1. Strafrecht
1.1 Allgemeine Bestimmungen
- Art. 15 StGB (Notwehr): Der Angegriffene hat ein Recht, den Angriff abzuwehren, das heisst, er braucht unter dem Gesichtspunkt der Subsidiarität nicht zu fliehen. Im vorliegenden Fall standen sich die Kontrahenten nach einer zweifachen Schussabgabe und einer kurzen Verfolgungsjagd mit geladenen Pistolen gegenüber. Der Angeklagte befand sich in einer akuten Bedrohungslage und hatte Todesangst. Die vom Kontrahenten ausgehende Bedrohung war aktuell und konkret und der Angriff damit unmittelbar, noch bevor ein weiterer Schuss abgegeben wurde. Der Bedrohte darf stets mit der Verteidigung beginnen, sobald mit einem Angriff ernstlich zu rechnen ist und jedes weitere Zuwarten die Verteidigungschance gefährden würde. Das Bundesgericht hat im konkreten Fall – entgegen den Vorinstanzen – eine Notwehrsituation bejaht (1).
In einem anderen Fall wurde ein Beschuldigter von zwei Brüdern, mit denen er im Streit lag, in seinem Stammlokal aufgesucht und an Leib und Leben bedroht (Schlagstock, Schreckschusspistole, die als echt wahrgenommen wurde). Dieser Bedrohung begegnete der Beschuldigte, indem er an seiner eigenen Waffe eine Ladebewegung vornahm, worauf einer der Brüder mit einem Schlagstock auf ihn einschlug. Nach der Abwehr eines ersten Schlags schoss der Beschuldigte auf den Angreifer und dessen Bruder, was er nach Ansicht des Bundesgerichts auch durfte. Da der Beschuldigte nun zusätzlich zu der nach wie vor vom Bruder ausgehenden Bedrohung mit einem unmittelbaren Angriff auf seinen Körper konfrontiert war, durfte er seine Abwehr und das Abwehrmittel steigern. Auf den Angreifer zu schiessen, nachdem er einen ersten Schlag mit dem Arm abgewehrt hatte, war verhältnismässig. Entscheidend war, dass die Bedrohung nicht nur vom Angreifer, sondern auch vom bewaffneten Bruder ausging. Der Beschuldigte wusste nicht, dass dieser lediglich eine Schreckschusspistole mit sich führte (2).
- Art. 30 StGB (Anforderungen an einen Strafantrag): Ein per E-Mail gestellter Strafantrag – ohne anerkannte elektronische Signatur (Art. 110 Abs. 2 StPO) – erfüllt die gesetzlichen Voraussetzungen an einen Strafantrag nicht (3).
Ein Miteigentümer ist legitimiert, die Bestrafung anderer Miteigentümer oder von Dritten zu beantragen, die ein gerichtliches Parkverbot auf einem Besucherparkplatz im Miteigentum verletzen. Das Bundesgericht leitet die Antragsberechtigung aus der zivilrechtlichen Legitimation zur «actio negatoria» ab (4).
- Art. 42 StGB (bedingter Vollzug einer Freiheitsstrafe): Das Bundesgericht kassiert ein Urteil, das dem Angeklagten den bedingten Vollzug verweigerte, und weist darauf hin, dass es nicht genügt, allein auf den Vorstrafenkatalog abzustellen. Bei der Prüfung, ob der Verurteilte für ein dauerndes Wohlverhalten Gewähr bietet, hat das Gericht eine Gesamtwürdigung aller wesentlichen Umstände vorzunehmen (5).
- Art. 51 StGB (Anrechnung oder Haftentschädigung): Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts sind Ersatzmassnahmen analog der Untersuchungshaft auf die Freiheitsstrafe anzurechnen. Bei der Bestimmung der anrechenbaren Dauer hat das Gericht den Grad der Beschränkung der persönlichen Freiheit im Vergleich zum Freiheitsentzug bei Untersuchungshaft zu berücksichtigen. Dabei kommt dem Gericht erheblicher Ermessensspielraum zu (6).
- Art. 64 Abs. 1bis StGB (lebenslängliche Verwahrung): Das Bundesgericht definiert hohe Hürden für die lebenslange Verwahrung: Nach Auffassung des Bundesgerichts ist unter der dauerhaften Nichttherapierbarkeit nach Art. 64 Abs. 1 lit. c StGB ein mit der Person des Täters verbundener, unveränderbarer Zustand auf Lebzeiten zu verstehen. Die Auffassung der kantonalen Vorinstanz, bei einer Dauer von zwanzig Jahren die Unbehandelbarkeit als dauerhaft zu taxieren, lehnt das Bundesgericht ab (7).
- Art. 97 Abs. 3 StGB (Verfolgungsverjährung beim Vorwurf der Geldwäscherei): Das Bundesgericht kassiert drei Schuldsprüche wegen Geldwäscherei, indem es im Gegensatz zur Vorinstanz den Eintritt der Verjährung der entsprechenden Tathandlungen annimmt. Es dehnt – entgegen seiner bisherigen Praxis – die Lex-mitior-Regel auf die höchstrichterliche Rechtsprechung aus. Im konkreten Fall lief die Verjährung in Bezug auf die Geldwäschereihandlungen, die der Angeklagte nach dem 11. Mai 2003 begangen haben soll, ungeachtet des erstinstanzlichen Urteils vom 11. Mai 2010 weiter, da der Angeklagte durch dieses Urteil vom Vorwurf der Geldwäscherei freigesprochen wurde.
Die Rechtsprechung, wonach die Verjährung nur mit einer verurteilenden erstinstanzlichen Erkenntnis zu laufen aufhörte, wurde erst durch Bundesgerichtsentscheid vom 11. Dezember 2012 (BGE 139 IV 62) in dem Sinne geändert, dass die Verjährung auch bei einem erstinstanzlichen Freispruch nicht mehr eintreten kann. Im Zeitpunkt dieser Änderung der Rechtsprechung durch BGE 139 IV 62 waren jedoch bereits mehr als sieben Jahre seit den letzten inkriminierten Geldwäschereihandlungen verstrichen und diese daher gemäss aArt. 70 Abs. 3 StGB bzw. Art. 97 Abs. 3 StGB und der diesbezüglichen bundesgerichtlichen Rechtsprechung verjährt (8).
1.2 Besondere Bestimmungen
- Art. 112 StGB (Mord): Wer sich nach einer Straftat den Fluchtweg freischiesst und dabei einen Menschen tötet, offenbart die für den Mord erforderliche Skrupellosigkeit (9).
- Art. 138 Ziffer 1 Abs. 2 StGB (Veruntreuung): Der Inhaber einer Käserei wurde zu Unrecht wegen Veruntreuung verurteilt. Ihm wurde vorgeworfen, er habe seinem Milchlieferanten für die Milchforderung jeweils ein um Verbandsbeiträge reduziertes Milchgeld bezahlt und die vom Milchgeld abgezogenen Beträge nicht wie vereinbart oder verspätet an die Verbände weitergeleitet. In Änderung seiner Rechtsprechung hat das Bundesgericht entschieden, dass es in einer solchen Konstellation an einem anvertrauten Vermögenswert fehlt.
Um die blosse Verletzung einer gesetzlichen oder vertraglichen Ablieferungspflicht von der Veruntreuung abgrenzen zu können, müsse für Letztere verlangt werden, dass die entsprechenden Vermögenswerte dem Täter zunächst von einem anderen übertragen worden sind. Im vorliegenden Fall wurde der beschuldigten Person weder von den Milchproduzenten noch von den Milchverbänden ein Vermögenswert übergeben (10).
- Art. 146 StGB (Betrug oder ungetreue Geschäftsbesorgung): Der Betrug im Sinne von Art. 146 StGB geht der ungetreuen Geschäftsbesorgung nach Art. 158 StGB vor. Erfüllt der Täter den Betrugstatbestand, weil er die Vermögensschädigung durch eine arglistige Täuschung herbeiführte, ist unerheblich, dass er auch Geschäftsführer im Sinne von Art. 158 StGB war. Indem die Vorinstanz den Angeklagten für die gleiche Tat sowohl des Betrugs als auch der ungetreuen Geschäftsbesorgung schuldig spricht, verletzt sie Bundesrecht (11).
- Art. 251 StGB (Falschbeurkundung): Eine Buchhaltung kann nicht alleine deshalb als nicht ordnungsgemäss qualifiziert werden, weil der Aufwand höher ausgewiesen ist, als aus betriebswirtschaftlicher Sicht gerechtfertigt. Bei der Verbuchung tatsächlicher, wirtschaftlich aber nicht gerechtfertigter Vorgänge im sachangemessenen Konto liegt grundsätzlich keine Falschbeurkundung vor. Durch die Verbuchung der tatsächlich erfolgten, geschäftsmässig angeblich aber nicht begründeten Zahlungen wurde die Buchhaltung nicht verfälscht (12).
- Art. 261bis StGB (Rassendiskriminierung): Das Bundesgericht kassiert die Verurteilung eines Polizisten, der einen Mann bei der Festnahme lautstark in Anwesenheit einer anwachsenden Menschenmenge mit verschiedenen Ausdrücken, unter anderem als «Sauausländer» und «Drecksasylant», beschimpfte. Bei diesen Äusserungen fehle der Bezug zu einer bestimmten Rasse, Ethnie oder Religion. Begriffe wie «Sau», «Dreck» und ähnliche würden im deutschen Sprachraum seit jeher im Rahmen von Unmutsäusserungen und Missfallskundgebungen oft verwendet, um einen anderen zu beleidigen. Derartige Äusserungen würden als blosse Beschimpfungen und nicht als Angriffe auf die Menschenwürde empfunden. Sie erfüllten daher den vorliegend einzig zur Diskussion stehenden Tatbestand von Art. 261bis Abs. 4 erste Hälfte StGB nicht (13).
2. Nebenstrafrecht
2.1 Strassenverkehrsgesetz (SVG)
- Art. 90 Ziff. 2 SVG (grobe Verletzung von Verkehrsregeln): Verkehrsregeln gelten auch für die Polizei und je nach dem auch im Rahmen einer Verfolgungsjagd. Das Bundesgericht erachtete es als rechtens, dass eine Polizistin, die die innerorts zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h um 61 km/h überschritten hatte, um einen Raser identifizieren zu wollen, verurteilt wurde. Es habe sich nicht um eine dringliche Dienstfahrt gehandelt. Solche sind nur erlaubt, wenn ein Menschenleben gefährdet ist, eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit droht oder eine flüchtige Person verfolgt werden muss (14).
- Art. 90 Ziff. 2 SVG (Rechtsüberholen auf Autobahn): Nach Art. 35 Abs. 1 SVG ist links zu überholen, woraus ein Verbot des Rechtsüberholens folgt (BGE 126 IV 192 E. 2a). Auf Autobahnen dürfen Fahrzeugführer beim Fahren in parallelen Kolonnen ausnahmsweise rechts an anderen Fahrzeugen vorbeifahren (Art. 36 Abs. 5 lit. a VRV). Kolonnenverkehr ist bereits dann zu verneinen, wenn die Abstände der Fahrzeuge auf der rechten Spur rund doppelt so gross sind wie auf der Überholspur (15).
- Art. 90a SVG (Einziehungs-) Beschlagnahme eines geleasten Motorrads): Strafprozessuale Beschlagnahmen im Hinblick auf eine richterliche Einziehung setzen voraus, dass ein hinreichender, objektiv begründeter konkreter Tatverdacht besteht (Art. 197 Abs. 1 lit. b i.V.m. Art. 263 Abs. 1 lit. d StPO). Die Zwangsmassnahme muss ausserdem verhältnismässig sein (Art. 197 Abs. 1 lit. c–d und Abs. 2 StPO).
Die Einziehungsvoraussetzungen von Art. 90a Abs. 1 lit. a SVG dürften bei qualifiziert groben Verkehrsdelikten im Sinne von Art. 90 Abs. 3 und 4 SVG in der Regel erfüllt sein. Im Hinblick auf eine Sicherungseinziehung des beschlagnahmten Motorfahrzeuges hat der Beschlagnahmerichter (im Sinne einer Gefährdungsprognose) zu prüfen, ob das Fahrzeug in der Hand des Beschuldigten künftig die Verkehrssicherheit gefährdet bzw. ob die Beschlagnahme geeignet ist, ihn vor weiteren groben Verkehrsregelverletzungen abzuhalten (16).
- Art. 91 Abs. 1 SVG (Fahren in fahrunfähigem Zustand): Der Gesetzgeber hat per 1. Januar 2005 ein vereinfachtes System geschaffen, um die Fahrunfähigkeit bei nicht qualifizierter Blutalkoholkonzentration festzustellen. Ergeben die beiden Atemalkoholproben eine Blutalkoholkonzentration zwischen 0,50 und 0,79 Promille, weichen sie höchstens 0,10 Promille voneinander ab und anerkennt die kontrollierte Person diesen Wert unterschriftlich, so darf der tiefere der beiden Messwerte grundsätzlich als erwiesen angesehen werden (17).
2.2 Bundesgesetz über Ausländer (AuG)
- Art. 116 Abs. 1 lit. a AuG (Förderung des rechtswidrigen Aufenthalts): Wer einen rechtswidrig im Lande verweilenden Ausländer beherbergt, erschwert die behördliche Intervention nur dann, wenn die Beherbergung von einer gewissen Dauer ist. Die Beherbergung von vier nicht dem EU-Raum angehörigen Frauen, die illegal der Prostitution nachgingen, für die Dauer von einem einzigen Tag erfüllt den Tatbestand nicht (18).
3. Strafverfahren
3.1 Allgemein
- Art. 6 Ziff. 3 lit. d EMRK (Konfrontationsrecht): Das Bundesgericht äussert sich in einem neueren Entscheid zum materiellen Gehalt des Konfrontationsrechts. Es stellt klar, dass die Verletzung des Konfrontationsanspruchs nicht einfach behoben werden könne, indem eine Einvernahme unter Gewährung der Teilnahmerechte wiederholt wird. Im konkreten Fall konnten sich das mutmassliche Opfer und der Zeuge zum Zeitpunkt der Konfrontationseinvernahmen – wenn überhaupt – nur noch vage an die Vorfälle erinnern und mussten es nach entsprechenden Vorhalten im Wesentlichen bei einer Bestätigung ihrer früheren Aussagen bewenden lassen. Im Übrigen stellt das Bundesgericht klar, dass – soweit der Konfrontationsanspruch zur Diskussion steht – auch die in der Voruntersuchung bei der Polizei gemachten Aussagen als Zeugenaussagen betrachtet werden (vgl. BGE 125 I 127 E. 6a). Dass die StPO ein Teilnahmerecht der Parteien nur bei Beweiserhebungen nach eröffneter Untersuchung vorsieht, nicht aber auch für das polizeiliche Ermittlungsverfahren (Art. 147 Abs. 1 StPO), berührt den Konfrontationsanspruch nicht (19).
- Art. 29 Abs. 2 BV (Anspruch auf rechtliches Gehör): Bei einer Beweissituation «Aussage gegen Aussage» ist grundsätzlich die unmittelbare Wahrnehmung des belastenden Zeugnisses durch das Gericht erforderlich. Aus den Grundsätzen des fairen Verfahrens und des rechtlichen Gehörs ergibt sich für Angeklagte das grundsätzlich uneingeschränkte Recht, in alle für das Verfahren wesentlichen Akten Einsicht zu nehmen.
Die Beweismittel müssen in den Untersuchungsakten vorhanden sein und es muss aktenmässig belegt sein, wie sie produziert wurden. Dasselbe gilt für die Transkription von Telefonüberwachungen. Übersetzte Abhörprotokolle dürfen nicht zulasten des Angeklagten verwertet werden, soweit den Strafakten nicht zu entnehmen ist, wer sie wie produziert hat und ob die Dolmetscher auf die Straffolgen von Art. 307 StGB hingewiesen wurden (20).
- Art. 7 Abs. 1 und Art. 17 Abs. 1 aBVE (keine verdeckte Ermittlung): Nach einem neuen (zweifelhaften) Urteil des Bundesgerichts handelt es sich auch dann nicht um eine verdeckte Ermittlung im Sinne des aBVE, wenn der Polizeibeamte auf ein zufällig erhaltenes SMS eines Drogendealers antwortet, ein Treffen vereinbart (wohl nicht nur, um ihn zu identifizieren), ihn anschliessend observiert, vor einer Wohnliegenschaft kontrolliert und schliesslich eine Hausdurchsuchung vornimmt, in der Heroin sichergestellt wird (21).
3.2 Schweizerische Strafprozessordnung
- Art. 3 Abs. 2 lit. a StPO (treuwidrige Kostenauflage bei Praxisänderung): Gemäss Art. 9 BV und Art. 3 Abs. 2 lit. a StPO beachten die Behörden den Grundsatz von Treu und Glauben. Dieser verbietet es, dem Beschwerdeführer Verfahrenskosten aufzuerlegen, wenn seine Anträge infolge einer Praxisänderung als unzulässig erklärt werden. Dasselbe gilt, wenn seine Anträge infolge einer Änderung der Rechtsprechung abgewiesen werden (22).
- Art. 9 Abs. 1 i.V.m. Art. 325 StPO (Akkusationsprinzip): Abgesehen vom Deliktszeitraum, dem Tatort, der angeblichen Menge produzierter Hanfblüten und dem damit erzielten Umsatz gab die Anklage im Wesentlichen die gesetzlichen Bestimmungen (Art. 19 Ziff. 1 und Ziff. 2 lit. c aBetmG) wieder. Es fanden sich in der Anklageschrift keine näheren Angaben zum Lagern und zum Vertrieb der Hanfplanzen/-blüten. Es wurde keine einzige konkrete Tathandlung umschrieben, weder ein Verkaufsvorgang noch wie, in welcher Form und wofür der Erlös verwendet wurde. In einem solchen Fall ist die Anklage zu unbestimmt und kann nicht Grundlage für eine Verurteilung sein (23).
- Art. 56 lit. f StPO (Ausstand): Die Abweisung von Beweisanträgen der Verteidigung stellt für den Richter selbst dann keinen Ausstandsgrund dar, wenn er die Beweisanträge nicht hätte abweisen dürfen. Im Rahmen eines Ausstandsgesuchs geht es nicht darum, die Zweckmässigkeit richterlicher Beweismassnahmen zu prüfen. Mögliche Verletzungen der Strafprozessordnung sind nur insoweit von Bedeutung, als sie besonders krass sind und wiederholt auftreten, sodass sie einer schweren Amtspflichtverletzung gleichkommen und sich einseitig zulasten einer der Prozessparteien auswirken (24).
Der Umstand, dass der Vizepräsident eines Bezirksgerichts über den angeklagten Vater seiner vorgesetzten Gerichtspräsidentin urteilen muss, stellt für sich allein keinen Ausstandsgrund dar (25).
Grundsätzlich liegt die Latte nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts für einen Ausstand eines Staatsanwaltes bedenklich hoch (26).
- Art. 118 StPO (Strafantragsformular): Der Wille, einen Strafantrag zurückzuziehen, muss unmissverständlich zum Ausdruck kommen. Gegen die Verwendung von Formularen im Strafprozess ist grundsätzlich nichts einzuwenden. Voraussetzung ist aber, dass die Formulare verständlich sind, die Rechtslage korrekt wiedergeben und sich aus der Unterzeichnung des Formulars eindeutige Rückschlüsse auf den Willen des Betroffenen ergeben. Sie sollten auch von einem juristischen Laien ohne Hilfe eines Beamten ausgefüllt werden können. Im vorliegenden Fall war das dem Beschwerdeführer zur Unterschrift unterbreitete Formular unvollständig und mangelhaft (27).
- Art. 130 lit. b StPO (notwendige Verteidigung nur noch bei drohender Freiheitsstrafe): Das Bundesgericht hat entschieden, dass die Widerrufsmöglichkeit bedingter Geldstrafen bei der Frage der notwendigen Verteidigung nach Art. 130 Abs. 1 lit. b StPO nicht zu berücksichtigen seien. Dem Bundesgericht erscheint es plausibel, dass der Gesetzgeber die notwendige Verteidigung nur für die schwerste Sanktionsart, die Freiheitsstrafe, nicht aber für Geldstrafen vorsehen wollte (28).
- Art. 130 lit. d StPO (notwendige Verteidigung auch im schriftlichen Berufungsverfahren): Geht die Staatsanwaltschaft in Berufung, ist sie zur Berufungsverhandlung vorzuladen (Art. 405 Abs. 3 lit. b StPO), womit die Verteidigung notwendig wird (Art. 130 lit. d StPO). Das Bundesgericht hält fest, dass dies auch im schriftlichen Berufungsverfahren gelten muss (29).
- Art. 131 Abs. 1 StPO (nicht verwertbares Geständnis): Ein Geständnis der beschuldigten Person, das trotz notwendiger Verteidigung ohne Verteidigung zu Protokoll genommen wird, ist nicht verwertbar. Das Bundesgericht kassiert ein Urteil, das auf einem nicht verwertbaren Geständnis basierte. Der Beschuldigte hatte es ohne Verteidiger zu Protokoll gegeben, später aber widerrufen (30).
- Art. 134 Abs. 2 StPO (Wechsel der amtlichen Verteidigung): Allein das Empfinden oder der blosse Wunsch der beschuldigten Person, nicht mehr durch den ihr beigegebenen Verteidiger vertreten zu werden, reicht für einen Wechsel nicht aus. Eine verpasste richterliche Frist zur Einreichung einer schriftlichen Berufungsbegründung, ein fehlender Antrag auf Einholung eines Glaubhaftigkeitsgutachtens, das Einverständnis des amtlichen Verteidigers mit der Durchführung eines schriftlichen Berufungsverfahrens gegen den Willen seines Mandanten sind alles keine genügend gravierenden Gründe, um den amtlichen Verteidiger auszuwechseln (31).
Anders verhält es sich dann, wenn der amtliche Verteidiger gegenüber den Strafbehörden erklärt, seinem Mandanten sei es gelungen, sie durch einen Trick beziehungsweise eine durchsichtige Täuschung zu einem Verteidigerwechsel zu bewegen und ihm manipulatives Verhalten gegenüber den Strafbehörden unterstellt und diese darauf hinweist. Solche Äusserungen lassen objektiv darauf schliessen, dass das Vertrauen zwischen dem amtlichen Verteidiger und seinem Mandanten gestört ist und der Verteidiger sich selber in einem Masse betroffen fühlt, dass er nicht mehr in der Lage ist, zu abstrahieren und über dem Vorgefallenen zu stehen (32).
- Art. 135 Abs. 4 lit. b StPO (Entschädigung der amtlichen Verteidigung): Das Bundesgericht erklärt es für bundesrechtskonform, dass kantonale Gebührentarife die Schlechterstellung von amtlichen Verteidigern vorsehen können, wenn sie einen Freispruch oder eine Einstellung des Verfahrens erwirken. Art. 135 Abs. 4 lit. b StPO will – so das Bundesgericht – nach der gesetzgeberischen Konzeption sicherstellen, dass eine beschuldigte Person mit amtlicher Verteidigung finanziell nicht bessergestellt wird als eine mit privater Verteidigung (33).
- Art. 139 Abs. 2 StPO i.V.m. Art. 107 Abs. 1 lit. e StPO (antizipierte Beweiswürdigung): Nur wenn Strafverfolgungsorgane ihrer Amtsermittlungspflicht genügen, dürfen sie einen Sachverhalt als erwiesen ansehen. Beweisanträge dürfen mithin nur in den engen Grenzen von Art. 139 Abs. 2 StPO abgewiesen werden. Nach der Rechtsprechung muss die Strafbehörde bei der antizipierten Beweiswürdigung das vorläufige Beweisergebnis hypothetisch um die Fakten des Beweisantrages ergänzen und würdigen. Die Ablehnung des Beweisantrags ist zulässig, wenn die zu beweisende Tatsache nach dieser Würdigung als unerheblich, offenkundig, der Strafbehörde bekannt oder bereits rechtsgenüglich erwiesen anzusehen ist.
Lehnt die Strafbehörde den Beweisantrag ab, hat sie nicht nur darzulegen, weshalb sie aufgrund der bereits abgenommenen Beweise eine bestimmte Überzeugung gewonnen hat, sondern auch, weshalb die beantragte Beweismassnahme aus ihrer Sicht nichts an ihrer Überzeugung zu ändern vermag (34).
- Art. 140 StPO (Verwertbarkeit von Beweismitteln): Die Weisungen des Astra im Rahmen der Durchführung von Geschwindigkeitskontrollen haben keinen Gesetzescharakter und stellen kein Bundesrecht im Sinne von Art. 95 lit. a BGG dar. Sie lassen die freie Beweiswürdigung durch die Gerichte unberührt. Eine allfällige Verletzung der Weisungen führt daher nicht zwingend zu einer Unverwertbarkeit des Messergebnisses und zu einem Freispruch. Eine Geschwindigkeitsmessung kann trotz Verletzung der Weisungen des Astra verwertbar sein. Aufgrund des fehlenden Messprotokolls und Logbuchs ist aber nicht erstellt, dass die erforderlichen Funktionstests durchgeführt wurden. Dieses Versäumnis ist grundsätzlich geeignet, die Richtigkeit der Messung infrage zu stellen (35).
- Art. 147 StPO (Teilnahmerechte bei Beweiserhebungen): Werden der Verteidigung die Namen von Personen, die befragt werden sollen, nicht bekannt gegeben, sind der Gehörsanspruch und die Verteidigungsrechte verletzt. Die Staatsanwaltschaft kann sich nicht auf eine künftige Konfrontation berufen (36). Nach einem neueren Urteil des Bundesgerichts sollen die Teilnahmerechte der beschuldigten Person nur im gemeinsam geführten Verfahren gelten. Das Bundesgericht vertritt die Ansicht, dass in getrennt geführten Verfahren den Beschuldigten im jeweils anderen Verfahren keine Parteistellung zukomme und deshalb kein gesetzlicher Anspruch auf Teilnahme an den Beweiserhebungen im eigenständigen Untersuchungs- und Hauptverfahren der andern beschuldigten Personen bestehe.
- Art. 158 Abs. 1 lit. a StPO (Rechtsbelehrung des Beschuldigten bei der ersten Einvernahme): Die Vorwürfe an die beschuldigte Person sind möglichst umfassend darzulegen. Der pauschale Vorwurf des Handels mit Betäubungsmitteln oder gar des Verstosses gegen das BetmG genügt nicht. Vielmehr sind der beschuldigten Person nach Ort und Zeit bestimmte Handlungen vorzuhalten, die einen derartigen Verstoss bedeuten. Unzulässig wäre es, eine Person unter dem Vorwurf einzuvernehmen, einen Diebstahl begangen zu haben, dabei aber Verdachtsgründe für eine ganz andere Straftat zu sammeln (37).
- Art. 172 StPO (Quellenschutz der Medienschaffenden): Eine Journalistin, die über einen Drogendealer berichtet hat, kann sich nicht auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht als Medienschaffende stützen. Da die Befragung der Journalistin für die Staatsanwaltschaft das einzig erfolgversprechende Beweismittel darstellt, um den «Drogendealer» zu identifizieren und das Strafverfahren weiterzuführen, kann das der Journalistin zugestandene Zeugnisverweigerungsrecht das Scheitern der Strafverfolgung bewirken. Das Zeugnisverweigerungsrecht hat hinter dem Interesse der Strafverfolgung zurückzutreten (38).
- Art. 221 Abs. 1 lit. a StPO (Haft wegen Fluchtgefahr): Das Bundesgericht bestätigt in einem Entscheid, dass auch ein mögliches Untertauchen im Inland als Fluchtgefahr gilt, selbst wenn dem Beschuldigten eine Freiheitsstrafe von lediglich neun Monaten droht (39).
- Art. 221 Abs. 1 lit. b StPO (Haft wegen Kollusionsgefahr): Das Bundesgericht entlässt in einem bemerkenswerten Entscheid einen Beschuldigten aus der Untersuchungshaft. Es beruft sich dabei auf eine Kombination von eher theoretischer Kollusionsgefahr und der Verletzung des Beschleunigungsgebots. Nach Ansicht des Bundesgerichts hätten die Untersuchungsbehörden den massgeblichen Gesichtspunkten schon seit längerem vertieft nachgehen können und müssen. Sie brächten im vorliegenden Verfahren keine nachvollziehbare Erklärung für die Verzögerung bei den Ermittlungen vor.
Die Möglichkeit der Spurenbeseitigung oder der Beeinflussung möglicher Zeugen sei allgemein formuliert und bleibe theoretisch und sehr vage. Soweit sie sich insbesondere auf die mögliche Beeinflussung von bis heute namentlich nicht genannten Personen aus dem Bekanntenkreis des Beschuldigten beziehe, sei unklar, inwieweit deren Aussagen zur Aufklärung der Tat beitragen können, nachdem die bei der Tat anwesenden Personen bekannt seien und als Zeugen einvernommen worden seien. Das Bundesgericht verneinte die Gefahr von Absprachen (40).
- Art. 237 StPO (Electronic Monitoring als Ersatzmassnahme): Die Haft wegen Ausführungsgefahr (Art. 221 Abs. 2 StPO) muss verhältnismässig sein. Die rein hypothetische Möglichkeit der Verübung von Delikten sowie die Wahrscheinlichkeit, dass nur geringfügige Straftaten verübt werden, reichen nicht aus. Im vorliegenden Fall erachtete das Bundesgericht die Fortführung der U-Haft als nicht erforderlich, da auch mit einem Rayon- und Kontaktverbot (Art. 237 Abs. 2 lit. c und g) eine Fortsetzung bzw. Wiederaufnahme der Beziehung und ein räumliches Zusammenleben mit aufkommenden Krisensituationen verhindert werden kann. Allenfalls könnte die Einhaltung der Ersatzmassnahmen gemäss Art. 237 Abs. 3 StPO mittels Electronic Monitoring überwacht werden (41).
- Art. 246 StPO (Durchsuchung von Aufzeichnungen): Das Bundesgericht setzt den «Durchsuchungs- und Beschlagnahmebefehlen» im Kanton Basel-Landschaft ein Ende. Die anlässlich der Hausdurchsuchung versiegelten Aufzeichnungen und Gegenstände wurden vorläufig sichergestellt (Art. 263 Abs. 3 i.V.m. Art. 248 Abs. 1 StPO) und können erst aufgrund des rechtskräftigen Entsiegelungsentscheids inhaltlich durchsucht (Art. 246 StPO) und förmlich beschlagnahmt werden (Art. 248 Abs. 1 StPO).
Im von der Staatsanwaltschaft (nach Sichtung der entsiegelten Unterlagen) allenfalls zu erlassenden Beschlagnahmebefehl wird darzulegen und kurz zu begründen sein, welche Unterlagen unter welchem Titel zu beschlagnahmen und welche herauszugeben sein werden (Art. 263 Abs. 2 StPO). Vor dem Entscheid über die Zulässigkeit der Durchsuchung kann nur eine vorläufige Sicherstellung (Art. 263 Abs. 3 StPO) erfolgen (42).
- Art. 248 StPO (Siegelung): Das Bundesgericht hat entschieden, dass nicht nur der Gewahrsamsinhaber, sondern auch der «Geheimnisschutzberechtigte» dazu legitimiert sei, einen Siegelungsantrag zu stellen. Aus Art. 264 Abs. 3 StPO ergebe sich, dass die Befugnis, sich gegen eine Durchsuchung von Aufzeichnungen zu wehren, über den Kreis der Gewahrsamsinhaber hinausgehe und auch Personen erfasse, die unabhängig der Besitzverhältnisse ein rechtlich geschütztes Interesse an der Geheimhaltung des Inhalts der Unterlagen haben können.
Zudem hält das Bundesgericht fest, dass ein Entsiegelungsgesuch hinreichend zu begründen sei. Im Entsiegelungsgesuch für Aufzeichnungen eines Berufsgeheimnisträgers muss durch die Strafbehörde aufgezeigt werden, inwiefern eine Durchsetzung vor dem Anwaltsgeheimnis standhält, in welchem Ausmass der Anwalt selbst in die untersuchten strafbaren Vorgänge verwickelt sein könnte und warum die Akten für die Untersuchung relevant sein sollen (43).
- Art. 263 Abs. 1 lit. b i.V.m Art. 268 StPO (Deckungsbeschlagnahme): Damit eine von der Staatsanwaltschaft angeordnete und vollzogene Zwangsmassnahme richterlich überprüft werden kann, muss sie begründet sein. Bei einer Beschlagnahme (in casu mittels Grundbuchsperre) ist die Staatsanwaltschaft verpflichtet, sich auf eine der Beschlagnahmearten festzulegen. Im vorliegenden Fall hat dies erst die kantonale Beschwerdeinstanz getan, allerdings ohne die Beschwerdeführer zur vorgesehenen substituierten Begründung anzuhören. Damit hat sie den Gehörsanspruch verletzt: Eine mangelhafte Begründung der Beschlagnahmeverfügung durfte die kantonale Beschwerdeinstanz nicht in der Weise «heilen», dass sie eine neue Begründung nachschob, zu der sich der Beschwerdeführer nicht äussern konnte (44).
- Art. 263 Abs. 1 lit. d StPO (Einziehungsbeschlagnahmung Personenwagen): Entsprechend ihrer Natur als eine provisorische prozessuale Massnahme prüft das Bundesgericht bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Beschlagnahme – anders als der für die definitive Einziehung zuständige Sachrichter – nicht alle Tat- und Rechtsfragen abschliessend. Es hebt eine Beschlagnahme nur auf, wenn ihre Voraussetzungen offensichtlich nicht erfüllt sind (45).
- Art. 264 Abs. 1 lit. d StPO (Beschlagnahme von Konten eines Rechtsanwaltes): Für versiegelte Kontenunterlagen (des für anwaltliche Transaktionen geführten Kontos) besteht kein absolutes Beschlagnahme- bzw. Entsiegelungshindernis. Art. 264 Abs. 1 lit. d StPO schränkt jedoch ausdrücklich ein, dass dieses Beschlagnahmehindernis nur besteht, sofern der betroffene Anwalt im gleichen Zusammenhang nicht selber beschuldigt ist. Es ist nicht Sache des Zwangsmassnahmen- oder des Bundesgerichts, anhand der versiegelten Bankunterlagen mitbetroffene Klienten des beschuldigten Anwalts zu eruieren und sie zur Wahrung von allfälligen Geheimnisschutzinteressen einzuladen. Vielmehr wäre es als Konteninhaber Sache des Anwalts, seine mitbetroffenen Klienten über die erfolgte Edition zu informieren (46).
- Art. 316 Abs. 1 StPO (Vergleich): Diese Vorschrift soll nach Auffassung des Bundesgerichts auch dann gelten, wenn nicht ausschliesslich Antragsdelikte Gegenstand des Verfahrens bilden. Im französischen Text der StPO sei vergessen worden, das Wort «exclusivement» zu streichen (47).
- Art. 319 StPO (Einstellung des Strafverfahrens): Das Bundesgericht erinnert die Behörden des Kantons Zürich daran, dass einen Anspruch auf wirksamen Rechtsschutz hat, wer übertriebene Polizeigewalt geltend macht (Art. 10 Abs. 3 BV, Art. 3 und 13 EMRK, Art. 7 Uno-Pakt II sowie Art. 13 der UN-Anti-Folter-Konvention). Der Entscheid über die Verfahrenseinstellung richtet sich nach dem Grundsatz «in dubio pro duriore» (vgl. Art. 5 Abs. 1 BV und Art. 2 Abs. 1 StPO i.V.m. Art. 319 Abs. 1 und Art. 324 Abs. 1 StPO) (48).
- Art. 319 Abs. 1 StPO (Sperrwirkung einer falschen Teileinstellung): Mit der Einstellung schliesst die Staatsanwaltschaft das Verfahren ab. Eine rechtskräftige Einstellungsverfügung kommt einem freisprechenden Endentscheid gleich (Art. 320 Abs. 4 StPO). Einer erneuten strafrechtlichen Verfolgung wegen der gleichen Tat stehen deshalb grundsätzlich das Prinzip «ne bis in idem» entgegen sowie das Institut der materiellen Rechtskraft. Diese bewirkt, dass eine formell rechtskräftig beurteilte Tat nicht mehr Gegenstand eines späteren Verfahrens gegen dieselbe Person sein kann («Sperrwirkung der materiellen Rechtskraft») (49).
- Art. 319 Abs. 1 lit. a StPO («in dubio pro duriore»): Falls sich die Wahrscheinlichkeit eines Freispruchs oder einer Verurteilung in etwa die Waage halten, drängt sich in der Regel eine Anklageerhebung auf. Bei zweifelhafter Beweis- bzw. Rechtslage hat nicht die Staatsanwaltschaft über die Stichhaltigkeit des strafrechtlichen Vorwurfs zu entscheiden, sondern das materiell zuständige Gericht. Dies gilt insbesondere bei schweren Sexualdelikten (50).
- Art. 340 Abs. 1 lit b. StPO (Anspruch auf Freispruch): Nach Behandlung der Vorfragen kann die Anklage nicht zurückgezogen und unter Vorbehalt von Art. 333 nicht mehr geändert werden. Daraus ergibt sich, dass eine beschuldigte Person nach Anklageerhebung grundsätzlich nur noch freigesprochen oder schuldig erklärt werden kann. Fehlen die Beweise, muss das Gericht freisprechen. Die beschuldigte Person hat Anspruch darauf, dass ihre strafrechtliche Verantwortung klar mit Ja oder Nein beantwortet wird (51).
- Art. 355 Abs. 2 StPO (Rückzugsfiktion bei Einsprache gegen Strafbefehl): Ein im Ausland wohnhafter Beschuldigter wurde nach Einsprache gegen einen Strafbefehl in Verletzung der gesetzlich vorgeschriebenen Zustellformen zu einer Einvernahme vorgeladen. Nachdem er nicht erschienen war, verfügte die Staatsanwaltschaft den Rückzug der Einsprache. Das Bundesgericht kommt in Anwendung einer ganzen Reihe von rechtlichen Grundsätzen zur Auffassung, dass Art. 355 Abs. 2 StPO nicht zur Anwendung kommen kann, wenn die Einsprecherin von der Vorladung – aus welchen Gründen auch immer – gar keine Kenntnis hatte (52).
- Art. 391 Abs. 2 StPO (Verbot der «reformatio in peius»): Das Verschlechterungsverbot gemäss Art. 391 Abs. 2 Satz 1 StPO ist nicht nur bei einer Verschärfung der Sanktion, sondern auch bei einer härteren rechtlichen Qualifikation der Tat verletzt. Dies ist der Fall, wenn der neue Straftatbestand eine höhere Strafdrohung vorsieht, das heisst einen höheren oberen Strafrahmen oder eine (höhere) Mindeststrafe. Gleich verhält es sich, wenn der Verurteilte im Berufungsverfahren wegen Versuchs oder als Mittäter statt bloss als Gehilfe schuldig gesprochen wird. Massgeblich für die Frage, ob eine unzulässige «reformatio in peius» vorliegt.
(1) Urteil 6B_251/2013 vom 24.10.2013.
(2) Urteil 6B_779/2013 vom 17.3.2014.
(3) Urteil 6B_284/2013 vom 10.10.2013.
(4) Urteil 6B_880/2013 vom 27.2.2014.
(5) Urteil 6B_572/2013 vom 20.11.2013.
(6) BGE 140 IV 74.
(7) BGE 140 IV 1.
(8) Urteil 6B_1152/2013; 6B_1179/2013 und 6B_1187/2013 vom 28.8.2014.
(9) Urteil 6B_939/2013 vom 17.6.2014.
(10) Urteil 6B_362/2013 vom 10.12.2013.
(11) Urteil 6B_642/2013 vom 3.2.2013.
(12) Urteil 6B_642/2013 vom 3.2.2014.
(13) BGE 140 IV 67, kritisch dazu: Dorrit Schleiminger Mettler, «Rassistische Beschimpfung versus Rassendiskriminierung am Beispiel von ‹Drecksasylanten›», in: forumpoenale 5/2014, S. 307 ff.
(14) Urteil 6B_1006/2013 vom 25.9.2014.
(15) Urteil 6B_210/2014 vom 28.7.2014.
(16) Urteil 1B_406/2013 vom 16.5.2014.
(17) Urteil 6B_186/2013 vom 26.9.2013 (vgl. dazu die Bemerkungen von Philippe Weissenberger in: forumpoenale 2/2014, S. 90 ff.).
(18) Urteil 6B_426/2014 vom 18.9.2014.
(19) Urteil 6B_369/2013 vom 31.10.2013 (vgl. dazu die Bemerkungen von Andreas Noll in: forumpoenale 3/2014, S. 155 ff.).
(20) Urteil 6B_1021/2013 vom 29.9.2014 E. 5.3.
(21) Urteil 6B_610/2013 vom 12.12.2013; Urteil 6B_527/2013 vom 25.3.2014.
(22) Urteil 1B_105/2014 vom 24.4.2014.
(23) Urteil 6B_959/2013 vom 28.8.2014.
(24) Urteil 1B_297/2013 vom 11.10.2013.
(25) Urteil 1B_121/2014 vom 13.6.2014.
(26) Urteil 1B_213/2014 vom 27.8.2014.
(27) Urteil 6B_978/2013 vom 19.5.2014.
(28) Urteil 1B_444/2013 vom 31.1.2014.
(29) Urteil 1B_165/2014 vom 8.7.2014.
(30) Urteil 6B_883/2013 vom 17.2.2014.
(31) Urteil 6B_837/2013 vom 8.5.2014.
(32) Urteil 1B_211/2014 vom 23.7.2014.
(33) BGE 139 IV 261.
(34) Urteil 6B_764/2013 vom 26.5.2014; Urteil 6B_1192/2013 vom 17.6.2014.
(35) Urteil 6B_937/2013 vom 23.9.2014.
(36) Urteil 1B_24/2014 vom 25.6.2014.
(37) Urteil 6B_1021/2013 vom 29.9.2014.
(38) Urteil 1B_293/2013 vom 31.1.2014 (vgl. dazu die Bemerkungen von Matthias Schwaibold in: forumpoenale 3/2014, S. 132 f.).
(39) Urteil 1B_254/2014 vom 29.7.2014.
(40) Urteil 1B_446/2013 vom 23.1.2014.
(41) BGE 140 IV 19.
(42) Urteil 1B_65/2014 vom 22.8.2014.
(43) BGE 140 IV 28.
(44) Urteil 1B_379/2013 vom 6.12.2013.
(45) Urteil 1B_275/2013 vom 28.10.2013 (vgl. dazu die Bemerkungen von Wolfgang Wohlers in: forumpoenale, 1/2014, S. 30).
(46) Urteil 1B_303/2013 vom 21.3.2014.
(47) Urteil 6B_1104/2013 vom 5.6.2014.
(48) Urteil 6B_743/2013 vom 24.6.2014.
(49) Urteil 6B_653/2013 vom 20.3.2014.
(50) Urteil 6B_718/2013 vom 27.2.2014.
(51) Urteil 6B_95/2013 vom 10.12.2013.
(52) BGE 140 IV 86.
(53) BGE 139 IV 282; vgl. auch Urteil 6B_772/2013 vom 11.7.2014.
(54) BGE 140 IV 92.
(55) Urteil 6B_4/2014 vom 28.4.2014.
(56) Urteil 6B_150/2014 vom 23.9.2014; vgl. auch Urteil 1B_180/2012 vom 24.5.2014 und Urteil 6B_239/2013 vom 13.1.2014.
(57) Urteil 6B_1211/2013 vom 2.10.2014.
(58) Urteil 6B_389/2013 vom 26.11.2013.
(59) Urteil 6B_258/2013 vom 6.1.2013.
(60) Urteil 6B_74/2014 vom 7.7.2014.
(61) Urteil 6B_662/2013 vom 19.6.2014.
(62) Urteil 1B_41/2014 vom 29.1.2014; vgl. auch BGE 133 I 270 E. 1.2.
(63) Urteil 6B_664/2013 vom 16.12.2013, vgl. auch Urteil 6B_94/2013 vom 3.10.2013 E. 1.2. Diese Rechtsprechung wird wohl auch zur Folge haben müssen, dass die Verteidigung im entsprechenden Vollzugsverfahren in geeigneter Weise (notwendige Verteidigung) beteiligt werden muss.
(64) Urteil 1B_124/2014 vom 21.5.2014.
(65) Urteil 1B_445/2013 vom 14.2.2014.
Alain Joset, Advokat in Basel und Liestal