BankG, Finanzinstitutsgesetz (Finig) oder KAG; Versicherungsunternehmen nach VAG; in gleicher Weise beaufsichtigte ausländische Kunden;
Zentralbanken; öffentlich-rechtliche Körperschaften mit professioneller Tresorerie; Vorsorgeeinrichtungen mit professioneller Tresorerie; Unternehmen mit professioneller Tresorerie; grosse Unternehmen (ein Unternehmen gilt als gross, wenn zwei der folgenden Schwellenwerte überschritten sind: 20 Mio. Franken Umsatz, 40 Mio. Franken Bilanzsumme, 2 Mio. Franken Eigenkapital); für Vermögende errichtete Anlagestrukturen mit professioneller Tresorerie.
15 Botschaft und Entwurf des Bundesrats zur Revision des VAG vom 21.10.2020, BBl 2020, S. 8967 (Art. 30a Abs. 2 E-VAG).
16 SR 952.0.
17 SR 951.31.
18 Vgl. dazu auch David Mösch, «Die Figur der professionellen Gegenpartei im Entwurf zum Versicherungsvertragsgesetz», in: Have 2017, S. 465–468, passim.
19 Richtlinie 2014/65/EU vom 15.5.2014 über Märkte für Finanzinstrumente sowie zur Änderung der Richtlinien 2002/92/EG und 2011/61/EU (Neufassung), ABl L 173, 12.6.2014, S. 349–496.
20 Botschaft zum Finanzdienstleistungsgesetz (Fidleg) und zum Finanzinstitutsgesetz (Finig) vom 4.11.2015, BBl 2015, S. 8901.
21 Bundesgesetz über die kollektiven Kapitalanlagen (Kollektivanlagengesetz) vom 23.06.2006, SR 951.31, AS 2006, S. 5379.
22 BBl 2015, S. 8949.
23 Verordnung über die Anlagefonds (Anlagefondsverordnung), SR 951.311, AS 1994, S. 2547.
24 Art. 10 Abs. 3 E-KAG, BBl 2005, S. 6507.
25 Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Nationalrates.
26 Art. 10 Abs. 3 lit. d KAG.
27 BBl 2015, S. 8949.
28 Interessant ist auch ein Blick ins Europäische Recht. In der Botschaft zum VVG verweist der Bundesrat auf die Mifid-II-Richtlinie, Art. 4 Abs. 1 Ziff. 10 definiert den professionellen Kunden als einen, der die Kriterien in Anhang II der Richtlinie erfüllt. Im zweiseitigen Katalog wird zunächst unterschieden zwischen Kunden, die als professionell angesehen werden, und solchen, die auf Antrag als solche behandelt werden können. Zur hier interessierenden ersten Gruppe zählen: Kreditinstitute, Wertpapierfirmen, andere beaufsichtigte Finanzinstitute, Versicherungsgesellschaften, Organismen für gemeinsame Anlagen und ihre Verwaltungsgesellschaften, Warenhändler und Warenderivate-Händler, örtliche Anleger, sonstige institutionelle Anleger sowie grosse Unternehmen (definiert mit den gleichen Schwellenwerten wie in Art. 98a E-VVG).
29 Vgl. dazu: Jürg Zihlmann, «Die Versicherung von Vorsorgeeinrichtungen nach dem Entwurf zum Versicherungsvertragsgesetz vom 28. Juni 2017», in: Have 2017, S. 468–470, passim.
30 Ausnahmen (für die weiterhin die Schriftform gilt): Bestätigung einer vorläufigen Deckung (Art. 9), Kündigung bei Gefahrsminderung (Art. 28a), Kündigungsverzicht nach schriftlicher Anzeige einer Gefahrserhöhung (Art.32 Ziff. 4), Handänderung, Kündigung durch den Versicherer (Art. 54), Abtretung einer Lebensversicherung und Anzeige an den Versicherer (Art. 73) und Zustimmung der versicherten Person zum Abschluss einer Versicherung auf ihr Leben (Art. 74).
31 Die Bestimmung hat folgenden Wortlaut: «Ist durch Gesetz Textform vorgeschrieben, so muss die Erklärung in einer Urkunde oder auf andere zur dauerhaften Wiedergabe in Schriftzeichen geeignete Weise abgegeben, die Person des Erklärenden genannt und der Abschluss der Erklärung durch Nachbildung der Namensunterschrift oder anders erkennbar gemacht werden.»
32 Die so definierte Textform findet sich bereits in zahlreichen Gesetzen: OR (SR 220): Art.40d Abs.1; ZPO (SR 272): Art.17 Abs.2, 358 Abs. 1; IPRG (SR 291): Art. 5 Abs. 1, 21 Abs.3, 149b Abs.1 und 178 Abs.1; Fidleg (SR 950.1): Art. 5 Abs.8, 19 Abs.1; 73 Abs. 1; KAG (951.31): Art. 10 Abs.3ter, Art. 74 Abs. 2; Finig (SR 954.1): Art. 39 Abs. 2.
33 Vgl. Otto Palandt/Jürgen Ellenberger, Bürgerliches Gesetzbuch, Kommentar, 79. Auflage, München 2020, § 126 b, N 3.
34 BGer 4A_563/2020 vom 14.7.2020; 4A_521/2015 vom 7.1.2016; 4A_332/2010 vom 22.2.21011; vgl. auch Peter Helfesrieder, Die Personenversicherung in ihrer Abgrenzung zur Schadenversicherung nach Schweizerischem Privatversicherungsrecht, Diss. Basel 1953; Gerhard Stoessel, Schadens- und Summenversicherung: Diskussion seit hundert Jahren, in: Martin Metzler/ Stephan Fuhrer (Hrsg.), Festschrift NVB/NGF, Basel 2000, S. 503–522.
35 Aufsichtsverordnung vom 9.11.2005, SR 961.011.
36 Botschaft vom 9.5.2003, BBl 2003, S. 3789 ff., S. 3855.
37 Zum Begriff: Hubert Stöckli, Das Synallagma im Vertragsrecht – Begründung, Abwicklung, Störungen, Zürich 2008, zugl. Habil. Freiburg 2006, N 279 ff.
38 Vgl. dazu: Fuhrer, Privatversicherungsrecht, a.a.O., N 6.4 ff.
39 BGer 4A_488/2007 vom 5.2.2008, 5C.51/2006 vom 17.7.2006; Jean-Michel Duc: «Réticence entre proposition et acceptation – Art. 4 LCA; Conclusion du contrat d’assurance», in: Have 2006, S. 349–351.
40 Trifft die Annahmeerklärung des Versicherers erst nach Ablauf der Bindungsfrist von zwei (bzw. vier, wenn ärztliche Untersuchungen notwendig sind) Wochen (Art.1 VVG) beim Versicherungsnehmer ein, so hat dies zur Folge, dass zu diesem Zeitpunkt der Antragsteller nicht mehr an seinen Antrag gebunden ist. Die Erklärung des Versicherers mutiert deshalb ihrerseits zu einem annahmebedürftigen Antrag. Da sich der Versicherungsnehmer dieses Umstandes nicht bewusst ist, unterlässt er diese Annahme. Im Regelfall bezahlt er kurz vor Inkrafttreten des vermeintlichen Vertrages die Prämie, deren widerspruchslose Annahme durch den Versicherer zum Abschluss des Vertrages führt. Während dieser ganzen Zeit gilt für den Versicherungsnehmer weiterhin die Nachmeldepflicht (vgl. Fuhrer, Privatversicherungsrecht, a.a.O., N 6.120).
41 Von den Gegnern wurde im Wesentlichen angeführt, dass eine Quantifizierung der Kausalität vor allem bei Personenschäden sehr heikel sei (z.B. wenn ein Versicherter beim Abschluss einer Lebensversicherung eine Vorerkrankung verschweigt und anschliessend an der Summe seiner Vorerkrankungen stirbt). Dies stellt in der Tat ein gewichtiges Problem dar. Auf der anderen Seite rechtfertigt ein Beweisproblem des Versicherers nicht eine pönalisierende Bestimmung zulasten des Versicherungsnehmers. Und pönalisierend war die bisherige Regelung, wonach der Versicherer auch bei blosser Teilkausalität von seiner Leistungspflicht vollständig befreit war. Zudem kann der Versicherer von der allgemeinen Beweiserleichterung bei unverschuldeten Beweisnotständen profitieren. Nach der Rechtsprechung gilt der strikte Beweis als Regelbeweismass. Da aber die Rechtsdurchsetzung nicht an zu hohen Anforderungen an das Beweismass scheitern darf, reduziert die Rechtsprechung das Beweismass des strikten Beweises auf jenes der überwiegenden Wahrscheinlichkeit (BGE 128 III 271, 275, E. 2b/aa). Von dieser Erleichterung können nach der Rechtsprechung grundsätzlich beide Parteien profitieren (BGer 4A_382/2014 vom 3.3.2015, E. 5.3; 4A_316/2013 vom 21.8.2013, E. 6.2), also vorliegend auch der Versicherer beim Beweis einer Kausalität zwischen Schaden und falsch angezeigter Gefahrstatsache.
42 Dazu unten Ziff. 4 Verbleibende Schutzlücken.
43 Zu den Problemen, welche die bisher verlangte Schriftform verursachte vgl. BGer 4A_285/2009 vom 22.10.2009.
44 Unbestrittenerweise muss der Versicherer die Möglichkeit haben, nach einer Gefahrserhöhung einen Vertrag zu kündigen, weil er die Gefahr als zu hoch einschätzt. Umgekehrt muss aber der Versicherungsnehmer bei einer Gefahrsminderung ebenfalls kündigen können, weil er nun die Gefahr als so tief ansieht, dass er das Risiko selbst tragen kann.
45 Dazu Stephan Fuhrer, Präelektorale Pirouetten – Zur Beratung des Versicherungsvertragsgesetzes (VVG) im Nationalrat am 9.5.2019.
46 Dies ist alles andere als selbstverständlich. In der Praxis wird sehr häufig die gesetzliche Regelung durch eine vertragliche verdrängt. Dies ist darauf zurückzuführen, dass die gesetzliche Regelung als ungenügend angesehen wird. Bemängelt wird z.B., dass der Versicherer nur die Auswahl zwischen einer Kündigung und einer Weiterführung des Vertrages zur alten Prämie hat (häufig würde er mit einer Prämienerhöhung den Vertrag weiterführen) oder die fehlende Reaktionsmöglichkeit des Versicherers bei angezeigten Gefahrserhöhungen ohne Zutun des Versicherungsnehmers. Der frühere Schweizerische Sachversicherungsverband machte deshalb einen Vorschlag für eine vertragliche Regelung des Rechts der Gefahrserhöhung, die bis heute mehr oder weniger präzis in den verschiedenen Bedingungswerken zu finden ist (vgl. BSK-Fuhrer, Vorbemerkungen zu Art.28–32 VVG, N 117 ff.). Die Expertenkommission hat deshalb vorgeschlagen, diese Lösung zu kodifizieren. Der Bundesrat übernahm dies in seiner Vernehmlassungsvorlage. Erstaunlich war, dass ausgerechnet der Schweizerische Versicherungsverband (SVV) – von dem ja die marktübliche Regelung stammt – sich in seiner Vernehmlassung dezidiert gegen jegliche Änderung des Rechts der Gefahrserhöhung stemmte (Vernehmlassungsantwort des Schweizerischen Versicherungsverbands vom 27.10.2016, Ziff. 2.5). Noch erstaunlicher ist die Begründung dieser Ablehnung: An erster Stelle machte der SVV sein Standardargument geltend, die Änderung sei im Katalog, den das Parlament mit der Rückweisung der Totalrevision verbunden hatte, nicht enthalten. Die vorgeschlagene Revision hätte zudem massive Anpassungen bei den AVB der Versicherer und möglicherweise höhere Schadenaufwendungen zur Folge. Beides ist nur schlecht nachvollziehbar, wenn man bedenkt, dass die vom Bundesrat vorgeschlagene Lösung der in der Praxis verwendeten vertraglichen Lösung nachgezeichnet war. Umstellungskosten entstünden vielmehr, wenn die Versicherer plötzlich in ihren Verträgen die bisherige Regelung (die ja jetzt weitergilt) umsetzen müssten. Ebenfalls unklar wäre, welche Auswirkungen auf die Schadenbelastung eine Änderung der Praxis hätte. Die ursprüngliche Vorlage des Bundesrats wollte beides vermeiden: Keine Anpassung der Materialien (durch Kodifikation der Vertragspraxis) und keine Unsicherheiten in Bezug auf das Ausmass der Schadenbelastung, da die Rechtslage unverändert geblieben wäre.
47 So sind z.B. sämtliche Haftpflichtversicherungen, für die das Claimsmade-Prinzip gilt, lupenreine Rückwärtsversicherungen. Das Bundesgericht hat diesen Umstand nie thematisiert, obwohl es schon zahlreiche Urteile im Zusammenhang mit Claims-made-Policen gefällt hat.
48 BGer 4A_219/2011 vom 16.12.2011.
49 Lebensversicherung: Art.35a Abs.3 i.V.m. Art.89. Zusatzversicherung zur sozialen Krankenversicherung: Art. 35a Abs.4.
50 Vgl. BGE 128 III 428.
51 Bekannt ist die jederzeitige Auflösung aus wichtigem Grund vor allem beim Arbeitsvertrag. Die reichhaltige Praxis zur fristlosen Kündigung gibt deshalb wertvolle Hinweise darauf, wann beim Versicherungsvertrag ein wichtiger Grund vorliegen kann.
52 BGE 135 III 225.
53 Der Entwurf des Bundesrates sagte zwar nicht explizit, dass solche Klauseln zulässig sind, er wollte aber die Versicherer verpflichten, in ihrer vorvertraglichen Information speziell darauf hinzuweisen, wenn sie sich ein solches Recht ausbedungen haben (Art. 3 Abs.1 lit. l E-VVG 2017). Wenn das Gesetz eine solche Informationspflicht vorschreibt, dann sagt es implizit, dass solche Klauseln zulässig sind.
54 Diskussionsvotum eines Versicherungsvertreters anlässlich einer Podiumsdiskussion zur VVG-Revision.
55 Nach Art.127 OR verjähren Ersatzansprüche aus Vertragsverletzungen erst nach zehn Jahren. Warum dies nicht gilt, wenn die Ersatzleistung von einem Versicherer vertraglich versprochen wurde, lässt sich kaum schlüssig begründen (Peter Gauch, «Das Versicherungsvertragsgesetz: Alt und revisionsbedürftig!», in: Recht 1990, S. 75).
56 Das von der Wettbewerbskommission erkannte Problem der Benachteiligung neuer Versicherungsunternehmen war effektiv nicht auf die Regelung der Handänderung, sondern auf den mit der Revision 2004 ebenfalls weitgehend beseitigten Grundsatz der Unteilbarkeit der Prämie zurückzuführen.
57 BG vom 19.12.2008, in Kraft seit 1.7.2009 (AS 2009, S. 2799, BBl 2008, S. 7693.
58 Die alten Art.49, 62, 63, 64 und 65.
59 Die alten Art. 52 und 58.
60 Die alten Art. 69 (neu: 51a), 53 (neu: 46b), 55 (neu: 46a), 67 (neu: 58), 61 (neu: 38a), 67 (neu: 58), 68 (neu: 38b), 69 (neu: 51a), 70 (neu: 38c) und 71 (neu: 46c).
61 Zur «Suva-Klausel» vgl. auch: Hubert Stöckli, «Kritik an einem ungewöhnlichen Deckungsausschluss, zugleich eine Aufforderung zur aufsichtsrechtlichen AVB-Kontrolle», in: Fuhrer (Hrsg.), Festschrift SGHVR, Zürich 2010, S. 591–600; Franziska Schmitt / Ignacio Moreno, «Der Regressausschluss der Betriebs- und Berufshaftpflichtversicherung», in: Have 2018, S. 12–19; Sylvia Läubli Ziegler, «Deckungsausschlüsse für Regressansprüche», in: Have 2004, S. 26–31.
62 Zur Kontroverse über das direkte Forderungsrecht: Pascal Grolimund, «Haftpflichtversicherung und direktes Forderungsrecht», in: Schnyder (Hrsg.), Gesamtrevision des Versicherungsvertragsgesetzes, Zürich 2012, S. 119–135; Stephan Fuhrer, «Das direkte Forderungsrecht in der Haftpflichtversicherung: hilfreich und notwendig», in: Have 2009, S. 152–157; Walter Fellmann, «Irrungen und Wirrungen des direkten Forderungsrechts», in: Fellmann/Weber (Hrsg.), Haftpflichtprozesstagung 2008, Zürich 2008, S. 83–111.
63 Dies wäre z.B. bei der Motorfahrzeug-Haftpflichtversicherung das zuständige Strassenverkehrsamt.
64 Die Botschaft äussert sich nicht zu dieser Frage (BBl 2017, S. 5128). Auch im Rahmen der parlamentarischen Debatte wurde sie nicht thematisiert.
65 Botschaft vom 28.6.2017, BBl 2017, S. 5089 ff., S. 5135.
66 Interessant ist ein Blick zurück: In BGE 137 III 352 thematisierte das Bundesgericht die Frage des integralen Regressrechts. Es ging damals um den Regress des Unfallversicherers auf einen Werkeigentümer. Eine ganze Seite lang listete das Gericht Autoren auf, die sich für ein integrales Regressrecht ausgesprochen hatten. Das Urteil liest sich wie die Ankündigung einer Praxisänderung. Am Schluss des Urteils folgte dann die überraschende Wende. Das Bundesgericht gewichtete die Rechtssicherheit angesichts einer Jahrzehnte andauernden konstanten Praxis höher und meinte, eine Änderung sei Sache des Gesetzgebers und nicht der Gerichte. Dies gelte umso mehr, als der Gesetzgeber das Problem erkannt habe und im Rahmen der bevorstehenden Totalrevision des VVG beheben wolle. Beim neuen Entscheid (BGE 144 III 209) war die Ausgangslage eigentlich genau gleich: Es gab immer noch eine jahrzehntealte konstante Praxis und eine VVG-Revision, mit der ein integrales Regressrecht eingeführt werden sollte, stand kurz vor der parlamentarischen Verabschiedung. Dass das Bundesgericht im zweiten Anlauf eine Praxisänderung beschloss, kann eigentlich nur so interpretiert werden, dass es nicht mehr daran glaubte, dass die VVG-Revision eines Tages zu einem erfolgreichen Abschluss komme.
67 Medienmitteilung des Bundesrats vom 11.11.2020.
68 BGer 4A_134/2013 vom 11.9.2013, E. 5; BGE 118 II 333, 33, E. 2b; ausführlich: BGE 109 II 60 [Pra. 1983 Nr. 121]; Fuhrer, Privatversicherungsrecht, a.a.O., N 6.141 ff.; Andrea Patricia Stäubli, Die Regelung über die vorvertragliche Anzeigepflicht des Versicherungsnehmers nach Art.4 ff. VVG und ihr Verhältnis zum allgemeinen Zivilrecht, Zürich/St.Gallen 2019, zugl. Diss. Zürich 2019, N 401 ff.
69 Vgl. auch Peter Gauch, «Das Kündigungsrecht des Versicherers bei verletzter Anzeigepflicht des Antragstellers – Ein Kurzkommentar zu den am 1. Januar 2006 in Kraft getretenen Änderungen der Art.6 und 8 VVG», in: ZBJV 2006, S. 361–374, 371.
70 Heute bleibt nichts anderes übrig, als den Versicherer aufzufordern, die Tarifierungs- und Zeichnungsrichtlinien offen zu legen und im Verweigerungsfall nach Art. 164 ZPO anzunehmen, dass sie «den von der klagenden Partei behaupteten Inhalt» aufweisen (BSK-Schmid, Art. 164 ZPO N 2; vgl. auch Adrian Staehelin/Daniel Staehelin/Pascal Grolimund: Zivilprozessrecht, 2. Aufl., Zürich 2013, § 18 N 82; Peter Higi, in: Brunner/Gasser/ Schwander (Hrsg.), Schweizerische Zivilprozessordnung, Kommentar, 2 Bände, 2. Aufl., Zürich/St.Gallen 2016, Art.164 N 4 f.). Diese Konsequenz aus der Mitwirkungsverweigerung des Versicherers, ist in der Literatur nicht unbestritten geblieben: So ist Hasenböhler der Meinung, eine solche Beweislastumkehr sei mit der freien Beweiswürdigung nicht vereinbar (Franz Hasenböhler, in: Sutter-Somm/ Hasenböhler/Leuenberger, Kommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung, 3. Aufl., Zürich 2016, Art. 164 ZPO N 5). Rüetschi vertritt einen Mittelweg, wonach nur unter bestimmten Umständen aus der Mitwirkungsverweigerung auf eine «Annahme des Bestehens (bzw. der Wahrheit) der zu beweisenden Tatsachen» geschlossen werden soll (Berner Kommentar, Bern 2012, David Rüetschi, Art.164 ZPO, N 4). Ähnlich äusserte sich auch das Bundesgericht in BGE 140 III 264.
71 Deutschland hat erst anlässlich seiner Totalrevision des dVVG (2007) diese Lösung übernommen (und die bisher geltende Regelung der Leistungsbefreiung abgeschafft). Vgl. Manfred Wandt, Versicherungsrecht, 6. Aufl., München 2016, N 930.
72 Der besagt, dass der Versicherer auch dann Anspruch auf eine volle Jahresprämie hat, wenn er ein Risiko nur während eines Teils der Periode trägt. Eine Regel, die Gauch als «historisches Fossil» qualifizierte (Peter Gauch, «Das Versicherungsvertragsgesetz: Alt und revisionsbedürftig!», in: Recht 1990, S. 75).
73 BBl 2017, S. 5123.
74 Vgl. Karl Spiro, Die Begrenzung privater Rechte durch Verjährungs-, Verwirkungs- und Fatalfristen, Bern 1975, § 281.
75 Z.B. die Pflicht des Versicherungsnehmers, Adressänderungen anzuzeigen. Wird diese «echte» Obliegenheit verletzt, so ordnet das Gesetz an, dass der Versicherer die ihm obliegenden Mitteilungen gültig an die letzte ihm bekannt gegebene Adresse richtet.
76 Dies zeigt folgendes einfaches Beispiel: Ein Familienvater will eine Versicherung auf das Leben seiner Ehefrau abschliessen. Begünstigt sollen die gemeinsamen Kinder werden. Die Ehefrau stimmt diesem Vertrag zu. Am nächsten Tag schreibt der Ehemann dem Versicherer, dass neu nicht mehr die Kinder, sondern seine Freundin begünstigt sein soll. Einem solchen Vertrag hätte die Ehefrau wohl kaum zugestimmt.
77 Vorgeschlagen wurde im Vorfeld der Revision, Art. 46b Abs.3 so umzuformulieren, dass die Qualifikation «betrügerisch» quasi vor die Klammer genommen wird. Statt: «Hat der Versicherungsnehmer diese Anzeige absichtlich unterlassen oder die Mehrfachversicherung in der Absicht abgeschlossen, sich einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen(…)», sollte es heissen: «Hat der Versicherungsnehmer, in der Absicht sich einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen, diese Anzeige unterlassen oder die Mehrfachversicherung abgeschlossen(…)».
78 Eigentlich müsste man noch einen vierten Punkt aufnehmen, der aller - dings nur die Versicherer betrifft und deshalb keine Schutzlücke darstellt. Es geht darum, wie die Leistungspflicht auf die beteiligten Versicherer aufzuteilen ist. Das Gesetz sagt, dass dies nach den Versicherungssummen zu erfolgen habe. Wie das Bundesgericht im Falle von zwei Sachversicherungen entschieden hat, darf aber dabei nicht auf die Versicherungssumme für alle versicherten Sachen, sondern nur auf diejenige Teil - summe abgestellt werden, die für die beschädigte Sache eingerechnet wurde (BGE 141 III 539). Im vom Bundesgericht beurteilten Fall lagen die vereinbarten Versicherungs - summen weit auseinander. Würden sie einer Aufteilung der Leistungen zugrunde gelegt, so müsste der Schaden so gut wie vollständig von demjenigen Versicherer über - nommen werden, der nicht nur eine einzelne Sache, sondern ein grosses Gesamtprojekt versichert. Dies widerspricht dem Grundgedanken von alt Art. 71 (= neu Art.46c). Das Bundesgericht wollte diese stossende Rechtsfolge durch die Ausscheidung von Teilversicherungssummen abwenden. Für diese Lösung spricht, dass damit dem, wie das Bundesgericht hervorhebt, klaren Wortlaut des Gesetzes entsprochen wird. Gegen diese Lösung spricht allerdings, dass bei ihrer Umsetzung Streitigkeiten über die Höhe der auszuscheidenden Teilversicherungs - summen so gut wie programmiert sind. De lege ferenda wäre deshalb zu empfehlen, die für Ver - mögensversicherungen postulierte Regelung allgemein auf alle Mehrfachversicherungen anzuwen - den. Demnach wäre der Schaden in dem Verhältnis aufzuteilen, in dem jeder Versicherer ohne das Vorliegen einer Mehrfach - versicherung leistungspflichtig gewesen wäre.
79 Urteil b.827 vom 31.01.2020, ab - rufbar unter www.ubi.admin.ch/de/entscheide (eingesehen: 6.1.2021).
80 BGer 2C_483/2020 vom 28.10.2020.