Die beiden ausserordentlichen Bundesanwälte Hans Maurer und Ulrich Weder erliessen am 19. Oktober 2023 einen Einstellungsbeschluss in den Strafverfahren gegen den ehemaligen Bundesanwalt Michael Lauber, Fifa-Präsident Gianni Infantino und weitere Beteiligte. Sie beendeten damit die Untersuchung gegen die genannten Beschuldigten. Die Sonderermittler erkannten, dass es im Rahmen der geheimen und nicht protokollierten Treffen zwischen Strafverfolger und Fifa weder zu Begünstigungen, Amtsmissbrauch noch Amtsgeheimnisverletzungen gekommen sei.
Den Hauptteil der Verfahrenskosten von total 22'720 Franken trägt der Bund. Michael Lauber wurde ein Siebtel der Verfahrenskosten auferlegt, dem ehemaligen leitenden Staatsanwalt und heutigen Bundesstrafrichter Olivier Thormann ein Vierzehntel der Kosten, da sie die Untersuchung aufgrund der unterlassenen Protokollierung der Gespräche mitverursacht hatten.
Schon der Umfang von 221 Seiten des Einstellungsbeschlusses lässt aufhorchen. Ein Studium führt denn auch zu mehreren Auffälligkeiten, auf die in geraffter Form hingewiesen werden soll.
Die Überlegungen konzentrieren sich in erster Linie auf das Unterlassen jeglicher Aktenführung durch die Bundesanwaltschaft unter der Führung von Michael Lauber. Es geht um vier Treffen, insbesondere jenes vom 16. Juni 2017, des früheren Bundesanwalts mit dem Fifa-Präsidenten und dessen Vertrautem, dem Walliser Oberstaatsanwalt Rinaldo Arnold.
Nach der herrschenden Lehre und der Praxis des Bundesgerichts ist in Zweifelsfällen rechtlicher Natur nicht einzustellen, sondern Anklage zu erheben. Für die Staatsanwaltschaft gilt der Grundsatz «in dubio pro duriore». So heisst es auch in der Einstellung der Sonderermittler auf Seite 185: «Danach darf eine Einstellung durch die Staatsanwaltschaft nur bei klarer Straflosigkeit bzw. offensichtlich fehlenden Prozessvoraussetzungen angeordnet werden.»
In der Einstellung ist betreffend die ermittelten vier Treffen des damaligen Bundesanwalts mit dem Fifa-Präsidenten 14 Mal von «klandestinen und geheimhaltungsbedürftigen» und/oder «konspirativen Absprachen und Treffen» die Rede.
«Klandestine Treffen» und «kollektive Amnesie»
Klandestin und geheimhaltungsbedürftig sind von ihrer Bedeutung her nicht synonym, namentlich nicht, wenn es sich um Handlungen von Behördenmitgliedern handelt. Klandestin gehört eigentlich zu illegalem Verhalten. Daher ist schon dieser wiederholte Ausdruck auffällig.
Zu beachten ist dabei, dass die Fifa, vertreten durch den Präsidenten, in mehreren anderen, von der Bundesanwaltschaft geführten Verfahren im «Komplex Weltfussball» Privatklägerin und also Partei war (es ging unter anderem um angeblich gekaufte Weltmeisterschaften).
Wenn die Treffen klandestin und geheimhaltungsbedürftig waren, dann sollten diese und deren Inhalt in den Akten und selbst innerhalb der Bundesanwaltschaft offensichtlich verheimlicht werden. Das dürfte auch der Grund sein, weshalb der Fifa-Präsident nie im Gebäude der Bundesanwaltschaft gesichtet wurde. In diesem Zusammenfang fällt ebenso auf, dass der Fifa-Präsident (mindestens) das Treffen vom 16. Juni 2017 mit dem ehemaligen Bundesanwalt auch gegenüber seinem Stabschef geheimgehalten hatte (Einstellung, Seite 90 ff.).
Der Einstellungsbeschluss setzt sich sodann mit den Erinnerungslücken der am Treffen vom 16. Juni 2017 Beteiligten auseinander. Er spricht von einer «kollektiven Amnesie». Diese wird als «einen hinreichenden Tatverdacht im Sinne von Artikel 309 Absatz 1 StPO stützender Umstand» bezeichnet (Seite 55). Der Beschluss belegt, dass der zurückgetretene Bundesanwalt betreffend die Geheimtreffen wiederholt nicht den Tatsachen entsprechende Aussagen gemacht hatte (Seite 53).
Weiter heisst es in der Einstellung, der «Verdacht einer klandestinen, konspirativen und geheimhaltungsbedürftigen Absprache verfahrensbezogener rechtsbeugender» Natur «verdichtete sich aufgrund der fehlenden Dokumentation und Protokollierung aller vier» Gespräche «ganz massgeblich und vollends zu einem klaren hinreichenden Tatverdacht im Sinne von Artikel 309 Absatz 1 litera a StPO, der die Eröffnung einer Strafuntersuchung» gegen einzelne Beschuldige «nicht nur rechtfertigte, sondern auch zwingend erforderte» (Seite 58 f.). Ebenfalls verdachtsbegründet sind laut Einstellungsbeschluss «zeitliche Koinzidenzen» zwischen den erwähnten Treffen und dem Verfahrensverlauf im «Komplex Weltfussball» (Seite 67).
Auch eine Reise des damaligen Bundesanwalts und weiterer Angestellten der Bundesanwaltschaft vom 5. bis 7. April 2016 in die USA, wo sich diese mit Vertretern von Coca-Cola, einem der Hauptsponsoren der Fifa, und US-Strafbehörden trafen, fand keinerlei Niederschlag in den Akten.
Bekannt wurde dies durch die Auswertung des elektronischen Kalenders und des E-Mail-Kontos des Kommunikationschefs der Bundesanwaltschaft (Seite 142). Die Reise wurde von den Beteiligten in den Untersuchungen nie erwähnt. Auch in diesem Kapitel finden sich mehrere Auffälligkeiten. Der Einstellungsbeschluss spricht vom Inhalt von E-Mails, der «darauf schliessen liess, dass die Verfahren im ‹Komplex Weltfussball› auch Gegenstand anlässlich der Kontakte während der hier in Frage stehenden USA-Reise bildeten» (Seite 142 f.). Der damalige Bundesanwalt erklärte in der Einvernahme, er könne sich nicht konkret an diese Reise erinnern.
Auffallend ist daher die Feststellung auf Seite 149 betreffend die USA-Reise: «Die Reise an sich weist mithin klar und eindeutig nicht ansatzweise einen strafrechtlich relevanten Bezug auf, weder unter dem Aspekt der Amtsgeheimnisverletzung, wie auch unter dem Aspekt des Amtsmissbrauchs und der Begünstigung.»
Weiter vorne im Beschluss hiess es jedoch noch, diese Reise habe «insofern strafrechtliche Relevanz erlangt, als die Sachverhalte abklärungsbedürftig waren». Von dem zuvor erwähnten «Komplex Weltfussball» als Gegenstand dieser Kontakte und der fehlenden Protokollierung findet sich dazu aber kein Wort.
Bundesanwaltschaft hätte früher handeln müssen
Auf Seite 137 des Einstellungsbeschlusses wird ausgeführt, die vier Geheimtreffen mit der Fifa hätten stattgefunden, um abzuklären, ob es eine Änderung in der von den externen Fifa-Anwälten eingeschlagenen Linie gebe oder die Kooperationswilligkeit nur deklaratorische Bedeutung habe.
Dann aber hätte die Bundesanwaltschaft auch die Initiative ergreifen müssen – und nicht erst ein Jahr nach der Wahl des neuen Fifa-Präsidenten, als viele Fifa-bezogene Verfahren längst hängig waren. Die Treffen wurden jedoch ausnahmslos vonseiten der Fifa über den Walliser Oberstaatsanwalt, einen Freund des Fifa-Präsidenten, initiiert.
Auf Seite 139 des Beschlusses heisst es, die Teilnahme des Walliser Oberstaatsanwalts Rinaldo Arnold als Externer «konnte nur zulässig sein», «wenn nicht über einzelne Verfahren beziehungsweise konkrete Verfahrensvorgänge gesprochen wurde».
Dann folgt: «Die Problematik einer möglichen Verletzung des Amtsgeheimnisses» ist nur deshalb nicht weiter zu thematisieren, weil «kein Nachweis dafür besteht, dass spezifische Verfahren oder einzelne Verfahrensschritte oder sonst dem Amtsgeheimnis unterliegende Aspekte aus den im Bereich Weltfussball bei der Bundesanwaltschaft geführten Straf- und Rechtshilfeverfahren besprochen worden waren». Dieses «Ermittlungsergebnis» ist ausgerechnet wegen der fehlenden Aktenführung zustande gekommen. Es ist daher eine blosse Annahme zugunsten der Beschuldigten und beruht auf nicht glaubhaften Ausführungen der Beteiligten.
Auffällig ist ein weiterer Umstand: Der Walliser Oberstaatsanwalt konnte in einem anderen gegen ihn geführten Verfahren die Zeit einer Besprechung mit der Bundesanwaltschaft am 16. Juni 2017 so genau angeben, dass die ausserordentlichen Bundesanwälte gar die Zugverbindung von Bern nach Visp ermitteln konnten. Wenn sich der Oberstaatsanwalt so genau an die Zeit dieses Treffens erinnern konnte, wären ihm wohl auch die Namen der Teilnehmer und die Themen der Besprechung wieder in den Sinn gekommen. Eine solche sich aufdrängende zusätzliche Befragung wird im Einstellungsbeschluss allerdings nicht erwähnt und wurde demzufolge offenbar nicht durchgeführt.
Die ausserordentlichen Ermittler sind sicher, die Teilnehmer hätten an den geheimen Gesprächen nicht über den «Komplex Weltfussball» gesprochen, und daher könne auch keine Amtsgeheimnisverletzung, kein Amtsmissbrauch und keine Begünstigung vorliegen. Wörtlich heisst es in der Einstellung: «Eine Anklage wegen diesen Delikten verbietet sich jedoch nach durchgeführter Untersuchung und den umfangreich beigezogenen Akten wegen dem völlig fehlenden Konnex zu Untersuchungshandlungen der Bundesanwaltschaft im ‹Komplex Weltfussball› klar und eindeutig.» Um was ging es denn sonst bei diesen geheimnisbedürftigen, ja konspirativen Treffen und Absprachen?
Ansammlung auffälliger Widersprüche
Es fällt auf, dass die Frage des Amtsmissbrauchs durch Unterlassen der Protokoll- und Aktenführung überhaupt nicht gestellt wird. Dass der damalige Bundesanwalt Lauber und der ehemalige leitende Staatsanwalt Thormann, soweit er dabei war, bewusst auf die gesetzlich geforderte Protokollierung oder anderweitig hinreichende Aktennotizen verzichtet haben, kann nicht ernsthaft bezweifelt werden. Dieses Unterlassen der gesetzlich zwingend vorgeschriebenen Aktenführung kann auch nicht mit der «Nonchalance» des damaligen Bundesanwalts relativiert werden, wie dies im Einstellungsbeschluss auf Seite 150 getan wird.
Zusammenfassend fällt auf, dass der Einstellungsbeschluss ganz überwiegend auf die Aussagen der Beschuldigten und auf deren unglaubwürdige Gedächtnislücken abstellt. Die unterlassene Aktenführung der Bundesstrafbehörde, die es verunmöglicht, die Aussagen der Beteiligten zu prüfen und gegebenenfalls zu widerlegen, wird als erstellter Sachverhalt nicht berücksichtigt.
Die wiederholt und fortgesetzt unterlassene Protokollierung beziehungsweise das unterlassene Aktenkundigmachen der Gespräche ist eine rechtserhebliche und bewiesene Tatsache. Insgesamt wird im Text 13 Mal erwähnt, es habe ein hinreichender Anfangsverdacht im Sinne von Artikel 309 StPO bestanden, nie aber gesagt, weshalb der auf den erwähnten Fakten beruhende und verdichtete Verdacht nach dem Prinzip «in dubio pro duriore» nicht für eine Anklage ausreichen sollte.
Wenn sich ein Anfangsverdacht gerade wegen der unterlassenen Protokollführung samt zeitlichen Koinzidenzen verdichtete, ist es eben in Bezug darauf kein Anfangsverdacht mehr. Es fällt der offenkundige Widerspruch dieser zur Einstellung führenden Beurteilung zum eingangs zitierten Anklageprinzip auf, wonach eine Einstellung «nur bei klarer Straflosigkeit oder offensichtlich fehlenden Prozessvoraussetzungen angeordnet werden» darf. Insgesamt erscheint die Begründung der Einstellung als eine Ansammlung auffälliger Widersprüche – gegenüber eigenen vorgängigen Ausführungen.