Per 1. Juli 2021 sind verschiedene straf- und rechtshilferechtliche Normen zur Terrorismusbekämpfung in Kraft getreten.1 So stellt der revidierte Art. 260sexies StGB das Anwerben, die Ausbildung und das Reisen für terroristische Zwecke sowie entsprechende Finanzierungshandlungen unter Strafe. Der obere Strafrahmen liegt bei fünf Jahren Freiheitsstrafe. Mit der Revision wurde zudem der Anwendungsbereich von Art. 260ter StGB ausgeweitet und ausdrücklich auch auf die Verfolgung terroristischer Organisationen zugeschnitten. Der obere Strafrahmen wurde auf zehn Jahre Freiheitsstrafe angehoben und der untere Strafrahmen für Personen, die bestimmenden Einfluss in der Organisation ausüben, auf drei Jahre Freiheitsstrafe festgelegt.
Die revidierten Bestimmungen manifestieren im Zusammenhang mit der Bekämpfung des Terrorismus erneut eine Vorverlagerung der Strafbarkeit ins Verdachtsstrafrecht. So wird nicht nur der terroristische Akt als solcher unter Strafe gestellt, sondern bereits eine grundsätzlich (und isoliert betrachtet) neutral zu wertende Handlung, die jedoch einen expliziten Bezug zu einem potenziellen künftigen terroristischen Akt aufweist und letzterem dienen oder einen solchen fördern würde.2 Es scheint, als nähmen das Stimmvolk und die Politik diese problematische Vorverlagerung der Strafbarkeit ohne Weiteres in Kauf.
Der vorliegende Beitrag gibt vorab einen Überblick über die aktuellen gesetzlichen Handlungsinstrumente der Behörden im Bereich der Terrorismusstrafgesetzgebung. In einem zweiten Teil werden die im Jahr 2021 ergangenen richterlichen Urteile im Zusammenhang mit den dargelegten Gesetzesbestimmungen behandelt und die Entwicklung der Praxis sowie die angesprochene Vorverlagerung der Strafbarkeit diskutiert. Aufgrund der kurzen Zeitspanne seit Inkrafttreten der Revision lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt noch keine Aussage zur diesbezüglichen Handhabung in der Praxis machen. In einem dritten Teil wird eine abschliessende Würdigung der aktuellen Gesetzeslage und Rechtsprechung vorgenommen.
1. Gesetzesbestimmungen
Ausgangspunkt für die aktuelle schweizerische Gesetzgebung im Bereich des Terrorismusstrafrechts ist das von der Eidgenossenschaft unterzeichnete Übereinkommen des Europarats zur Verhütung des Terrorismus vom 16. Mai 2005 3 sowie das dazugehörige Zusatzprotokoll vom 22. Oktober 2015.4 Die Pflicht der Vertragsstaaten zur Kriminalisierung der öffentlichen Aufforderung zu Terrorismus sowie der Rekrutierung und Ausbildung von Terroristinnen und Terroristen bilden die Kernpunkte des Übereinkommens. Das Zusatzprotokoll ergänzt einerseits den Inhalt des Übereinkommens und verpflichtet die Staaten andererseits, das Reisen für terroristische Zwecke sowie entsprechende Finanzierungs- und Unterstützungshandlungen unter Strafe zu stellen.
1.1 Schweizer Strafnormen
1.1.1 Kriminelle und terroristische Organisation
In den 1970er-Jahren wollte der Gesetzgeber mit der Schaffung und Einführung von Art. 260bis StGB auf die Unruhen in Europa, verursacht durch die Roten Brigaden, die Rote Armee Fraktion und die Palästina-Befreiungsfront, reagieren. Rund zehn Jahre später wurde Art. 260ter StGB über die «kriminelle Organisation» aufgenommen und per 1. August 1994 in Kraft gesetzt.5
Hintergrund war die Forderung nach einem Organisationstatbestand, da das Einzeltäterstrafrecht in Bezug auf die organisierte Kriminalität als nicht mehr ausreichend erachtet wurde.6 Angesetzt wurde die Strafbarkeit bereits bei den Vorbereitungshandlungen. So sollte zum Schutz der öffentlichen Sicherheit vor einer Gefährdung ein Verhalten unterdrückt werden, das einer konkreten Straftat, welche die Vorschrift letztlich verhindern will, vorgelagert ist. Damit sollten die Behörden auf den Nachweis der «Kausalkette» zwischen einer bestimmten Straftat und einer Organisation verzichten können, um Personen zu verurteilen, die in deren Auftrag eine bestimmte Tätigkeit ausüben.7
Zusammengefasst stellte somit Art. 260ter aStGB die Beteiligung an einer kriminellen Organisation und deren Unterstützung unter Strafe, wobei die Organisation eine geheime Struktur sowie einen geheimen Zweck haben und das Ziel verfolgen muss, kriminelle Gewalttaten zu begehen oder mit kriminellen Mitteln Einkünfte zu erzielen.
Mit der Revision des Art. 260ter StGB hat der Gesetzgeber diese Bestimmung nun an die geltende Praxis und die herrschende Lehre angepasst, welche die Anwendbarkeit des Straftatbestands auf terroristische Gruppierungen bejaht.8 Mit dieser Anpassung wird demnach keine neue Strafbarkeit eingeführt, sondern lediglich gesetzlich verankert. Für die Umschreibung des terroristischen Zwecks der Organisation wird sodann auf die Definition in Art. 260quinquies StGB (Finanzierung des Terrorismus) zurückgegriffen, welche im Einklang mit internationalen Definitionen steht. Die terroristische Organisation wird generell-abstrakt umschrieben, nämlich als «Organisation, die den Zweck verfolgt, Gewaltverbrechen zu begehen, mit denen die Bevölkerung eingeschüchtert oder ein Staat oder eine internationale Organisation zu einem Tun oder Unterlassen genötigt werden soll».9
Die wohl gewichtigste Neuerung im Zusammenhang mit der Revision ist die Änderung des Kriteriums der Unterstützung der verbrecherischen Tätigkeit. Im Gegensatz zu Art. 260ter Ziff. 1 Abs. 2 aStGB, in welchem noch von der Unterstützung der verbrecherischen Tätigkeit die Rede war, spricht der revidierte Art. 260ter Abs. 2 lit. b StGB bloss noch von der Unterstützung der Tätigkeit der Organisation. Das Adjektiv «verbrecherisch» als Umschreibung der Tätigkeit wurde damit gestrichen. Durch den Verzicht auf das Kriterium der verbrecherischen Tätigkeit wird die Strafbarkeit insofern noch weiter ausgedehnt.10
Mit der Revision verbunden ist die Anhebung des Strafrahmens, worauf an dieser Stelle nicht weiter eingegangen wird. Sodann erfuhr auch Abs. 1 von Art. 260ter StGB insofern eine Anpassung, als dass das Kriterium der Geheimhaltung gestrichen wurde. Die Umschreibung der Organisation, «die ihren Aufbau und ihre personelle Zusammensetzung geheim hält», fällt somit weg – dies vor dem Hintergrund, dass die Tauglichkeit des bislang verwendeten Kriteriums der Geheimhaltung in Bezug auf terroristische Organisationen nicht zielführend wäre, da letztere begriffsbedingt gerade darauf abzielen, die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf sich zu ziehen und sich zu exponieren.11 Diese Anpassung ist nach der hier vertretenen Auffassung grundsätzlich unproblematisch.
1.1.2 Verbot von Al-Qaïda und ähnlichen Gruppen
Im Jahr 2001, nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 in New York, erliess der Bundesrat gestützt auf Art. 184 Abs. 3 und Art. 185 Abs. 3 BV eine befristete Verordnung, die ein Organisationsverbot von Al-Qaïda und verwandter Organisationen zum Inhalt hatte. Die Verordnung wurde mehrmals verlängert und zuletzt durch eine befristete Verordnung der Bundesversammlung ersetzt.12 Im Januar 2015 wurde die Verordnung durch das Bundesgesetz über das Verbot der Gruppierungen «Al-Qaïda» und «Islamischer Staat» sowie verwandter Organisationen ersetzt, welches noch bis zum 31. Dezember 2022 gilt.13 Da nun die revidierten Gesetzesbestimmungen und insbesondere Art. 260sexies StGB die Strafbarkeit gemäss Al-Qaïda/IS-Gesetz abdecken sollen, wird letzteres aufgehoben, sobald der Bundesrat die dort anvisierten Gruppierungen und Organisationen für verboten erklärt haben wird.14
Das bereits in der Verordnung enthaltene Organisationsverbot wurde in den Art. 1 Al-Qaïda/IS-Gesetz überführt. Erfasst werden nebst Al-Qaïda und dem Islamischen Staat auch deren Tarn- und Nachfolgegruppierungen sowie solche, die in Führung, Zielsetzung und Mitteln mit diesen übereinstimmen oder von diesen beauftragt werden.
Art. 2 Al-Qaïda/IS-Gesetz stellt die Beteiligung im Sinn von Art. 260ter StGB unter Strafe.15 Ebenfalls werden personelle und materielle Unterstützungshandlungen sowie die Organisation von Propagandaaktionen kriminalisiert. Art. 2 Al-Qaïda/IS-Gesetz unterscheidet sich von Art. 260ter StGB aufgrund des engeren Kreises der inkriminierten Organisationen, wohingegen die Tathandlungen weiter gefasst werden, da bereits die Förderung der Aktivitäten der Organisation ausreicht.16 Demnach fällt jede Unterstützungshandlung gemäss Art. 260ter StGB grundsätzlich auch unter Art. 2 Abs. 1 Al-Qaïda/ IS-Gesetz.17
2. Einschlägige Urteile
Vor rund einem Jahr haben die beiden Juristen Ahmed Ajil und Kastriot Lubishtani die Strafverfahren vor Bundesstrafgericht im Zusammenhang mit dem dschihadistischen Terrorismus zusammengetragen und analysiert.18 Ziel der Analyse war es, die Tatsachen, welche zur Strafverfolgung geführt haben, und deren Folgen zu ermitteln. Nachfolgend finden einige der dieser Analyse zugrunde liegenden Urteile mit Bezug auf ausgewählte Aspekte Erwähnung. Indessen werden aber auch (vornehmlich rechtskräftige) Urteile, welche im Jahr 2021 gefällt wurden, in die Betrachtung miteinbezogen. Dabei konzentriert sich der vorliegende Beitrag auf den Ausgang von Strafverfahren vor dem Bundesstrafgericht. Strafverfahren, welche mittels Strafbefehls oder Einstellung durch die Bundesanwaltschaft abgeschlossen wurden oder welche die Jugendgerichtsbarkeit betreffen, werden nicht behandelt.19
2.1 Total 27 Personen seit 2004 verurteilt
Seit der Gründung des Bundesstrafgerichts im Jahr 2004 wurden bis Ende Jahr 2020 gemäss der Auswertung von Ahmed Ajil und Kastriot Lubishtani 29 Personen im Zusammenhang mit jihadistischem Terrorismus angeklagt. Von den 29 Fällen wurden 8 Personen in allen Anklagepunkten freigesprochen. 21 Personen wurden verurteilt. 15 dieser Verurteilungen im Zusammenhang mit einem der Terrorismusstraftatbestände sind mittlerweile rechtskräftig.20 Im Jahr 2021 beurteilte das Bundesstrafgericht bzw. dessen Berufungskammer sodann 4 weitere Fälle gegen insgesamt 6 Personen, wobei es sämtliche Personen verurteilte, aufgrund der Ergreifung eines Rechtsmittels liegen jedoch teilweise noch keine rechtskräftigen Urteile vor.
2.2 Urteile im Jahr 2021
Im Urteil vom 8. März 202121 erachtete die Berufungskammer des Bundesstrafgerichts als erwiesen, dass der Beschuldigte im Zeitraum zwischen Anfang 2015 und Dezember 2016 drei Dateien, welche drei zusammengehörige Predigten des «Al-Shabaab»-Führungsmanns Aadan Xaashi Ceyrow enthalten, von seiner USB-Festplatte auf den Computer einer anderen Person übertrug und damit verbreitete. Bei Al-Shabaab handelt es sich gemäss Berufungskammer um eine salafistisch geprägte Terrororganisation militärischen Zuschnitts in Somalia, die 2012 der Al-Qaïda die Treue geschworen habe und seitdem als regionaler Al-Qaïda-Ableger gelte. Durch das Übertragen förderte der Beschuldigte den IS und verwandte Organisationen in deren verbrecherischen Machenschaften. Im Ergebnis wurde der Angeklagte des Verstosses gegen Art. 2 Abs. 1 des Al-Qaïda/IS-Gesetzes schuldig gesprochen.
In einem weiteren Urteil vom 9. Juli 202122 hat die Berufungskammer des Bundesstrafgerichts zur Hauptsache festgehalten, dass der Beschuldigte spätestens ab Mitte 2016 ein von der Schweiz aus operierendes Mitglied der verbotenen terroristischen Organisation Islamischer Staat war und als solches im Zeitraum von 2016 bis zu seiner Verhaftung im Mai 2017 zahlreiche Aktivitäten zugunsten des IS entfaltet hatte. Der Beschuldigte wurde wegen Verstosses gegen Art. 2 Abs. 1 des Al-Qaïda/IS-Gesetzes schuldig gesprochen. Weitere Schuldsprüche betrafen das Lagern von Gewaltdarstellungen (Art. 135 Abs. 1 StGB) und das mehrfache Fahren eines Personenwagens ohne Berechtigung (Art. 95 Abs. 1 lit. b SVG).
Mit Urteil vom 20. Juli 202123 erachtete das Bundesstrafgericht als erstellt, dass die beiden Beschuldigten A. und B. die Absicht hegten, sich dem Islamischen Staat anzuschliessen, nachdem sie sich dessen Ideologie angeeignet hatten. Das Bundesstrafgericht sprach A. und B. wegen Verstosses gegen das Al-Qaïda/IS-Gesetz schuldig. Das Urteil wurde nicht angefochten.
Mit Urteil vom 16. Dezember 2021 sprach die Berufungskammer des Bundesstrafgerichts zwei Personen der Widerhandlung gegen Art. 2 Abs. 1 des Al-Qaïda/IS-Gesetzes schuldig.24 Durch die Veröffentlichung und aktive Bewerbung von Bildmaterial habe ein Anführer des syrischen Ablegers der Al-Qaïda eine Plattform erhalten, um seine Person und die Ideologie der von ihm vertretenen Al-Qaïda vorteilhaft darzustellen und zu propagieren.
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass sich im Jahr 2021 sämtliche Verurteilungen des Bundesstrafgerichts bzw. der Berufungskammer des Bundesstrafgerichts auf Art. 2 Abs. 1 des Al-Qaïda/IS-Gesetzes stützten. Art. 260ter StGB gelangte nicht zur Anwendung. Hingegen erfolgte im einen Urteil auch ein Schuldspruch wegen Art. 135 StGB (Gewaltdarstellungen).25 Bereits Ajil und Lubishtani stellten fest, dass Art. 135 StGB auffallend häufig neben Art. 260ter StGB und Art. 2 des Al-Qaïda/IS-Gesetzes (Gewaltdarstellungen) Anwendung findet.26
2.3 Ausgewählte Aspekte
2.3.1 “Beteiligung”
Im Zusammenhang mit der sogenannten Beteiligung im Sinn von Art. 260ter Abs. 1 lit. a StGB stellt sich die Frage, ob als Teilnehmer nur gelten kann, wer Mitglied des «harten Kerns» der kriminellen Organisation ist. Dies ist mit Blick auf die Rechtsprechung zu verneinen. Die Beteiligung beschränkt sich gerade nicht auf die Kerngruppe, sondern umfasst jede Person, die zum «erweiterten Kreis» der kriminellen Organisation gehört und bereit ist, als faktischer Befehlsempfänger langfristig tätig zu werden, unabhängig von ihrer Stellung in der Hierarchie.27
Die Unterscheidung zwischen den Mitgliedern, die als Teil der «Kerngruppe» an der Organisation teilnehmen, wird jedoch in Zukunft eine entscheidendere Rolle spielen, sofern das Kernmitglied im Sinn der revidierten Gesetzesbestimmung «einen entscheidenden Einfluss innerhalb der Organisation» ausübt, wofür der Gesetzgeber neu eine Mindestfreiheitsstrafe von drei Jahren vorsieht (Art 260ter Abs. 3 StGB).
2.3.2 “Unterstützung”
Eine Unterstützung gemäss Art. 260ter Abs. 1 lit. b StGB umfasst grundsätzlich jedes Verhalten einer Person, die zwar nicht fest in die Strukturen der Vereinigung integriert ist, aber deren Handlungen die kriminelle Organisation tatsächlich unterstützt, ohne dass ein Kausalzusammenhang zwischen der Unterstützungshandlung und der kriminellen Handlung der Vereinigung nachgewiesen werden muss.28 Der Unterstützungsbeitrag muss daher direkt der kriminellen Organisation selbst zukommen; eine Unterstützung eines Mitglieds der Vereinigung genügt nicht.29
Von einer Unterstützung gingen die Gerichte bis 2019 nicht nur in Fällen aus, welche die Rekrutierungsaktivitäten betrafen,30 sondern vor allem auch in Verfahren im Zusammenhang mit Internetpropaganda.31 Das Bundesstrafgericht wendete stets den strafrechtlichen Propagandabegriff an, wonach es sich bei der inkriminierten Handlung um eine öffentliche handeln müsse, welche auf die Beeinflussung einer Vielzahl von Personen abziele. In der Folge änderte das Bundesstrafgericht seine Praxis. Mit Urteil vom 11. September 2020 liess es genügen, dass eine Person drei Fotos mit angeblichem IS-verherrlichendem Inhalt an eine einzelne Person – und gerade nicht an eine Gruppe – gesendet hatte.32 Diese Auffassung vertrat auch die Berufungskammer des Bundesstrafgerichts, als sie eine Person schuldig sprach, welche drei Dateien von ihrer USB-Festplatte auf den Computer einer einzigen weiteren Person übertrug.33
In Berücksichtigung der erwähnten Urteile ist festzuhalten, dass Propagandahandlungen als Unterstützung gemäss Art. 260ter Abs. 1 lit. b StGB qualifiziert werden können, sofern sie gleichsam zum Zweck haben, das kriminelle Potenzial der Organisation zu stärken, wohingegen eine blosse Propagandaaktion lediglich von Art. 2 des Al-Qaïda/IS-Gesetzes erfasst wird.34 Somit erweist sich Art. 260ter Abs. 1 lit. b StGB in seiner Anwendung restriktiver als Art. 2 des Al-Qaïda/IS Gesetzes.
2.3.3 Propagandaaktionen
Als potenzielle Tathandlungen von Propagandaaktionen im Sinn von Art. 2 Abs. 1 des Al-Qaïda/IS Gesetzes gelten gemäss der dargelegten Rechtsprechung Handlungen, die darauf abzielen, den Empfänger einer Mitteilung (unabhängig vom Medium) auf ideologischer Ebene zu beeinflussen, mit dem Ziel, die Meinung Dritter zu gewinnen oder ihre Überzeugungen zu stärken.
Im Zusammenhang mit Art. 2 Abs. 1 des Al-Qaïda/IS-Gesetzes geht es jedoch lediglich um die damit verbundene Förderung der explizit verbotenen Organisationen Al-Qaïda und Islamischer Staat und deren Tarn- und Nachfolgegruppierungen sowie solcher, die in Führung, Zielsetzung und Mitteln mit diesen Organisationen übereinstimmen oder von diesen beauftragt wurden. Andere terroristische Organisationen werden nicht erfasst.
Art. 2 Abs. 1 des Al-Qaïda/IS-Gesetzes umfasst somit – wie auch Art. 260ter Abs. 1 lit. b StGB – Veröffentlichungen in sozialen Netzwerken und anderen Internetseiten, die aus Bildern oder Videos von Greueltaten bestehen. Gemäss Rechtsprechung genügt beispielsweise bereits die Veröffentlichung eines Bildes, das die medizinische Infrastruktur des Islamischen Staates zeigt und mit einer Bildunterschrift versehen ist, wonach es dem Islamischen Staat nicht an medizinischen Einrichtungen mangele.35
Ebenfalls von Art. 2 Abs. 1 des Al-Qaïda/IS-Gesetzes sollen die Produktion und Verbreitung eines gefilmten Interviews mit einem bekannten syrischen Rebellen erfasst sein, dessen Organisation eng mit Al-Qaïda verbunden sein soll, wie auch die Organisation einer Pressekonferenz zur Präsentation dieses Interviews und die Teilnahme als Redner an dieser Konferenz.36
Die Übertragung von drei Predigten von Anführern der dem Islamischen Staat nahestehenden Al-Shabaab-Miliz, die zum bewaffneten Dschihad gegen alle Ungläubigen aufriefen, stellt ebenfalls eine Propagandahandlung dar.37 Schliesslich gilt auch das Halten von persönlichen oder elektronischen Vorträgen, die darauf abzielen, Menschen von der Ideologie des Islamischen Staates zu überzeugen, als Propaganda.38
Die Rechtsprechung geht in diesem Zusammenhang so weit, dass eine Person, die Propaganda betreibt, ohne mit dem Islamischen Staat zu sympathisieren und ohne dieser Organisation nahezustehen, das Risiko in Kauf nimmt, das Potenzial der Organisation zu stärken, womit sich diese Person strafbar macht.39
2.3.4 “Förderung in anderer Weise”, “Unterstützung”
Als Förderung im Sinn von Art. 2 Abs. 1 des Al-Qaïda/IS-Gesetzes qualifizierte das Bundesstrafgericht die Propagandawirkung, die ein Dschihad-Reisender bei den zurückgebliebenen potenziellen Nachahmern bewusst herbeigeführt hatte, indem er mit dem Ziel, sich dem IS anzuschliessen, nach Syrien aufbrach.40 Es führte mitunter aus, es sei «einerlei», ob das inkriminierte Verhalten unter die Tathandlung der «Unterstützung» oder die Generalklausel der «Förderung auf andere Weise» gefasst werde. Das Bundesgericht hielt im Ergebnis dann aber fest, dass die Planung oder der Versuch einer dschihadistisch motivierten Ausreise aus der Schweiz mit dem Zweck, sich dem IS anzuschliessen oder diesen zu unterstützen, als Förderung einer terroristischen Organisation gemäss Art. 2 Al-Qaida/IS-Gesetz zu betrachten sei.41
In einem späteren Urteil erwog das Bundesstrafgericht, dass eine Person, die Dritten ihre beabsichtigte Reise nach Syrien nicht bekannt gibt und eine solche geheim hält, keine Propagandazwecke verfolge oder in Kauf nehme. Entsprechend liege gerade keine Förderung einer terroristischen Organisation gemäss Art. 2 Al-Qaida/IS-Gesetz vor.42 Das Bundesstrafgericht sprach die Beschuldigte hingegen der versuchten personellen Unterstützung gemäss Abs. 2 des Al-Qaïda/IS-Gesetzes schuldig.
Die beiden genannten Urteile verdeutlichen, dass die Rechtsprechung die Abgrenzung der «personellen Unterstützung» und der «Förderung der Aktivitäten in anderer Weise» im Zusammenhang mit dschihadistisch motivierten Reisen über das Kriterium der Öffentlichkeitswirkung vornimmt.
Die Urteilsbegründung des jüngsten Bundesstrafgerichtsurteils43 liegt noch nicht vor. In diesem Zusammenhang würde jedoch interessieren, ob gemäss Rechtsprechung bereits von einer Öffentlichkeitswirkung oder einer Propagandawirkung gesprochen werden kann, wenn zwei Personen involviert sind, die sich gegenseitig zur Reise motiviert haben. Immerhin läge genau gesehen nicht mehr nur eine Propagandawirkung vor, sondern allenfalls eine konkrete Bestärkung des Handlungsentschlusses des jeweils anderen.
Es bleibt abschliessend auf den neuen Art. 260sexies StGB hinzuweisen, der die Ausreise strafrechtlich explizit erfasst und das Al-Qaïda/IS-Gesetz ablösen wird. Folglich dürften künftige Urteile im Zusammenhang mit dschihadistischen Reisen in Anwendung von Art. 260sexies StGB erfolgen, weshalb die dargelegte Abgrenzung im Rahmen des Al-Qaïda/IS-Gesetzes nur noch eine zeitlich beschränkte Bedeutung haben wird.
3. Tendenz zum Gesinnungsstrafrecht
Die Analyse der Rechtsprechung zu den Terrorismusstrafnomen, aber auch die jüngsten Gesetzesrevisionen bestätigen die Berechtigung der von der Lehre geäusserten Kritik, wonach eine Vorverlagerung der Strafbarkeit ins Verdachtsstrafrecht stattfindet. Namentlich die extensive Erfassung von Handlungen und deren Subsumtion unter die Generalklausel des Al-Qaïda/IS-Gesetzes erweist sich mit Blick auf das strafrechtliche Bestimmtheitsgebot als höchst problematisch und steht in einem Spannungsverhältnis zum Grundsatz «nulla poena sine lege certa» (Art. 1 StGB).
Die Rechtsprechung, insbesondere in Bezug auf Propaganda handlungen, welche sowohl von Art. 260ter StGB als auch Art. 2 des Al-Qaïda/IS-Gesetzes erfasst werden, ist bedenklich. Durch die weite Interpretation und die Aufweichung des strafrechtlichen Propagandabegriffs laufen auch blosse Bewunderer oder Sympathisanten Gefahr, sich strafrechtlich verantworten zu müssen. Der Gesetzgeber hat bei der Schaffung von Art. 260ter StGB jedoch den Anwendungsbereich der Variante «Unterstützung» so definiert, dass etwa der Sympathisant, der durch Sprayen von Parolen für die Ziele der Organisation wirbt, nicht erfasst werden solle.44 Im Rahmen der jüngsten Revisionen und im Zusammenhang mit der Ausweitung der Unterstützungsvariante ist der Botschaft des Bundesrates zu entnehmen, dass «es aus guten Gründen nie dem Willen des Gesetzgebers entsprochen hat, die blosse Bekundung einer Sympathie oder einer – regelmässig schwer zu beweisenden – mentalen Verbundenheit mit einer Organisation bereits als Beteiligung im Sinn des Strafrechts genügen zu lassen».45 Die Rechtsprechung tendiert hingegen zunehmend in Richtung Gesinnungsstrafrecht.
Im digitalen Zeitalter und vor dem Hintergrund, dass die Anwerbung durch terroristische Organisationen vornehmlich über das Internet läuft, verwischen sich die Grenzen zwischen straffreier Sympathiebekundung und illegaler Unterstützung oder Förderung. Durch den Wegfall des Kriteriums «verbrecherisch» als Umschreibung der Tathandlung in Art. 260ter StGB muss nicht einmal mehr ein hinreichender Konnex zur Tätigkeit der Organisation bestehen.
Bereits ein «Like» zu einer Veröffentlichung eines anderen Nutzers auf Facebook oder das «Teilen» eines solchen Beitrags ist geeignet, den ursprünglichen Empfängerkreis zu erweitern. Aufgrund der Abkehr der Rechtsprechung vom strafrechtlichen Propagandabegriff erweist sich solches Verhalten nun als strafbar. Die Rechtsprechung wird aufgrund der zunehmenden und länderübergreifenden Digitalisierung nicht umhin kommen, den Propagandabegriff wieder enger auszulegen. Ansonsten läuft sie Gefahr, dass sie unzählige Menschen zu Unrecht kriminalisiert.
1 Botschaft vom 14.9.2018 zur Genehmigung und zur Umsetzung des Übereikommens des Europarats zur Verhütung des Terrorismus mit dem dazugehörigen Zusatzprotokoll sowie zur Verstärkung des strafrechtlichen Instrumentariums gegen Terrorismus und organisierte Kriminalität, BBl 2018, S. 6427 ff., (fortan: Botschaft Terrorismus). Vgl. Medienmitteilung des Bundesrats vom 31.3.2021, www.sbfi.admin.ch/sbfi/de/home/aktuell/medienmitteilungen.msg-id-82906.html (besucht am 30.10.2021).
2 Vgl. BBl 2018, S. 6435.
3 SR 0.311.61.
4 SR 0.311.611.
5 AS 1994 1614.
6 Vgl. Botschaft vom 30.6.1993 über die Änderung des Schweizerischen Strafgesetzbuches und des Militärstrafgesetzes, BBl 1993 III S. 277, 295; Marcel Alexander Niggli, Hans Wiprächtiger (Hrsg.), Basler Kommentar zum Strafgesetzbuch, Marc Engler, Art. 260ter N 2.
7 Vgl. zum Ganzen Engler, a.a.O., Art. 260ter N 13.
8 Engler, a.a.O., Art. 260ter N 7; BGE 131 II 235; 128 II 355, E. 4.4: «Art. 260ter StGB ist grundsätzlich auch auf terroristische Vereinigungen anwendbar»; BGE 130 II 337, E. 3.4: «Unter den Begriff der kriminellen Organisation fallen neben den mafiaähnlichen Verbrechersyndikaten auch hochgefährliche terroristische Gruppierungen.»
9 Art. 260ter Abs. 2 StGB.
10 Vgl. dazu Daniel Jositsch / George Poulikakos, «Lückenfüllung um jeden Preis?», in: Jusletter vom 28.10.2019, S. 10.
11 Vgl. Mara Todeschini, «Terrorismusbekämpfung im Strafrecht, «Eine Erörterung des Art. 260ter StGB und des Al-Qaïda/IS-Gesetzes sowie zur Diskussion stehender Gesetzesanpassungen», in: Thomas Sutter-Somm (Hrsg.), Impulse zur praxisorientierten Rechtswissenschaft, Band 45, Zürich/Basel/Genf 2019, N 100.
12 Botschaft vom 22.11.2017 zur Verlängerung des Bundesgesetzes über das Verbot der Gruppierungen Al-Qaïda und Islamischer Staat sowie verwandter Organisationen, BBl 2017, S. 87 ff.
13 Vgl. Art. 4 Abs. 3 Al-Qaïda/IS-Gesetz.
14 Vgl. Anhang Ziff. I zum Bundesbeschluss vom 25.9.2020, BBl 2020 S. 7893.
15 Nicolas Leu / Denis Parvex, «Das Verbot der Al-Qaïda und des Islamischen Staats», in: AJP 2016, S. 760.
16 Vgl. zur diesbezüglichen Problematik: Mara Todeschini, N 78.
17 Letzteres gilt als lex specialis zu Art. 260ter StGB, vgl. dazu Urteil BStGer SK.2016.9, E. 1.15.; Umberto Pajarola / Moritz Oehen / Marc Thommen: Kommentierung zu Art. 260ter StGB, in: Jürg-Beat Ackermann (Hrsg.), Kommentar Kriminelles Vermögen – Kriminelle Organisation: Einziehung, Kriminelle Organisation, Finanzierung des Terrorismus, Geldwäscherei, Bd. II, Zürich/Basel/ Genf 2018, § 9.
18 Ahmed Ajil / Kastriot Lubishtani, «Le terrorisme djihadiste devant le Tribunal pénal fédéral», in: Jusletter vom 31.5.2021.
19 Tätigkeitsbericht der Bundesanwaltschaft für das Jahr 2020, S. 36, abrufbar unter: www.bundesanwaltschaft.ch/mpc/de/home/taetigkeitsberichte/taetigkeitsberichte-der-ba.html (besucht am 13.11.2021). Der Tätigkeitsbericht der Bundesanwaltschaft für das Jahr 2020 führt 26 hängige Strafuntersuchungen in der Rubrik Terrorismus auf. Ein Vergleich mit den Strafurteilen des Bundesstrafgerichts lässt vermuten, dass nur ein Bruchteil der im Zusammenhang mit Terrorismus untersuchten Delikte vor dem Bundesstrafgericht angeklagt wird.
20 Vgl. Ajil / Lubishtani, a.a.O., S. 9.
21 Urteil der Berufungskammer des Bundesstrafgerichts CA.2020.15 vom 8.3.2021.
22 Urteil der Berufungskammer des Bundesstrafgerichts CA.2020.18 vom 9.7.2021.
23 Urteil des Bundesstrafgerichts SK.2020.32 vom 20.7.2021; vgl. Medienmitteilung Bundesstrafgericht vom 23.7.2021, www.bstger.ch/de/media/comunicati-stampa/2021/2021-07-23/1183.html (besucht am 10.11.2021).
24 Urteil der Berufungskammer des Bundesstrafgerichts CA.2020.22 vom 16.12.2021.
25 Vgl. Ajil / Lubishtani, a.a.O., S. 34; Urteil des Bundesstrafgerichts SK.2019.23 vom 15.7.2019; SK.2019.38 vom 26.6.2020; SK.2019.69 vom 21.11.2019; SK.2019.63 vom 12.12.2019; SK.2007.4 vom 21.6.2007; SK.2020.11 vom 8.10.2020; SK.2013.39 vom 2.5.2014; SK.2016.9 vom 15.7.2016; SK.2019.49 vom 3.9.2020.
26 Urteil des Bundesgerichts 6B_1104/2016 vom 7.3.2017, E. 2.3, und 6B_1132/2016 vom 7.3.2017, E. 6.2.
27 Urteil des Bundesstrafgerichts SK.2015.45 vom 18.3.2016.
28 Urteil des Bundesstrafgerichts SK.2007.4 vom 21.6.2017, E. 4.2.2.
29 Urteile des Bundesstrafgerichts SK.2019.71 vom 11.9.2020 und SK.2020.11 vom 8.10.2020.
30 Vgl. Urteil des Bundesstrafgerichts SK.2007.4 vom 21.6.2017, E. 4.2.6, Urteil des Bundesstrafgerichts SK.2018.52 vom 12.10.2018 sowie Urteil des Bundesstrafgerichts SK.2015.45 vom 18.3.2016.
31 Urteil des Bundesstrafgerichts SK.2019.71 vom 11.9.2020.
32 Urteil der Berufungskammer des Bundesstrafgerichts CA.2020.15 vom 8.3.2021.
33 Urteil des Bundesstrafgerichts SK.2013.39 vom 2.5.2014, E. 1.3.7.
34 Urteil des Bundesstrafgerichts SK.2019.38 vom 26.6.2020, E. 5.3.2.
35 Urteil der Berufungskammer des Bundesstrafgerichts SK.2020.22 vom 16.12.2021.
36 Urteil der Berufungskammer CA.2020.15 vom 8.3.2021.
37 Urteil des Bundesstrafgerichts SK.2017.39 vom 18.8.2017.
38 Urteil des Bundesstrafgerichts SK 2019.49 vom 3.9.2020, E. 16.10.
39 Urteil des Bundesgerichts 6B_948/2016 vom 22.2.2017 E. 4.2.2.
40 Urteil des Bundesgerichts 6B_948/2016 vom 22.2.2017; vgl. Eicker Andreas, «Das Antreten eines Fluges nach Istanbul als strafbare Unterstützung oder Förderung des Islamischen Staats»? Besprechung von BGer 6B_948/2016 vom 22.2.2017, in: Forumpoenale 5/2017, S. 351 ff.
41 Urteil des Bundesstrafgerichts SK 2017.43 vom 15.12.2017, E. 2.3.3.
42 Urteil des Bundesstrafgerichts SK 2020.23 vom 20.7.2021.
43 Botschaft vom 30.6.1993 über die Änderung des Schweizerischen Strafgesetzbuches und des Militärstrafgesetzes (Revision des Einziehungsrechts, Strafbarkeit der kriminellen Organisation, Melderecht des Financiers), BBl 1993 III, S. 302.
44 Botschaft vom 14.9.2018 zur Genehmigung und zur Umsetzung des Übereinkommens des Europarats zur Verhütung des Terrorismus mit dem dazugehörigen Zusatzprotokoll sowie zur Verstärkung des strafrechtlichen Instrumentariums gegen Terrorismus und organisierte Kriminalität, BBl 2018, S. 6427, 6476.