Verfassungsrecht
Politische Rechte
Ist das Interventionsverbot noch zulässig? Christoph Auer, ZBl 2017, S. 181 f.
Der Autor plädiert für eine Lockerung der bundesgerichtlichen Haltung zur Intervention von Kantonsregierungen vor eidgenössischen Urnengängen. Viele Behördenmitglieder täten über ihre Homepage oder in Newslettern ihre Meinung als Privatperson kund. Wenn diese halbbehördlichen Individualäusserungen als zulässig zu akzeptieren seien, frage sich, ob es für die Meinungsbildung nicht besser wäre, wenn auch die vom Volk gewählten, besonders legitimierten Stimmen der Kantonsregierungen vernehmbar wären.
Kantonale Interventionen bei eidgenössischen Abstimmungskämpfen. Lorenz Langer, ZBl 2017, S. 183 ff.
Der Autor zeigt die Rechtslage sowie die Praxis der Kantone und ihrer Konferenzen auf und macht sich – wie in derselben Ausgabe Christoph Auer, siehe oben – für eine grosszügigere Regelung stark. Dafür sprächen die Kraft des Faktischen und systematische Überlegungen. Wenn die Regierungen das Instrument der Stellungnahme selektiv und wohlbedacht nutzen, könnten sie einen sinnvollen Beitrag zur Meinungsbildung im Abstimmungskampf leisten.
Übriges Verfassungsrecht
Die Bundeszuständigkeit im Bereich des materiellen Strafrechts als Kompetenzgrundlage für Sicherheits- resp. Polizeirecht des Bundes im Zusammenhang mit der Verhinderung von Straftaten. Sebastian Micheroli, Jusletter vom 15.5.2017.
Der Autor legt dar, inwieweit Art. 123 Abs. 1 BV die Zuständigkeit des Bundes beinhaltet, mit dem Erlass von Strafbestimmungen Verhaltensnormen aufzustellen. Nachdem dies bei selbständig inhaltlich festgelegten Strafbestimmungen bejaht wird, zeigt der Beitrag auf, wann der Bund für die Umsetzung dieser Verhaltensnormen mittels Sicherheits- und Polizeirecht zum Zweck der Verhinderung entsprechender Straftaten zuständig ist.
Verwaltungsrecht
Teilenteignung und Schutzschildtheorie. David Hofstetter und Alexander Rey, ZBl 2017, S. 243 ff.
Die Rechtsprechung des Bundesgerichts zur Beschaffenheit des Schutzschilds im Hinblick auf das konkrete öffentliche Werk lässt sich nicht verallgemeinern. Somit fragt sich, ob der Gesetzgeber klare Linien schaffen soll. Eine Änderung von Art. 19 EntG dürfte kein gangbarer Weg sein. Zu wünschen wäre, dass das Bundesgericht mit Blick auf die von einem öffentlichen Werk ausgehenden materiellen Immissionen ein verbindliches, objektivierbares Schutzniveau formulieren würde, welches durch das enteignete Recht zu erreichen ist, damit ihm Schutzschildfunktion zukommt.
Ausländer- und Asylrecht
Asylsuchende im öffentlichen Raum – Empfehlungen der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus (EKR), Asyl 2/17, S. 22 f.
Mit einem Rechtsgutachten für die EKR prüften Regina Kiener und Gabriela Medici vom Kompetenzzentrum für Menschenrechte der Universität Zürich die Zulässigkeit von Einschränkungen der Bewegungsfreiheit von Asylsuchenden im öffentlichen Raum. Daraus leitet die EKR fünf Empfehlungen ab. Sie weist auf die staatlichen Gewährleistungspflichten laut Art. 35 Abs. 2 BV sowie die Voraussetzungen für Einschränkungen hin. Ein- und Ausgrenzungen sowie Rayonverbote sollten nicht kollektiv verfügt werden. Es bedürfe einer konkreten Störung oder Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung. Solche Massnahmen dürften nicht diskriminierend ausgesprochen werden. Bei teilweise privat betriebenen Asylunterkünften müssten Leistungsvereinbarungen gewährleisten, dass keine Beschränkung der Bewegungsfreiheit, auch nicht implizit durch Hausordnungen, erfolge. Zudem kritisiert die EKR Art. 11 und Art. 12 EJPD-VO und fordert den Bund auf, eine Gesetzesgrundlage zu schaffen.
Le HCR appelle à suspendre les renvois de demandeurs d’asile vers la Hongrie, selon le règlement Dublin de l’UE, UN-Hochkommissariat für Flüchtlinge, Asyl 2/17, S. 25.
Das UNHCR hat dazu aufgerufen, alle Dublin-Rückschiebungen nach Ungarn zu sistieren. Mit dem Inkrafttreten eines neuen Gesetzes, das die Inhaftierung Asylsuchender vorsehe, habe sich die Situation der Asylsuchenden weiter verschlechtert. Kurz darauf hat das Bundesverwaltungsgericht mit Urteil D-7853/2015 vom 9. Juni 2017 entschieden, dass das SEM Dublin-Rückschiebungen nach Ungarn vertieft prüfen müsse (vgl. Seite 60). Damit überlässt das Bundesverwaltungsgericht den Entscheid zunächst dem SEM.
Umwelt-, Bau- und Planungsrecht
Das schweizerische Umweltschutzgesetz, Rechtsprechung von 2011–2015.
Adrian Gossweiler, URP 2/2017, S. 119–262.
Umfassender und gut zugänglicher Rechtsprechungsbericht zum Umweltschutzgesetz und seinen Ausführungsverordnungen. Berücksichtigt wurden Entscheide, die in URP publiziert worden sind – vor allem Urteile des Bundesgerichts, vereinzelt auch des Bundesverwaltungsgerichts oder von kantonalen Verwaltungsgerichten. Der Bericht knüpft an die bisherigen Rechtsprechungsberichte zum USG im URP an und erlaubt einen schnellen Zugriff auf die relevanten Entscheide.
Medien- und Kommunikationsrecht
Social Media als privatsphärenfreier Raum?
Rena Zulauf und Maja Sieber, AJP 4/2017, S. 548–552.
Das Bundesgericht entschied 2016, dass bewusst die Öffentlichkeit suche, wer im sogenannt sozialen Netzwerk – hier Twitter – aktiv ist. Damit kippten die höchsten Richter die Praxis des Presserats, der befand: Nicht alles, was wir im Internet von uns (preis-)geben, ist auch für die Medienöffentlichkeit bestimmt. Für die Autorinnen ist der Entscheid des Bundesgerichts befremdend. Sie fordern, man müsse öffentliche und private Tweets unterscheiden und im Einzelfall das öffentliche Interesse einer Publikation prüfen.
Sozialversicherungsrecht
KVG und UVG
Das Einkommen von Uber-Fahrern im Lichte des Sozialversicherungsrechts. Kurt Pärli, Jusletter vom 12.6.2017.
Sind Uber-Fahrer im sozialversicherungsrechtlichen Sinne selbständig- oder unselbständigerwerbend? Die Suva kommt in einem Einspracheverfahren zum Schluss, der betreffende Uber-Fahrer sei als Arbeitnehmer der obligatorischen Unfallversicherung unterstellt. Der Fall wurde ans Sozialversicherungsgericht Zürich weitergezogen. Der Autor setzt sich in seinem Beitrag mit der Argumentation der Suva auseinander und stellt die Thematik in einen grösseren Zusammenhang.
Strafrecht
Übriges Strafrecht
Ansätze zu einer völkerrechts- und verfassungskonformen Ausgestaltung der Untersuchungshaft. Jörg Künzli und Nula Frei, SZK 1/2017, S. 5 ff.
Die kritische Analyse der konkreten Ausgestaltung der Untersuchungshaft in der Schweiz von Jörg Künzli und Nula Frei ist nur einer von vielen gehaltvollen Beiträgen in der empfehlenswerten Themennummer der SZK zum Freiheitsentzug in der Schweiz.
Beendigung therapeutischer Massnahmen. Marianne Heer, AJP 5/2017, S. 592–607.
Die Autorin ist der Meinung, dass der Entscheidungsprozess betreffend die Beendigung oder Abänderung von Massnahmen durch die Zweiteilung der Kompetenzen zwischen Vollzugsbehörden und Gerichten in einer Weise verkompliziert werde, dass er den heutigen Anforderungen an solche Verfahren nicht mehr gerecht werden könne. «Nur eine Bündelung dieser Fragen und die direkte Zuständigkeit eines Strafgerichts für die Beurteilung sämtlicher dieser gewichtigen Entscheide einerseits sowie das Recht des Betroffenen andererseits, mit seinem Haftentlassungsgesuch direkt ein Gericht anzusprechen, ist heute noch sachgerecht.»
Privatrecht
Familienrecht
Kinder fördern. Sandra Hotz und Christine Kuhn, Jusletter vom 24.4.2017.
Die beiden Autorinnen gehen in ihrem Beitrag der Frage nach, wie Kinder mit einer ADHS, einer Lese-Rechtschreib-Störung oder einer Blindheit in der Grundschule gefördert werden sollen. Rechtlich handle es sich um Behinderungen. Obwohl der Anspruch auf Chancengleichheit für Kinder mit Behinderung im Grundsatz unbestritten ist, würden sich trotzdem Fragen zu den nachteilsausgleichenden Massnahmen stellen: Welche sind aus medizinischer und pädagogischer Sicht sinnvoll? Auf welche besteht ein rechtlicher Anspruch?
Obligationenrecht
Unterbrechung der Verjährung. Alfred Koller, SJZ 2017, S. 201 ff.
Der Autor analysiert die Unterbrechung durch Schlichtungsversuch, Klageerhebung, Schuldbetreibung, Einredeerhebung sowie durch Schuldanerkennung und illustriert diese mit anschaulichen Beispielen. Im Weiteren legt er den Wirkungsumfang der Unterbrechung dar, namentlich bei mehreren Forderungen und doppelter Verjährung. Thematisiert wird auch die Dauer der neuen Verjährungsfristen nach erfolgter Unterbrechung.
Haftpflichtrecht
Selbstlernende Fahrzeuge – eine Haftungsanalyse.
Melinda F. Lohmann und Markus Müller-Chen, SZW 1/2017, S. 48–58.
Der Beitrag beschäftigt sich mit selbstfahrenden und selbstlernenden Fahrzeugen. Hier stellen sich besondere Anforderungen bei der Haftung für Unfälle, insbesondere auch unter dem Gesichtspunkt von Produktfehlern. Die Autoren kommen zum Schluss, dass der Lenker bei vollautomatisiertem Fahren zum Passagier mutiere und mangels Fehlverhalten kaum mehr haftbar sei. Im Zentrum steht vermehrt der Halter. Bei lernfähigen Fahrzeugen verschiebt sich die Optik auf die Produktehaftpflicht und die Hersteller.
Kauf- und Mietrecht
L’expulsion du locataire: le bailleur à la croisée des procédures. Michel Heinzmann, Baurecht 2017, S. 77 ff.
Für eine gerichtliche Ausweisung seines Mieters stehen dem Vermieter zwei Rechtswege offen. Geht er von einem klaren Fall laut Art. 257 ZPO aus, kann er seinen Anspruch im Summarverfahren geltend machen. Bei Zweifeln an der faktischen oder juristischen Klarheit seines Anspruchs empfiehlt sich eher die Ausweisung im vereinfachten Verfahren.
Notariatsrecht
Legal Tech – Sind die Schweizer Anwälte bereit? Gian Sandro Genna, Jusletter vom 12.6.2017.
Wie stark sind Anwälte von der Digitalisierung betroffen? Können Juristen durch Legal-Tech-Software ersetzt werden? Der Autor wagte 2016 mit der Gründung seiner Kanzlei Jusonline AG den Schritt in die digitale Anwaltswelt und berichtet nun von seinen ersten Erfahrungen.
Datenschutzrecht
Medien im Spannungsfeld von Informationsauftrag und Datenschutz. Rolf H. Weber, Jusletter vom 8.5.2017.
Auch Medien arbeiten mit Datensammlungen, die dem Datenschutzgesetz (DSG) unterstehen. Um die Ausübung medialer Funktionen zu erleichtern, sieht das DSG einzelne Sondernormen zugunsten der Medienschaffenden vor, die vom Vorentwurf des revidierten DSG praktisch unverändert übernommen werden. Mangels ausdrücklicher Regelung in den Vernehmlassungsunterlagen ergäben sich aber für Medien verschiedene Rechtsunsicherheiten im Zusammenspiel von Persönlichkeits- und Datenschutz, die in der Revision geklärt werden sollten, schreibt der Autor.
Handels- und Wirtschaftsrecht
Corporate Governance auf der Blockchain. Alexander F. Wagner und Rolf H. Weber, SZW 1/2017, S. 59–70.
Die Blockchain-Technologie geht über Kryptowährungen wie Bitcoin hinaus. Sie ermöglicht eine sichere Kommunikation zwischen Maschinen innerhalb autonomer Organisationen und im Rahmen intelligenter Verträge. Dabei werden Blöcke von Transaktionen chronologisch aneinandergereiht. Die Technologie wird auch als Plattform für Aktionärsabstimmungen und zur Überarbeitung von Clearing- und Settlementsystemen verwendet. Für Juristen birgt sie Herausforderungen, etwa mit der Transparenz des Aktionariats durch die Nachverfolgbarkeit des Eigentums an Aktien.
Verfahrens- und Vollstreckungsrecht
Fallstricke des Replikrechts im Zivilprozess – eine Replik. Reto Hunsperger und Jodok Wicki, AJP 4/2017, S. 453–463.
Das Replikrecht sei nicht zu unterschätzen, vor allem im Zusammenhang mit der Novenschranke in Art. 229 ZPO, schreiben die beiden Rechtsanwälte. Ihr Beitrag zeigt Inhalt und Folgen dieses Zusammenhangs auf sowie die Entwicklung in Lehre und Rechtsprechung.
Europarecht
Übriges Europarecht
Die bilateralen Abkommen Schweiz–EU und die Übernahme von EU-Recht. Matthias Oesch, AJP 5/2017, S. 638–652.
Diverse bilaterale Abkommen zwischen der Schweiz und der EU reichen über Fragen der zwischenstaatlichen Zusammenarbeit und des gegenseitigen Marktzugangs hinaus und bezwecken die sektorielle Integration der Schweiz in den unionalen Rechtsraum. Der Beitrag skizziert die in den bilateralen Abkommen enthaltenen Regelungen zur Übernahme von EU-Recht und würdigt sie im Licht praktischer Beispiele kritisch. Besonderes Augenmerk legt der Autor auf die Frage, ob die demokratischen Rechte in der Schweiz respektiert werden. Eine tatsächliche Wahlfreiheit bestehe «zeitweise nur auf dem Papier».
Das Recht auf Familienzusammenführung nach Art. 8 EMRK in der Rechtsprechung des EGMR. Philip Czech, EuGRZ 2017, S. 229 ff.
Der Autor zeigt die ganze Breite der Entscheidungen des EGMR im Zusammenhang mit der Begründung eines Anspruchs auf Familiennachzug auf. Dabei leuchtet er die Entwicklung der Rechtsprechung sowohl bei den Kriterien der Interessenabwägung als auch bei den Anforderungen an die nationalen Verfahren (insbesondere die Begründungspflicht) aus.
Die Anwendung von Art. 5 Abs. 1 lit. a EMRK in Bezug auf die Berechnung der maximalen Dauer der Untersuchungshaft im türkischen Recht. Ece Göztepe, EuGRZ 2017, S. 221 ff.
Der Aufsatz behandelt die Problematik der Unterschreitung des nationalen Schutzstandards bei der Dauer der Untersuchungshaft durch Verweise auf die Rechtsprechung des EGMR, welche sich primär an einem Mindeststandard orientiert. Beim Auseinanderdriften der Schutzniveaus sollen die für den Betroffenen günstigsten Normen und Auslegungen zur Anwendung kommen müssen.