Vier Verlage dominieren in der Schweiz den Markt der juristischen Literatur: Dike, Helbing Lichtenhahn, Schulthess und Stämpfli. Sie geben den Grossteil der Kommentare, Monografien, Lehrbücher und Zeitschriften heraus. Schulthess etwa vertreibt jährlich über 200 juristische Titel, darunter rund 50 Dissertationen. «Mit 8000 Titeln betreiben unsere Buchhandlungen den grössten Fachkatalog für juristische Publikationen in der Schweiz», heisst es vonseiten des Verlags. Und der Verlag Helbing Lichtenhahn gibt jährlich über 100 Neuerscheinungen heraus.
Die Verlage pflegen mit den Universitäten und deren juristischen Fakultäten und Bibliotheken zum Teil seit Jahrzehnten sehr enge Verbindungen. Professoren liefern mit Hilfe ihrer Assistenten die Inhalte der meisten Fachmagazine, Kommentare, Lehrbücher und Monografien. Bernhard Dengg von der rechtswissenschaftlichen Bibliothek Bern zeigte 2016 auf, wie die Entwicklung der Zeitschriftentitel parallel mit der Entwicklung der juristischen Fakultäten anstieg. Mit der wachsenden Anzahl der Lehrstühle, der Assistenten, der Dozenten und Doktoranden nahm zugleich auch die Anzahl der Fachtitel zu: 1980 zählten die Rechtsfakultäten total 608 wissenschaftliche Angestellte, 2014 lag die Gesamtzahl bereits bei 2259. Zwischen 1980 und 2012 kamen 64 neue juristische Fachzeitschriften auf den Markt.
Bibliotheken, Gerichte und Unis bringen viel Geld ein
Dengg zu diesen Zahlen: «Mit der rapid steigen Zahl von Wissenschaftern ab den 1980er-Jahren brauchte es natürlich auch Gefässe, in denen man die vielen Arbeiten publizieren konnte. Interessant: Ein sehr grosser Anteil der Autoren veröffentlichten neben ihrer Dissertation nur eine einzige weitere Arbeit in ihrer wissenschaftlichen Laufbahn, meistens in Form eines Aufsatzes in einer Zeitschrift.»
Der Zürcher Strafrechtsprofessor Marc Thommen sieht die Finanzierung dieser Publikationen kritisch: «Vom Staat bezahlte Forscher – also wir Professoren und unsere Assististenten – prüfen den Inhalt und die Qualität, bevor die Verlage die Forschungsresultate in Form von Papers, Monografien, Dissertationen und Kommentaren veröffentlichen.» Am Ende würden die Steuerzahler unter anderem über die Bibliotheken und Gerichte mit dem Kauf der Literatur den Zugang zu der von ihnen selbst finanzierten Forschung bezahlen. Bibliotheken seien verpflichtet, eine gewisse Anzahl an Exemplaren von Kommentaren, Zeitschriften, Lehrbüchern und Monografien permanent in ihrem Bestand aufzunehmen.
Unis geben jedes Jahr Unsummen für Abos aus
Dorothee Schneider, Geschäftsführerin beim Stämpfli-Verlag, und ihr Kollege Firas Kharrat, Geschäftsführer bei Schulthess, entgegnen, dass sich «Zeitschriften, die sich weitestgehend an die Praxis wenden, hauptsächlich über die Lesermärkte finanzieren». Die Leser – das sind aber auch wieder die Steuerzahler, die das Ganze schon finanziert haben.
Eine Finanzanalyse von Swissuniversities, der Konferenz der Rektoren der Schweizer Hochschulen, bezifferte die Abonnementskosten der Unis für wissenschaftliche Zeitschriften allein im Jahr 2015 auf 70 Millionen Franken. Zudem hätten die Autoren der Beiträge selbst weitere 6 Millionen Franken ausgegeben, um ihre Ergebnisse zu publizieren. Die Abonnementskosten würden jährlich um fünf Prozent steigen – das sind 3,5 Millionen Franken –, «falls dagegen keine Massnahmen getroffen werden».
Aktuelle Zahlen des Bundesamts für Statistik zeigen, dass beispielsweise allein die rechtswissenschaftliche Bibliothek Zürich im Jahr 2020 für die physischen und elektronischen Fachmedien 490 000 Franken ausgab, davon über 120000 Franken für elektronische Medien. Rudolf Mumenthaler von der Zürcher Universitätsbibliothek sagte dem «Magazin» des Tamedia-Verlags, Fachzeitschriften seien der grösste Kostenfaktor für Bibliotheken, «auf gleicher Höhe wie die Personalkosten.»
79 Prozent Aufschlag innerhalb von vier Jahren
Dengg weist auf die permanent steigenden Kosten hin. «Die Gesamtausgaben an der Uni Bern für den Zugang zu schweizerischen Rechtsdatenbanken betrugen im Jahr 2018 rund 59000 Franken, 2021 bereits 92000 Franken. Das ist eine Steigerung von rund 56 Prozent in vier Jahren.» Einer der Betreiber habe den Preis innerhalb dieser vier Jahre um 79 Prozent erhöht. Den Grund dafür kenne er nicht: «Wir erhalten keine Antwort dazu.»
plädoyer fragte bei der juristischen Datenbank Swisslex nach, an der die Verlage Stämpfli und Schulthess beteiligt sind, ob die Preise in den vergangenen Jahren gestiegen seien. Geschäftsführer Hayo Iversen will dazu nichts sagen. «Fragen zu individuellen Nutzungsverträgen und Inhalten von Lizenzvereinbarungen beantworten wir nicht.» Gleich zugeknöpft reagieren die Verlage, wenn es um die Geschäftszahlen zur juristischen Literatur geht.
plädoyer-Recherchen ergaben, dass auch kleinere und mittelgrosse Anwaltskanzleien Mühe mit den hohen Kosten für Fachliteratur haben. So würden Kanzleien Studenten anstellen, weil es «billiger ist, eine Hilfskraft zu bezahlen, die über die Universität Zugang zu den Recherchedatenbanken und Zeitschriften hat», als die Werke zu kaufen. Andere Anwaltskanzleien erteilen Professoren Gutachteraufträge und sichern sich so die Recherche der gesamten Literatur. Die Verlage verbieten allerdings in ihren Geschäftsbedingungen die Nutzung der Recherchemöglichkeiten für ausseruniversitäre Zwecke. Aus diesem Grund will keine der Auskunftspersonen genannt werden.
Professoren aus allen Schweizer Rechtsfakultäten fungieren als Herausgeber und Redaktionsmitglieder bei fast allen juristischen Zeitschriften oder Kommentaren. Für Dorothee Schneider vom Stämpfli-Verlag ist dies «eine partnerschaftliche Zusammenarbeit». Diese «Partnerschaft» geht nicht nur auf Kosten der Steuerzahler, sondern auch der Studenten. Diese müssen die Lehrbücher kaufen, deren Kenntnis von den Professoren vorausgesetzt sind.
Professoren wollen Geld verdienen
Private Unternehmen sind frei, ein Geschäftsmodell zu wählen, mit dem sie möglichst viel Geld verdienen. Weshalb aber lassen sich Professoren, die vom Staat bezahlt sind, auf dieses Modell ein? Marc Thommen sieht zunächst einen finanziellen Anreiz: «Mit den Lehrbüchern lässt sich natürlich Geld verdienen.» Es gebe an der Universität Zürich Lehrbuchreihen, die sich sehr gut verkaufen. Der Inhalt stamme zu grossen Teilen von den Lehrstühlen. «Wenn sich alle 750 Erstsemestrigen ein solches Lehrbuch für über 100 Franken kaufen müssen, kann man sich das lukrative Geschäft ausrechnen.»
Beispiele finden sich an allen Hochschulen zuhauf: An der Uni Zürich etwa die «Zürcher Grundrisse des Strafrechts», herausgegeben von Daniel Jositsch und Andreas Donatsch. An der Universität St. Gallen verkaufen Vito Roberto und Sebastian Reichle an Erstsemestrige ihre Werke, zum Beispiel «Einführung in das Wirtschaftsrecht» für knapp 37 Franken über den Webshop «Study Tools» – passend dazu gibts zum gleichen Preis die Lernkarten. «Study Tools» gehört Franziska Fawcett. Sie ist am Institut für Rechtswissenschaften und Rechtspraxis fürs Marketing zuständig. Roberto ist dort Direktor und Reichle Co-Geschäftsführer. Solche Geschäfte sind an den Unis explizit erlaubt. So stehen an der Uni Zürich laut Personalverordnung den Angestellten die Verwertungsrechte an Werken zu, die sie im Rahmen ihrer Tätigkeit schaffen.
Urheberrechte komplett abtreten
Für die Zukunft wünscht sich Marc Thommen, dass Lehrmittel «frei verfügbar werden». Die Rektorenkonferenz der schweizerischen Hochschulen und der Nationalfonds haben das Problem erkannt und sich mit dem Projekt Open Access ein stolzes Ziel gesetzt: «Bis 2024 sollen alle mit öffentlichen Geldern finanzierten wissenschaftlichen Publikationen im Internet frei und kostenlos zugänglich sein.»
Bernhard Dengg verweist auf das Beispiel der Dissertationen. Schon heute würden sie tel quel veröffentlicht. Dies könne künftig einfach über Open Access erfolgen. Tatsächlich verlangen Verlage bei Dissertationen druckfertiges Material. So heisst es im «Merkblatt für Manuskripterstellung» von Schulthess: «Der Verlag führt lediglich ein formales, kein inhaltliches Lektorat durch.»
Von plädoyer angefragte ehemalige Doktoranden belegen das praktizierte Verlagsmodell: Die Autoren müssen den Verlagen ihre Urheberrechte vollumfänglich abtreten und für den Druck ihrer Dissertation auch noch bis zu 4000 Franken bezahlen. Bundesrichter Christoph Hurni, der sich bei Onlinekommentar.ch für den freien Zugang der Gesetzeskommentare engagiert, bestätigt: «Ich selbst zahlte für meine Dissertation 4000 Franken.» Weitere 3000 Franken habe die Uni übernommen.
Mehrere Autoren, die in verschiedenen Zeitschriften publizieren, sagen plädoyer, dass sie «so gut wie nichts» für ihre Beiträge bekommen. Bei Büchern erhalten die Autoren sieben bis zehn Prozent des Verkaufserlöses. Bei Kommentaren bekommt die Autorenschaft gemeinsam acht Prozent. Schreiben zehn Personen an einem Kommentar, ist das ebenfalls «so gut wie nichts».
Marc Thommen kritisiert vor allem die vollumfängliche Abtretung der Urheberrechte an die Verlage: «Dass Juristen solche Verträge unterschreiben, ist unglaublich!» Würde man einem Klienten als Anwalt die Unterzeichnung eines solchen Vertrags empfehlen, würde sich der Anwalt wohl haftbar machen.
Beim Europarecht schlechte Präsenz im Ausland
Auch Tobias Baumgartner stösst sich an der vollständigen Übertragung aller Nutzungsrechte im traditionellen Verlagsmodell. Er ist Co-Verlagsleiter bei EIZ-Publishing – einem Open-Access-Fachverlag, der vom Europa-Institut an der Universität Zürich getragen wird. Die klassischen Verlagsmodelle stellt Baumgartner angesichts neuer digitaler Distributionsformen und Lesegewohnheiten «grundlegend in Frage». Zentrale verlegerische Leistungen wie das Kuratieren von Verlagsprogrammen oder Fachlektorat und Korrektorat könnten von spezialisierten wissenschaftlichen Einrichtungen wahrgenommen werden. Seine eigene Erfahrung der letzten 20 Jahre mit der juristischen Verlagswelt habe das bestätigt: «Von Verlagsseite kamen fast keine inhaltlichen oder formalen Inputs zu unseren Publikationen.» Auch bemängelt Baumgartner, dass die Publikationen zum europäischen und zum internationalen Recht im Ausland kaum präsent seien. Aus diesen Gründen hätten sie alles selbst in die Hand genommen und 2019 den eigenen Fachverlag gegründet.
Gemäss Schulthess-Geschäftsführer Firas Kharrat hängt die verlegerische Arbeit der Verlage «von der Publikationsart, dem Autorenwunsch und dem Leser- und Nutzermarkt» ab. Die Verlage sehen ihre Arbeit als «eine wichtige Dienstleistung für Autoren und ihre Universitäten». Auf die Ausgestaltung der Verträge wollen sie nicht eingehen. Kharrat sagt einzig, die Vertragsverhältnisse seien «grundsätzlich individuell». Schulthess und Stämpfli verweisen darauf, dass es auch Publikationen gebe, bei denen Wissenschaft und Praxis eng zusammenarbeiten. Schneider: «Zusammen mit dem Lektorat und dem Produktmanagement des Verlages diskutiert man die Zielsetzung, den Aufbau, die inhaltliche Ausrichtung, die Aufmachung bis zur Produktion des Werks.»
Zudem würden sich Fachverlage mit ihrer langjährigen Erfahrung im Medienwandel einbringen, sagt Kharrat. Sie übernähmen aufwendige Digitalisierungsarbeiten, «um Werke da verfügbar zu machen, wo Kunden recherchieren». Schneider: «Inhalte in eine Datenbank aufzunehmen, sichert alleine noch keine hohe Verbreitung. Erst mit Hilfe unserer Digitalexperten können Datenbankinhalte vernünftig verbreitet, gesucht und gefunden werden.»
Thomas Geiser verteidigt den Standpunkt der Verlage. Der emeritierte Professor aus St. Gallen publizierte in seiner Karriere viel zum Privat- und zum Handelsrecht. Er ist unter anderem Herausgeber des Basler Kommentars zum ZGB und mehrerer Zeitschriften. Geisers Erfahrung: «Als Herausgeber oder Redaktionsmitglied bin ich zwar für die Qualität der Inhalte verantwortlich. Aber die Lektoratsarbeit der Verlage ist so gründlich, dass sie zur Verzweiflung führen kann.» Wer behaupte, die Verlage würden ihre verlegerische Verantwortung nicht wahrnehmen, sei nicht redlich.Bei Open-Access-Zeitschriften wie beispielsweise «Sui Generis» sei eine ernsthafte Kontrolle der Qualität der Beiträge angesichts der Publikationsmenge gar nicht möglich, sagt Geiser. Er bestreitet, dass die wesentliche Forschung von Universitätsangestellten getragen werde. «Ein grosser Teil wird von Privaten betreut» – Praktikern wie Rechtsanwälten, Juristen aus der Verwaltung oder in Unternehmen.
Geiser macht keinen Hehl daraus, dass Professoren mit Lehrbüchern und Publikationen Geld verdienen: «Ich habe jährlich mit Publikationen bis zu 40 000 Franken eingenommen. Hätte ich während der dafür benötigten Zeit geputzt, hätte ich aber mehr verdient.»