1. Arbeitsrecht
1.1 Vertragsschluss und Teilzeitarbeit
Wenn Konzernstrukturen vorliegen, ist der Frage der Passivlegitimation besondere Bedeutung beizumessen. Dies zeigt ein vom Obergericht des Kantons Zürich behandelter Fall.1 Der von einer deutschen Gesellschaft angestellte Kadermann blieb mit seiner Klage gegen das (nach seiner Anstellung gegründete) schweizerische Tochterunternehmen erfolglos, obwohl letzteres immer den Lohn bezahlt, die Lohnabrechnungen und Lohnausweise ausgestellt hatte. Entscheidend war, dass das Weisungsrecht stets bei der Muttergesellschaft verblieben war.
In einem am 12. Juli 2010 gefällten Urteil2 musste sich das Bundesgericht wieder einmal mit der Frage beschäftigen, in welchen Fällen Stillschweigen als Annahme einer Vertragsänderung gilt. Im Prinzip bedeutet Stillschweigen auf einen arbeitgeberseitigen Antrag auf Lohnkürzung keine Annahme. Gemäss Art. 6 OR ist jedoch dann von einer stillschweigenden Annahme eines Antrags auszugehen, wenn nach den Umständen eine ausdrückliche Annahme nicht zu erwarten ist und der Antrag nicht binnen angemessener Frist abgelehnt wird.
Derartige Umstände liegen nach dem Bundesgericht vor, wenn für den Arbeitnehmer erkennbar ist, dass der Arbeitgeber von seinem stillschweigenden Einverständnis ausgeht und er andernfalls bestimmte Massnahmen, namentlich eine Entlassung, veranlassen würde. Die vorbehaltslose Annahme des gekürzten Lohnes während drei Monaten schaffe eine tatsächliche Vermutung für eine stillschweigende Zustimmung. Diese Vermutung könne der Arbeitnehmer umstossen, wenn er besondere Umstände nachweise, die aufzeigten, dass trotz des langen Schweigens nicht auf eine Zustimmung zu schliessen sei. Welche Umstände konkret dafür ausreichen, verrät das Bundesgericht allerdings nicht.
Im beurteilten Fall hatte der Beschwerdeführer das Vertragsdoppel, welches eine Kürzung der ursprünglich vereinbarten Provision enthielt, nicht wie verlangt unterschrieben zurückgesandt. Das Bundesgericht sah darin keinen Formmangel, weil in der Umsetzung des geänderten Vertrags ein beidseitiger stillschweigender Verzicht auf die Schriftform liege. Es hielt dem Arbeitnehmer vor, er wäre ungeachtet seiner Angst vor einer Kündigung nach Treu und Glauben gehalten gewesen, dem Arbeitgeber innert angemessener Frist seine Ablehnung der Vertragsänderung mitzuteilen.
Einem Urteil des Bundesgerichts vom 7. Januar 20103 lag folgende Ausgangslage zugrunde: Eine Lehrerin war seit neun Jahren bei einer Tageshandelsschule angestellt. Vereinbart war eine Honorarpauschale. Wenn ein Kurs wegen ungenügender Teilnehmerzahl nicht zustande kam, bestand laut Vertrag kein Honoraranspruch. Das Pensum wurde jeweils vor Schuljahresbeginn im gegenseitigen Einverständnis festgelegt. Die Lehrerin wollte ihr Pensum für das Schuljahr 2008/09 von den ursprünglich beantragten 15 bis 18 Stunden auf 10 Stunden reduzieren, weil sie eine Stelle in einer anderen Gemeinde aufstocken konnte. Die Arbeitgeberin verzichtete daraufhin auf die Dienste der Lehrerin.
Deren Klage blieb jedoch der Erfolg versagt. Das Bundesgericht befand, dass es sich bei dieser Art von Vertrag nicht um eigentliche Teilzeitarbeit handle, bei welcher der reduzierte Einsatz wiederholt und mit zum Voraus bestimmten - wenn auch möglicherweise unregelmässigen - Arbeitszeiten erfolgt. Vielmehr liege uneigentliche Teilzeitarbeit vor, wo jeder Einsatz ein gegenseitiges Einverständnis voraussetze. Da die Klägerin in Anspruch nehme, ihre Einsatzwünsche beliebig ändern zu können, dürfe sie nicht erwarten, dass die Schulleitung diese ohne weiteres zu berücksichtigen habe. Die Arbeitgeberin sei nicht in Annahmeverzug geraten, indem sie wegen der stark reduzierten Verfügbarkeit der Lehrerin auf deren Einsatz völlig verzichtete.
1.2 Gratifikation und andere Lohnfragen
In BGE 136 III 313 setzte sich das Bundesgericht mit einigen die Gratifikation betreffenden Rechtsfragen auseinander. Bei der Gratifikation handle es sich um eine ausserordentliche Sonderzulage, die zum Lohn hinzutrete und bei bestimmten Anlässen ausgerichtet werde. Sie hänge immer in einem gewissen Mass vom Willen des Arbeitgebers ab, weil ein im Voraus fest vereinbarter Betrag keine Gratifikation sei, sondern Lohn darstelle. Je nach Abmachung könne die Gratifikation eine vollständig freiwillige Leistung des Arbeitgebers sein oder es könne ein Anspruch darauf bestehen. Betreffe die vertragliche Einigung nur den Grundsatz, dass eine Gratifikation auszurichten sei, könne der Arbeitgeber unterschiedliche Beträge je nach der Qualität der Arbeitsleistung, dem Geschäftsgang und weiteren von ihm frei bestimmbaren Kriterien ausrichten. Auch wenn die Gratifikation nur im Grundsatz vereinbart sei, der Betrag jedoch nicht feststehe, dürfe der Arbeitgeber sie nicht gestützt auf Umstände kürzen, von denen der Arbeitnehmer nach Treu und Glauben nicht annehmen müsse, sie seien für die Ausrichtung der Gratifikation oder deren Umfang von Belang.
In casu hatte der Beschwerdeführer seine Arbeitsleistung wegen Lohnrückständen zeitweilig verweigert. Dieser Umstand durfte, weil vom Arbeitgeber verschuldet, nicht zu einer Kürzung oder Aufhebung der Gratifikation herangezogen werden. Allerdings bildete die Verweigerung der Auszahlung der Gratifikation - so das Bundesgericht - keinen eigenen Grund, die Arbeitsleistung gestützt auf Art. 82 OR zu verweigern, da die Gratifikation kein Leistungspaar mit der laufenden Arbeitsleistung bilde. Im gleichen Urteil erkannte das Bundesgericht auch, dass der Lohnausweis keine Schuldanerkennung darstelle.
In seinem Entscheid vom 5. März 20104 bestätigte das Bundesgericht ein kantonales Urteil, welches in Art. 42 des Landesmantelvertrags (LMV) für das Bauhauptgewerbe eine indirekte Diskriminierung und damit einen Verstoss gegen das mit der Europäischen Gemeinschaft geschlossene Freizügigkeitsabkommen sah. Art. 42 LMV setzt für die Einstufung in der Lohnklasse Q eine mindestens dreijährige Tätigkeit auf einer schweizerischen Baustelle voraus. Diese Bestimmung wirke sich in der grossen Mehrzahl der Fälle zulasten der nicht in der Schweiz aufgewachsenen Ausländer aus. Objektive Umstände, welche diese Ungleichbehandlung gerechtfertigt erscheinen liessen, könnten nicht festgestellt werden, was zum Schluss führte, dass auch eine dreijährige Tätigkeit auf einer ausländischen Baustelle als Voraussetzung für den Aufstieg in die Lohnklasse Q genügen müsse.
In BGE 136 I 2905 bestätigte das Bundesgericht die Praxis, dass keine Pflicht zur Entschädigung von Feiertagen für Arbeitnehmer im Stundenlohn besteht, mit Ausnahme des 1. August, falls der Nationalfeiertag auf einen Tag fällt, an dem der Arbeitnehmer normalerweise gearbeitet hätte. Art. 20a Abs. 1 ArG ermächtige die Kantone, neben dem Bundesfeiertag acht weitere Feiertage pro Jahr den Sonntagen gleichzustellen; diese Bestimmung besage jedoch nichts über die Entschädigung der Feiertage. Auch die Berufung der Klägerin auf Art. 7 lit. d Uno-Pakt I änderte nichts an diesem Verdikt, da das Bundesgericht die direkte Anwendbarkeit dieser Norm ablehnte.
1.3 Rechtsfragen rund um das Kündigungsrecht
Nach BGE 136 III 562 verlängert ein unbezahlter Urlaub die Probezeit nicht. Gemäss einem Urteil des Obergerichts des Kantons Luzern vom 29. April 20086 führt nicht jede gesundheitliche Störung eines Arbeitnehmers zu einer Sperrfrist im Sinne von Art. 336c Abs. 1 lit. b OR. Dies sei vielmehr nur dann der Fall, wenn eine Anstellung durch einen neuen Arbeitgeber auf den Zeitpunkt des Ablaufs der ordentlichen Kündigungsfrist im Hinblick auf die Ungewissheit über Fortdauer und Ausmass der Arbeitsunfähigkeit unwahrscheinlich erscheine. Eine während der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers ausgesprochene Kündigung sei daher gültig, wenn sie sich nur auf Nachtarbeit bezieht, während Tageseinsätze möglich sind.
In BGE 136 III 5137 rief das Bundesgericht in Erinnerung, dass eine Kündigung auch in andern als den in Art. 336 OR aufgezählten Fällen missbräuchlich sein könne; diese müssten jedoch aufgrund ihrer Schwere mit den in Art. 336 OR aufgeführten Fällen vergleichbar sein. Missbräuchlich könne eine Kündigung wegen der Art und Weise sein, wie das Kündigungsrecht ausgeübt wurde, wenn die kündigende Partei ein falsches oder verdecktes Spiel treibe, das Treu und Glauben krass widerspricht, wenn die Kündigung unter Verletzung der Persönlichkeitsrechte des Arbeitnehmers ausgesprochen werde, und schliesslich auch, wenn ein offensichtliches Missverhältnis der Interessen vorliege oder das Kündigungsrecht zweckwidrig ausgeübt werde.
Im beurteilten Fall sah das Bundesgericht keine dieser Voraussetzungen als gegeben an. Der klagende Arbeitnehmer sei der Grund für die Spannungen im Betrieb gewesen. Der Arbeitgeber habe korrekt gehandelt, als er den Arbeitnehmer zuerst zu einer Unterredung einlud, darauf eine Mahnung aussprach und ihn erst dann entliess.
Auch Staatsangestellte dürfen sich öffentlich am politischen Meinungsbildungsprozess beteiligen. Das Bundesgericht sah in einem Verweis und einer Pensumskürzung, welche die Zürcher Hochschule für Gestaltung und Kunst gegenüber einem ihrer Dozenten verfügte, einen Verstoss gegen die auch öffentlichen Angestellten zustehende Meinungsäusserungsfreiheit.8 Der Dozent hatte in einem Flugblatt gegen die Standortwahl der Hochschule auf dem Toni-Areal, welche von der Hochschulleitung befürwortet wurde, Stellung genommen. Das Bundesgericht hob die Bedeutung der Meinungsäusserungsfreiheit im demokratischen Willensbildungsprozess hervor und liess das Argument nicht gelten, der Dozent habe seine Treuepflicht verletzt, zumal das Flugblatt in seinen Formulierungen zurückhaltend war und keine polemischen oder verletzenden Angriffe enthielt.
Auch Kaderangehörige haben keinen Beschäftigungsanspruch, entschied das Arbeitsgericht Zürich.9 Eine schwangere Kaderfrau war während drei Monaten vor der erwarteten Niederkunft freigestellt worden, weil die Arbeitgeberin beim Aufbau eines neuen Geschäftsbereichs keine Absenzen riskieren wollte. Die Kaderfrau verlangte vergeblich, in ihrer bisherigen Funktion weiterbeschäftigt zu werden. Das Gericht bezeichnete das Verhalten der Arbeitgeberin als stossend, jedoch nicht rechtswidrig. Die von der Arbeitgeberin beabsichtigte Kündigung nach Ablauf der Sperrfrist wäre aber, so das Gericht, zwangsläufig missbräuchlich.
In einem Urteil vom 14. Februar 201110 schützte das Bundesgericht eine fristlose Kündigung gegenüber einem Direktionsmitglied, welches falsche Angaben im Vorstellungsgespräch gemacht hatte. Der Arbeitnehmer hatte angegeben, wichtige Kundenkontakte für seinen bisherigen Arbeitgeber zu unterhalten, während er in Wirklichkeit arbeitslos war. Gemäss Bundesgericht zerstören derartige wahrheitswidrige Angaben über die bisherige Anstellung und Berufserfahrung im Vorstellungsgespräch das Vertrauensverhältnis, und zwar unabhängig von der Qualität der danach erbrachten Arbeitsleistung. Das Bundesgericht erachtete die innerhalb einer Woche nach Kenntnis des Kündigungsgrunds ausgesprochene Kündigung nicht als verspätet.
Der Arbeitsvertrag stellt auch hinsichtlich des Schadenersatzanspruchs nach Art. 337c OR einen provisorischen Rechtsöffnungstitel dar, wenn der Arbeitgeber die Rechtsmässigkeit der fristlosen Entlassung oder eine Anrechnungspflicht des Arbeitnehmers nicht glaubhaft machen kann.11
Über die fristlose Kündigung einer Arbeitnehmerin hatte das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich zu befinden. Die juristische Sekretärin des Amts für Wirtschaft und Arbeit hatte ihre Anstellung wegen Missständen im Zusammenhang mit der Legalisierung des Aufenthalts eines bulgarischen Kindermädchens des ehemaligen Schauspielhausdirektors fristlos gekündigt. Das Gericht verwarf das Argument, die Angestellte hätte zuerst intern mit allen Mitteln gegen die Missstände kämpfen müssen. Dies gelte, bevor eine Staatsangestellte an die Öffentlichkeit gelange, was nicht der gleiche Fall sei wie die fristlose Kündigung in einer untragbar gewordenen Situation. Hingegen müsse die fristlose Kündigung auch von der Arbeitnehmerin in der gleichen kurzen Frist wie bei der fristlosen Arbeitgeberkündigung ausgesprochen werden. Im beurteilten Fall hatte die Arbeitnehmerin am fünften Tag nach Kenntnis des letzten Vorfalls gekündigt, was angesichts der komplizierten Sach- und Rechtslage als genügend schnelle Reaktion beurteilt wurde.12
Eine Abhandlung von Roger Rudolph zum Thema «Bagatelldelikte und fristlose Entlassung» findet sich in der AJP 12/2010.13
1.4 Zwei Urteile zu Massenentlassungen
Gemäss BGE 137 III 27 unterstehen Unternehmen, die weniger als 21 Arbeitnehmer beschäftigen, den Regeln über die Massenentlassung nicht. Bei einer Unternehmensgruppe sei für jedes Unternehmen gesondert zu prüfen, ob eine Massenentlassung gegeben ist. Nach dem Gesetzeswortlaut sei der Betrieb und nicht das Unternehmen die massgebliche Einheit. Das Bundesgericht wies zwar auf die Lehrmeinung von Gabriel Aubert hin, wonach auf das Unternehmen abzustellen sei, wenn Betriebe so nahe gelegen seien, dass von einem einheitlichen Standort gesprochen werden könne. Gemäss Bundesgericht gilt dies aber auf jeden Fall dann nicht, wenn nicht Betriebe, sondern Unternehmen nahe miteinander verbunden sind.
In BGE 136 III 55214 hatte das Bundesgericht zu entscheiden, unter welchen Voraussetzungen bei einer Betriebsübertragung Kündigungen ausgesprochen werden dürfen. Der in wirtschaftlichen Schwierigkeiten steckende Arbeitgeber hatte sämtlichen Arbeitnehmern gekündigt, während er gleichzeitig Verhandlungen mit einem an einer Übernahme interessierten Unternehmen führte. Noch bevor die Übernahme definitiv zustande kam, nahm er 20 von 26 Kündigungen zurück. Das Genfer Gericht schützte eine (auch) gegen den Betriebsübernehmer gerichtete Klage. Es erwog, es sei eine Betriebsübernahme erfolgt; die Kündigungen seien zur Umgehung des Schutzes von Art. 333 Abs. 1 OR ausgesprochen worden und deshalb ungültig.
Das Bundesgericht hiess die Berufung des Betriebsübernehmers gut und wies die Forderungsklage gegen ihn ab. Zwar stellte es in Übereinstimmung mit dem Genfer Gericht fest, dass die Entlassungen den vom Betriebsübernehmer gebilligten Zweck verfolgten, den Übergang der Arbeitsverhältnisse mehrerer Mitarbeiter zu verhindern und die Anzahl übernommener Verträge zu begrenzen. Eine Gesetzesumgehung liege aber dennoch nicht vor, weil die mit der Unternehmensübertragung verbundenen Entlassungen auf wirtschaftlichen Gründen beruhten und deshalb zulässig seien.
1.5 Arbeitszeugnis und Konkurrenzverbot
Längerdauernde krankheitsbedingte Unterbrüche der Arbeitstätigkeit, die im Verhältnis zur gesamten Anstellungsdauer ins Gewicht fallen, sind gemäss einem Urteil des Bundesgerichts vom 6. September 2010 im Arbeitszeugnis zu erwähnen, weil sonst ein falscher Eindruck über die erworbene Berufserfahrung entstehen könnte. Nicht statthaft ist es gemäss Bundesgericht, in Verfahren betreffend Ausstellung oder Inhalt eines Arbeitszeugnisses den Streitwert stets und absolut nach einer bestimmten Anzahl Monatslöhnen zu bestimmen. Entscheidend sei das Ausmass der Erschwerung des beruflichen Fortkommens des Arbeitnehmers, wobei Kriterien wie Beruf, Qualifikation, Funktion, Dauer des Arbeitsverhältnisses, Lohnniveau und Situation auf dem Arbeitsmarkt in Betracht zu ziehen seien. Diese Elemente habe der Arbeitnehmer darzulegen.16
Das kantonale Gericht durfte willkürfrei davon ausgehen, dass die Höhe der von einer Taxiunternehmung bezahlten Löhne kein Geschäftsgeheimnis im Sinn von Art. 340 Abs. 2 OR darstellt.17 Es stehe jedem Mitarbeiter frei, über seinen Lohn zu sprechen, weshalb eine blosse Nachfrage genügt hätte, um die Höhe der Löhne in Erfahrung zu bringen. Die Arbeitgeberin scheiterte deshalb im Versuch, das vertraglich vereinbarte Konkurrenzverbot gegenüber ihrem ehemaligen Arbeitnehmer, der nun ein eigenes Taxiunternehmen betrieb, durchzusetzen.
1.6 Schiedsklauseln und IPR
In BGE 136 III 46718 äusserte sich das Bundesgericht zur Zulässigkeit von Schiedsklauseln im Arbeitsrecht. Nach Art. 5 des Konkordats über die Schiedsgerichtsbarkeit sind Ansprüche, über welche die Parteien frei verfügen können, schiedsfähig. Seit dem 1. Januar 2011 gilt die inhaltlich unveränderte Bestimmung von Art. 354 ZPO. Unstreitig zulässig sind Schiedsklauseln im kollektiven Arbeitsrecht, wo es um Streitigkeiten zwischen Arbeitgebern beziehungsweise Arbeitgeberorganisationen und Arbeitnehmerorganisationen geht.
Keinen Einfluss hat - so das Bundesgericht - die Tatsache, dass das Arbeitsrecht zwingende Gerichtsstände kennt. Diese kämen nur zur Anwendung, soweit die staatliche Gerichtsbarkeit involviert sei. Entscheidend sei hingegen die Bestimmung von Art. 341 Abs. 1 OR, wonach Arbeitnehmer während der Dauer des Arbeitsverhältnisses und eines Monats nach dessen Beendigung nicht auf Forderungen verzichten können, die sich aus unabdingbaren Vorschriften des Gesetzes oder eines GAV ergeben. Ansprüche, die in den Anwendungsbereich von Art. 341 Abs. 1 OR fallen, könnten der staatlichen Gerichtsbarkeit nicht im Voraus durch eine Schiedsklausel entzogen werden. Weil es im beurteilten Fall um Überstundenforderungen ging, erklärte das Bundesgericht die Schiedsklausel für nicht anwendbar.19
Für eine weitergehende Zulässigkeit von Schiedsklauseln plädieren Isabelle Wildhaber und Alexandra Johnson Wilcke in einem in der ARV erschienen Beitrag.
Interessante internationalprivatrechtliche Erwägungen finden sich in BGE 136 III 392.20 Ein in Spanien wohnhafter Arbeitnehmer war als Matrose auf einem unter panamaischer Flagge fahrendem Schiff von einer in der Schweiz domizilierten Gesellschaft angestellt gewesen. Als die Arbeitgeberin den Arbeitsvertrag auflöste, klagte der Matrose eine Entschädigung ein, wie sie das Recht von Panama bei Entlassungen zwingend vorsieht. Der Arbeitnehmer machte geltend, dass die entsprechende Bestimmung des panamaischen Rechts nach Art. 19 IPRG anwendbar sei. Art. 19 IPRG sieht vor, dass «die Bestimmung eines andern Rechts, die zwingend angewandt sein will, berücksichtigt werden (kann), wenn nach schweizerischer Rechtsauffassung schützenswerte und offensichtlich überwiegende Interessen einer Partei es gebieten und der Sachverhalt mit jenem Recht einen engen Zusammenhang aufweist». Im Arbeitsvertrag war schweizerisches Recht für anwendbar erklärt worden.
Das Bundesgericht zog in Zweifel, ob die Beziehung zum Recht von Panama eng genug war, liess diese Frage jedoch offen. Im Gegensatz zur kantonalen Vorinstanz sah es im Zusammenhang mit der Abgangsentschädigung keine überwiegenden schützenswerten Interessen, die das schweizerische Recht zwingend berücksichtigen müsste. Ungleich Art. 339b OR komme es nicht auf das Alter des entlassenen Arbeitnehmers an und sei die Entschädigung auch nicht von den geleisteten Dienstjahren abhängig. Sie sei auch kein Ersatz für die fehlende berufliche Vorsorge und verfolge keinen sozialpolitischen Zweck, sondern sei schlicht ein Vermögensanspruch. Kurzum handle es sich bei dieser Abgangsentschädigung nicht um ein fundamentales Arbeitnehmerschutzrecht, weshalb Art. 19 IPRG nicht zur Anwendung komme. Dies führte zur Gutheissung der Beschwerde und Klageabweisung.
1.7 GAV-Recht und Arbeitsgesetz
Eine europapolitische Note hatte die Allgemeinverbindlicherklärung des neuen GAV im Maler- und Gipsergewerbe per 1. Oktober 2010. Dieser GAV sieht eine Kautionspflicht im Betrag von 10 000 Franken für die Arbeitgeber vor. Die Hinterlegung dieser Summe dient dazu, allfällige finanzielle Ansprüche aus GAV-Verletzungen sicherzustellen. Es kommt recht häufig vor, dass solche Unternehmen ihre Mitarbeiter als Scheinselbständige in die Schweiz entsenden. Ohne Kautionspflicht ist es für nur kurz in der Schweiz tätige ausländische Firmen sehr einfach, sich den finanziellen Konsequenzen von GAV-Verletzungen zu entziehen. Süddeutsche Verbände hatten gegen die Allgemeinverbindlicherklärung Beschwerde eingelegt. Der Bundesrat entschied jedoch nicht materiell, sondern sprach den ausländischen Verbänden die Beschwerdelegitimation ab.
Gemäss einem Urteil des Bundesgerichts vom 12. Juli 201021 ist eine Gewerkschaft nicht legitimiert, die Aufhebung der Kündigung und die Wiedereinstellung einer Betriebsrätin zu verlangen, auch wenn der anwendbare GAV diese Möglichkeit vorsieht. Es handle sich um das Interesse einer einzelnen Person und nicht um kollektive Interessen aller Berufsangehörigen, was Voraussetzung für eine Verbandsklage wäre.
In einem Entscheid vom 4. Mai 201022 äusserte sich das Bundesgericht zu Fragen des Pikettdienstes von Spitalärzten. Dem betreffenden Oberarzt wurde der in seiner nur hundert Meter vom Spital entfernt liegenden Privatwohnung geleistete Pikettdienst zu Recht nicht voll als Arbeitszeit angerechnet, obwohl er verpflichtet war, innert 15 Minuten einsatzbereit zu sein. Von ausserhalb des Betriebes geleistetem Pikettdienst im Sinne von Art. 15 ArGV 1 sei zwar nur dann auszugehen, wenn der Arbeitnehmer mehr Freizeit- und Erholungsmöglichkeiten habe, was regelmässig nicht der Fall sei, wenn der Arbeitnehmer innert einer sehr kurzen Frist, zum Beispiel innert 15 Minuten nach dem Anruf intervenieren müsse und den Betrieb daher kaum verlassen könne. Anders verhalte es sich jedoch, wenn der Arbeitnehmer den Pikettdienst tatsächlich zu Hause erbringen könne, da dies bezüglich Sozialkontakt und Freizeitbeschäftigungen verschiedene, beim Pikettdienst im Betriebslokal ausgeschlossene Möglichkeiten biete.
Erfolglos blieb eine Arbeitnehmerin, die Lohnansprüche geltend machte, weil sie das Betriebsgebäude während der Pausen nicht verlassen durfte. Das Bundesgericht hielt in der Auslegung von Art. 15 Abs. 2 ArG dafür, dass die Arbeitnehmerin ihren Arbeitsplatz auch dann verlasse, wenn sich der Pausenraum im gleichen Gebäude wie der Arbeitsplatz befinde.23
1.8 Prozessuales
Im Fall von BGE 137 III 32 hatte der Beschwerdeführer bestritten, dass das Gericht am Ort, an dem der Arbeitnehmer gewöhnlich die Arbeit verrichtet, zuständig ist. Er stellte sich auf den Standpunkt, dass kein Arbeitsvertrag, sondern ein Agenturvertrag vorliege und die Klage deshalb keine arbeitsrechtliche sei. Nicht bestritten war, dass der Beschwerdegegner seine Arbeit gewöhnlich an seinem Wohnsitz verrichtete.
Das Bundesgericht erklärte das Gericht am Wohnsitz des Arbeitnehmers als dem gewöhnlichen Arbeitsort für zuständig. Bei sogenannten doppeltrelevanten Tatsachen komme es bei der Beurteilung der Zuständigkeitsfrage ausschliesslich auf die klägerische Sachdarstellung an. Es müssten in dieser Prozessphase noch keine Beweise darüber abgenommen werden, ob es sich wirklich um einen Handelsreisendenvertrag handle. Bei doppelrelevanten Tatsachen sei der tatsächlich bewiesene Sachverhalt für den Entscheid über die materielle Begründetheit der Klage, nicht aber für die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts erheblich. Anders sei die Situation bei einfachrelevanten Tatsachen wie Wohnsitz oder Ort der gewöhnlichen Arbeitsverrichtung. Bei diesen Fragen seien nötigenfalls Beweise zu erheben.
1.9 Gesetzgebung
Im Rahmen der flankierenden Massnahmen zur Personenfreizügigkeit mit der EU hat der Bundesrat am 1. Januar 2011 erstmals einen Normalarbeitsvertrag mit Mindestlohn in Kraft gesetzt. Es handelt sich um den NAV Hauswirtschaft, welcher verschiedene Mindestlohnansätze zwischen Fr. 18.20 und Fr. 22.- vorschreibt.
Gemäss revidiertem Art. 219 Abs. 4 SchKG sind Forderungen von Arbeitnehmern nur noch bis zum Betrag des gemäss UVG maximal versicherten Jahresverdienstes (zurzeit 126 000 Franken) in der ersten Klasse privilegiert. Weiterhin in der ersten Klasse zu kollozieren sind hingegen Forderungen von Arbeitnehmern aus Sozialplänen, die nicht früher als sechs Monate vor der Konkurseröffnung entstanden oder fällig sind.
Ungemach droht aus Arbeitnehmersicht aus einer geplanten Revision des Sanierungsrechts. Die Botschaft des Bundesrats zur Teilrevision des SchKG datiert vom 8. September 2010.24 Der Bundesrat schlägt vor, dass künftig die Pflicht zur Übernahme der Arbeitsverträge entfällt, wenn ein Betrieb im Rahmen eines Insolvenzverfahrens übernommen wird. Damit entfällt auch die Solidarhaftung des übernehmenden Betriebs gemäss Art. 333 Abs. 3 OR.
Gestrichen werden sollen auch die Konsultationsrechte bei Massenentlassungen, wenn diese Folge einer Betriebseinstellung im Konkurs oder bei einem Nachlassvertrag mit Vermögensabtretung sind. Sozusagen als Trostpflaster soll die Verpflichtung eingeführt werden, über einen Sozialplan zu verhandeln, allerdings nur, wenn der Arbeitgeber üblicherweise mindestens 250 Arbeitnehmer beschäftigt, und er beabsichtigt, innert dreissig Tagen mindestens dreissig Arbeitnehmern zu kündigen, und die Entlassungen nicht während eines Konkurs- oder Nachlassverfahrens erfolgen. Können sich die Parteien nicht auf einen Sozialplan einigen, stellt ein Schiedsgericht verbindlich einen Sozialplan auf.
Im Oktober 2010 hat der Bundesrat eine Vorlage zum besseren Schutz vor missbräuchlichen Kündigungen in die Vernehmlassung geschickt.25 Gemäss dieser Vorlage soll die maximale Entschädigung von sechs auf zwölf Monatslöhne erhöht werden. Präzisiert werden soll der Kündigungsschutz von Arbeitnehmervertretern. Ihnen gegenüber ausgesprochene Kündigungen sind missbräuchlich, wenn sie aus wirtschaftlichen Gründen erfolgen und die Person selber keinen Anlass zur Kündigung bot. Damit soll verhindert werden, dass Arbeitnehmervertretern gekündigt wird, während sie mit ihrem Arbeitgeber über einen Sozialplan verhandeln.
Arbeitgeber und bürgerliche Parteien haben bereits heftigen Widerspruch gegen diesen Vorschlag angemeldet.
2. Mietrecht
2.1 Allgemeine Tendenz in der Rechtsprechung
Seit der letzten Zusammenfassung an dieser Stelle26 über die Rechtsprechung im Mietrecht veröffentlichte das Bundesgericht in seinem Band 136 III nur gerade noch einen mietrechtlichen Entscheid. Über längere Zeit machte es den Anschein, dass inzwischen alle wichtigen Fragen geklärt sind und sich die Praxis auf eine gefestigte Rechtsprechung abstützen kann. Das würde nicht erstaunen bei einem Sozialschutz, der in seinen Grundzügen schon seit 1972 gilt und auf eine entsprechend lange Gerichtspraxis zurückblicken kann. Doch Wohnungsnot verlockt die schwarzen Schafe der Zunft zu einem immer rücksichtsloseren Verhalten. Damit hatte sich das Bundesgericht zunehmend zu beschäftigen. Es rief dabei die Grundsätze der missbräuchlichen Kündigung in einer spürbar schärferen Tonalität in Erinnerung. Ausserdem wurde auch vermehrt der als Kündigungsgrund angerufene Eigenbedarf hinterfragt. Schliesslich hatte das Bundesgericht in einigen Fällen Gelegenheit, die in Deutschschweiz und Romandie divergierende Rechtsprechung zu vereinheitlichen, so in der Frage, wann eine Kündigung als zugestellt gilt, bei der Klarstellung der notwendigen Streitgenossenschaft von Ehegatten für die Anfechtung einer Mietzinserhöhung, wenn sie beide Mieter sind, bei der Beweislastverteilung im Rahmen der Anfechtung des Anfangsmietzinses und bei der Definition der zulässigen Nebenkosten von Wohnungen, die mit kantonalen Subventionen erstellt wurden. Band 137 III der bundesgerichtlichen Entscheidsammlung wird daher mit etlichen neuen Mietrechtsentscheiden angereichert werden.
2.2 Missbräuchliche Kündigung
2.2.1 Verletzung des Gebrauchszwecks
In einem oft kommentierten Urteil aus dem Jahr 200627 entschied das Bundesgericht, die Verletzung des Gebrauchszwecks könne eine ausserordentliche Kündigung nach Art. 257 f Abs. 3 OR rechtfertigen, ohne dass bei diesem Tatbestand weiter geprüft werden müsse, ob die Fortsetzung des Mietverhältnisses zumutbar sei oder nicht. In einem neuen Entscheid wird diese für die Mietpartei recht folgenschwere Rechtsprechung in zwei Punkten relativiert. Nicht jede Abweichung vom vertraglich festgelegten Verwendungszweck kann gleich als ausserordentlicher Kündigungsgrund ausgelegt werden. Zudem besinnt sich das Bundesgericht wieder auf die gesetzlich verankerte Voraussetzung einer unzumutbaren Fortsetzung des Mietverhältnisses (Art. 257 f Abs. 3 OR). Keine Verletzung des Gebrauchszwecks liegt vor, wenn die Mieterin in einem Teil des als Wohnung überlassenen Mietobjektes ihrer Tätigkeit als Übersetzerin nachgeht.28 Dabei spielt es keine Rolle, ob sie ihr Übersetzungsbüro unter ihrem eigenen Namen oder unter einer AG mit Sitz an ihrer Wohnadresse führt. Entscheidend bleibt einzig, dass diese Geschäftstätigkeit nur einen Teil des Mietobjekts in Beschlag nimmt und die übrigen Räume tatsächlich als Wohnung genutzt werden.
Geklärt ist damit auch die Frage des mehr oder weniger für eine Erwerbstätigkeit genutzten Home-Office. Der Büroarbeitsplatz zu Hause gehört im Zeitalter von Internet und Handy zunehmend zur zeitgemäss eingerichteten Wohnung. Es gibt keinen sachlichen Grund, dafür eine spezielle Bewilligung des Vermieters vorauszusetzen. Der Vermieter hatte der Übersetzerin, ermutigt durch den Bundesgerichtsentscheid aus dem Jahr 2006,29 sowohl ordentlich als auch ausserordentlich gekündigt. Er drang mit keiner der beiden Kündigungen durch.
Interessant ist am Entscheid weiter, dass das Bundesgericht - wenn auch nur in einem Nebensatz - festhält, die Übersetzungstätigkeit habe zudem die Fortsetzung des Mietverhältnisses nicht unzumutbar gemacht, weshalb selbst bei einer Verletzung des Gebrauchszwecks die Voraussetzungen für eine ausserordentliche Kündigung nicht erfüllt gewesen wären. Es bleibt zu hoffen, dass dieser Nebensatz in den Entscheiden zur ausserordentlichen Kündigung nach Art. 257f Abs. 3 OR wieder zum Hauptsatz wird.
2.2.2 Vorgeschobener Eigenbedarf
Erweist sich der geltend gemachte Kündigungsgrund als blosser Vorwand und kann deswegen der wahre Kündigungsgrund nicht eruiert werden, wird angenommen, dass die Kündigung nicht auf einem schützenswerten Vermieterinteresse beruhe. Sie wird daher als missbräuchlich erachtet. Dies gehört zu den gefestigten Grundsätzen der Rechtsprechung. Auch die Beweislastverteilung bei der Anfechtung einer Kündigung ist nicht neu.
Die anfechtende Partei - in aller Regel die Mietpartei - muss die Missbräuchlichkeit des Kündigungsgrundes beweisen. Der Vermieter muss aber redlich zur Wahrheitsfindung beitragen und alle in seinem Besitz befindlichen Unterlagen dazu vorlegen. Er muss den angegebenen Grund zumindest glaubhaft machen. In der Berichtsperiode musste sich das Bundesgericht wiederholt mit vorgeschobenem Eigenbedarf befassen. Dabei entstand der Eindruck, dass ein geltend gemachter Eigenbedarf heute kritischer hinterfragt wird als auch schon.
Der Entscheid vom 10. August 201030 drehte sich um den Eigenbedarf einer neuen Eigentümerin, die sich in immer grössere Widersprüche verhedderte. Zunächst behauptete sie, ihr Bruder benötige eine grössere Wohnung, weil nun eine seiner Töchter bei ihm einziehe. Nachdem sich das als falsch erwiesen hatte, erklärte sie, der Eigenbedarf des Bruders sei dennoch gegeben, weil dessen Partnerin schwanger geworden sei. Doch erwies sich auch diese Behauptung als dreiste Unwahrheit. Vollends unglaubwürdig wurde ein Eigenbedarf, weil sich herausstellte, dass zwei Monate vor Anzeige der Kündigung eine gleichwertige 3,5-Zimmer-Wohnung frei geworden war, ohne dass die Vermieterin sie ihrem Bruder zugehalten hätte. Ausserdem wurden auch im Verlauf des Kündigungsschutzverfahrens weitere Wohnungen in der Liegenschaft frei, die nicht etwa an den Bruder, sondern an Freunde und andere Verwandte weitervermietet wurden.
Ähnlich erging es einer Vermieterin, die vorgab, ihre Nichte, welche bereits in der Liegenschaft wohnte, benötige eine grössere Wohnung, weil sie ein Kind zur Welt gebracht habe. Es wäre schwierig gewesen, diese Behauptung als Vorwand zu entlarven, wenn dem Mieter nicht zwei weitere Umstände zu Hilfe gekommen wären. Das kantonale Gericht stellte fest, dass die betreffende Vermieterin wiederholt Mietverträge auf den Namen von ihr nahestehenden Personen abgeschlossen habe, ohne dass diese Personen die Wohnung selbst bezogen hätten, so auf ihren Ex-Mann, der längst in Saudiarabien lebte, und auch auf eine Freundin, welche die Wohnung an eine ihr fremde Person weitervermietete.
Als im Lauf des Kündigungsschutzverfahrens gleichwertige Wohnungen frei wurden, beanspruchte die Vermieterin keine dieser Wohnungen für sich und machte keine Anstalten, diese frei werdende Wohnung oder aber ihre bisherige Wohnung der Nichte zuzuhalten. Zwar handelte es sich dabei um eine Tatsache, die sich nach Mitteilung der Kündigung ereignet hatte. Sie durfte nach Bundesgericht dennoch in Betracht gezogen werden, weil sie Aufschluss über die wahren Motive im Zeitpunkt der Kündigung geben konnte.31
Schliesslich wurde die Kündigung eines 19-jährigen Mietverhältnisses aufgehoben, weil der Vermieter Eigenbedarf für seine betagten Schwiegereltern vorgab. Einer der Elternteile befand sich im Rollstuhl. Es stellte sich heraus, dass für ihn die gekündigte Wohnung im zweiten Stock gar nicht zugänglich war, denn das Haus hatte keinen Lift und der nachträgliche Einbau eines Lifts war bautechnisch nicht möglich.32 Dass solche Beispiele vermehrt bis vor Bundesgericht kommen, kann wohl nur als Zeichen einer Verhärtung auf dem betreffenden Wohnungsmarkt gewertet werden.
2.2.3 Unverhältnismässige Kündigung
In zwei Fällen erachtete das Bundesgericht eine Kündigung als missbräuchlich, weil sie unverhältnismässig war. Im ersten Urteil vom 2. September 201033 tagte das Bundesgericht in Fünferbesetzung. Der Vermieter, ein Immobilienhändler, wollte die Wohnung verkaufen und machte geltend, dass er schliesslich vom Kauf und Verkauf von Immobilien lebe. Eine Wohnung, die schon leergekündigt sei, lasse sich besser verkaufen. Die Kündigung traf ein 77-jähriges Ehepaar, das bereits seit 38 Jahren in dieser Wohnung lebte. Es pflegte bei sich zu Hause seinen 49-jährigen, schwer hirngeschädigten Sohn. Als die Kündigung eintraf, sah sich der Ehemann mit der Diagnose konfrontiert, dass er sowohl unter Leber- als auch unter Darmkrebs leide. Die Unverhältnismässigkeit stach in diesem Fall ins Auge.
In einem weiteren Entscheid vom 6. Oktober 201034 wurde das langjährige Mietverhältnis über die Gartenwohnung einer herzkranken und depressiven Mieterin in bescheidenen finanziellen Verhältnissen gekündigt. Die Mieterin war durch ihre Krankheit vereinsamt und pflegte praktisch nur noch zu ihrer Tochter Kontakt. Der Garten war gemäss Feststellung der Vorinstanz noch die letzte Freude, die ihr geblieben war. Vermieterin war eine AG, deren Alleinaktionärin die Gartenwohnung ihrem Sohn zuhalten wollte. Der Sohn studierte und lebte abwechselnd bei seinem Vater und bei den Eltern seiner Freundin. Er wollte zusammen mit der Freundin eine eigene Wohnung. Im Verlauf des Kündigungsschutzverfahrens wurden in der gleichen Liegenschaft zwei andere Wohnungen frei. Sie kamen nach Auffassung der Vermieterin für ihren Sohn einzig deshalb nicht in Frage, weil der Hund der Freundin den Auslauf der Gartenwohnung benötige. Damit, so stellte das Bundesgericht fest, stelle die Vermieterin gar nicht so sehr das Bedürfnis ihres Sohnes, sondern die Bedürfnisse des Hundes in den Vordergrund. Das gab den Ausschlag, die Kündigung als unverhältnismässig zu erachten.
Der Sachverhalt in diesen beiden Fällen mag ungewöhnlich sein. Aufhorchen lässt aber eine damit eingeleitete spürbare Änderung der Rechtsprechung der vergangenen Jahre. Die Abwägung zwischen dem Kündigungsinteresse des Vermieters und der damit ausgelösten Härte für den Mieter erfolgte zumindest in den letzten Jahren in der Regel erst bei der Erstreckung des Mietverhältnisses. In den beiden zitierten Fällen wurde diese Abwägung bereits vorgenommen, um die Gültigkeit der Kündigung zu überprüfen. Das Bundesgericht besann sich damit neu darauf, dass eine Kündigung auch missbräuchlich sein kann, wenn sie sich angesichts der auf dem Spiel stehenden Interessen von Mieter und Vermieter als unverhältnismässig erweist.
2.3 Rechtsprechung zur Erstreckung
Vor noch nicht allzu langer Zeit beschied das Bundesgericht, dass eine Ersterstreckung keineswegs die Regel sei.35 In einem Entscheid vom 13. April 201036 korrigierte es nun das Obergericht des Kantons Zürich und wandelte dessen definitive Erstreckung in eine Ersterstreckung um. Eine definitive Erstreckung, so die Begründung, sei nur angezeigt, wenn klar ist, auf welchen Zeitpunkt der Mieter eine Ersatzlösung finden kann oder wenn dem Vermieter selbst im Falle des möglichen Fortbestandes der Härte auf Mieterseite eine weitere Erstreckung beispielsweise wegen Eigenbedarfs nicht zugemutet werden könne. Allenfalls müsse aber der Ausschluss der Zweiterstreckung durch eine längere Erstreckungsdauer ausgeglichen werden.
Der Fall betraf eine Autospenglerei mit Spritzwerkstatt, welche für ihren Betrieb inklusive Aussenfläche ein Areal von rund 1400 Quadratmeter benötigte. Sie hatte sich eine Kündigung per 31. März 2009 eingehandelt, weil sie behördliche Auflagen für ihren Betrieb nur zögerlich erfüllt hatte. Schlichtungsbehörde und Mietgericht hatten die Kündigung noch als ungültig erachtet. Das Obergericht stellte jedoch mit Urteil vom 30. Juni 2009 die Gültigkeit der Kündigung fest und erstreckte das Mietverhältnis letztmals bis 30. Juni 2010. Das Bundesgericht wandelte diese Erstreckung in eine Ersterstreckung um, weil der Mieter erst nach dem Urteil des Obergerichts verpflichtet gewesen sei, die Suche nach einem Ersatzobjekt aufzunehmen. Zudem sei es für ihn schwierig gewesen, ein geeignetes Areal für seinen Betrieb zu finden. Zeit benötige der Mieter ausserdem, weil er auf einem Ersatzobjekt Spritzkabinen einbauen muss und dazu eine behördliche Bewilligung benötigt.
Der Kündigungsgrund, nämlich die verzögerte Erfüllung von behördlichen Auflagen, spiele bei der Erstreckung keine Rolle mehr, da diese Auflagen inzwischen erfüllt worden seien. Mit dieser Abgrenzung von erstmaliger und definitiver Erstreckung kann man sich gut abfinden, auch wenn das Bundesgericht dabei betont, dass zwischen den beiden Erstreckungsarten nach wie vor kein Regel-/Ausnahmeverhältnis bestehe.
2.4 Kündigung bei Zahlungsverzug
Unter den ausserordentlichen Kündigungen ist die Kündigung wegen Zahlungsverzugs der Spitzenreiter in der Praxis. Das liegt nicht nur an der fehlenden Zahlungsmoral, sondern auch am Umstand, dass die Voraussetzungen für diese Kündigung im Gesetz (Art. 257d OR) klar und mit scheinbar wenig Interpretationsspielraum festgehalten sind. Trotzdem stellen sich immer wieder neue Fragen.
2.4.1 Keine Verkürzung der Zahlungsfrist
Der Mieter muss nach der Kenntnis einer Zahlungsaufforderung mit Kündigungsandrohung volle dreissig Tage Zeit haben, um die nötigen Mittel zu beschaffen und die Ausstände zu begleichen. So lautet einer der Grundsätze, nach denen das Bundesgericht seine Rechtsprechung zur Zahlungsverzugskündigung richtet. Dabei stellt es aber, wie zwei neuere Entscheide zeigen, nur auf die subjektive Situation des Mieters ab.
Eine Zahlungsaufforderung, auf der die für eine rechtsgültige Vertretung der Vermieter erforderliche Kollektivunterschrift fehlt, ist nach den Grundsätzen der Stellvertretung nicht einfach ungültig. Ihre Rechtswirkung bleibt in Schwebe, bis sie vom weiteren Unterschriftsberechtigten genehmigt wird. Damit ist ihr Mangel geheilt. Dieser Schwebezustand und die damit verbundene Ungewissheit ist dem Mieter aber nicht zumutbar. Sie darf ihm vor allem die Zahlungsfrist nicht verkürzen. Daher beginnt diese Zahlungsfrist erst, wenn erforderliche Genehmigung durch den weiteren Unterschriftsberechtigten erfolgt ist. Gleichzeitig hält das Bundesgericht aber fest, dass dies nur gelte, wenn sich der Mieter tatsächlich im Ungewissen befinde, ob die Zahlungsaufforderung nun rechtswirksam sei oder nicht. Bemerkt er den Mangel dagegen erst nach Ablauf der dreissigtägigen Zahlungsfrist und wird dieser geheilt, wird damit die nachfolgende Kündigung wirksam.37
Ob dem Mieter die Zahlungsfrist verkürzt wurde, ist nach Bundesgericht ebenfalls das entscheidende Kriterium für die Wirksamkeit einer verfrüht ausgesprochenen Kündigung. Trifft die Kündigung erst nach Ablauf der Zahlungsfrist ein, ist sie folglich trotz verfrühter Datierung wirksam.38
Insbesondere mit dem zweiten Entscheid bekennt sich das Bundesgericht zu einer recht vermieterfreundlichen Ausreizung des Gesetzeswortlauts, bedenkt man die unabwendbaren Folgen einer wirksamen vorzeitigen Kündigung wegen Zahlungsverzugs.
2.4.2 Umstrittene Nachbelastung von Nebenkosten
Dass nicht jeder Zahlungsverzug auf schlechter Zahlungsmoral oder Zahlungsunfähigkeit beruht, zeigt ein weiterer Fall, den das Bundesgericht zu beurteilen hatte.39 Hier wurde die Mieterin mit einer Nachzahlung aus der Nebenkostenabrechnung von 7800 Franken konfrontiert. Sie ortete aber einen Rechnungsfehler, bezweifelte den Verteilschlüssel und ersuchte um Offenlegung der tatsächlichen Kosten. Zur Klärung rief sie die Schlichtungsbehörde an. Sie bestritt dabei die Nachforderung nicht gesamthaft, sondern nur zu einem Teil. Als die Zahlungsaufforderung mit Kündigungsandrohung eintraf, teilte sie dem Vermieter noch innerhalb der dreissigtägigen Zahlungsfrist mit, die Kündigungsandrohung sei ihres Erachtens hinfällig, da sie zur Klärung der offenen Fragen bereits die Schlichtungsbehörde angerufen habe.
Das wurde ihr zum Verhängnis. Das Bundesgericht erachtete die nachfolgende Zahlungsverzugskündigung als wirksam, allerdings mit einer differenzierten Begründung. Zumindest den anerkannten Teil der Nachforderung hätte die Mieterin nach Auffassung des Bundesgerichts innert der dreissigtägigen Zahlungsfrist begleichen müssen. Ob das den Umkehrschluss zulässt, dass die Kündigung in jedem Fall unwirksam bleibt, wenn der Mieter nur mit dem bestrittenen Betrag der Nebenkosten in Verzug ist, bleibt offen. Noch immer empfiehlt es sich, bestrittene Nachzahlungen aus Nebenkostenabrechnungen fristgerecht zu begleichen, verbunden mit einer schriftlichen Klarstellung, dass dies ohne Anerkennung einer Rechtspflicht erfolge.
2.4.3 Mitgemietete Parkplätze
Parkplätze, die zusammen mit einer Wohnung gemietet werden, unterstehen gemäss Art. 253a Abs. 1 OR den mietrechtlichen Bestimmungen über Wohn- und Geschäftsräume, somit auch den Vorschriften über die Mietzinsgestaltung, die Kündigungsfrist und die Kündigungsschutzbestimmungen. Sie folgen gemäss Lehre und Rechtsprechung dem Schicksal der Hauptmietsache. Das heisst nach Bundesgericht aber noch nicht, dass ein Zahlungsverzug, der sich nur auf mitgemietete Parkplätze bezieht, unweigerlich auch eine Zahlungsverzugskündigung der Wohnung nach sich zieht.40 Nach Bundesgericht ist nicht der funktionale Zusammenhang der Mietverträge entscheidend, sondern die Frage, ob die einzelnen Teile sinnvollerweise auch unabhängig voneinander vermietet und genutzt werden können. Weil das für die Parkplätze im konkreten Fall zutraf, wurde die Zahlungsverzugskündigung nur für die Parkplätze geschützt, für die Wohnung dagegen als unwirksam erklärt.
2.5 Auslösung der Kündigungssperrfrist
Die dreijährige Sperrfrist für eine Kündigung wird ausgelöst, wenn der Mieter in einer mietrechtlichen Auseinandersetzung einen gewissen Erfolg erzielt. Das trifft zu, wenn die Auseinandersetzung durch Vergleich erledigt wird (Art.271a Abs. 1 lit. e Ziffer 4 OR), aber auch wenn der Vermieter bei einer strittig geführten Auseinandersetzung zu einem erheblichen Teil unterlegen ist (Art. 271a Abs. 1 lit. e Ziffer 1 OR).
Nun stellt das Bundesgericht klar, dass der Begriff «zu einem erheblichen Teil» nicht einfach prozentual nach Streitwert bemessen werden kann.41 Sinn der Bestimmung ist vielmehr, den Mieter nicht um die Früchte seines berechtigten Vorgehens gegen den Vermieter zu bringen. Daher dürfen an den Begriff nicht allzu strenge Anforderungen gestellt werden. In Betracht fallen die objektive und subjektive Erheblichkeit des Streitgegenstands, das vorprozessuale Verhalten der Parteien und deren Möglichkeit, die Prozessaussichten abzuschätzen. Zur Beurteilung stand ein Fall, in dem sich die Parteien gestritten hatten, ob zwischen ihnen ein gültiger Mietvertrag zustande gekommen sei. Zudem hatte der Mieter für den ihm vom Vermieter verweigerten Zugang zum Mietobjekt Schadenersatz verlangt. Das Schadenersatzbegehren wurde abgewiesen, doch wurde gleichzeitig rechtsgültig festgestellt, dass zwischen den Parteien ein gültiger Mietvertrag zustande gekommen sei.
Nach Auffassung des Bundesgerichts reichte das aus, um die gesetzliche Sperrfrist für Kündigungen auszulösen, weil der Mieter bezüglich des wesentlichen Streitgegenstandes obsiegt hatte.
2.6 Zustellungstag einer Kündigung
Die Mehrheit der Lehre befürwortet die sogenannte absolute Empfangstheorie für Kündigungen. Dem folgte in der Regel auch die Rechtsprechung in der Deutschschweiz. Weniger klar waren die Verhältnisse in der Romandie. Nun ist höchstrichterlich geklärt worden, wann eine Kündigung sowohl in der Westschweiz als auch in der Deutschschweiz als zugestellt gilt.
Das Bundesgericht befürwortet die absolute Empfangstheorie.42 Danach gilt die Kündigung als zugestellt, sobald sie in den Machtbereich des Adressaten gelangt. Bei eingeschriebener Post ist das der Tag, an welchem dem Postboten der Empfang quittiert wird. Legt der Postbote aber einen Abholschein in den Briefkasten, gilt die Kündigung nicht erst als zugestellt, wenn sie tatsächlich am Postschalter abgeholt wird, sondern bereits dann, wenn sie gemäss Angaben auf dem Abholschein erstmals am Postschalter abgeholt werden kann. Das ist in aller Regel der nachfolgende Tag.
Das Risiko der Zustellung werde so gerecht auf Empfänger und Absender verteilt, begründete das Bundesgericht. Der Absender trage das Risiko für die Zustellung der Sendung bis in den Machtbereich des Empfängers. Innerhalb seines Machtbereichs trage dagegen der Empfänger das Risiko, ob er vom Inhalt Kenntnis erhalte. Nach wie vor gilt aber die sogenannt relative Empfangstheorie schon nach geltender neuer ZPO weiterhin für alle Verfahrensfristen sowie im Mietrecht bei der Zustellung der Mietzinserhöhung und der Zahlungsaufforderung mit Kündigungsandrohung. Das ist nach Bundesgericht angezeigt, weil dem Mieter bei der Mietzinserhöhung die ungeschmälerte zehntägige Bedenkzeit für eine allfällige Kündigung vor Eintritt der Mietzinserhöhung zur Verfügung stehen solle. Das Gleiche müsse auch bei der Androhung der Zahlungsverzugskündigung für die dreissigtägige Zahlungsfrist gelten (vgl. Kündigung bei Zahlungsverzug 2.4.1).
2.7 Rechtsprechung Mietzins und Nebenkosten
2.7.1 Mietzinsanpassung bei Indexmiete
Eine Geschäftsmieterin schloss 1992 bei einem Hypothekarzinssatz von 6,75 Prozent einen Mietvertrag mit fester fünfjähriger Laufdauer bis 31. Dezember 1997 ab. Der Vertrag verlängerte sich jeweils um weitere fünf Jahre, sofern er von keiner Partei auf den Ablauf der festen Dauer gekündigt wurde. Der Mietzins war indexiert und betrug zuletzt ab 1. Januar 2007 monatlich 17 709 Franken. Am 21. März 2007 verlangte die Mieterin per 1. Januar 2008 eine monatliche Mietzinsherabsetzung von 5059 Franken, die sie später unter Zugeständnis gewisser Verrechnungsmöglichkeiten des Vermieters auf 4456 Franken reduzierte. Sie begründete dies mit dem seit Vertragsabschluss gesunkenen Referenzzinssatz für Hypotheken.
Das Bundesgericht gab ihr dem Grundsatz nach Recht, wies den Fall allerdings zur Feststellung der konkreten Verrechnungsansprüche des Vermieters an die Vorinstanz zurück.43 Das Ergebnis mag auf den ersten Blick erstaunen. Es entspricht aber der gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichts zur Abgrenzung der relativen von der absoluten Berechnungsmethode beziehungsweise zu den Grundsätzen des Vertrauensschutzes. Es ist nicht neu, dass bei einer Indexmiete jede Vertragspartei auf den Ablauf der festen Vertragsdauer eine Anpassung des Mietzinses verlangen kann. Sie kann dazu wahlweise die relative oder absolute Berechnungsmethode anrufen.
Die Mieterin stützte ihr Mietzinsherabsetzungsbegehren im vorliegenden Fall auf die relative Methode. Allerdings verbietet der Vertrauensschutz, die Mietzinsfestlegung hinter die letzte verbindliche Basis zurückzuverfolgen. Eine Schranke bildete daher der letzte Ablauf einer fünfjährigen Laufdauer. Da keine Partei auf diesen Zeitpunkt eine Mietzinsanpassung verlangt hatte, setzte sich die Indexmiete auf der Kostenbasis dieses Ablaufdatums fort.
Bei Mietzinsanpassungen infolge von Hypothekarzinsveränderungen wird jedoch die relative Methode kraft Art. 13 Abs. 4 der Verordnung über die Miete und Pacht von Wohn- und Geschäftsräumen (VMWG) durchbrochen. Hier darf berücksichtigt werden, ob und inwieweit frühere Hypothekarzinsveränderungen zu Mietzinsanpassungen geführt haben. Doch gilt auch das nicht absolut. Die Rechtsprechung schränkt die Rückverfolgung der Hypothekarzinsentwicklung bis zur letzten Mietzinsfestsetzung nach absoluter Methode ein oder bis zur letzten Mietzinsanpassung an die Hypothekarzinsentwicklung.
Im vorliegenden Mietverhältnis gab es keine dieser beiden Schranken, weshalb die Mieterin die Hypothekarzinssenkung seit Vertragsabschluss geltend machen konnte. Der Zinssatz war in diesem Zeitraum von 6,75 Prozent auf 3,25 Prozent gesunken. Der Vermieter kann zwar andere Erhöhungsgründe zur Verrechnung bringen, doch nur solche, die sich seit Ablauf der letzten Vertragsdauer ereignet haben, denn für Teuerung und übrige Kostensteigerungen gilt die Ausnahme von Art. 13 Abs. 4 VMWG nicht.
2.7.2 Beweis bei Anfechtung des Anfangsmietzinses
Bei der Anfechtung der Anfangsmiete trägt der Mieter die Beweislast für die Missbräuchlichkeit des Mietzinses. Das gilt auch, wenn im betreffenden Kanton der Anfangsmietzins mit amtlichem Formular angezeigt werden muss.44
Allein schon mit dieser Klarstellung entschied das Bundesgericht eine insbesondere in der Romandie heiss geführte Auseinandersetzung. Doch kann sich der Vermieter nicht auf diesem Grundsatz ausruhen. Im vorliegenden Fall berief sich der Mieter auf eine übersetze Nettorendite.
Offenbar war die Liegenschaft noch nicht so lange im Eigentum des Vermieters, dass dieser sich der Nettorenditeberechnung entziehen und statt dessen auf die Behelfsgrösse der Ortsüblichkeit ausweichen konnte. Der Vermieter war daher auf Aufforderung hin verpflichtet, alle für die Berechnung der Nettorendite erforderlichen Unterlagen vorzulegen. Da er dieser Mitwirkungspflicht nicht nachkam, setzte der Richter den Anfangsmietzins kurzerhand anhand der Genfer Mietzinsstatistik fest. Nach Bundesgericht war das nicht zu beanstanden, da dem Richter andere Parameter für die richterliche Festsetzung des Anfangsmietzinses fehlten.
2.7.3 Nebenkosten bei subventionierter Wohnung
In seinen Subventionsbestimmungen für den vom Kanton finanziell unterstützten Wohnungsbau bestimmt der Kanton Freiburg unter anderem, dass in den Mietverhältnissen dieser Wohnungen die zulässigen Nebenkosten gleich definiert werden wie die Nebenkosten in den vom Bund subventionierten Wohnungen.
Damit fanden sich zwei Mieter nicht ab. Sie verlangten die als Nebenkosten belasteten Grundsteuern sowie die Kosten für Gebäudeversicherung zurück, weil sie nach mietrechtlichen Bestimmungen nicht nebenkostenfähig sind. Das Bundesgericht gab ihnen recht.45
Kantonale Subventionsbestimmungen können die zulässigen Nebenkosten nicht anders definieren als das Mietrecht. Das ergibt sich aus der derogatorischen Kraft des Bundeszivilrechts gegenüber dem kantonalen Recht. Danach darf kantonales Recht das Bundeszivilrecht nicht aushöhlen. Es kann es allenfalls ergänzen, wenn dies im öffentlichen Interesse ist. Doch sah das Bundesgericht nicht, inwiefern die abweichende Definition der Nebenkosten durch die kantonalen Subventionsbestimmungen von öffentlichem Interesse sein soll.
2.8 Streitgenossenschaft von Eheleuten notwendig
Sind beide Ehegatten Mieter, was heute der Regelfall sein dürfte, bilden sie für die Anfechtung einer Mietzinserhöhung eine notwendige Streitgenossenschaft. Nur die Rechte aus Kündigungsschutz - Kündigungsanfechtung oder Erstreckungsbegehren - kann jeder von ihnen einzeln gestützt auf die Schutzbestimmungen für die eheliche Wohnung selbständig einklagen.46
Das Bundesgericht begründet die notwendige Streitgenossenschaft in den übrigen Fällen sorgfältig und räumt mit einer offenbar verbreiteten Meinung auf, dass sich der Schutz der ehelichen Wohnung auch auf die Abwehr einer Verteuerung dieser Wohnung beziehe. Doch das sprengt nach verbreiteter Lehre den Wortlaut der Schutzbestimmung (Art. 266m OR, Art. 273a OR, Art. 169 ZGB).
1 ZR 2010 Nr. 31.
2 Urteil 4A_223/2010 vom 12.7.2010 = ARV 2010, 258.
3 Urteil 4A_509/2009 vom 7.1.2010 = ARV 2010, 101.
4 Urteil 4A_593/2009 vom 5.3.2010 = ARV 2010, 193.
5 Praxis 2011 Nr. 7.
6 JAR 2009, 563.
7 Praxis 2011 Nr. 40.
8 BGE 136 I 332.
9 Urteil vom 30.11.2010 (AN100566), nicht rechtskräftig. Tages-Anzeiger vom 30.12.2010.
10 Urteil 4A_569/2010 vom 14.2.2011.
11 Urteil des Kantonsgerichts St. Gallen vom 11.04.2008, JAR 2009, 588.
12 Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich vom 27.01.2010 PB.2009.00035, bestätigt durch das Bundesgericht am 19.08.2010 (8C_211/2010).
13 Roger Rudolph, «Bagatelldelikte am Arbeitsplatz:
ein ausreichender Grund für eine fristlose Entlassung?», AJP 2010, 1516 ff.
14 Praxis 2011 Nr. 41.
15 Urteil 4A_187/2010 vom 6.9.2010 .
16 Urteil 8C_151/2010 vom 31.08.2010.
17 Urteil 4A_283/2010 vom 11.08.2010.
18 Praxis 2011 Nr. 28.
19 Isabelle Wildhaber / Alexandra Johnson Wilcke,
«Die Schiedsfähigkeit von individualarbeitsrechtlichen Streitigkeiten in der Binnenschiedsgerichtsbarkeit», ARV 2010, 160 ff.
20 Praxis 2011 Nr. 42.
21 Urteil 4A_248/2010 vom 12.7.2010.
22 Urteil 4A_94/2010 vom 4.5.2010 = ARV 2010, 189.
23 Urteil 4A_343/2010 vom 6.10.2010.
24 BBl 2010, 6455.
25 BBl 2010, 6905.
26 plädoyer 3/10, S. 39 ff.
27 BGE 132 III 109 in mp 3/06, S. 191.
28 Urteil 4A_38/2010 vom 1.4.2010, in mp 3/10, S. 190.
29 BGE 132 III 109 in mp 3/06, S. 191.
30 Urteil 4A_241/2010 vom 10. 8. 2010, in mp 4/10, S. 280.
31 Urteil 4A_623/2010 vom 2.2.2011.
32 Urteil 4A_629/2010 vom 2.2.2011.
33 Urteil 4A_300/2010 vom 2.9.2010, in mp 1/11, S. 67.
34 Urteil 4A_297/2010 vom 6.10.2010, in mp 1/11, S.72.
35 Urteil 4A_105/2009 vom 5.6.2009 in mp 4/09, S. 255.
36 Urteil 4A_62/2010 vom 13.4.2010 in mp 3/10, S. 212 und MRA 5/10, S. 207.
37 Urteil 4A_107/2010 vom 3.5.2010 in mp 4/10, S. 265 und MRA 1/11, S. 26.
38 Urteil 4A_585/2010 vom 2.2.2011.
39 Urteil 4A_325/2010 vom 1.10.2010.
40 Urteil 4A_622/2010 vom 21.2.2011 zur Veröffentlichung in der AS vorgesehen.
41 Urteil 4A_459/2010 vom 4.1.2011.
42 Urteil 4A_656/2010 vom 14.2.2011 zur Veröffentlichung in der AS vorgesehen.
43 Urteil 4A_489/2010 vereinigt mit 4A_531/2010 vom 6.1.2011.
44 Urteil 4A_3/2011 vom 28.3.2011.
45 Urteil 4A_546/2010 vom 17.3.2011 zur Veröffentlichung in der AS vorgesehen.
46 BGE 136 III 431 in mp 4/10, S. 293.