Verfassungsrecht
Dringliche Gesetzgebung und direkte Demokratie. Stefan G. Schmid, Micha Herzog und Dumenig Stiffler, Jusletter vom 7.7.2021
Die drei Autoren geben in ihrem Beitrag einen Überblick über die Grundlagen, die Praxis und die Probleme des nachträglichen Referendums und damit zum Spannungsverhältnis zwischen der dringlichen Gesetzgebung und der direkten Demokratie.
Die Zulässigkeit individueller Stellungnahmen von Regierungsmitgliedern: Zwischen Meinungsfreiheit und (un)verfälschter Willensbildung.
Lorenz Langer, ZBl 5/2021, S. 247 ff.
Der Autor zeigt die grosszügige Rechtsprechung des Bundesgerichts im Zusammenhang mit Stellungnahmen von Regierungsmitgliedern bei Abstimmungen und Wahlen auf. Bislang habe das höchste Gericht der Schweiz keine individuelle Stellungnahme eines Behördenmitgliedes für unzulässig befunden, konstatiert er. Dann kommt der Autor auf die jüngsten Ständeratswahlen im Kanton Zürich zu sprechen: Fünf Mitglieder der Zürcher Kantonsregierung hatten in einem Inserat im Tages-Anzeiger eine Wahl des bisherigen Regierungsrates Ruedi Noser empfohlen, in der Legende zum Bild wurde auch ihr Amt aufgeführt. Das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich kam nach einer Beschwerde zum Schluss, dass es sich dabei um eine rechtswidrige Intervention der fünf Regierungsratsmitglieder handelte. Gestützt auf dieses Urteil spricht sich der Autor in seinem Beitrag dafür aus, in solchen Fällen einen strengeren Massstab anzulegen.
Verwaltungsrecht
Ausländer- und Asylrecht
Die Mitwirkungspflicht im Asylverfahren. Simon Schädler, AJP 6/2021, S. 788 ff.
Der Beitrag beleuchtet die gesetzlichen Mitwirkungspflichten im Asylverfahren, die Folgen ihrer Nichtbeachtung und den sogenannten formlosen Abschreibungsbeschluss. Letzterer kollidiert mit völkerrechtlichen Garantien. Laut dem Autor zeigt die Praxis, dass einige wenige Asylsuchende durch renitentes Verhalten Sicherheit und Ordnung in den Bundesasylzentren gefährden und ihr eigenes Asylverfahren oder jenes anderer Schutzsuchender stören könnten. Ihre Renitenz könne zwar die Mitwirkungspflicht verletzen. Trotzdem haben aber auch sie Anspruch auf ein faires und (völker-) rechtskonformes Asyl- und Wegweisungsverfahren. Kern des Beitrags bildet die Erarbeitung eines verfahrensrechtlich korrekten Lösungsansatzes im Umgang mit renitentem Verhalten.
Steuerrecht
Rechtliche Einordnung von Steuerrulings. Stefan Oesterhelt, SJZ 2021, S. 431 ff.
Das Einholen von Steuerrulings und steuerlichen Vorabbescheiden gehört zum Alltag eines jeden Steuerberaters in der Schweiz. Sie sind nicht nur zentral für die Schweiz als Investitions- und Unternehmensstandort, sondern gleichermassen wichtig für eine effiziente und gleichmässige Steuererhebung. Gesetzliche Regelungen zu Rulings sind noch absolute Ausnahme. Eine positive Regelung ist aber verzichtbar, da die Rechtswirkungen von Rulings auf dem Grundsatz des Vertrauensschutzes von Artikel 9 BV basieren. Der Autor legt die einzelnen Voraussetzungen dafür ausführlich dar.
Die Rolle von Steuerabzügen: eine steuersystematische Einordnung und Analyse ihrer Verteilungswirkung. David Staubli, ASA 89, S. 637 ff.
Lesenswerter Artikel mit guter Analyse insbesondere für Politiker, die bei jedem neuen Abzug monieren, er komme als Steuergeschenk nur den Reichen zugute.
Übriges Verwaltungsrecht
Meldungen von Verletzungen der Datensicherheit. Adrian Bieri und Julian Powell, AJP 6/2021, S. 780 ff.
Mit dem revidierten Datenschutzgesetz wird eine neue Meldepflicht an den Eidgenössischen Datenschutzbeauftragten bei bestimmten Datensicherheitsverletzungen eingefügt. Die beiden Autoren nehmen diese unter die Lupe, erörtern deren Modalitäten und machen zudem Vorschläge, nach welchen Kriterien die zentrale Risikoprognose vorzunehmen ist, ob eine Datensicherheitsverletzung mit hohem Risiko vorliegt oder nicht. Des Weiteren geben sie eine Übersicht über die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zur Meldepflicht nach der Datenschutz-Grundverordnung der Europäischen Union und legen ein Schema mit Handlungsempfehlungen an Unternehmen für den Ernstfall dar.
Die Rolle des Rechts in der Pandemie. Felix Uhlmann, Recht, 2/2021, S. 113 ff.
Kurzer, witziger und vor allem lesenswerter Artikel mit prägnanten Aussagen wie: «Ein juristisches Ergebnis ist keine Rechenaufgabe» oder «jedes Ergebnis sollte den Grossmuttertest bestehen». Weiter kommt der Autor zum Schluss: «Widerspricht ein Resultat der Intuition oder dem Gerechtigkeitsempfinden, spricht vieles dafür, dass das Ergebnis auch juristisch fehlerhaft ist», und konstatiert, bezogen auf die Pandemie: «Effektive Rechtsetzung ist Vertrauenssache».
Sozialversicherungsrecht
BVG
Externe Versicherung in der beruflichen Vorsorge. Sirgit Meier und Lukas Stotzer, Steuerrevue 6/2021, S. 433 ff.
Neuerdings können über 58-Jährige, denen gekündigt wurde, gestützt auf Artikel 47a BVG in der Pensionskasse verbleiben. Die Autoren legen die Voraussetzungen dafür sowie die steuerliche Behandlung der zu leistenden Beiträge dar und erklären den Unterschied zu Artikel 47 BVG.
Übriges Sozialversicherungsrecht
Wenn die gesetzliche Rechtfertigung den Schutzbereich verletzt. Gedanken zu einem verfassungs- und konventionswidrigen Zirkelschluss in Artikel 43a ATSG. Philip Stolkin, Have 1/2021, S. 25 ff.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hatte die fehlende gesetzliche Grundlage für Observierungen im Sozialversicherungsrecht gerügt. Also arbeitete das Parlament im Eiltempo den Artikel 43a ATSG aus. Der Autor untersucht in seinem Beitrag diese neue Regelung und kritisiert sie scharf: Die Anforderungen in Bezug auf die Beachtung der Privatsphäre seien ungenügend und das Gewaltmonopol des Staates sei durch die Übertragung der Observation auf Private nicht ausreichend beachtet worden. Zudem sei ein rechtzeitiger Schutz für die Betroffenen vor den Massnahmen nicht gewährleistet und der Datenschutz nicht ausreichend.
Nichteheliche
Lebensgemeinschaft in der beruflichen Vorsorge. Stefan Hürst, SZS 3/2021, S. 124.
Nach Artikel 20a BVG können Vorsorgeeinrichtungen vorsehen, dass ledige Versicherte ihren Lebenspartner als Begünstigten für die Hinterlassenenleistung einsetzen können. Diese Option ist von zunehmender Relevanz: Immerhin ist ein Viertel der Paare nicht verheiratet. Und: Je jünger die Paare sind, desto seltener sind sie es. Der Beitrag untersucht die Voraussetzungen, welche die über 1400 verschiedenen Vorsorgeeinrichtungen typischerweise an eine Partnerschaft stellen, damit eine Begünstigung möglich ist: In der Regel wird eine Mindestdauer der Partnerschaft von fünf Jahren und ein gemeinsamer Wohnsitz verlangt.
Strafrecht
Die Bedeutung von Artikel 4 EMRK für die Verfolgung von Menschenhandel zwecks Ausbeutung der Arbeitskraft. Annatina Schultz, Forum poenale 3/2021, S. 200 ff.
Der Autorin zufolge fristen Verfahren wegen Menschenhandels in der schweizerischen Strafjustiz ein Schattendasein. Sie konstatiert: «Es scheint, als fehle zuweilen die Kenntnis zu verschiedenen Begriffen aus den relevanten internationalen Staatsverträgen, wie die internationale Definition von Menschenhandel sowie das Verbot von Sklaverei, Leibeigenschaft und Zwangsarbeit der Europäischen Menschenrechtskonvention (Artikel 4 EMRK).» Der Beitrag macht deshalb auf die Bedeutung dieses Artikels aufmerksam und setzt sich mit einem wegweisenden Urteil des EGMR von 2017 auseinander. In diesem wurde die Arbeitssituation von Erntehelfern in Griechenland als Zwangsarbeit und damit als möglicher Ausbeutungszweck von Menschenhandel qualifiziert. In der Schweiz hat diese Auslegung von Artikel 4 EMRK nun erstmals Eingang in ein Strafurteil gefunden.
«Nein heisst nein» und «Ja heisst ja» – Zur Einführung eines konsensorientierten Ansatzes im Sexualstrafrecht in der Schweiz und in Deutschland. Ineke Pruin, ZStrR 2/2021, S. 129 ff.
Der Beitrag knüpft an die aktuelle Diskussion über die Einführung eines konsensorientierten Ansatzes im Schweizer Sexualstrafrecht an. Aktuell gilt in der Schweiz das sogenannte Nötigungsprinzip: Für das Erfüllen der Tatbestände der sexuellen Nötigung (Artikel 189 StGB) oder der Vergewaltigung (Artikel 190 StGB) muss das Element der Nötigung vorliegen. Das Nötigungsprinzip setze die Erheblichkeitsschwelle zur Strafbarkeit von Eingriffen in die sexuelle Selbstbestimmung laut der Autorin zu hoch ein. Einen umfassenden Schutz biete das Konsensprinzip. Der Beitrag führt die beiden Varianten dieses Prinzips näher aus: Das beispielsweise im schwedischen Recht verankerte «Ja heisst ja»-Prinzip legt fest, dass alle Beteiligten ausdrücklich und klar erkennbar mit der Vornahme des Geschlechtsverkehrs einverstanden sein müssen. Ansonsten werde er als Vergewaltigung gewertet, auch wenn ein Partner nicht «Nein» sagt. Beim «Nein heisst nein»-Prinzip, das zum Beispiel im deutschen Recht gilt, wird hingegen so lange von einem konkludent erteilten Einverständnis ausgegangen, bis ein nach aussen erkennbares ausdrückliches oder konkludentes «Nein» geäussert wird. Die «Nein heisst nein»-Regelung ermöglicht der Autorin zufolge eine klarere Abgrenzung des strafbaren Verhaltens als die Zustimmungsvariante.
Privatrecht
Personenrecht
Die Rechtsfolgenfrage von Artikel 27 Absatz 2 ZGB. Oliver D. William, Recht 2/2021, S. 74 ff.
Gemäss heutiger Praxis sind eine Bindung im Kernbereich der eigenen Persönlichkeit und eine übermässige Selbstbindung nichtig. Der Autor versucht einen neuen Ansatz: Eine Bindung im Kernbereich der Persönlichkeit und eine übermässige Bindung sind zwar wirksam, die Einwilligung dazu kann jedoch jederzeit widerrufen werden, gegebenenfalls mit Schadenersatzfolgen.
Haftpflichtrecht
Haftung, Versicherung und Schadenabwälzung bei urteilsunfähigen Personen. Arnold F. Rusch und Angelo Schwizer, Have 24/2020, S. 353 ff.
Die Autoren gehen unter anderem der Frage nach, wie Heime vorgehen sollen, wenn urteilsunfähige Personen wie Kinder, geistig Behinderte oder Demenzkranke Schäden verursachen. Wer urteilsunfähig ist, haftet gerade nicht – lassen sich die Schäden also vertraglich abwälzen? Oder müssen die Versicherungen der urteilsunfähigen Schädiger für die Schäden aufkommen, weil aufgrund der Versicherung die Billigkeitshaftung greift? Die Autoren machen praktische Hinweise zu Vertragsgestaltung und Anspruchsdurchsetzung.
Arbeitsrecht
Möglichkeiten und Haftung von privatrechtlichen Arbeitgebern von Gesundheitspersonal. Thomas D. Szucs und Silja F. Drack, Jusletter vom 14.6.2021
Der Beitrag analysiert, wie die privatrechtlichen Arbeitgeber im Gesundheitssektor eine grosse Covid-19-Impfdurchsatzrate erreichen können, und beleuchtet die Haftungsfragen im Falle einer Impfanordnung. Die Autoren kommen zum Schluss, dass eine Impfanordnung zur Erreichung einer hohen Durchimpfungsrate nicht vorteilhaft sei. Die Angestellten sollen vielmehr überzeugt und motiviert werden.
Handels- und Wirtschaftsrecht
Angemessenheits- und Eignungsprüfung nach Fidleg. Rolf Sethe und Lukas Fahrländer, SZW 6/2020, S. 631 ff.
2020 trat das Finanzdienstleistungsgesetz (Fidleg) in Kraft und verpflichtet Anlageberater und Vermögensverwalter, am «Point of Sale» die Angemessenheit oder Eignung der Finanzdienstleistung und der Finanzinstrumente für ihre Kunden zu prüfen. Zahlreiche Einzelfragen der Neuregelung sind laut den Autoren ungeklärt. Sie erläutern und bewerten die Regelung der Angemessenheits- und Eignungsprüfung und vergleichen sie mit der zivilrechtlichen Pflichtenlage sowie der Regelung im europäischen Aufsichtsrecht.
Verfahrens- und Vollstreckungsrecht
Das Konkursamt und die Post des Gemeinschuldners. Hansjörg Peter, BlSchK 2/2021, S. 55 ff.
Darf das Konkursamt die für den Gemeinschuldner bestimmte Post kontrollieren und zurückhalten? Ja, schreibt der Autor. Denn Konkurs ist Generalexekution. Die Konkursverwaltung muss das gesamte Vermögen des Konkursiten liquidieren und an seine Gläubiger verteilen. Das kann sie nur, wenn sie auch die an den Schuldner adressierte Post prüfen darf.
Europarecht
Wirtschafts- und Sozialrecht
The impacts of Covid-19 on international contract performance. Fabia Stöcklin, Jusletter vom 7.7.2021
Im Beitrag werden die rechtlichen Folgen von Covid-19 im internationalen Vertragsverhältnis thematisiert. Viele Parteien sind oder waren dem Autor zufolge nicht in der Lage, ihren Vertragsverpflichtungen nachzukommen. Das englische Recht als das weltweit «am häufigsten vereinbarte Handelsrecht» kenne für solche Situationen hauptsächlich zwei Rechtsinstitute: Frustration und die Force-Majeure-Klausel, welche im Hinblick auf die Auswirkungen von Covid-19 auf internationale Kaufverträge analysiert werden.
Völkerrecht
Der Wegfall der Personenfreizügigkeit aufgrund des Brexits – Bestandesaufnahme der Beziehung Schweiz–UK. Sofie Steller, Sui generis 2021, S. 209 ff.
Durch den Brexit fiel Anfang Jahr das Freizügigkeitsabkommen (FZA) zwischen der Schweiz und dem Vereinigten Königreich weg. Mit dem 2019 abgeschlossenen Abkommen über die erworbenen Rechte der Bürger sollen die nach Artikel 23 FZA erworbenen Ansprüche geregelt und ausgestaltet werden. Grossteils bewahrt das neue Abkommen im Bereich der Freizügigkeit die Regelungen aus dem FZA, in gewissen Aspekten gestaltet es sich aber auch restriktiver, wobei sich die Frage nach dem Verhältnis zu Artikel 23 stellt. Die Autorin kommt zum Schluss: «Insgesamt sind die Möglichkeiten zur Migration zwischen den beiden Ländern sehr viel begrenzter geworden.»