Der Luzerner Titularprofessor Jörg Schwarz hat kürzlich «Einige Gedanken zur Juristenausbildung» publiziert.1 Er spart nicht mit Kritik: Der nachuniversitären Ausbildung der angehenden Anwälte werde zu wenig Gewicht beigemessen, entsprechend hoch sei die Durchfallquote bei den Anwaltsprüfungen: «Die Misere ist nicht neueren Datums.» Anwaltspraktikanten sollten deshalb besser für ihren künftigen Beruf ausgebildet werden. Schwarz: «Die Ausbildung der künftigen Anwälte muss von der Anwaltschaft, den Universitäten und den Kantonen, die für die Anwaltsprüfungen zuständig sind, ernster genommen werden.» Nach Meinung von Schwarz stellt die Ecole d’avocature in Genf ein geeignetes Modell dar (siehe Unten).
plädoyer wollte von verschiedenen Professoren und Anwälten wissen: Treffen Schwarz’ Thesen zu? Besteht bei der Anwaltsausbildung tatsächlich Handlungsbedarf? Die Antworten lassen sich in drei Gruppen unterteilen:
“Die Universitäten müssen mehr tun”
Bernhard Waldmann, Professor an der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Uni Freiburg, sieht Handlungsbedarf bei den Universitäten selbst. Da die meisten Jusstudenten das Anwaltspatent erwerben wollten, komme den Rechtsfakultäten die Aufgabe zu, sie so gut wie möglich an das Praktikum heranzuführen. Waldmann: «Deshalb müssen die Verfahrensfächer, aber auch gewisse grundlegende materiellrechtliche Fächer unbedingt bereits im Masterprogramm angeboten und vertieft werden – und nicht erst anlässlich eines praktikumsbegleitenden Lehrangebots.»
Auch Manfred Dähler, Präsident des St. Galler Anwaltsverbandes, macht sich dafür stark, dass bereits an den Universitäten alle Fächer, die für den Anwaltsberuf relevant sind, wieder angeboten werden sollten und sie im Masterstudium vertieft werden können.
“Das nachuniversitäre Angebot verbessern”
Anders sieht es Bernhard Rütsche, Dekan der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Uni Luzern. Er hält fest: «Das rechtswissenschaftliche Studium, das zum Bachelor und Master führt, ist keine spezifisch auf den Anwaltsberuf ausgerichtete praxisbezogene Ausbildung und soll dies auch nicht sein.» Es besteht seines Erachtens vor allem ein Bedarf nach einem sinnvollen nachuniversitären Ausbildungsangebot. Rütsche rät, auch in der Deutschschweiz strukturierte Anwaltsausbildungen zu entwickeln, wobei dies sinnvollerweise in Zusammenarbeit zwischen Universität, Anwaltsverbänden und Kantonen geschehen müsste.
Auch Peter V. Kunz, Dekan der juristischen Fakultät der Universität Bern, hält eine nachuniversitäre Zusatzausbildung für eine gute Idee. Die Frage sei aber, wer diese bezahle. Kunz: «Wenn uns jemand solch ein nachuniversitäres Studium finanziert, sind wir gerne zu einem solchen Kurs bereit, wie ihn die Universität Genf anbietet.»
“Es besteht kein Handlungsbedarf”
Keinen Handlungsbedarf sieht Simon Bachmann, Geschäftsführer des Zürcher Anwaltsverbands: «Die Ausbildung mit dem Praktikum in einer Anwaltskanzlei oder auf dem Gericht hat sich bewährt.»
Ähnlich sieht es der Vorstand des Luzerner Anwaltsverbands. Das Luzerner Modell garantiere, dass jeder Praktikant seinen angehenden Beruf auch in seiner ureigenen Form erfahren habe.
Wenigstens neun Monate des mindestens einjährigen Anwaltspraktikums sind in Luzern nämlich auf einer Anwaltskanzlei zu absolvieren.
Danièle Wüthrich-Meyer, Präsidentin der Anwaltsprüfungskommission des Kantons Bern, hält fest: «Die rechtswissenschaftliche Fakultät der Uni Bern bietet seit Jahren Lehrveranstaltungen an, welche der Anwaltsausbildung dienen.» Daher würden in Bern keine Defizite in der Anwaltsausbildung bestehen.
Die Ecole d’avocature in Genf
Die Ecole d’avocature ist der Universität Genf angegliedert und besteht seit 2011. Die Schule soll vor dem Anwaltspraktikum absolviert werden und dauert ein Semester. Laut Direktorin Carole Lager wird die Schule durch das kantonale Erziehungsdepartement und durch die Schulgelder der Absolventen des Kurses finanziert.
Das Hauptgewicht der Ausbildung liegt im Zivil-, Straf- und Verwaltungsverfahren. Im Angebot sind aber auch praktische Kurse zu Themen wie Redaktion von Rechtsschriften und Verträgen oder mündliches Auftreten von Anwälten vor Gericht.
Referenten dieser Kurse sind Praktiker wie erfahrene Anwälte, Richter und Mitarbeiter der Verwaltung.
Zur Anwaltsprüfung ist im Kanton Genf nur zugelassen, wer die Ecole d’avocature erfolgreich abschliesst. Bestehen Absolventen sie vor dem Praktikum, reduziert sich die obligatorische Praktikumsdauer von 24 Monaten auf 18 Monate.
Ausbildungsangebote für angehende Anwälte
Basel
Universität: Die juristische Fakultät bietet in Zusammenarbeit mit der Advokatenkammer Basel Veranstaltungen für Anwälte an. Mehr Infos: ius.unibas.ch/weiterbildung/recht-aktuell/2017
Sonstige: Die beiden Basler Anwaltsverbände organisieren alle zwei bis drei Jahre einen Seminarkurs «Lehrgang Advokatur». Dieser ist in der Regel für Anwälte gedacht. Zu diesem Seminarkurs sind im Internet keine Informationen verfügbar. Interessierte müssen sich direkt bei der Geschäftsstelle der Anwaltsverbände melden.
Bern
Universität: Die rechtswissenschaftliche Fakultät bietet diverse Veranstaltungen für angehende Anwälte an, etwa ein Repetitorium für Strafrecht, praktische Übungen im Zivilprozessrecht, bernisches Staats- und Steuerrecht oder Anwaltsrecht. Mehr Infos sind im Vorlesungsverzeichnis der Uni Bern zu finden.
Sonstige: Der Berner Anwaltsverband führt Handwerkkurse für Anwälte durch. Interessierte wenden sich direkt an den Anwaltsverband.
Freiburg
Universität: Die rechtswissenschaftliche Fakultät bietet Veranstaltungen für Anwälte an. Mehr Infos: unifr.ch/ius/de/news/news_fakultat
Sonstige: Keine
Luzern
Universität: Die rechtswissenschaftliche Fakultät bietet eine sogenannte «Expressfortbildung» für Anwälte an. Mehr Infos: www.unilu.ch ! Weiterbildung ! Rechtswissenschaftliche Fakultät ! Weiterbildung Recht
Sonstige: Die Stiftung für Rechtsausbildung bietet Seminare für angehende Anwälte an. Mehr Informationen unter: Rechtsausbildung.ch/1_Pages/downloads.html Das Luzerner Kantonsgericht führt rund neun Kolloquien pro Jahr durch. Mehr Infos: gerichte.lu.ch/pruefungen/anwalt/kolloquien ! Veranstaltungen
St. Gallen
Universität: Das Institut für Rechtswissenschaft führt zusammen mit dem Anwaltsverband und dem Kantonsgericht die Veranstaltungsreihe zur Vorbereitung auf die Anwaltsprüfung. Mehr Infos: www.irp.unisg.ch/de/anwaltsausbildung
Sonstige: Siehe oben.
Zürich
Universität: Das Europainstitut bietet Seminare und Vorträge für Anwälte an. Mehr Infos: www.eiz.uzh.ch ! Weiterbildung
Sonstige: Der Zürcher Anwaltsverband bietet einen Handwerkkurs für Anwälte an. Mehr Infos: www.eiz.uzh.ch ! Weiterbildung ! Handwerkkurs