Seit mehr als einem Jahr prägt die Covid-19-Pandemie den medizinischen Diskurs der Öffentlichkeit. Nahezu unbemerkt beschäftigt sich derweil das Parlament in Bern mit einer medizinischen Problematik, die für die Bevölkerung ebenfalls weitreichende Konsequenzen hat: die Einführung der Widerspruchsregelung im Bereich der Transplantationschirurgie, die in etlichen Ländern Europas gilt, bislang jedoch nicht unter anderem in Deutschland, Dänemark und der Schweiz.
Anlass ist die im März 2019 von der Jeune Chambre Internationale Riviera eingereichte Volksinitiative «Organspende fördern – Leben retten», die von Swisstransplant, der Schweizerischen Nationalen Stiftung für Organspende und Transplantation, unterstützt wird. Um die Verfügbarkeit von Spendeorganen zu erhöhen, soll die heute geltende erweiterte Zustimmungs- durch die Widerspruchsregelung ersetzt werden. Vorgesehen ist ein neuer, vierter Absatz in Artikel 119a der Bundesverfassung (BV): «Die Spende von Organen, Geweben oder Zellen einer verstorbenen Person zum Zweck der Transplantation beruht auf dem Grundsatz der vermuteten Zustimmung, es sei denn, die betreffende Person hat zu Lebzeiten ihre Ablehnung geäussert.» Wer nicht Organ-, Gewebe- oder Zellspender sein will, muss tätig werden und aktiv widersprechen.
Mit einem indirekten Gegenvorschlag hat der Bundesrat im November 2020 darauf reagiert. Auch er unterstützt – mindestens mehrheitlich – das Anliegen der Initiative, da an einer höheren Verfügbarkeit von Spendeorganen ein «grosses öffentliches Interesse» bestehe. Er modifiziert es aber. Erstens soll nicht die Verfassung geändert werden, sondern bloss das «Gesetz über die Transplantation von Organen, Geweben und Zellen». Zweitens soll die Widerspruchsregelung nicht eng, sondern analog der heute geltenden Zustimmungsregelung in erweiterter Form ausgestaltet sein: Liegt kein dokumentierter Widerspruch vor, können Angehörige der Organentnahme widersprechen, sofern dies dem mutmasslichen Willen der betroffenen Person entspricht. Sind keine Angehörigen erreichbar, dürfen keine Organe entnommen werden. Im Zweifelsfall soll die Zustimmung zur Organspende also nicht unter allen Umständen vermutet werden. Und drittens schliesslich soll die Widerspruchsregelung nur für Organe, Gewebe und Zellen gelten, die als solche einer anderen Person implantiert werden. Eine Explantation zur lukrativen Weiterverarbeitung und Herstellung von Transplantatprodukten bedarf weiterhin der ausdrücklichen Zustimmung (Artikel 7 Absatz 1 und 49 Transplantationsgesetz).
Diese Modifikationen können nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch der Gegenvorschlag einen Systemwechsel herbeiführt, indem er eine neue gesellschaftliche Grundhaltung im Gesetz festschreibt: Mit der Widerspruchsregelung ist die Organspende nicht mehr länger eine Gabe, der die Spender im Einzelfall aus freien Stücken und ausdrücklich zustimmen, sondern der Normalfall, der auch im Fall des Schweigens gilt. Der Widerspruch ist neu die Ausnahme von der Regel. Die Implementierung einer solchen Norm im Gesetz hat den Anstrich einer sozial akzeptierten Vorstellung mit handlungsanweisendem Charakter und generiert eine entsprechende Erwartungshaltung, die einer Pflicht zur Organspende gefährlich nahe kommt.
Dies erstaunt, zumal von verschiedener Seite noch 2013 einhellig betont wurde, die Widerspruchsregelung würde von der Bevölkerung nicht akzeptiert. So äusserte sich nebst anderen auch der Direktor von Swisstransplant. Zwar galt die Regelung in etlichen Kantonen vor Inkrafttreten des Transplantationsgesetzes (2007), praktiziert wurde jedoch in der ganzen Schweiz die erweiterte Zustimmung. Dennoch reichten nach der gesetzlichen Verankerung Parlamentarier wiederholt Vorstösse zur Einführung der Widerspruchsregelung ein. Besonders rührig war die heutige Bundesrätin Viola Amherd, die als Nationalrätin zwischen 2008 und 2014 drei Anträge stellte. Ihr Vorstoss war wie alle anderen jedoch «chancenlos», wie Felix Gutzwiller in der Herbstsession 2014 ausführte, als er anlässlich der Revision des Transplantationsgesetzes einmal mehr vergeblich einen Antrag auf Einführung der Widerspruchsregelung stellte.
Dies wird 2021 anders beurteilt. Die Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrats (SGK-N) hat den Gegenvorschlag unter Federführung ihrer Präsidentin Ruth Humbel im Februar und März 2021 behandelt und sich mit marginalen Änderungsvorschlägen mehrheitlich dafür ausgesprochen (mit 17 zu 5 Stimmen). Am 5. Mai hat der Nationalrat den Paradigmenwechsel bei der Organentnahme mit 150 zu 34 Stimmen bei 4 Enthaltungen gutgeheissen. Stimmt auch der Ständerat der Gesetzesänderung zu, wird die Volksinitiative zurückgezogen.
Damit könnte die Einführung einer neuen sozialen Norm ohne Zustimmung der davon betroffenen Bevölkerung umgesetzt werden. Über die von der Volksinitiative angestrebte Verfassungsänderung müsste abgestimmt werden, wobei sowohl das Volks- als auch das Ständemehr ausschlaggebend sind. Im Vorfeld dieser Abstimmung fände zweifelsohne eine öffentliche Diskussion statt. Mit dem Gegenvorschlag wird diese Klippe umschifft: Über die Anpassung des Transplantationsgesetzes entscheidet das Parlament allein. Wird nachträglich nicht das fakultative Referendum ergriffen, für das 50 000 Unterschriften erforderlich sind, wird die Widerspruchsregelung ohne Zustimmung eingeführt; eine öffentliche Debatte muss nicht stattfinden. Die Art und Weise, wie die Widerspruchsregelung mit dem Gegenvorschlag durchgesetzt werden soll, entspricht dem beabsichtigten Paradigmenwechsel: Die Zustimmung der potenziell betroffenen Organspender zur Aufhebung der Zustimmungsregelung scheint ebenso wenig erwünscht wie die Diskussion der Problematik in einer breiten Öffentlichkeit. Schweigen wird bevorzugt.
Aus politischer wie medizinrechtlicher Perspektive ist die Einführung der Widerspruchsregelung problematisch. Grundsätzlich gilt jeder medizinische Eingriff als Verletzung der verfassungsmässig garantierten körperlichen Integrität (Artikel 10 Absatz 2 BV). Rechtmässig wird eine solche Körperverletzung nur, wenn eine sogenannt informierte oder aufgeklärte Einwilligung beziehungsweise Zustimmung vorliegt, womit das Selbstbestimmungsrecht und die Verfügungsmacht über den eigenen Körper des Individuums respektiert wird. Bei leichten Eingriffen ist ausnahmsweise eine konkludente Zustimmung möglich, doch dazu zählt die Organentnahme zweifellos nicht. Das Selbstbestimmungsrecht über den eigenen Körper gilt – abgeleitet aus dem Schutz und der Achtung der Würde (Artikel 7 BV) – auch über den Tod hinaus. Die Einwilligung als Voraussetzung eines ärztlichen Eingriffs wurde bereits 1894 vom Reichsgericht, dem obersten Gerichtshof in Deutschland (1879–1945), formuliert, um dem ärztlichen Paternalismus Grenzen zu setzen. Im Medizinrecht hat sich die informierte Zustimmung mit und nach den Nürnberger Prozessen etabliert. Mit der Widerspruchsregelung soll nun im Bereich der Transplantationschirurgie eine Ausnahme statuiert werden: Liegt kein Widerspruch vor, kann die Zustimmung zur Organspende vermutet werden. Das Schweigen, die fehlende Willensäusserung, die gemeinhin als «rechtliches Nullum» bewertet wird, wird so zu einem «Ja» und erfährt in einem heiklen Bereich eine grundlegende Transformation.
Entfällt die aktive Zustimmung zur Organspende, entfällt und verändert sich auch die mit ihr verbundene Pflicht zur Aufklärung. Mit dem Systemwechsel ist die Einwilligung de facto immer schon gegeben. Der Eingriff bedarf im Einzelfall nicht mehr der umfassenden Information. Während das Initiativkomitee davon ausgeht, dass sich die Information mit der Widerspruchsregelung einfacher gestalte, weil nur noch jene adressiert werden müssen, die ihre Organe nicht spenden wollen, nimmt der Bundesrat an, dass langfristig ein höherer Informationsbedarf besteht. Die Einschätzung des Bundesrates dürfte zutreffender sein. Die bisherigen Kampagnen des Bundes zielten darauf, die Organspendebereitschaft zu dokumentieren. Damit war die Absicht verbunden, die Angehörigen im Ernstfall zu entlasten. Wurden nicht alle Personen erreicht, war und ist dies unproblematisch: Eine fehlende dokumentierte Zustimmung tastet die Selbstbestimmungsrechte der Betroffenen nicht an, weil sie als Ablehnung der Organexplantation ausgelegt wird, sofern Angehörige ihr nicht gestützt auf den mutmasslichen Willen zustimmen. Wie vorsichtig sie sich an diesem Punkt verhalten, belegt die hohe Ablehnungsrate der Organentnahme durch Angehörige, die 2013 schweizweit über 50, in manchen Kantonen gar gegen 80 Prozent betrug. Nach dem Systemwechsel muss jedoch sichergestellt sein, dass alle Personen tatsächlich wissen, dass sie potenzielle Organspender sind, wenn sie nicht aktiv widersprechen. Dies dürfte weitaus schwieriger und mit dem Makel behaftet sein, dass nie mit absoluter Sicherheit davon ausgegangen werden kann, dass jemand eine Organentnahme tatsächlich billigt, wenn keine dokumentierte Zustimmung vorliegt.
Einigkeit besteht jedoch an dem Punkt, dass sich die Informationspflicht darauf reduziert, dass alle Bevölkerungsgruppen wissen, dass die Explantation von Organen, Geweben und Zellen ohne Widerspruch zulässig ist. Schon vor Jahren monierte der US-amerikanische Neurologe und Gehirnforscher D. Alan Shewmon im Zusammenhang mit der sogenannt postmortalen Organspende, «informed» sei nie ein Charakteristikum der Zustimmung gewesen. Er sprach damit den entscheidenden Punkt der Aufklärung an, der eine Zustimmung zur Organentnahme erst zu einer informierten macht: Informiert, aufgeklärt und in einem wirklichen Sinn selbstbestimmt kann in die sogenannt postmortale Organspende nur einwilligen, wer weiss, dass das Hirntodkriterium in der Fachwelt seit Jahren höchst umstritten ist und äusserst kontrovers diskutiert wird. Organspenden sind nur möglich, wenn der Hirntod mit dem Tod des Menschen gleichgesetzt wird. Der Hirntod als naturwissenschaftlich-medizinisches Konzept des Todes wurde 1968 im Harvard-Bericht vorgelegt und in der Schweiz mit dem Transplantationsgesetz eingeführt. Der irreversible Ausfall aller Gehirnfunktionen aufgrund einer Gehirnschädigung, wie er etwa infolge eines Hirnschlags, einer Hirnblutung oder eines Unfalls eintritt, bedeutet jedoch nicht den Tod des Körpers. Im Kontinuum zwischen Leben und Tod stellt der Hirntod vielmehr eine Zäsur dar, die den Sterbeprozess einleitet. Er ist deshalb, und das ist unumstritten, ein Indiz dafür, dass lebenserhaltende Massnahmen abgebrochen werden dürfen: Man lässt Menschen im Rahmen der passiven Sterbehilfe sterben. Anders ist dies bei Organspendern: Sie werden in der Regel intensivmedizinisch betreut und künstlich am Leben erhalten. Die gängige Rede von postmortaler Organspende – im Unterschied zur Lebendspende – ist insofern verschleiernd und irreführend, als der physische oder lebensweltlich feststellbare Tod erst mit der Organentnahme eintritt. Organe von Leichen können nicht transplantiert werden.
Bereits vor vierzig Jahren befürchtete Hans Jonas, das Hirntodkriterium sei im Rahmen der Transplantationschirurgie eine pragmatische Neudefinition, die erlaube, den Todeszeitpunkt vorzuverlegen, um Organe zugänglicher zu machen. Anders als in der Schweiz war und ist das Hirntodkriterium in Ländern wie den USA und in Deutschland seit seiner Einführung Gegenstand heftiger Debatten. So bemühte sich das President’s Council on Bioethics im «White Paper» (2008) um eine neue Todesdefinition, die vom Deutschen Ethikrat 2015 ausführlich diskutiert wurde. Von verschiedener Seite – so auch vom Ethiker und Befürworter der Transplantationschirurgie Dieter Birnbacher – wird vor dem Hintergrund, dass der Hirntod nicht mit dem Tod gleichgesetzt werden kann, gefordert, die sogenannte Dead Donor Rule – die Tote-Spender-Regel – aufzugeben und von Justified Killing zu sprechen, der Tötung zwecks Organentnahme, in die eingewilligt wurde. Ethisch und rechtlich ist dies problematisch, denn es widerspricht dem für Mediziner geltenden Verbot der Tötung, weil es der aktiven Sterbehilfe gleichkommt.
Ob der Hirntod mit Tod gleichzusetzen ist oder ob die Organentnahme, in die eingewilligt wurde, eine gerechtfertigte Tötung ist, muss hier nicht entschieden werden. Wichtig ist hier einzig und allein, dass potenzielle Organspender die Differenz zwischen der naturwissenschaftlich-medizinischen und der lebensweltlichen Todeskonzeption kennen müssen. Dabei verschiebt sich die Informationspflicht mit einem Systemwechsel. Im Rahmen der Zustimmungsregelung, die auf der Maxime der informierten Zustimmung beruht, müssen jene, die den Eingriff vornehmen oder die Zustimmung zur Organspende erhalten wollen, aufklären: die Transplantations-Chirurgen beziehungsweise Swisstransplant. Im Rahmen der Widerspruchsregelung erfolgt jedoch die Einwilligung in eine Organentnahme aufgrund einer im Gesetz implementierten Norm stillschweigend. Allein darüber zu informieren, dass neu die Widerspruchsregelung gilt, ist nicht ausreichend. Vielmehr muss nun auch von staatlicher Seite über alle zentralen Aspekte, die mit der Transplantations-Chirurgie verbunden sind, aufgeklärt und informiert werden. Ansonsten wird in Kauf genommen, dass der Informed Consent der Zustimmungsregelung durch stillschweigenden Uninformed Consent ersetzt wird.
Obwohl einzelne Stimmen in der Presse wie auch eine Gruppe von Ärzten und Pflegefachpersonen (ÄPOL) wiederholt auf die Notwendigkeit einer breiten öffentlichen Diskussion um die Hirntodproblematik hinwiesen, fand eine solche bislang in der Schweiz nicht statt. Die Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW) geht in ihren Richtlinien zur «Feststellung des Todes im Hinblick auf Organtransplantationen und Vorbereitung der Organentnahme» von 2017 mit keinem Wort auf die Umstrittenheit des Hirntodkriteriums ein. Die Organspende-Kampagnen von Swisstransplant und des Bundesamts für Gesundheit fokussieren auf Solidarität und Altruismus und blenden die Problematik aus. Die nun beabsichtigte stille Einführung der Widerspruchsregelung erweckt den Eindruck, dass dies bewusst geschieht. Eine effektive Information und öffentliche Debatte um die Organentnahme und das Todeskriterium ist offenbar unerwünscht. Es scheint, als ob die massgeblichen Stellen befürchten, dass Menschen nach vollumfänglicher Aufklärung ihre Organe aus altruistischen Motiven nicht mehr spenden. Das wäre aber erst recht ein Grund, an der Zustimmungsregelung festzuhalten.
Abschliessend bleibt zu fragen, ob die mit der Widerspruchsregelung verbundenen Ziele erreicht werden. Kann der vielbeklagte Organmangel so behoben, die Spenderate erhöht werden? Werden die Angehörigen entlastet?
Die Initianten der Initiative, Swisstransplant und der Bundesrat machen für den Organmangel den fehlenden Willen zur Dokumentation verantwortlich und verweisen auf Umfragen: 2017 sprachen sich 53 Prozent für die Organspende aus, doch nur 16,4 Prozent haben einen Spendeausweis. Belegt diese Differenz tatsächlich, dass der Spendewille höher ist als die dokumentierte Spendebereitschaft? Sind Umfrageergebnisse repräsentativer als dokumentierte Zustimmungen? Eine positive Haltung zur Organspende bedeutet nicht zwangsläufig, dass jemand im Ernstfall die eigenen Organe zur Verfügung stellt. Die fehlende Willensäusserung kann auch Ausdruck davon sein, dass jemand nicht zu einem Entscheid in dieser Frage gefunden hat. In diesem Fall läuft die Widerspruchsregelung Gefahr, die Unentschiedenheit als affirmative Haltung auszulegen. Vor dem Hintergrund, dass die Organspendekampagnen von Swisstransplant und Bund, die seit nunmehr bald acht Jahren laufen, kaum eine Veränderung der Spendequote und der Dokumentation des Spendewillens bewirkt haben, ist die fehlende Willensäusserung durchaus auch als Aussage zu werten. Denkbar ist, dass gerade diese Kampagnen, die einen unübersehbaren moralischen Druck ausüben, dazu führen, dass keine dokumentierten Willensäusserungen vorliegen. Indem sie die Organspende als Ausdruck von Solidarität mit kranken Menschen darstellen, werden jene, die sich dagegen aussprechen, als unsolidarisch, egoistisch oder irrational diskreditiert. Man muss nicht so weit gehen wie Claude Lévi-Strauss, der die Organtransplantation 1993 als eine Form des Kannibalismus bezeichnete, die in therapeutischer Absicht rational begründet wird. Dennoch kann diese neuartige Form der Einverleibung von menschlichen Körpern auf Vorbehalte treffen. Dazu zählt auch der durchaus legitime Wunsch von körperlicher Integrität über den Tod hinaus, der aus der Perspektive der Transplantationschirurgie als irrational erscheint. Schweigen mit «Ja» gleichzusetzen, ist unzulässig und untergräbt den rechtlichen Schutz der körperlichen Integrität und Selbstbestimmung.
Ob die Organspenderate mit der Widerspruchsregelung tatsächlich erhöht wird, wie neuere Erfahrungen in anderen Ländern offenbar zeigen, ist fraglich: Obwohl im Tessin vor 2007 die Zustimmungsregelung galt, verzeichnete der Kanton die höchste Spenderate in der Schweiz. Die kulturbedingte Haltung dürfte neben der Klinikorganisation entscheidender sein.
Für Angehörige mag es einfacher sein zu schweigen, als aktiv in eine Organexplantation einzuwilligen, wie auch die Gesprächssituation für Transplantationschirurgen einfacher ist, wenn sie nicht um eine Einwilligung zur Organspende bitten müssen, sondern unterstellen können, dass bereits – wenn auch nur stillschweigend – in sie eingewilligt wurde. Wirklich entlastet werden Angehörige aber nur mit einer engen Zustimmungsregelung, wenn sie weder stellvertretend noch im Interesse der betroffenen Person entscheiden müssen, ob Organe entnommen werden dürfen, wenn keine dokumentierte Zustimmung vorliegt.
Körperliche Integrität im Sterbeprozess und nach dem Tod hat nicht für alle Menschen dieselbe Bedeutung. Aber sie sollte stets respektiert werden. Der Systemwechsel, der die Organentnahme zur sozialen Norm erklären will, läuft nicht nur Gefahr, im Einzelfall von einer Zustimmung auszugehen, wo keine vorliegt, sondern setzt auch grundlegende, verfassungsmässig garantierte Rechte für den Bereich der Transplantationschirurgie ohne Diskussion und ohne Zustimmung der davon Betroffenen ausser Kraft.