1. Schleudertrauma
1.1 Einleitende Bemerkungen
Die sozialrechtliche Abteilung des Bundesgerichts hat mit dem Entscheid BGE 134 V 109 die Messlatte für die Beurteilung des rechtserheblichen Kausalzusammenhangs, der Adäquanz, nochmals erheblich höher als bisher angesetzt. In seinem jüngsten Urteil vom 30. August 2010 (BGE 136 V 279) hat nun das Bundesgericht in Luzern für die Beantwortung der Frage, ob eine spezifische und unfalladäquate Verletzung der Halswirbelsäule (HWS) ohne organisch nachweisbare Funktionsausfälle invalidisierend wirke, sinngemäss die Rechtsprechung zu den anhaltenden somatoformen Schmerzstörungen als massgebend bezeichnet (vgl. BGE 130 V 352).
Nachdem nun die Langzeitansprüche (Rente, Integritätsentschädigung) im UVG-Bereich weitestgehend an der Adäquanzhürde auflaufen werden, scheitert der Anspruch auf eine IV-Rente an der neu eingeführten Überwindbarkeitspraxis.
Umso gespannter wartet man darauf, ob und allenfalls wie das Bundesgericht in Lausanne diese sozialversicherungsrechtliche Praxisänderung auf das Haftpflichtrecht übertragen wird. Bereits wurden Stimmen laut, welche die für die Überwindbarkeitspraxis massgeblichen Foerster-Kriterien tel quel auf Haftpflichtansprüche angewandt wissen möchten.1 Vereinzelt sind auch erstinstanzliche Gerichte dazu übergegangen, Leistungsansprüche im Haftpflichtrecht ausschliesslich gestützt auf sozialversicherungsrechtliche Adäquanzkriterien und die Überwindbarkeitspraxis abzuweisen. Andererseits gibt es Indizien, dass Lausanne die sozialversicherungsrechtliche Rechtsprechung nicht auf das Haftpflichtrecht anwenden wird:
So soll die ebenfalls zur Urteilsberatung zum Überwindbarkeitsentscheid vom 30. August 2010 eingeladene I. Zivilrechtliche Abteilung aus Lausanne die Thematik für das Haftpflichtrecht als unerheblich bezeichnet haben. Zudem haben die Richter aus Lausanne schon in einem Entscheid vom 25. März 20092 eine somatoforme Schmerzstörung als adäquat-kausale Ursache einer die Arbeitsunfähigkeit beeinträchtigenden Gesundheitsschädigung bezeichnet und die Übernahme der damals bereits bekannten Rechtsprechung zu den somatoformen Schmerzstörungen3 damit implizit klar abgelehnt.
Zudem beruht die Rechtsprechung des Bundesgerichts in Luzern zum Schleudertrauma im Sozialversicherungsrecht auf der spezifisch geschaffenen sozialversicherungsrechtlichen Grundlage von Art. 7 Abs. 2 ATSG, wogegen sich der haftpflichtrechtliche Ausgleichsanspruch nach den unveränderten haftpflichtrechtlichen Regeln des Obligationenrechtes beziehungsweise der Haftungsnormen in den Spezialgesetzen ausrichtet.
Ein Entscheid aus Lausanne, der sich explizit mit der Thematik befassen würde, existiert aber noch nicht. Aus dem nachfolgend dargestellten Entscheid vom 8. Februar 2011 lassen sich aber indirekte Schlüsse ziehen:
1.2 Urteil Bundesgericht vom 8. Februar 20114
X. erlitt im Jahre 1991 bei einer Auffahrkollision ein HWS-Schleudertrauma mit Cervikalsyndrom und linksseitigen Cerviko-Brachialgien, Kopfschmerzen vom Spannungstyp/migräniforme Kopfschmerzen sowie leichten neuropsychologischen Defiziten. Organisch nachweisbare Funktionsausfälle waren nicht vorhanden. Das im IV-Verfahren veranlasste Gutachten der Medizinischen Abklärungsstelle (Medas) attestierte eine 35-prozentige Arbeitsunfähigkeit. Das verkehrstechnische Gutachten ergab einen Delta-V-Wert von 5,4 bis maximal 8,7 km/h. Das Bundesgericht erachtete es in einem 3:2 gefällten Entscheid als nicht willkürlich, dass das Obergericht bei der vorgegebenen Beweislage den natürlichen Kausalzusammenhang abgelehnt hatte.
Das Bundesgericht verwies in den Erwägungen erneut darauf, dass der natürliche Kausalzusammenhang im Sozialversicherungs- und Haftpflichtbereich ein und derselbe sei.5 Mit Blick auf die Abklärungspraxis verwies das Gericht ausdrücklich auf das in BGE 134 V 109 aufgezeigte Abklärungsprozedere.
Das Bundesgericht hat dem biomechanischen Gutachten ausdrücklich Beweiskraft für die Ermittlung der natürlichen Kausalität zuerkannt. Im Bereich des Haftpflichtrechts sähen weder das Gesetz noch die Rechtsprechung eine Beschränkung der Beweismittel vor.
Bezüglich der Adäquanz verwies das Bundesgericht erneut auf seine Praxis, die vom Sozialversicherungsrecht abweicht, so in BGE 123 III 110: Danach vermögen auch Mitursachen wie etwa die konstitutionelle Prädispositon den adäquaten Kausalzusammenhang in der Regel weder zu unterbrechen noch auszuschliessen. Dem biomechanischen Gutachten kommt gemäss Bundesgericht aber kein Ausschliesslichkeitsbeweiswert zu. Das Gutachten ist einzig im Verein mit andern Beweisen (klinischer Befund etcetera) in die Beweiswürdigung einzubeziehen.
Das Urteil erging nach der Einführung der Überwindungspraxis am 30. August 2010 (BGE 136 V 279). Obwohl ausdrücklich nicht organische, sogenannt syndromale Beschwerden gemäss dem Überwindbarkeitsurteil aus Luzern vorlagen, hat sich das Bundesgericht mit der Überwindbarkeitsrechtsprechung nicht befasst. Dies kann als Fingerzeig auf die Nichtanwendbarkeit dieser Praxis im Haftpflichtrecht gedeutet werden.
Da gewisse Unsicherheiten beim unfalldynamischen Gutachten existierten, stellte das Bundesgericht auf den maximalen Delta-V-Wert 8,7 km/h ab. Von einer sogenannten Harmlosigkeitsgrenze, wie sie die Versicherungswirtschaft bei Delta-V-Werten unter zehn Kilometern pro Stunde stets proklamiert, wollte das Bundesgericht aber offensichtlich nichts wissen.
Bezüglich der Adäquanz hat sich das Bundesgericht ausdrücklich zur bisherigen Praxis in BGE 123 III 110 bekannt, welche von der Adäquanzpraxis im UVG-Bereich bewusst abweicht. Die verschärften Adäquanzkriterien, wie sie das Bundesgericht in Luzern in BGE 134 V 109 ff. für den UVG-Bereich statuiert hat, sind im Haftpflichtrecht somit nach wie vor nicht anwendbar. Hätte das Bundesgericht auf die sozialversicherungsrechtliche Adäquanzpraxis zurückgreifen wollen, hätte es die Beschwerde ohne Willkürprüfung betreffend den natürlichen Kausalzusammenhang wegen fehlender Adäquanz abweisen können. Die Adäquanz stellt eine Rechtsfrage dar und hätte vom Bundesgericht frei geprüft werden können.
2. Natürlicher Kausalzusammenhang
Das Bundesgericht in Lausanne hat in mehreren Entscheiden die Gleichsetzung des natürlichen Kausalzusammenhangs im Recht der sozialen Unfallversicherung und im zivilen Haftpflichtrecht bestätigt.6, 7 Ungeklärt ist die Frage, ob der Haftpflichtige danach zwingend an einen im UVG festgestellten, allenfalls sogar höchstrichterlich bestätigten natürlichen Kausalitätsentscheid gebunden ist.
Da die Gleichsetzung der natürlichen Kausalität anzunehmen ist, ist auf ein Urteil des Bundesgerichtes in Luzern vom 22. Dezember 20108 hinzuweisen: Versicherungsmediziner und Medas-Gutachter haben festgestellt, dass eine bloss leichte Halswirbelsäulenverletzung bestanden habe. Es seien keine neurologischen Ausfälle festgestellt worden und bildgebend sei ein struktureller Schaden nie nachweisbar gewesen. Nach allgemeiner Lebenserfahrung würden solche objektiv harmlosen Nackenbeschwerden innerhalb weniger Wochen und ohne spezielle Behandlungen folgenlos abheilen. Entsprechend seien die Beschwerden nicht mehr unfallkausal.
Das Bundesgericht in Luzern hat solchen Verallgemeinerungen einen Riegel geschoben. Wörtlich hält es fest:
«Es ist in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass eine allgemeine Erfahrungsregel für sich allein genommen nicht geeignet ist, den erforderlichen Nachweis für das Dahinfallen jeder kausalen Bedeutung des Unfalls zu erbringen. Die Geltung einer solchen abstrakten Vermutung im konkreten Fall muss anhand der einzelnen Umstände nachvollziehbar dargetan sein.»
Dieser Feststellung kommt somit auch bei der Abklärung der natürlichen Kausalität im Haftpflichtbereich Bedeutung zu.
3. Mittelbare indirekte Kausalität
In einem in Fünferbesetzung am 22. März 20119 ergangenen Urteil hatte sich das Bundesgericht mit dem folgenden Sachverhalt zu befassen:
Im Jahre 1996 kam es auf dem Zürichsee zu einer Kollision zwischen zwei Motorbooten. Ein ruhendes Boot, auf welchem sich der Beschwerdeführer A. befand, wurde von einem andern Motorboot in voller Fahrt gerammt. Der für den Unfall verantwortliche Lenker hatte das Boot des Beschwerdeführers übersehen. Der Beschwerdeführer rettete sich durch einen Sprung ins Wasser. Ob er mit dem rammenden Boot zusammenstiess und eine Hirnerschütterung erlitten hatte, blieb umstritten.
In der Notfallstation wurde ein akutes HWS-Schleudertrauma diagnostiziert. Nachdem der Beschwerdeführer ein halbes Jahr nach dem Unfall wiederum während drei Jahren voll gearbeitet hatte, kam es im Frühjahr 1999 zu einer massiven Zunahme der Schmerzen, die zu einer hundertprozentigen Arbeitsunfähigkeit führte. Auf Klage hin hatte das erstinstanzliche Gericht die Klage im Umfang von rund 3,3 Millionen Franken gutgeheissen. Das Obergericht des Kantons Bern kam zum Schluss, dass der Nachweis des natürlichen Kausalzusammenhangs zwischen dem Unfall und den zur Arbeitsunfähigkeit führenden Beschwerden nicht gelungen sei. Das Obergericht verwies auf Vorzustände, wonach der Beschwerdeführer zwei Jahre vor dem Bootsunfall bereits Opfer eines Autounfalls geworden sei, wobei er ein mittelschweres Halswirbelsäulen-Schleudertrauma erlitten habe. Zudem sei der Beschwerdeführer kurz vor dem Unfall auf dem Parkett ausgerutscht. Eineinhalb Monate vor dem Bootsunfall hatte sich der Beschwerdeführer einer Operation einer Diskushernie unterziehen müssen. Das Obergericht argumentierte, dass der Beschwerdeführer ein halbes Jahr nach dem Bootsunfall beschwerdefrei und voll arbeitsfähig gewesen sei. Da auch andere Möglichkeiten für die heutigen Beschwerden ernsthaft in Betracht fielen, misslinge ihm der Beweis der natürlichen Kausalität, selbst wenn man vom Beweismass der überwiegenden Wahrscheinlichkeit ausgehe.
Der Beschwerdeführer rügte vor Bundesgericht eine willkürliche Beweiswürdigung. In einem neurologischen Gutachten wurde festgestellt, dass die aktuelle Anpassungsstörung Folge der Schmerzen und neuropsychologischen Beeinträchtigungen und somit nur indirekt Unfallfolge der Bootskollision sei. Im rheumatologischen Gutachten wurde dem Bootsunfall ein 30-prozentiger Ursachenanteil an den heutigen Beschwerden zugeschrieben. Durch den Treppensturz und den Bootsunfall hätte sich gemäss rheumatologischem Gutachten eine richtunggebende Verschlimmerung des Vorzustandes ergeben. Das Gutachten ging davon aus, die Chronifizierung der Beschwerden sei Folge des Zusammenspiels beider Unfälle.
Das Bundesgericht hält in Erwägung 4.5 fest, dass sich die Gutachten zwar nicht mit der wünschbaren Deutlichkeit zur Frage äusserten, ob der Beschwerdeführer auch ohne den Bootsunfall heute an denselben Beeinträchtigungen litte. Die Vorinstanz hatte sich aber mit der Passage im Gutachten, wonach der Bootsunfall als indirekte Teilursache der heutigen Probleme zu betrachten sei, nicht auseinandergesetzt. Dies wird vom Bundesgericht beanstandet, da es für den natürlichen Kausalzusammenhang genügt, dass der Schaden mittelbare, also indirekte Folge des Unfalls ist (E 4.4.1).
Weiter hält das Bundesgericht in Erwägung 4.4 fest, dass der Umstand, dass die heutigen Beschwerden auch oder sogar überwiegend auf vor dem Bootsunfall eingetretene Ereignisse zurückzuführen seien, mit Blick auf die natürliche Kausalität nicht massgeblich sei, da nicht verlangt werde, dass der Bootsunfall alleinige Ursache der Beschwerden sei (Verweis auf BGE 134 V 109, E 9.5, S. 125 f., mit Hinweisen).
Die Gewichtung mehrerer zusammenwirkender Ursachen ist gemäss Bundesgericht für die Frage des natürlichen Kausalzusammenhangs nicht relevant. Jede Ursache, deren Mitwirkung zum Erreichen des Endzustandes nicht weggedacht werden könne, sei natürlich kausal. Die Kausalität entfalle nur, wenn derselbe Schaden auch ohne die betreffende Ursache (den Bootsunfall) eingetreten wäre. In E 4.4.3.1 hält das Bundesgericht fest, dass selbst wenn eine Ursache der Beschwerden zu weniger als 30 Prozent und die andere zu über 70 Prozent für den Schaden ursächlich sei, bleibe dies für die Frage der natürlichen Kausalität ohne Relevanz, es sei denn, die vorwiegend verantwortliche, nicht mit dem Haftpflichtereignis zusammenhängende Ursache hätte auch für sich allein denselben Schaden bewirkt. In Erwägung 4.5 verweist das Bundesgericht darauf, dass den Gutachtern die entscheidende Frage zu unterbreiten sei, ob der Beschwerdeführer heute auch ohne den Bootsunfall unter denselben Beschwerden leiden würde. Nur in diesem Fall wäre der natürliche Kausalzusammenhang zu verneinen.
4. Verjährung
In mehreren Entscheiden hat sich das Bundesgericht mit Verjährungsfragen befasst:
a) Strafrechtliche Verjährung auch ohne Strafantrag10
Das Bundesgericht hält in Bestätigung seiner Rechtsprechung fest, dass die längere strafrechtliche Verjährungsfrist für den Zivilanspruch gemäss Art. 60 Abs. 2 OR anwendbar sei, wenn das schädigende Verhalten die objektiven und subjektiven Merkmale des Straftatbestandes des kantonalen Rechts oder des Bundesrechtes erfülle und zwischen der strafbaren Handlung und dem Schaden ein natürlicher und adäquater Kausalzusammenhang bestehe.
Bei der Beurteilung, ob eine strafbare Handlung vorliege, wende der Zivilrichter das Strafrecht selbständig an; er sei indessen an eine Verurteilung beziehungsweise an einen Freispruch des Strafrichters gebunden. Die Frage, unter welchen Bedingungen die Einstellungsverfügung der Strafuntersuchungsbehörde für den Zivilrichter verbindlich sei, beurteile sich nach dem materiellen Bundesrecht. Dabei hindere die Einstellungsverfügung des Untersuchungsrichters den Zivilrichter nicht daran, frei zu überprüfen, ob eine strafbare Handlung vorliege, ausser im Strafverfahren sei das Fehlen eines objektiven oder subjektiven Straftatbestandsmerkmals festgestellt worden. Dies habe im vorliegenden Fall auf die Einstellung wegen fehlenden Strafantrages nicht zugetroffen.
Da der Strafantrag nicht Strafbarkeitsvoraussetzung, sondern Prozessvoraussetzung sei, würden die strafrechtlichen Verjährungsfristen auch dann zur Anwendung gelangen, wenn binnen der gesetzlichen Frist kein Strafantrag gestellt worden sei. Der Antragsberechtigte soll nicht gezwungen sein, einen nicht gewünschten Strafantrag zu stellen, damit er sich auf die längere strafrechtliche Verjährungsfrist berufen könne.
b) Anwaltshaftung wegen Verjährung11
X. wurde in betrunkenem Zustand und fernab eines Fussgängerstreifens von einem Motorradfahrer angefahren und schwer verletzt. Er erlitt ein schweres Schädel-Hirn-Trauma. Y., der Anwalt von X., klagte gegen die Haftpflichtversicherung des Motorradfahrers. Die Klage wurde wegen Verjährung abgewiesen.
X. klagte dann gegen Anwalt Y. auf Schadenersatz über 13 Millionen Franken. Die Klage wurde über 550 000 Franken gutgeheissen. Das kantonale Gericht ging davon aus, dass X. diesen Betrag von der Haftpflichtversicherung hätte erhältlich machen können, wenn Y. die Sache nicht hätte verjähren lassen.
Y. gelangte ans Bundesgericht. Er berief sich darauf, dass das Bundesgericht bis am 12. September 2000 davon ausgegangen sei, dass Kenntnis des Schadens und damit die Verjährungsfrist auslösend der Zeitpunkt der Anmeldung für Sozialversicherungsleistungen sei. Ein Rechtsanwalt müsse eine neue Rechtsprechung erst von dem Moment an kennen, in welchem diese in der amtlichen Sammlung der Entscheidungen des Bundesgerichts veröffentlicht werde (BGE 134 III 534).
Das Bundesgericht hält fest, dass mit dem Entscheid vom 12. September 2000 keine frühere Rechtsprechung geändert worden sei. Es treffe wohl zu, dass in der Praxis in der Vergangenheit oft vom Beginn der Verjährungsfrist ab Zustellung der Verfügung des Sozialversicherers ausgegangen worden sei. Eine entsprechende bundesgerichtliche Rechtsprechung existiere aber nicht. Der Begriff «Kenntnis des Schadens» im Sinne von Art. 83 Abs. 1 SVG und Art. 60 Abs. 1 OR sei unbestimmt und könne im Einzelfall delikate Fragen aufwerfen. Der Anwalt müsse daher die Frage des Fristenbeginns sorgfältig prüfen und die nötigen Massnahmen zur Verhinderung einer Verjährung treffen.
c) Verjährungsauslösende Kenntnis des Schadens12
Eine «Kenntnis des Schadens», welche die Verjährung auslöst, liegt gemäss diesem bundesgerichtlichen Urteil vor, wenn nach ärztlichen Einschätzungen die orthopädischen Folgen eines Unfallereignisses ausgeheilt und die Schmerzsituation seit mehr als einem Jahr stabil ist, auch wenn noch verschiedene Schmerztherapien denkbar sind, die allerdings auf die Arbeitsfähigkeit keinen wesentlichen Einfluss mehr haben werden. Angesichts der Kürze der ausservertraglichen Verjährungsfrist darf der Beginn der Verjährung nicht leichthin angenommen werden, doch bedarf es nicht der Ausschöpfung sämtlicher denkbarer medizinischer Therapien, um Kenntnis des Schadens erlangen zu können.
d) Verjährung bei Schadenersatz aus Vertrag13
X. kam bei seiner Arbeit zwischen 1966 und 1978 mit Asbest-Staub in Kontakt. Im Jahre 2004 wurde bei ihm Brustfellkrebs entdeckt. Im folgenden Jahr verstarb er. Die Klage der beiden Töchter wurde wegen eingetretener Verjährung abgewiesen. Der Beginn der zehnjährigen Verjährungsfrist nach Art. 127 OR ist laut Bundesgericht bei positiver Vertragsverletzung der Zeitpunkt der Pflichtverletzung und nicht derjenige des Schadenseintritts. Mit Ablauf von zehn Jahren verjähren gemäss Bundesgericht alle Forderungen, für die das Bundeszivilrecht nicht etwas anderes bestimmt (Art. 127 OR). Das Gericht erwägt, dass diese Norm unter anderem für die aus der Verletzung vertraglicher Pflichten entstehenden Forderungen auf Leistung von Schadenersatz und Genugtuung gelte. Der Beginn der Verjährungsfrist unterstehe Art. 130 Abs. 1 OR, das heisst die zehnjährige allgemeine Verjährungsfrist laufe von der Fälligkeit der Forderung an, und zwar unabhängig davon, ob der Gläubiger seine Forderung kenne.
Fällig werde die Forderung auf Schadenersatz und Genugtuung aus vertragswidriger Körperverletzung gemäss Rechtsprechung des Bundesgerichts mit der Verletzung der vertraglichen Pflicht, womit die Verjährung ab diesem Zeitpunkt zu laufen beginne. Würde der Schadenseintritt als massgeblicher Zeitpunkt genommen, würde das Institut der Verjährung ausgehöhlt. Der Gesetzgeber habe die Frist nur in bestimmten Bereichen, etwa bei der Kernenergiehaftung, auf dreissig Jahre erhöht.14
5. Genugtuung für Tetraplegiker15
Die Genugtuung für einen Tetraplegiker, der zu Hause wohnt, für die Mehrzahl der täglichen Handlungen aber eine Hilfe in Anspruch nehmen muss, ist laut bundesgerichtlichem Urteil mit 150 000 Franken angemessen, namentlich angesichts der seit BGE 123 III 306 eingetretenen Teuerung und dem weiten Ermessen des kantonalen Gerichts.
6. Substanziierter Haushaltschaden16
Wenn nach dem Beweisergebnis feststeht, dass eine geschädigte Person zu keinem Zeitpunkt Hausarbeit verrichtet hat, kann angesichts der kundgegebenen ablehnenden Haltung zur Haushaltsarbeit nicht unbesehen der tatsächlichen Verhältnisse auf die Sake-Tabelle abgestellt werden. Es ist gemäss Bundesgericht nicht willkürlich, wenn das kantonale Gericht darum die Forderung auf Abgeltung des Haushaltschadens als nicht hinreichend substanziiert abgewiesen hatte.
Geht es darum abzuklären, ob gesundheitliche Beeinträchtigungen bestehen, die dem Unfall zuzuordnen sind, muss gemäss Bundesgericht zunächst erhoben werden, welche Tätigkeiten ein Geschädigter nicht mehr oder nicht mehr im gleichen Mass zu erledigen imstande ist, die er vor dem schädigenden Ereignis unbeeinträchtigt ausgeführt hatte.
7. Selbstverschulden bei Bahnunfall17, 18
Die Beweislast für das haftungsunterbrechende Selbstverschulden liegt bei der Bahnunternehmung. Sie muss für ihre Entlastung den genauen Unfallhergang beweisen. Es wirkt sich zum Nachteil der Bahnunternehmung aus, wenn die unmittelbare Unfallursache unbekannt bleibt. Für den Beweis des Selbstverschuldens gilt das bundesrechtliche Regelbeweismass. Der Beweis ist nicht erbracht, wenn ein aus dem fahrenden Zug gefallener Passagier zwar 1,55 Promille Alkohol intus hatte, dies aber nicht mit Sicherheit die alleinige Ursache für den Sturz war, sondern auch denkbar ist, dass sich die Wagentüre durch einen Sturz des Passagiers gegen die Türe geöffnet hat, was keinem Selbstverschulden entsprechen würde.
1 Thomas Germann in HAVE 1/2011, S. 70 ff.
2 Urteil 4A_45/2009 vom 25.3.2009.
3 BGE 130 V 352.
4 Urteil 4A_540/2010, Urteilsbesprechung in HAVE 2/2011, S. 149 ff.
5 Verweis auf Urteil 4A_494/2009 vom 17.11.2009.
6 Urteil 5A_65/2009 vom 17.2.2010.
7 Urteil 5A_540/2010 vom 8.2.2011.
8 Urteil 8C_835/2010 vom 22.12.2010.
9 Urteil 4A_444/2010 vom 22.3.2011.
10 BGE 136 III 502.
11 Urteile 4A_329/2009 und 4A_349/2009 vom 1.12.2010.
12 Urteil 4A_454/2010 vom 6.1.2011.
13 Urteil 4A_249/2010 vom 16.11.2010.
14 Vorschläge de lege ferenda in plädoyer 4/11, S. 42 ff.
15 Urteil 6B_188/2010 vom 4.10.2010.
16 Urteil 4A_405/2010 vom 21.10.2010.
17 Urteil 4A_220/2010 vom 11.10.2010.
18 Urteil 4A_422/2010 vom 11.10.2010.