Eines der Ziele der Bologna-Reform ist die Förderung der Mobilität durch die Beseitigung von Hindernissen bei Studien an verschiedenen Universitäten. Vergleichbare Beurteilungssysteme in den verschiedenen Ländern sollen dazu führen, dass Leistungen an der Gastuniversität an der Heimuniversität angerechnet und als gleichwertig betrachtet werden. Dazu wurde das System mit den sogenannten ECTS-Punkten eingeführt (European Credit Transfer and Accumulation System). Es gibt über den studentischen Arbeitsaufwand Auskunft, den ein Modul vom Studenten fordert; nämlich 25 bis 30 Stunden pro Punkt. Pro Semester sammeln Vollzeitstudenten in der Regel 30 Punkte.
Böse Überraschung nach der Rückkehr
Damit scheint klar zu sein: ein ECTS-Punkt ist ein ECTS-Punkt, egal, wo er erworben wurde. Wer ein Austauschsemester absolviert, kann die erworbenen Punkte an seine Heim-Uni mitnehmen und weiterstudieren.
Doch so einfach ist die Sache nicht. Die rechtswissenschaftliche Fakultät der Universität Zürich ist offenbar der Auffassung, dass fremde Punkte nicht immer so viel Wert haben wie ihre eigenen. Dies erlebte der Jus-Student Bruno Fricker (Name geändert), der im Bachelorstudiengang ein Austauschsemester an einer niederländischen Universität machte. Er musste feststellen, dass seine zehn niederländischen ECTS-Punkte in Zürich auf drei Punkte schrumpften. Einem Studienkollegen ging es ähnlich: Statt fünf erworbener Punkte wurden ihm ebenfalls nur drei gutgeschrieben.
Aus Gründen der Systematik nur drei Punkte
Michaela Sweet vom Mobilitätsbüro der rechtswissenschaftlichen Fakultät bestätigt, «dass in der Regel im Bachelorstudiengang drei Punkte für ein erfolgreich an der Gastuniversität absolviertes Modul angerechnet werden». Der Grund: Die anrechenbaren Leistungen aus dem Ausland seien einem Studienabschnitt zugeordnet, für den auch in Zürich jeweils nicht mehr als drei ECTS-Credits pro Modul vergeben werden. Diese Systematik habe zur Konsequenz, «dass es für die Mobilitätsstudierenden im Bachelor schwierig ist, 30 ECTS-Credits im Auslandssemester zu absolvieren», so viel also wie im regulären Pensum in Zürich. «Dass kann in gewissen Fällen natürlich ärgerlich sein», räumt Sweet ein. Ein anderes Anrechnungsmodell gilt im Masterstudiengang, wo eine Anrechnung von 25 bis 30 ECTS-Credits aus der internationalen Mobilität der Regelfall ist.
Ziel sei stets, dass den Studenten gutgeschrieben werde, was sie geleistet hätten. Sweet: «Wir überprüfen anhand der eingereichten Nachweise, welche Leistungen der Studierende erfolgreich erbracht hat.» Man wolle die Anrechnung nicht erschweren und die Mobilität unter den Studierenden fördern. Andererseits gebe es aber «klare Regelungen, die für alle Studenten gleichermassen gelten», um eine Bevorteilung oder Benachteiligung durch ungleiche Behandlung zu vermeiden.
Sie erklärt das mit einem Beispiel: «In Zürich müssen Studierende drei Module à 3 ECTS-Credits im Bereich des internationalen Rechts absolvieren. Wenn wir nun ein Modul mit 10 ECTS-Credits aus dem Ausland anerkennen würden, würde dies also drei dieser Zürcher Module ersetzen. Damit würden Studierenden, die ins Ausland gehen, weniger Kompetenzen vermittelt als solchen, die die drei Module in Zürich absolvierten.»
Anderswo gehts ohne Punktespaltereien
Die Universität Zürich ist offenbar ein Sonderfall. Hätte Fricker an einer anderen Schweizer Uni studiert, wären seine Punkte aus den Niederlanden voll anerkannt worden: «Bei der Anrechnung von Studienleistungen übernehmen wir die ECTS-Punkte, die die Gastuniversität auf dem Leistungsausweis ausstellt», sagt Madeleine Stämpfli von der Studienberatung der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Luzern. Diese Regelung gilt sowohl für den Bachelorstudiengang als auch für den Master. Das kann dazu führen, dass beispielsweise ein Bachelorabschluss statt mit der vorgesehenen Anzahl von 180 ECTS-Punkten mit einigen mehr abgeschlossen wird.
An der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Bern gilt derselbe Grundsatz. «Die Anzahl ECTS-Punkte wird eins zu eins übernommen», bestätigt die Erasmus-Koordinatorin Monika Scherler. «Vergibt die Gastuniversität keine ECTS-Punkte, wie beispielsweise Hochschulen in Nordamerika, erfolgt eine Umrechnung in ECTS-Punkte nach Wochenstunden.»
St. Gallen kann Punkte auf mehrere Kurse verteilen
Auch an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Basel, so Patrick Ebnöther vom Dekanat, werden ausländische ECTS-Leistungsausweise ohne weiteres übernommen. «Bei Leistungsausweisen, die keine ECTS-Punkte ausweisen, nehmen wir eine Umrechnung vor, die von Fall zu Fall etwas variiert. Ein Abzug muss der Studierende jedoch nicht gewärtigen», versichert Ebnöther.
Hans Hartung vom Admissions and Crediting Office der Universität St. Gallen bestätigt die Anrechnung der an Fremdunis erworbenen Punkte ebenfalls: «Grundsätzlich werden alle während eines Austauschsemesters extern erworbenen Credits an das Studium angerechnet.» Falls die Kreditpunkte des ausländischen Moduls nicht mit jenen des Moduls in St. Gallen übereinstimmen, könne die Anrechnung auch durch Aufteilung externer Credits auf mehrere Kurse an der Universität St. Gallen erfolgen.