1. Adäquater Kausalzusammenhang
Das Bundesgericht hat in konstanter Praxis stets festgehalten, dass im Haftpflichtrecht im Gegensatz zum Unfallversicherungsrecht die Schwere oder Leichtigkeit des Unfallereignisses bei der Adäquanzbeurteilung ausser Betracht falle. Da selbst singuläre Folgen adäquat sein können, befand das Bundesgericht in einem Urteil vom 25. März 20091, dass die Vorinstanz kein Bundesrecht verletzt habe, wenn sie den adäquaten Kausalzusammenhang zwischen einem Unfall und den dauernden psychischen Beschwerden bejaht habe. Damit ist erneut bestätigt worden, dass die Unterschiede bei der Adäquanzbeurteilung im Haftpflichtrecht und im sozialen Unfallversicherungsrecht beibehalten werden.
2. Erneute Adäquanzdiskussion
2.1 Ausgangslage
Mit Spannung erwarteten interessierte Kreise das Urteil des Bundesgerichtes vom 17. November 2009.2 Insbesondere die Versicherungswirtschaft erhoffte sich von diesem Urteil eine definitive Klärung diverser Themen wie etwa der sogenannten Harmlosigkeitsgrenze oder des Beweiswertes biomechanischer Gutachten. Wie war die Ausgangslage?
2.2 Sachverhalt
Das Handelsgericht Zürich hatte sich im Urteil vom 16. Juni 20083 mit einer Auffahrkollision bei einer Geschwindigkeitsänderung von 4,5 Stundenkilometer zu befassen. Die Klägerin wurde noch am Unfalltag im Kreisspital Männedorf behandelt, wo die Ärzte ein Halswirbelsäule-Distorsionstrauma diagnostizierten. In der Folge wurde die Klägerin in zwei Kliniken wegen zunehmender Schmerzen stationär behandelt. Das Handelsgericht wies mit erwähntem Urteil die Klage ab. Begründung:
< Der natürliche Kausalzusammenhang zwischen Beschwerden und der minimalsten Unfallkollision sei nicht bewiesen.
< Die beklagte Haftpflichtversicherungsgesellschaft habe mit dem biomechanischen Gutachten den Gegenbeweis erbracht, dass sowohl das Schleudertrauma wie auch das geltend gemachte milde Schädelhirntrauma nicht auf das angeklagte Unfallereignis zurückgeführt werden können.
< Nach Würdigung der gesamten Umstände sei nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge und der allgemeinen Lebenserfahrung nicht zu erwarten, dass nach einer minimalsten Auffahrkollision ein relativ komplexes Krankheitsbild mit nicht zu vernachlässigenden psychischen Elementen entstehen könne. Daher sei auch die Adäquanz zu verneinen.
2.3 Urteilsbegründung
Das Bundesgericht urteilte auf klägerische Beschwerde hin am 17. November 2009 wie folgt:
2.3.1 Der natürliche Kausalzusammenhang muss nicht mit wissenschaftlicher Genauigkeit nachgewiesen werden, es genügt, dass er als überwiegend wahrscheinlich erscheint. Dies ist dann zu verneinen, wenn nach den besonderen Umständen des Falles neben den behaupteten weitere Ursachen ebenso ernsthaft in Frage kommen oder sogar näher liegen.
Das Bundesgericht wiederholt damit die altbewährte Definition betreffend die überwiegende Wahrscheinlichkeit. Das Gericht verzichtet auf Prozentangaben, wie es sie im Urteil vom 23. September 20084 noch aufgestellt hatte.
2.3.2 Die Beweisanforderungen an das Vorliegen einer Verletzung der Halswirbelsäule (HWS), wie sie die sozialversicherungsrechtliche Abteilung des Bundesgerichts in BGE 134 V 109 umschrieben hat, können auch für haftpflichtrechtliche Fälle zur Anwendung gelangen (möglichst genaue und verifizierbare Dokumentation des Unfallhergangs, genügende ärztliche Erstabklärung, eingehende medizinische inter- beziehungsweise polydisziplinäre Abklärung durch Gutachter, die über zuverlässige Vorakten verfügen).
Die hohe Beweishürde begründet das Bundesgericht damit, dass Verletzungen der Halswirbelsäule zwar klinisch untersucht, aber abgesehen von ossären Läsionen und dergleichen nicht bildgebend objektiviert werden können. Deshalb könne den Angaben der versicherten Person über bestehende Beschwerden besondere Bedeutung zukommen. Dies enthalte aber auch ein Missbrauchspotenzial. Zudem könne das für derartige Verletzungen als typisch erachtete Beschwerdebild gegebenenfalls auch nichttraumatischer Genese, also nicht verletzungsbedingt sein.
Das Bundesgericht erachtete die vorinstanzliche Beweiswürdigung, wonach der natürliche Kausalzusammenhang nicht erstellt sei, als willkürfrei und wies die Beschwerde demzufolge ab. Die Vorinstanz hatte vor allem Widersprüche bei den Angaben der Klägerin selbst und in der medizinischen Dokumentation aufgezeigt. Zum Verhängnis wurde der Klägerin vor
allem, dass sie trotz einer Aufforderung des Handelsgerichtes auf ein interdisziplinäres Gutachten verzichtet hatte.
2.3.3 Nachdem der natürliche Kausalzusammenhang auch für das Bundesgericht nicht erstellt war, musste es zum Beweiswert biomechanischer Gutachten, zur sogenannten Harmlosigkeitsgrenze sowie zum adäquaten Kausalzusammenhang nicht Stellung beziehen: Diesen Themenkreisen kam keine entscheiderhebliche Bedeutung mehr zu.
2.3.4 Wie das Bundesgericht die aufgeworfenen, aber nicht mehr entscheidrelevanten Fragen beantwortet hätte, bleibt Spekulation.
Immerhin lässt sich eines erkennen: Das Bundesgericht in Lausanne war offensichtlich um die Angleichung an die Schleudertraumapraxis der sozialversicherungsrechtlichen Abteilung des Bundesgerichts in Luzern bemüht, soweit es die Beweisanforderungen an den natürlichen Kausalzusammenhang bei Schleudertraumaverletzungen betrifft.
Das Bundesgericht in Luzern hat in einem Anwendungsfall zu BGE 134 V 109 mit Urteil vom 9. November 2009 E.4.2.25 bei einem Unfall mit einer Geschwindigkeitsänderung von zwei bis fünf Stundenkilometer festgestellt, dass die Frage nach einer Harmlosigkeitsgrenze auch offen bleiben könne; dies mit dem Hinweis darauf, dass es die aktuelle Rechtsprechung infolge der stets mit unsicheren Faktoren behafteten Ermittlung der tatsächlichen Geschwindigkeitsveränderung ablehne, einen Grenzwert für die Bejahung der Adäquanz einzuführen.
Es verbleiben daher erhebliche Zweifel, ob das Bundesgericht in Lausanne mit Blick auf seine Angleichungsbemühungen dem inständigen Begehren der Versicherungen auf Festlegung einer Harmlosigkeitsgrenze - also eine Geschwindigkeitsänderung von zehn Stundenkilometer bei Auffahrunfällen - stattgegeben hätte.
3. Kausalzusammenhang und Beweislast
In einem späteren, italienischsprachigen Entscheid vom 17. Februar 20106 hat das Bundesgericht erneut bestätigt, dass der natürliche Kausalzusammenhang im Recht der sozialen Unfallversicherung und im zivilen Haftpflichtrecht identisch sei. Bezüglich der Beweislast verwies das Bundesgericht jedoch auf die folgenden Differenzierungen:
Während der soziale Unfallversicherer seine Leistungen einstellen könne, wenn der Gesundheitszustand des Versicherten derselbe sei wie vor dem Unfall («status quo ante») oder aber so, wie er auch ohne Unfall wäre («status quo sine»), genüge es für die Leistungspflicht des Haftpflichtigen, dass der natürliche Kausalzusammenhang im Moment des Unfalls gegeben sei.
Wenn der gerichtliche Experte feststelle, dass der Unfall die gesundheitliche Beeinträchtigung ausgelöst habe, genüge dies für den Kausalzusammenhang zwischen dem Unfall und dem Schaden. Da es sich beim Erreichen des status quo sine vel ante um eine anspruchsmindernde beziehungsweise anspruchshindernde Tatsache handle, habe nicht die geschädigte Person den Fortbestand des Ursachenzusammenhangs zu belegen, sondern es liege die Beweislast beim belangten Haftpflichtigen. Wenn ungeklärt bleibt, ob und wie weit sich ein Vorzustand auswirkt, bleibt der Haftpflichtige vollumfänglich leistungspflichtig.
4. Substanziierung des Schadens
In einem Urteil vom 6. Oktober 20097 hielt das Bundesgericht fest, dass sich die Anforderungen an den Inhalt der Behauptungen einer Partei nach Bundesrecht richten. Da das Bundeszivilrecht verlange, dass jede auf Bundesrecht beruhende Rechtsbehauptung bei hinreichendem Interesse zum Urteil zugelassen werde, entscheide es auch darüber, ob die von den Parteien nach den kantonalen Prozessrechtsformen fristgerecht vorgebrachten, tatbeständlichen Anbringen erlauben, ihre Rechtsbehauptung zu beurteilen.
Eine Behauptung genügt den Anforderungen gemäss Bundesgericht, wenn der Sachverhalt so konkretisiert wird, dass ihn der Richter unter die Bestimmungen des Bundesrechts subsumieren kann. Wenn daher eine kantonale Instanz eine Klage zu Unrecht mit der Begründung abweise, der Kläger habe sie nicht genügend substanziiert, verletze sie materielles Bundesrecht, weil sie die Partei um das ihr zustehende Klagerecht bringe. Artikel 8 ZGB sei damit verletzt.
Behauptungen sind gemäss Bundesgericht hinreichend substanziiert, wenn sie unter der Annahme, sie seien bewiesen, einen Sachverhalt ergeben, den das Gericht den entsprechenden Gesetzesnormen zuordnen und gestützt darauf die Forderung zusprechen kann.
Die Anforderungen an die Substanziierung wurden in letzter Zeit durch die kantonalen Gerichte extrem nach oben geschraubt, dies mit Segen des Bundesgerichts. Dabei wurde man öfters den Verdacht nicht ganz los, dass die Substanziierungspflicht den kantonalen Gerichten als willkommenes Vehikel diente, um Klagen ohne weitere Sachverhalts- und mühsame Beweisabklärungen abzuweisen. Der Gerechtigkeitsgedanke blieb dabei auf der Strecke. Das referierte Urteil des Bundesgerichtes erweckt Hoffnung, dass dieser «Untugend» nun doch höchstrichterlich Gegensteuer erwächst.
5. Substanziierung bei Beweiserleichterung
Den nicht ziffermässig nachweisbaren Schaden hat der Richter nach Artikel 42 Absatz 2 OR zu schätzen. Für diesen Fall begründet Artikel 42 Absatz 2 OR eine Beweiserleichterung.
Gemäss einem Urteil des Bundesgerichtes vom 8. September 20098 hat der Geschädigte dem Richter auch in einer solchen Situation alle Umstände, die für den Eintritt des Schadens sprechen und dessen Abschätzung erlauben oder erleichtern, soweit möglich und zumutbar zu behaupten und zu beweisen. Verletzt der Kläger diese Obliegenheit ganz oder teilweise, fehlen die Voraussetzungen für die Anwendung von Artikel 42 Absatz 2 OR und die Klage muss mangels Beweis abgewiesen werden, selbst wenn die Existenz des Schadens an sich sicher ist.
So hat das Bundesgericht mit besagtem Urteil die Klage eines Kunsthändlers abgewiesen, der es unterlassen hatte, im Prozess gegen den Transporteur, der ein Kunstwerk verloren hatte, zur Erklärung der Widersprüche zwischen verschiedenen Schätzungen die jeweiligen Experten als Zeugen zu nennen und eine gerichtliche Expertise zu beantragen.
In einem früheren Urteil vom 27. November 20089 hatte das Bundesgericht bereits im Zusammenhang mit dem Ersatz von Heilungskosten die Anwendung von Artikel 42 Absatz 2 OR versagt, weil die geschädigte Person über Belege verfügte. Das Bundesgericht liess den Einwand der Klägerin, sie habe nicht die Kraft gehabt, die zahlreichen Belege zu ordnen, nicht gelten.
Fazit: Auf Artikel 42 Absatz 2 OR ist somit kein Verlass, die Substanziierungslast bleibt grundsätzlich bestehen.
6. Nettolohn bei vorübergehendem Erwerbsausfall
Nach einem Verkehrsunfall und einer vorübergehenden Arbeitsunfähigkeit klagte der Geschädigte gegen die Haftpflichtige auf Schadenersatz. Die Invalidenrente wurde später eingestellt, da sich das Unfallopfer in der Zwischenzeit erholt hatte. Die kantonale Instanz musste infolge eines Rückweisungsentscheides des Bundesgerichts unter anderem den Schadenposten «bisheriger Erwerbsaufall» neu berechnen. Sie tat dies auf der Basis des Nettoeinkommens.
Im Urteil vom 29. März 201010 hat das Bundesgericht diese Berechnungsweise genehmigt. Der Erwerbsausfall entspricht danach der Differenz zwischen dem hypothetischen Lohn des Geschädigten ohne Unfall und dem Lohn, welcher der Geschädigte nach dem Unfall wahrscheinlich hätte erwerben können. Der Erwerbsausfall ermittelt sich aufgrund des Nettoeinkommens des Geschädigten, das dem Bruttoeinkommen abzüglich der Sozialversicherungsbeiträge entspricht.
In einem früheren Urteil entschied das Bundesgericht als Ausnahme von diesem Grundsatz, dass der vorübergehende Erwerbsausfall auf der Basis des Bruttoeinkommens berechnet werden müsse.11 Die dagegen erhobene Kritik ist nach Meinung des Bundesgerichts berechtigt.
In der AHV gilt das Solidaritätsprinzip zwischen den Versicherten. Gut verdienende Versicherte erhalten eine Rente, die maximal dem doppelten Rentenmindestbetrag entspricht, während weniger gut verdienende Versicherte Leistungen erhalten, welche die einbezahlten Beiträge übersteigen. Mit anderen Worten besteht nicht zwangsläufig eine Korrelation zwischen den während eines bestimmten Zeitraums nicht geleisteten Sozialversicherungsbeiträgen und der Verminderung der Altersrente. Demzufolge ist der Nettoerwerb bei der Berechnung des Erwerbsausfalls massgeblich, und zwar auch bei einem vorübergehenden Lohnausfall.
Mit diesem Entscheid hat das Bundesgericht seine Praxisänderung korrigiert und kehrt zu seiner Rechtsprechung in BGE 129 III 135 zurück.
Das bundesgerichtliche Argument mit der Solidarität im AHV-Bereich trifft zu. Das Bundesgericht lässt mit dieser Rechtsprechung aber ausser Acht, dass dem Unfallopfer auch (und dies ist weit gewichtiger als die AHV-Beiträge) BVG-Beiträge entgehen. Dies tritt insbesondere dann ein, wenn mangels bestätigter Invalidität im BVG-Bereich keine Prämienbefreiung erfolgt.
7. Aktivitätsdauer und Schadensberechnung
Ein selbständiger Taxiunternehmer wurde aufgrund eines Autounfalls teilweise arbeitsunfähig. Er klagte gegen die Versicherung des Schädigers auf Ersatz des entgangenen Gewinns. Vor Bundesgericht war die Berechnung dieses entgangenen Gewinns umstritten, namentlich die Frage, wie lange der Taxiunternehmer erwerbstätig geblieben wäre. Die Vorinstanz war von einer Aktivitätsdauer bis zum Alter 65 ausgegangen.
Im Urteil vom 20. April 201012 hat das Bundesgericht den vorinstanzlichen Entscheid bestätigt. Hinsichtlich Dauer der Erwerbstätigkeit ist laut Bundesgericht im Allgemeinen anzunehmen, dass Unselbständigerwerbende nicht über das AHV-Alter hinaus erwerbstätig sind. Dasselbe habe auch für Selbständigerwerbende zu gelten. Damit bestehe eine allgemeine Regel, wonach die Aktivitätsdauer für alle Kategorien von Erwerbstätigen bei Erreichen des gesetzlichen AHV-Rentenalters ende. Im konkreten Einzelfall dürfe aber für Selbständigerwerbende aufgrund der ausgeübten Tätigkeit, des allgemeinen Gesundheitszustandes oder der finanziellen Situation davon abgewichen werden.
Gründe für eine Abweichung lagen im konkreten Fall des Taxiunternehmers offenbar nicht vor. In der Praxis dürfte ein Hauptmotiv für die Annahme einer längeren Aktivität in einer mangelhaften Altersvorsorge liegen.
8. Ersatzpflicht der Begräbniskosten
Am 16. Mai 2006 erfasste X. mit seinem Auto eine 89-jährige Passantin, die neben einem Fussgängerstreifen die Strasse überquerte. Die betagte Frau erlag später im Spital ihren Verletzungen. Die Kosten für ihr Begräbnis beliefen sich auf rund 15 000 Franken. Die Vorinstanzen gingen gestützt auf die Mortalitätstabelle davon aus, dass die Erben die Bestattungskosten in etwa sechs Jahren ohnehin hätten tragen müssen. Daraus wurde geschlossen, ihr Schaden bestehe lediglich darin, dass diese Kosten sechs Jahre früher angefallen seien.
Das Bundesgericht hat nun mit Urteil vom 2. April 200913 Klarheit geschaffen. Auch wenn die Getötete ohne haftungsbegründendes Ereignis zu einem späteren Zeitpunkt mit Sicherheit gestorben wäre, sind die Kosten des Begräbnisses gemäss Artikel 45 Absatz 1 OR vom Haftpflichtigen vollumfänglich zu ersetzen und nicht bloss als Zinsausfallschaden.
Zum einen ergebe sich dies schon aus dem Gesetzeswortlaut. Zum anderen stehe nicht fest, dass die Kosten zu diesem späteren Zeitpunkt genau die gleichen gewesen wären und dass dieselben Hinterbliebenen hierfür hätten aufkommen müssen.
Die Kürzung könne auch nicht analog der Überlegungen zur konstitutionellen Prädisposition im Invaliditätsfall begründet werden. Letzterer Vorgang diene der Individualisierung der Schadensberechnung im Einzelfall und habe nichts gemein mit der Feststellung, dass alle Personen sterblich seien. Die Auswirkungen dieser generellen Tatsachen müssen vom Gesetz geregelt werden, wo der Gesetzgeber nicht anders verstanden werden kann, als dass die Begräbniskosten vollumfänglich zu ersetzen seien, zumal der mutmassliche Todeszeitpunkt stets spekulativ bleiben müsse und zu Diskussionen führen würde, welche für die Hinterbliebenen schmerzlich wären.
9. Produktehaftung bei Kippfenstern
Im Urteil vom 29. Juni 201014 öffnete die Klägerin in ihrem Restaurant ein Kippfenster mittels Handhebel. Das Kippfenster verfügte über keine seitlichen Sicherheitsscheren. Vorgängig war das Kippfenster am oberen Verschluss von Unbekannt ausgehängt und nicht wieder richtig eingehängt worden. Beim Betätigen des Handhebels fiel das Fenster deshalb herunter und traf die Klägerin am Kopf. Die Klägerin erlitt eine HWS-Distorsion und wurde arbeitsunfähig.
In der Folge fasste die Klägerin die Fensterproduzentin ins Recht und verlangte gestützt auf Artikel 4 des Produktehaftpflichtgesetzes (PrHG) Schadenersatz, weil das Fenster nicht die Sicherheit geboten habe, die sie unter Berücksichtigung aller Umstände zu erwarten berechtigt gewesen sei. Das Bundesgericht schützte die klageabweisenden vorinstanzlichen Urteile: Werde das Wiedereinhängen des Fenster nach dem Reinigen vergessen, stelle dies eine nachträgliche Manipulation am Produkt dar. Damit müsse der Hersteller nicht rechnen - obschon das Aushängen von der Konstruktionsmöglichkeit umfasst werde.
Für die Nachlässigkeit des Reinigungspersonals hafte der Hersteller nicht, ähnlich wie für die Folgen mangelhafter Wartung oder unsachgemässer Produktebehandlung. Auch wenn das Vergessen des Wiedereinhängens nicht auszuschliessen sei, könne dafür keine Sicherheitsmassnahme des Produzenten erwartet werden, zumal es sich dabei nicht um eine bekanntermassen häufig vorkommende, typische Fehlmanipulation handle (E.4.5).
Das Urteil setzt der Produzentenhaftung enge Grenzen. Solange eine Fehlmanipulation nicht häufig vorkommt und nicht typisch ist, ist sie nicht vorhersehbar.
10. Teilklage und Kostenrisiko
In einem Urteil vom 23. März 200915 hat das Bundesgericht ausdrücklich darauf hingewiesen, dass eine Teilklage zur Senkung des Kostenrisikos zulässig sei.
Im bereits erwähnten Produktehaftpflichtfall vom 29. Juni 201016 hatte sich das Bundesgericht zusätzlich mit Verfahrenskosten bei Teilklage zu befassen. Die Klägerin hatte eine Teilklage über 42 000 Franken für vorübergehenden Schaden eingereicht, das Luzerner Obergericht als Vorinstanz verlangte ein Abstellen auf den Interessenwert von 200 000 Franken. Das Bundesgericht schützte diesen Entscheid mit folgender Begründung:
Das Luzerner Obergericht stützte sich auf eine Bestimmung in der Luzerner Kostenverordnung, wonach das wirtschaftliche Interesse der Parteien als Streitwert massgebend ist, wenn sich der Streitwert offensichtlich nicht mit dem eingeklagten Wert deckt. Das Bundesgericht sanktioniert diese Bestimmung.
Es verweist auf das Urteil vom 3. April 200917, mit dem es im Rahmen einer abstrakten Normenkontrolle eine vergleichbare Zürcher Regelung zu beurteilen hatte und diese schützte. Das Bundesgericht hielt dort fest, dass die Zürcher Norm nicht so ausgelegt werden dürfe, dass bei Teilklagen regelmässig der Gesamtanspruch zur Bemessung der Gerichtsgebühren herangezogen werden solle. So sei nur in Ausnahmefällen zu verfahren, wenn die mit der Erhebung einer Teilklage angestrebte Reduktion des Kostenrisikos missbräuchlich erscheine.
Die Luzerner Regelung, wonach abweichend vom Streitwert auf den Interessenwert abzustellen sei, sei auch nur dann anzuwenden, wenn ein offensichtliches Missverhältnis bestehe. Ob diese Voraussetzung im konkreten Fall gegeben war, musste das Bundesgericht schliesslich nicht entscheiden, da die Beklagte widerklageweise eine negative Feststellungsklage auf Nichtbestand der gesamten Forderung erhoben hatte. Demnach war über das gesamte Rechtsverhältnis zu entscheiden, was das Abstellen auf den vom Gericht festgelegten Interessenwert gemäss Bundesgericht rechtfertigte. Das Bundesgericht hält fest: «Der Kläger hat insoweit hinzunehmen, dass das Motiv für die Erhebung der Teilklage - nämlich das geringere Kostenrisiko - im Ergebnis durchkreuzt wird.»
1 4A_45/2009.
24A_494/2009.
3 Geschäftsnummer HG040046.
4 3A_397/2008.
58C_626/2009, publiziert in SVR-Rechtsprechung 4-5/2010 UV10, S. 40ff.
64A_65/2009.
74A_144/2009.
84A_154/2009.
94A_307/2008 und 4A_311/2008.
104A_598/2009.
11 Urteil vom 26.9.2007, 4A_227/2007 E 3.6.2.
124A_463/2008.
13 4A_14/209 = BGE 135 III 397.
144A_255/2010.
154A_20/2009.
164A_255/2010.
172C_110/2008.