1. Arbeitsrecht
1.1 Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses
Arbeitsrechtliche Streitigkeiten drehen sich immer wieder um die Vorfrage, ob überhaupt ein Arbeitsverhältnis vorliegt oder ob es sich um einen anderen Vertragstypus (etwa einen Auftrag oder Werkvertrag) handelt. Dies ist kein Zufall, denn von der Bejahung dieser Schlüsselfrage hängt ab, ob arbeitsrechtliche Schutzbestimmungen wie beispielsweise die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, Ferien oder der Kündigungsschutz angerufen werden können. Komplizierend kommt hinzu, dass der Begriff des Arbeitnehmers im Arbeits- und Sozialversicherungsrecht nicht deckungsgleich ist. So kann sich die Situation einstellen, dass sozialversicherungsrechtlich wohl eine unselbständige Erwerbstätigkeit vorliegt (sodass etwa AHV-Beiträge abgeführt werden müssen), während vertragsrechtlich, also aus dem Blickwinkel des Obligationenrechts, die Voraussetzungen für die Annahme eines Arbeitsverhältnisses nicht gegeben sind.
Exemplarisch zeigt sich dieses Spannungsfeld bei den Fahrern des Fahrdienstes Uber, was Behörden und Gerichte schon seit einigen Jahren rege beschäftigt.2 Sowohl in zivil- wie sozialversicherungsrechtlicher Hinsicht fehlt bis heute eine höchstrichterliche Klärung. Immerhin hat das Bundesgericht in einem Zürcher Fall festgehalten, dass jedenfalls die von der Sozialversicherungsanstalt Zürich in Anspruch genommene Uber Switzerland AG nicht als Arbeitgeberin im Sinn von Artikel 12 Absatz 2 AHVG in Frage komme.3 Demgegenüber bejahte das Sozialversicherungsgericht Zürich im Dezember 2021 in mehreren Urteilen das Vorliegen einer unselbständigen Erwerbstätigkeit und einer Arbeitgeberstellung, allerdings nicht der schweizerischen Uber GmbH, sondern einer Uber-Gesellschaft mit Sitz in den Niederlanden, welche Vertragspartnerin der Fahrer ist.4 Wohl sprächen verschiedene Punkte für eine selbständige Erwerbstätigkeit, so die Flexibilität bei der Arbeitszeit, die Freiheit, sich nach Belieben überhaupt als Dienstleister bereitzuhalten, die fehlende Pflicht zur persönlichen Aufgabenerfüllung, das Tragen der Unkosten durch die Kunden und die Möglichkeit, eine konkurrenzierende Tätigkeit auszuüben. Insgesamt aber liege der Schwerpunkt eindeutig bei einer unselbständigen Erwerbstätigkeit, insbesondere wegen des ausgeprägten Subordinationsverhältnisses sowie der wirtschaftlichen und rechtlichen Abhängigkeit der Fahrer.5 Der Entscheid ist noch nicht rechtskräftig, Uber hat den Weiterzug an das Bundesgericht angekündigt. Affaire à suivre.
Sozialversicherungsrechtlich als Arbeitnehmer wurde vom Bundesgericht ein (Amateur-)Eishockeyspieler und -trainer eingestuft,6 genauso wie privatrechtlich der Orchesterchef einer Stiftung.7 Demgegenüber wurde einem ehemaligen Geschäftsführer die Arbeitnehmereigenschaft versagt, nachdem er selbst eine von ihm beherrschte Aktiengesellschaft dazwischengeschaltet hatte. Vor diesem Hintergrund bestand für das Bundesgericht von vornherein kein Raum für eine analoge Anwendung arbeitsrechtlicher Schutzvorschriften.8 Zum gleichen Ergebnis gelangte das Obergericht des Kantons Zürich, als es die Vertragsbeziehung zwischen einer Anwaltskanzlei und einer Anwältin bzw. Konsulentin zu qualifizieren hatte, die vorübergehend anwaltliche Dienstleistungen für die Kanzlei erbracht hatte.9 Insbesondere mangels ausreichender Eingliederung verneinte das Obergericht das Vorliegen eines privatrechtlichen Arbeitsverhältnisses. Daran änderte auch nichts, dass die Sozialversicherungsanstalt die Registrierung als Selbständigerwerbende abgelehnt hatte.
1.2 Lohn und Auslagen
Bis heute nicht restlos geklärt ist, ob beziehungsweise in welchem Ausmass einmal entstandene Lohnforderungen dem Verzichtsverbot von Artikel 341 Absatz 1 OR unterliegen. Sofern es sich nicht um zwingende Ansprüche wie etwa Lohnforderungen aus Annahmeverzug (Artikel 324 OR) oder unverschuldeter Arbeitsverhinderung (Artikel 324a OR) handelt, lässt sich aus Lehre und Rechtsprechung kein klares Bild gewinnen.10 Das Arbeitsgericht Zürich brauchte die Fragestellung aus beweisrechtlichen Gründen nicht näher zu vertiefen, als es den angeblichen Lohnverzicht einer Anwaltssubstitutin bei einem Feierabendbier zu beurteilen hatte. Die Kanzlei blieb schon den Nachweis schuldig, dass die Substitutin beim fraglichen Umtrunk gegenüber einem Kanzleipartner überhaupt einen Verzicht erklärt hatte.11
Das Bundesgericht hat seine Rechtsprechung zum Beweis des Erwerbsausfalls bei Arbeitslosigkeit zwecks Erlangung von Krankentaggeldern bestätigt.12 Beansprucht eine arbeitslose Person, die keinen Anspruch auf Taggelder der Arbeitslosenversicherung hat, Krankentaggelder, so obliegt ihr der Beweis des Erwerbsausfalls. Die versicherte Person hat mithin eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür nachzuweisen, dass sie ohne Erkrankung eine Erwerbstätigkeit ausüben würde. Dies gilt insbesondere dann, wenn sie im Zeitpunkt der Erkrankung bereits arbeitslos war. War die versicherte Person im Zeitpunkt der Erkrankung noch nicht arbeitslos, profitiert sie von der tatsächlichen Vermutung, dass sie ohne Krankheit erwerbstätig wäre, wobei die Versicherung den Gegenbeweis antreten kann.13
Auf eine analoge Anwendung von Artikel 328 OR stützte das Bundesverwaltungsgericht eine Pflicht des Bundesstrafgerichts, ein Gesuch um Kostengutsprache für Verfahrens- und Parteikosten (insbesondere Anwaltskosten) gutzuheissen, nachdem eine Richterin von Medien zu Unrecht der Amtsgeheimnisverletzung beschuldigt und vom damaligen Bundesgerichtspräsidenten beleidigt worden war.14
Erfolglos Auslagenersatz forderte demgegenüber der Fahrer eines Chauffeurdienstleistungsunternehmens, das von seinen Angestellten das Tragen von Anzug, Hemd, Krawatte und sauberen Schuhen verlangte. Dabei handle es sich, so das Arbeitsgericht Zürich, anders als bei spezifischen Arbeitskleidern (zum Beispiel Ärztekittel, Uniform, Schutzkleidung) um gewöhnliche Kleidungsstücke, die auch in der Freizeit getragen werden könnten.15
In einem der ersten Covid-19-Entscheide hat das Regionalgericht Bern-Mittelland das Vorliegen eines Arbeitgeberverzugs verneint, als ein ferienhalber ins Ausland gereister Arbeitnehmer wegen Covid-19-Massnahmen (ohne aber selber an Covid erkrankt zu sein) erst Wochen verspätet in die Schweiz zur Arbeit zurückreiste.16 Das Regionalgericht ging von einer objektiven beziehungsweise überpersönlichen Arbeitsverhinderung aus. Infolgedessen bestand keine Pflicht der Arbeitgeberin, diese Ausfalltage zu vergüten.
1.3 Datenschutz
Das Arbeitsvertragsrecht kennt mit Artikel 328b OR eine besondere Datenschutzbestimmung, nach der Arbeitgeber Daten über Arbeitnehmer nur dann bearbeiten dürfen, soweit sie die Eignung für das Arbeitsverhältnis betreffen oder zur Durchführung des Arbeitsvertrags erforderlich sind, was unter dem Kriterium des Arbeitsplatzbezugs zusammengefasst wird. Umstritten ist nun aber das Verhältnis dieser Norm zu den allgemeinen Regeln des Datenschutzgesetzes (DSG), insbesondere, ob Artikel 328b OR eine Verbotsnorm darstelle, welche die ergänzende Anrufung der allgemeinen Rechtfertigungsgründe des DSG für eine Datenbearbeitung ausschliesse. In einem neuen Entscheid hat das Bundesgericht zu dieser im Schrifttum kontrovers diskutierten Frage Stellung bezogen.17 Nach seinen Erwägungen und unter Bezugnahme auf die Lehre konkretisiert Artikel 328b OR das Verhältnismässigkeitsgebot und das Prinzip der Zweckbestimmung. Artikel 328b OR enthalte eine Vermutung der Rechtmässigkeit der Datenbearbeitung, das heisst wenn die fraglichen Daten die Eignung betreffen oder zur Durchführung des Arbeitsverhältnisses erforderlich sind.18 Ist dies nicht der Fall, erscheine die Datenbearbeitung als unzulässig, es sei denn, sie könne sich auf einen Rechtfertigungsgrund im Sinne von Artikel 13 DSG stützen.
Damit hat sich das Bundesgericht im Ergebnis jener Rechtsauffassung angeschlossen, welche Artikel 328b OR einen Verbotscharakter abspricht und so die Anrufung der Rechtfertigungsgründe des DSG (etwa des überwiegenden Interesses) auch dann zulassen will, wenn die Datenbearbeitung die Grenzen von Artikel 328b OR sprengt. Der Entscheid ist zwar sorgfältig begründet. Doch macht er insofern etwas ratlos, als man sich fragen muss, wie denn eine Verbotsnorm noch deutlicher als mit einer Formulierung wie «Der Arbeitgeber darf Daten (…) nur bearbeiten, wenn (…)»19 formuliert werden kann. Der Gesetzeswortlaut ist daher nur mit Mühe mit dem bundesgerichtlichen Verdikt unter einen Hut zu bringen. Jedenfalls aber wäre der Auffassung entschlossen zu widersprechen, wonach Arbeitnehmer mit ihrer Einwilligung auch solchen Datenbearbeitungen zustimmen könnten, denen ein Arbeitsplatzbezug nach Artikel 328b OR fehlt. Solches wäre mit dem relativ zwingenden Charakter dieser Bestimmung (siehe Artikel 362 OR) schlicht nicht zu vereinbaren und würde dem datenschutzrechtlichen Wilden Westen am Arbeitsplatz Tür und Tor öffnen.20
1.4 Treuepflicht
Arbeitsverträge oder Personalreglemente sehen recht häufig Geheimhaltungsklauseln vor, welche die gesetzliche Treuepflicht nach Artikel 321a OR erweitern und auch das Ende des Arbeitsverhältnisses überdauern. Dies ist vor dem Hintergrund des dispositiven Charakters von Artikel 321a OR grundsätzlich zulässig. Es stellt sich allerdings die Frage, ob solche Klauseln auch in Gerichtsverfahren zu respektieren sind und so Arbeitnehmern faktisch die Beschreitung des Rechtswegs erschweren können. So geschehen vor dem Arbeitsgericht Zürich:21 Trotz einer mit Konventionalstrafe abgesicherten Geheimhaltungsklausel hatte der Arbeitnehmer im Prozess ungenügend geschwärzte Dokumente eingereicht und so Kundennamen offenbart. Das Arbeitsgericht zeigte sich aber gnädig: Nur das in der Hauptverhandlung anwesende Gerichtspersonal habe von den Namen Kenntnis erhalten, sodass eine Gefährdung der Nutzung von Know-how oder Kundendaten nicht gegeben gewesen sei.
1.5 Kündigungsrecht
In einem bemerkenswerten Urteil hat das Bundesgericht die Kritik an seiner Rechtsprechung zur Alterskündigung teilweise aufgenommen und eingeräumt, dass die in früheren Urteilen pauschal geforderte Rücksichtnahme gegenüber älteren Arbeitnehmern zu apodiktisch ausgefallen sei.22 Vielmehr bestimme sich der Umfang der arbeitgeberischen Fürsorgepflicht auch bei älteren Arbeitnehmern «einzelfallbezogen aufgrund einer Gesamtwürdigung der jeweiligen Umstände». Geleitet von diesen Überlegungen verneinte das Bundesgericht, anders als das Berner Obergericht, die Missbräuchlichkeit der Entlassung eines 60-jährigen Vorsitzenden der Geschäftsleitung nach 37 Dienstjahren.
Unter dem Blickwinkel des Legalitätsprinzips und des Willkürverbots nicht zu beanstanden ist die Praxis des Zürcher Kantonsrats, Richter der obersten kantonalen Gerichte nicht wiederzuwählen, wenn sie zu Beginn der neuen Amtsperiode das 65. Altersjahr bereits vollendet hatten.23 Denkbar, so das Bundesgericht in seinem amtlich publizierten Entscheid, sei hingegen eine gegen die Rechtsgleichheit verstossende Ungleichbehandlung von Amtsinhabern, die kurz vor oder kurz nach Beginn der neuen Amtsperiode das 65. Altersjahr vollendet haben. Letztere könnten ihr Amt bis zu fast sechs Jahre länger ausüben. Im vom Bundesgericht zu entscheidenden Fall führte die Wahlpraxis allerdings nicht zu einer verfassungswidrigen Ungleichbehandlung des Beschwerdeführers.
Die Cour de justice des Kantons Genf hat im Zusammenhang mit Verfahrensfragen bei der missbräuchlichen Kündigung erwogen, dass die Nichtverwirkung eines Rechts, wie dies bei der Einspracheerhebung nach Artikel 336b OR der Fall ist, als implizite Tatsache nur dann formell behauptet und bewiesen werden müsse, wenn sie bestritten werde.24 Dabei habe die Arbeitgeberin ihre Bestreitung in der Klageantwort oder spätestens bei den «débats d’instruction» vorzubringen.
Das Arbeitsgericht Zürich hat eine fristlose Entlassung als verspätet taxiert, nachdem die ihr vorausgegangene interne Untersuchung von der Arbeitgeberin verschleppt worden war.25 Bereits die interne Willensbildung hatte rund 30 Tage betragen, worauf sich eine interne Untersuchung von weiteren acht Wochen anschloss. Die Arbeitgeberin habe weder unverzüglich die interne Untersuchung eingeleitet, noch während der Untersuchung ununterbrochen beziehungsweise kontinuierlich notwendige Massnahmen ergriffen.
Gerechtfertigt war dagegen die fristlose Entlassung eines Pflegers im Psychiatriezentrum des Kantons Neuenburg, der sich wenige Tage nach ihrem Austritt auf eine intime Beziehung mit einer Patientin eingelassen hatte.26 Die Patientin war zwar nicht mehr stationär, wohl aber ambulant weiterhin in therapeutischer Behandlung und litt seit Jahren an psychischen Problemen. Am unprofessionellen Verhalten des Pflegers änderte für das Bundesgericht auch nichts, dass in der Schweiz eine explizite Regelung fehle, die solche Beziehungen verbiete.
1.6 Arbeitszeugnis
In einem amtlich publizierten Entscheid nahm das Bundesgericht zur strittigen Frage Stellung, ob die Verjährungsfrist für ein Arbeitszeugnis fünf oder zehn Jahre beträgt. Es hat sich der überwiegenden Lehre angeschlossen und damit für die längere, zehnjährige Verjährungsfrist ausgesprochen.27
Das Kantonsgericht Basel-Landschaft hiess eine Zeugnisänderungsklage teilweise gut:28 Die Ergänzung des Satzes «Frau A. pflegte einen freundlichen und respektvollen Umgang» um den Adressatenkreis «mit Kunden, Mitarbeitenden und Vorgesetzten» wurde vom Gericht abgelehnt, da der Satz beziehungsweise die Auslassung keine Codierung darstelle und sich aus Formulierungen im Zwischenzeugnis keine Ansprüche auf Formulierungen im Schlusszeugnis ableiten liessen (die Arbeitgeberin hatte im Prozess ausserdem auf das belastete Arbeitsverhältnis hingewiesen). Demgegenüber setzte sich die Arbeitnehmerin mit ihrem Antrag auf Streichung der Formulierung «In Konfliktsituationen legte sie Wert darauf, dass faire Diskussionen geführt werden» durch. Das Gericht sah darin die Gefahr des Eindrucks, dass die Arbeitnehmerin stur und rechthaberisch aufgetreten sei.
1.7 Arbeitsgesetz
Die Ausnahmebestimmung von Artikel 2 Absatz 1 litera g ArG, also der Ausschluss des betrieblichen Anwendungsbereichs des Arbeitsgesetzes für private Haushaltungen, ist auf Zweiparteienverhältnisse zugeschnitten, während sie bei Dreiparteienkonstellationen, so namentlich in Fällen des Personalverleihs, keine Anwendung findet.29 Damit bejahte das Bundesgericht die Anwendbarkeit des Arbeitsgesetzes und insbesondere seiner Vorschriften über die Arbeits- und Ruhezeiten auf eine als Dreiparteienverhältnis konzipierte «Seniorenbetreuung 24h» im Bereich Betreuungs- und Hausdienst. Wenn also die im privaten Haushalt tätigen Arbeitnehmer via eine Personalverleihfirma bei den Klienten eingesetzt werden, unterstehen sie den Arbeits- und Ruhezeiten des ArG, während dies bei Direktanstellung zwischen Klienten und Betreuungspersonen weiterhin nicht der Fall ist.
1.8 Arbeitsprozess
In mehreren verfahrensrechtlichen Entscheiden äusserte sich das Bundesgericht ein weiteres Mal zur Teilklage, zu ihrer Rechtskraft und zum Verhältnis zur negativen Feststellungsklage. Den Urteilen lagen zwar keine arbeitsrechtlichen Sachverhalte zugrunde, doch können sich die behandelten Fragestellungen durchaus auch in arbeitsrechtlichen Prozessen stellen. So hat das Bundesgericht anknüpfend an seine bisherige Rechtsprechung bestätigt, dass die Ausnahme vom Erfordernis der gleichen Verfahrensart gemäss Artikel 224 Absatz 1 ZPO für negative Feststellungswiderklagen unabhängig davon gilt, ob diese in Reaktion auf eine echte oder eine unechte Teilklage erhoben werden. 30 Ein zweites Urteil betraf die Frage der Rechtskraft bei Abweisung einer Teilklage:31 Macht die klagende Partei mit einer Teilklage einen einzig betragsmässig beschränkten Teil einer Forderung geltend, schliesst die rechtskräftige Abweisung der Teilklage aus, dass die klagende Partei später einen weiteren Teilbetrag derselben Forderung einklagt.32 Schliesslich hat das Obergericht des Kantons Zürich das seltene Vorliegen einer missbräuchlichen Teilklageerhebung bejaht.33 Dies, nachdem ein Arbeitnehmer seine Gesamtforderung von rund 100 000 Franken in vier Teilklagen aufgeteilt hatte.
2. Mietrecht
2.1 Garage als Geschäftsraum
A. war ab Frühling 1993 Mieter eines Büros und eines Garagenplatzes. Ab 1. Januar 2000 mietete er von der gleichen Vermieterin einen weiteren Garagenplatz im ehemaligen Depot für die Feuerwehrspritze, dem «Spritzhäuschen». Ende 2019 klagte der Mieter beim Mietgericht Horgen auf Mietzinsreduktion und Schadenersatz und machte dazu geltend, das Spritzhäuschen habe nasse Wände. Er führe einen Handel mit Ersatzteilen für Oldtimer und habe diesen Raum als Lager benutzt. Durch die Feuchtigkeit sei ihm ein beträchtlicher Schaden entstanden. Das Mietgericht Horgen trat mangels sachlicher Zuständigkeit nicht auf die Klage ein. Die dagegen erhobene Berufung wies das Obergericht des Kantons Zürich ab. Der Mieter gelangte ans Bundesgericht. Hier stellte sich einzig die Frage der sachlichen Zuständigkeit des Mietgerichts. Nach Zürcherischem Gesetz über die Gerichts- und Behördenorganisation ist das Mietgericht erstinstanzlich zuständig für «Streitigkeiten aus Miet- (Artikel 253a OR) und Pachtverhältnissen für Wohn- und Geschäftsräume». Das Bundesgericht musste daher entscheiden, ob es sich bei der Miete des Spritzhäuschens um eine Geschäftsmiete handelt oder um eine Nebensache zu einem gemieteten Geschäftsraum. Dazu hatte die Vorinstanz festgestellt, der Mieter habe nicht nachweisen können, dass er einen Handel betreibe mit Ersatzteilen für Oldtimer, noch dass er im «Spritzhäuschen» solche Ersatzteile gelagert habe. Der Mieter vermochte diese Sachverhaltserhebung nicht zu erschüttern. Für das Bundesgericht wurde dieser Sachverhalt verbindlich. Es verwies auf seine Rechtsprechung zum Begriff des Geschäftsraums im Sinne von Artikel 253a OR.
In einem älteren Urteil (BGE 118 II 40) hatte es noch die Auffassung vertreten, dass dieser Begriff weit zu fassen sei und auf all jene Räume zutreffe, die tatsächlich dazu beitragen, dass der Mieter seine Persönlichkeit in privater und wirtschaftlicher Hinsicht entfalten kann. Später aber betonte das Bundesgericht, dass ein funktioneller Zusammenhang zwischen Hauptmietsache und Nebensache vorliegen müsse. Seitdem gilt namentlich eine zum Abstellen von Autos separat gemietete Garage nicht als Geschäftsraum. Da ein funktioneller Zusammenhang zum Büromietvertrag mit der gleichen Vermieterin ebenfalls nicht bewiesen werden konnte, verneinte das Bundesgericht die sachliche Zuständigkeit des Mietgerichts Horgen und wies die Beschwerde des Mieters ab.34
2.2 Akontobeiträge für Nebenkosten
Eine Geschäftsmieterin im Kanton Zürich zahlte jährliche Akontozahlungen für Nebenkosten im Betrag von 180 000 Franken Nach Mietvertrag war die Vermieterin verpflichtet, die Nebenkosten per Ende Jahr abzurechnen und die Abrechnung bis Ende August des Folgejahres vorzulegen. Die übliche Saldoklausel bestimmte, dass die Abrechnung als genehmigt gilt, wenn die Mieterin dagegen nicht innert 30 Tagen seit Erhalt schriftlich Einspruch erhebt. Seit 2010 bestritt die Mieterin jeweils die vorgelegten Abrechnungen, so auch die Abrechnung über das Jahr 2014. Ihren Einspruch erklärte sie am 27. April 2017 frist- und formgerecht. Im August 2018 reichte sie beim Handelsgericht Zürich Klage ein und forderte von ihren Akontozahlungen für das Jahr 2014 den Betrag von 170 300 Franken zurück.
Das Handelsgericht des Kantons Zürich hiess die Klage gut. Daraufhin gelangte die Vermieterin ans Bundesgericht. Die Beschwerde der Vermieterin scheiterte aber auch vor Bundesgericht an der Tatsache, dass sie den Beweis für die tatsächlich angefallenen Kosten nicht erbrachte und diese Kosten auch nicht substanziierte. Dazu führte das Bundesgericht aus, dass es sich bei der Akontozahlung um eine vorläufige Zahlung handelt. Die Vermieterin ist bei bestehender Akontoabrede verpflichtet, am Ende einer Periode über die tatsächlichen Nebenkosten eine Abrechnung zu erstellen, die ihrerseits Ausgangsbasis für den Ausgleich des Saldos darstellt. Zudem ergibt sich aus der Natur der Sache, dass die Vermieterin die Akontozahlungen nur so weit behalten darf, als tatsächlich vom Mieter abzugeltende Kosten entstanden sind, denn bei den Nebenkosten handelt es sich immer um tatsächliche Kosten im Zusammenhang mit dem Gebrauch der Sache. Strittig war, wer für diese Kosten im Verfahren vor Handelsgericht die Beweis- und Substanziierungslast trägt. Die Vermieterin stellte sich auf den Standpunkt, sie sei nicht gehalten, ihren Anspruch zu substanziieren. Sie habe der Mieterin Einblick in die Abrechnungsbelege gegeben und diese Belege auch geordnet ins Recht gelegt. Dieser Auffassung widersprach das Bundesgericht. Aus einer Akontozahlung kann keine Anerkennung der Forderung abgeleitet werden.
Nachdem die Mieterin frist- und formgerecht Einsprache gegen die Abrechnung erhoben hatte, verblieb die Beweislast für die Höhe der geschuldeten Nebenkosten bei der Vermieterin und damit auch die Behauptungslast. Nur wenn die Abrechnung nicht rechtzeitig bestritten wird, kann daraus bei entsprechender vertraglicher Regelung eine Saldoziehung abgeleitet werden, womit die Mieterin allfällige Rückzahlungsansprüche nur noch auf der Rechtsgrundlage der ungerechtfertigten Bereicherung geltend machen könnte. Doch dieser Fall lag hier nicht vor. Es reichte daher nicht aus, dass die Vermieterin nur auf die ins Recht gelegten Rechnungen und Buchungsbelege verwies und behauptete, die Mieterin sei hinreichend in der Lage gewesen, die Abrechnung substanziiert zu bestreiten, denn sie habe Einblick in die Unterlagen erhalten. Zudem bemerkte das Bundesgericht, es sei fraglich, ob überhaupt von einem hinreichenden Einblick gesprochen werden könne, wenn die Mieterin nicht Gelegenheit bekomme, die Unterlagen zu kopieren. Es kann der Mieterin – so das Bundesgericht weiter – daher nicht schaden, wenn sie alle Rechnungspositionen bestreitet, die sie nicht nachvollziehen kann. Auch hier gelte: Die Beweislast für die Fehlerhaftigkeit der Abrechnung kann vor einer Saldoziehung nicht der Mieterin überbunden werden. Es ist mit anderen Worten in diesem Fall Sache der Vermieterin, ihre tatsächlichen Kosten hinreichend substanziiert zu behaupten und zu beweisen. Da dies nicht geschehen ist, blieb der Anspruch der Vermieterin auf die Akontozahlungen im bestrittenen Umfang unbewiesen, womit die geforderte Rückzahlung ohne Weiteres geschuldet war.35
2.3 Kündigung zur Ertragsoptimierung
Die Vermieterin eines Geschäftslokals in Genf kündigte das Mietverhältnis, um das Mietobjekt neu zu einem marktgerechten Preis zu vermieten. Der Mieter focht die Kündigung an. Das Mietgericht Genf hob die Kündigung auf. Der Mietzins liege zwar unter dem Marktpreis, doch entbinde das die Vermieterin nicht vom strikten Beweis, dass sie von einem neuen Mieter einen höheren Mietzins verlangen könne, der noch nicht missbräuchlich ist. Die Vermieterin habe es unterlassen, dazu die erforderlichen Vergleichsmieten zur Bestimmung des orts- oder quartierüblichen Mietzinses vorzulegen. Das kantonale Gericht bestätigte den Entscheid. Die Vermieterin gelangte an das Bundesgericht.
Das Bundesgericht hielt fest, dass eine Kündigung, die ein Vermieter ausspricht, um den Ertrag seiner Liegenschaft zu optimieren, das heisst um von einem neuen Mieter einen höheren, aber nicht missbräuchlichen Mietzins zu erhalten, in der Regel nicht missbräuchlich ist. Voraussetzung ist allerdings, dass der Vermieter in der Lage ist, von einem neuen Mieter einen höheren als den vom gekündigten Mieter bezahlten Mietzins zu verlangen. Mit anderen Worten ist die Kündigung anfechtbar, wenn bei Anwendung der absoluten Methode zur Berechnung des Mietzinses ausgeschlossen werden kann, dass der Vermieter den Mietzins rechtmässig erhöhen kann, weil dieser bereits dem Marktpreis entspricht und ihm einen ausreichenden Ertrag im Sinne von Artikel 269 OR und der einschlägigen Rechtsprechung verschafft.36
2.4 Hinterlegung fällig gewesener Mietzinse
Die Mieterin eines Lagerraums im Kanton Basel-Stadt meldete der Vermieterin am 25. September 2018, dass ihr Mietobjekt Mängel aufweise. Sie setzte eine Frist zur Behebung und drohte andernfalls die Hinterlegung der Mietzinse an. Die Mängel wurden nicht behoben. Doch mahnte die Vermieterin die ausstehenden Mietzinse Oktober und November 2018 am 2. November 2018 ab und drohte eine Zahlungsverzugskündigung an, wenn die Ausstände nicht innert 30 Tagen beglichen werden. In der Folge hinterlegte die Mieterin die abgemahnten Mietzinse innert der angesetzten Zahlungsfrist am 5. und 8. November 2018 bei der Schlichtungsstelle. Daraufhin kündigte die Vermieterin das Mietverhältnis am 12. Dezember ausserordentlich per Ende Januar 2019 und leitete ein Ausweisungsverfahren gegen die Mieterin ein. Das Zivilgericht und das Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt gaben dem Ausweisungsbegehren statt. Die Mieterin gelangte ans Bundesgericht.
Vor Bundesgericht stellte sich die Frage, ob die Hinterlegung bereits verfallener Mietzinse schuldbefreiend wirkt und die Mieterin damit eine Zahlungsverzugskündigung abwenden kann. Immerhin bestimmt Artikel 259g Absatz 2 OR ohne jede Einschränkung, dass die Mietzinse mit der Hinterlegung als bezahlt gelten. Nach Absatz 1 des gleichen Artikels können gültig aber nur Mietzinse hinterlegt werden, die künftig fällig werden. Aufgrund der Gesetzesmaterialien und der gesetzlichen Systematik kommt das Bundesgericht zum Schluss, dass sich Absatz 2 von Artikel 259g OR nur auf gültig hinterlegte, nicht dagegen auf bereits fällig gewordene Mietzinse beziehen kann. Schliesslich weist das Bundesgericht darauf hin, dass ungültig hinterlegte Mietzinse von Amtes wegen dem Vermieter anzuweisen sind. Das blosse Zufallen der Mietzinse nach Artikel 259h OR bedeutet aber noch keine Erfüllung der Mietzinsschuld. In diesem Fall ist die Schuld erst dann getilgt, wenn dem Vermieter die hinterlegte Summe ausgehändigt oder auf seinem Konto gutgeschrieben wurde. Die Beschwerde der Mieterin wurde daher abgewiesen.37
2.5 Anfangsmietzins
2.5.1 Änderung der Beweislast bei Altbauten
Streitgegenstand war der Anfangsmietzins für eine Zwei-Zimmer-Wohnung in Zürich mit Mietantritt per 16. April 2017. Bei Mieterwechsel war der Nettomietzins um knapp 44 Prozent erhöht worden. Der Mietzins des Vormieters war letztmals 2011 angepasst worden. Die Vermieterin hatte die Liegenschaft 1948 erworben und begründete die Erhöhung mit der Anpassung an die orts- oder quartierüblichen Verhältnisse. Die Mieterin focht den Anfangsmietzins an. Die Vermieterin lehnte den von der Schlichtungsbehörde vorgelegten Urteilsvorschlag ab und klagte den vertraglich festgelegten Anfangsmietzins beim Gericht ein. Sowohl Mietgericht als auch Obergericht wiesen die Vermieterklage mit Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesgerichts ab. Die Vermieterin gelangte ans Bundesgericht. Die bis dahin geltende Rechtsprechung des Bundesgerichts ist mit BGE 139 III 13 eingeleitet worden. Darin hielt das Bundesgericht fest, dass die Beweislast für die Missbräuchlichkeit des Anfangsmietzinses grundsätzlich bei der Mietpartei liege, welche diesen Mietzins anfechte. Werde der Mietzins bei Mieterwechsel allerdings erheblich erhöht, obwohl der Referenzzinssatz für Hypotheken seit letzter Anpassung des Vormietzinses gesunken ist und die Teuerung seitdem moderat blieb, bestehe die Vermutung, dass der Anfangsmietzins missbräuchlich sei. Es sei in diesem Fall Sache des Vermieters nachzuweisen, dass der verlangte Mietzins trotz gegenteiligem Anschein nicht missbräuchlich sei. Im gleichen Urteil hielt das Bundesgericht auch fest, dies rechtfertige sich bereits ab einer Erhöhung des Mietzinses über 10 Prozent. Damit kam es teilweise dem Argument des Mieters entgegen, der geltend machte, wenn man dem Vermieter die Beweislast erspare, könne dieser den Anfangsmietzins einer Altbaute bei jedem Mieterwechsel unter Berufung auf das ortsübliche Niveau missbräuchlich erhöhen. Er wisse ja, dass der Mieter den Beweis für die ortsüblichen Mietzinse nicht erbringen könne. Der damalige Fall ist mit dem vorliegenden angesichts einer Mietzinserhöhung von 43 Prozent gegenüber dem Vormietzins absolut vergleichbar.
Das Bundesgericht ändert nun aber seine bisherige Rechtsprechung in zwei Punkten: Die Vermutung eines missbräuchlichen Mietzinses greift nicht schon bei einer Erhöhung um mehr als 10 Prozent, sondern erst bei einer massiven Mietzinserhöhung von deutlich über 10 Prozent, welche nicht durch die Entwicklung des Referenzzinssatzes bzw. der Schweizerischen Konsumentenpreise erklärt werden kann. Zudem kann diese Vermutung bei einem lang dauernden Mietverhältnis umgestossen werden. Was unter einem lang dauernden Mietverhältnis zu verstehen ist, definiert das Bundesgericht nicht abschliessend, nennt aber als Bandbreite zehn bis fünfzehn Jahre. Eine knapp 19-jährige Mietdauer – wie im konkreten Fall – müsse aber klar als langdauerndes Mietverhältnis bezeichnet werden. Dass die lange Dauer des Mietverhältnisses die Vermutung der Missbräuchlichkeit umstossen könne, begründet das Bundesgericht mit dem Hinweis, dass auch im laufenden Mietverhältnis nach Ablauf einer statistisch erheblichen Zeitspanne eine Anpassung an die Ortsüblichkeit erfolgen könne. Hinzu kommt als weiteres Erfordernis, dass der Vermieter begründete Zweifel an der Richtigkeit der Vermutung der Missbräuchlichkeit wecken muss. Dabei müssen Indizien ausreichen.
Der Fall wurde daher an die Vorinstanz zurückgewiesen, die nun anhand ihrer Kenntnis des lokalen Markts entscheiden muss, ob das von der Vermieterin eingereichte Privatgutachten mit 23 Vergleichsobjekten begründete Zweifel an der Missbräuchlichkeit des Mietzinses wecken kann, auch wenn dieses Gutachten den direkten Beweis des zulässigen Mietzinses nicht erbringt, weil es den Vergleichskriterien gemäss Artikel 11 VMWG nicht entspricht.38
2.5.2 Formungültige Formularanzeige
Mit Vertrag vom 26. August 2014 mietete der Mieter ein Studio in Rolle VD. Im Vertrag wurde festgehalten: «Mit der Unterzeichnung des vorliegenden Mietvertrags bestätigt der Mieter, dass er die Mitteilung über den Mietzins bei Abschluss eines neuen Mietvertrags erhalten hat.» Im Laufe des Gerichtsverfahrens stellte sich heraus, dass das amtliche Formular, im Besitz des Mieters, nur über die vom Vermieter unterzeichnete Vorderseite verfügte. Dasjenige im Besitz des Vermieters ist die doppelseitige Fotokopie eines amtlichen Formulars, versehen mit den Unterschriften des Mieters und Vermieters sowie Ort und Datum. Die beiden Dokumente sind keine Kopien voneinander, sie wurden separat unterschrieben.
Vier Jahre nach Mietantritt liess sich der Mieter im Zusammenhang mit Auseinandersetzungen bei der Beendigung des Mietverhältnisses beraten und wurde darauf hingewiesen, dass in seinem Exemplar des amtlichen Formulars die zuständigen Behörden nicht genannt werden. Der Mieter berief sich in der Folge auf die Nichtigkeit des Anfangsmietzinses. Das Mietgericht stelle eine Teilnichtigkeit des Mietvertrags bezüglich des Anfangsmietzinses fest, da der Mieter nur die Vorderseite des Formulars zur Mitteilung des Anfangsmietzinses erhalten habe. Das Kantonsgericht hob das Urteil auf. Da der Vermieter vor Gericht eine vollständige Kopie des offiziellen Formulars mit Vor- und Rückseite vorgelegt habe, könne davon ausgegangen werden dass es sich dabei um das Dokument handle, das mit dem Mietvertrag verschickt worden sei. Weil der Mieter das Gegenteil nicht beweisen konnte, kam das Kantonsgericht zum Schluss, dass der Mietvertrag gültig sei. Der Mieter gelangte an das Bundesgericht.
Betreffend die Zustellung des amtlichen Formulars hielt das Bundesgericht fest, dass das Formular dem Mieter bei Abschluss des Mietvertrags oder spätestens am Tag der Übergabe der Mietsache übergeben werden muss. Der Zweck dieser Mitteilung besteht darin, den Mieter unter Angabe aller relevanten Informationen über die Möglichkeit zu informieren, die Schlichtungsbehörde anzurufen, um die Höhe des Anfangsmietzinses anzufechten. Sie dient weiter dazu, missbräuchliche Mietzinserhöhungen bei einem Mieterwechsel zu verhindern, indem der vom Vormieter bezahlte Mietzins darin ausgewiesen werden muss.
Wird die Aushändigung des amtlichen Formulars an den Mieter bestritten, muss der Vermieter beweisen, dass er sowohl den Mietvertrag als auch das amtliche Formular tatsächlich in den versandten Umschlag gelegt hat. In besonderen Fällen hält die Rechtsprechung fest, dass der Erhalt des Formulars vermutet wird, wenn der Mietvertrag erwähnt, dass das amtliche Formular beigefügt ist, und sofern der Vermieter in der Lage ist, eine Kopie oder Fotokopie des amtlichen Formulars vorzulegen, welche die für den betreffenden Mietvertrag notwendigen Angaben enthält (BGE 142 III 369). Das Bundesgericht hielt in seinem Urteil jedoch fest, dass nach der Rechtsprechung nur zugunsten des Vermieters vermutet wird, dass das amtliche Formular im vom Mieter empfangenen Briefumschlag lag, jedoch nicht, dass es eine Vorder- und eine Rückseite hat und somit vollständig ist. Es ist daher die Aufgabe des Vermieters, die Zustellung eines zweiseitigen und vollständigen Formulars an den Mieter zu beweisen. Andernfalls hat er die Folgen der Beweislosigkeit zu tragen. Vorliegend waren die beiden von den Parteien vorgelegten Originale jedoch nicht identisch. Daher war das Bundesgericht der Ansicht, dass es dem Vermieter nicht gelungen war, nachzuweisen, dass das vom Mieter erhaltene Formular vollständig und somit gültig war. Folglich wurde die Teilnichtigkeit des Mietvertrags in Bezug auf die Anfangsmiete bestätigt.39
3. Covid-19-Pandemie
3.1 Mängel am Mietobjekt
Die Frage, ob die behördliche Schliessung von Geschäftsräumlichkeiten im Zusammenhang mit dem Coronavirus zu einem Mangel am Mietobjekt führt, ist in der Lehre umstritten. Soweit ersichtlich, haben sich bis heute das Mietgericht Zürich 40 und das Mietgericht Genf 41 der vermieterfreundlichen Auffassung angeschlossen und entschieden, dass die von den eidgenössischen und kantonalen Behörden im Zusammenhang mit der Covid-19-Krise angeordneten Schliessungen von Betrieben keinen Mangel an der Mietsache darstellen. Die von den Behörden angeordneten Massnahmen zielten nicht auf die Nutzung der Mietsache ab, sondern lediglich auf die dort ausgeübten Tätigkeiten.
Das Zivilgericht Basel-Stadt vertritt bei dieser Frage die Meinung, dass ein Mangel am Mietobjekt vorliegt. Der vereinbarte Verwendungszweck definiert nach seiner Ansicht den vertragstauglichen Zustand. Es genügt daher nicht, wenn die Baute keine (Sach-) Mängel hat. Es dürfen auch keine Rechtsmängel bestehen, die den Verwendungszweck vereiteln, jedenfalls nicht Rechtsmängel, welche der Mieter nicht zu vertreten hat.42 Gleich sehen das die Gerichte im Kanton Tessin. Ein Rechtsmangel kann sich auch aus öffentlich-rechtlichen Vorschriften ergeben, welche die Nutzung des Geschäftsmietobjekts einschränken oder verhindern.43 Der Entscheid des Appellationsgerichts des Kantons Tessin wurde an das Bundesgericht weitergezogen. Es bleibt zu hoffen, dass das Bundesgericht die insbesondere für die Gastronomie wichtige Rechtsfrage möglichst bald entscheidet.
3.2 Zahlungsaufschub nach Covid-19-Verordnung
Im Zuge des Lockdowns vom Frühjahr 2020 kam ein Geschäftsmieter, der in seinem Mietobjekt im Kanton Waadt ein Restaurant führt, mit den Mietzinszahlungen für die Monate April, Mai und Juni 2020 in Rückstand. Die Vermieterin schickte ihm am 23. Juni 2020 eine Mahnung und berücksichtigte dabei für die Mietzinse April und Mai eine Zahlungsfrist von 90 Tagen, hielt den Juni-Mietzins jedoch als verfallen und setzte dafür eine letzte Zahlungsfrist von 30 Tagen. Dabei vertrat sie die Auffassung, dass der Zahlungsaufschub nach Covid-Verordnung für den Mietzins Juni nicht mehr gelte. Der Mieter habe sein Restaurant per 11. Mai 2020 wieder öffnen können. Daher fehle es am Erfordernis eines Zahlungsrückstands aufgrund der Massnahmen des Bundesrats zur Bekämpfung des Coronavirus. Der Mieter bezahlte die Mietzinse April und Mai fristgerecht. Aufgrund des noch ausstehenden Mietzinses für Juni löste die Vermieterin das Mietverhältnis mit Kündigung vom 21. August 2020 vorzeitig per Ende September 2020 auf. Der Juni-Mietzins wurde am 28. August 2020 beglichen. Am 5. Oktober 2020 verlangte die Vermieterin im summarischen Verfahren die Ausweisung des Mieters. Der Friedensrichter entsprach ihrem Begehren. Das kantonale Berufungsgericht trat jedoch auf das Ausweisungsbegehren nicht ein.
Die Vermieterin zog den Fall ans Bundesgericht, das klärend erwog, der Zahlungsaufschub hänge einerseits von der Fälligkeit des Mietzinses ab und anderseits davon, dass der Zahlungsrückstand coronabedingt sei. Der Mietzins Juni sei nach vertraglicher Regelung am 31. Mai 2020 fällig geworden und erfülle die zeitliche Voraussetzung. Aber auch die inhaltliche Voraussetzung liege vor, denn der Zahlungsrückstand für Juni 2020 sei immer noch eine Folge des bis 10. Mai 2020 verhängten Lockdowns. Zudem handle es sich unter diesen Umständen nicht um klares Recht. Auch deshalb sei das kantonale Gericht auf das im summarischen Verfahren gestellte Ausweisungsbegehren zu Recht nicht eingetreten.44
1 Der Autor bedankt sich bei seinem wissenschaftlichen Assistenten Christoph Reusser, Rechtsanwalt, für die wertvolle Mitarbeit an diesem Beitrag.
2 Vgl. dazu die letztjährige Besprechung und insbesondere den dort vorgestellten, eine privatrechtliche Anstellung bejahenden Entscheid HC/2020/535 des Kantonsgerichts Waadt vom 23.4.2020, Dossier CACI 380 = JAR 2021 S. 565. Vgl. ferner für eine Gesamtübersicht Adrian von Kaenel / Roger Rudolph, Elektronischer Update-Service zum Praxiskommentar Streiff / von Kaenel / Rudolph, N 2 zu Art. 319 OR. Teile der vorliegenden Rechtsprechungsübersicht fussen auf diesen Updates.
3 BGE 147 V 174, wobei es in casu um den sog. Uber-Pop-Dienst ging, der mittlerweile in der Schweiz nicht mehr angeboten wird.
4 Urteile UV.2020.00006, UV.2020.00015, UV.2020.00022, UV.2020.00118 sowie AB.2020.00038-45 vom 20.12.2021.
5 Ebd., E. 4 bzw. E. 5.
6 BGE 147 V 268.
7 BGer 4A_53/2021 vom 21.9.2021.
8 BGer 4A_542/2020 vom 3.3.2020.
9 Urteil LA210008 vom 19.5.2021.
10 Dazu und weiterführend Wolfgang Portmann / Roger Rudolph, Basler Kommentar OR I, 7. Aufl., Basel 2020, N 3 f. zu Art. 341 OR.
11 Arbeitsgericht Zürich, Entscheide 2020 Nr. 4.
12 BGE 147 III 73 und davor schon BGE 141 III 241.
13 BGE 147 III 73, E. 3.2.
14 BVGer A-3584/2020 vom 12.4.2021.
15 Arbeitsgericht Zürich, Entscheide 2020 Nr. 6.
16 Regionalgericht Bern-Mittelland, Urteil CIV 21 2317 FAU vom 17.2.2022.
17 BGer 4A_518/2020 vom 25.8.2021, insbesondere E. 4.3.
18 Wobei die allgemeinen Grundsätze des DSG zu beachten sind.
19 Vgl. Art. 328b OR, am Anfang.
20 Der Rechtfertigungsgrund der Einwilligung nach Art. 13 Abs. 1 DSG steht mit anderen Worten in diesen Fällen nicht zur Verfügung, es sei denn, die Zustimmung erfolge ausnahmsweise zugunsten der Arbeitnehmenden, wie etwa im Fall der Referenzerteilung zugunsten eines Vermieters. Vgl. weiterführend Portmann / Rudolph, a.a.O., N 26 zu Art. 328b OR.
21 Arbeitsgericht Zürich, Entscheide 2020 Nr. 1.
22 BGer 4A_44/2021 vom 2.6.2021, insbesondere E. 4.3.2.
23 BGE 147 I 1.
24 CAPH/197/2020 vom 13.11.2020 = JAR 2021 S. 482.
25 Arbeitsgericht Zürich, Entscheide 2020 Nr. 13.
26 BGer 8C_667/2019 vom 28.1.2021.
27 BGE 147 III 78; vgl. dazu schon die letztjährige Besprechung: plädoyer 3/2021, S. 47.
28 Urteil 810 20 27 vom 12.8.2020 = plädoyer 2/2021, S. 76.
29 Ber 2C_470/2020 vom 22.12.2021.
30 BGE 147 III 172; vgl. auch schon BGE 145 III 299 und BGE 143 III 506.
31 BGE 147 III 345.
32 Ebd., E. 6; vgl. Art. 59 Abs. 2 lit. e und Art. 86 ZPO.
33 Urteil RA210006 vom 23.4.2021.
34 BGer 4A_670/2020 vom 3.5.2021.
35 BGer 4A_433/2020 vom 4.3.2021.
36 BGer 4A_69/2021 vom 21.9.2021, übersetzt in: mp 1/22, S. 49.
37 BGE 147 III 218.
38 BGE 147 III 431.
39 BGer 4A_592/2020 vom 12.10.2021, übersetzt in: mp 1/22, S. 45.
40 Mietgericht Zürich (Einzelgericht) vom 2.8.2021 (ZMP 2021 Nr. 10; rechtskräftig).
41 Mietgericht Genf vom 28.7.2021 (JTBL/565/2021; rechtskräftig).
42 Zivilgericht des Kantons Basel-Stadt vom 28.1.2022 (MG.2021.20; nicht rechtskräftig.
43 Einzelgericht Locarno-Città vom 5.2.2021 (SE.2020.23); Appellationsgericht des Kantons Tessins vom 4.11.2021 (12.2021.41; nicht rechtskräftig).
44 BGer 4A_252/2021 vom 6.10.2021.