Verfassungsrecht

175 Jahre Bundesverfassung – eine Nachlese.

Stefan G. Schmid, ZBl 1/2024, S. 1 f.

2023 wurde der 175. Geburtstag der Bundesverfassung gefeiert. Der Autor erachtet es als bemerkenswert, dass sich der Bund in diesem Kontext engagierte, habe man in der Schweiz mit Verfassungsjubiläen doch immer etwas gefremdelt. Und er konstatiert, dass die Protagonisten, etwa der Berner Tagsatzungspräsident und Bundesrat UIrich Ochsenbein, im Vergleich dazu präsenter gewesen seien.

Auch sei der 12. September als Geburtstag, als «helve­tischer Constitution Day», verstärkt ins öffentliche Bewusstsein gerückt. Laut dem Verfasser des Beitrags sprechen gewichtige Argumente für einen Wechsel des Datums des Nationaltags – vom 1. August auf den 12. September.

Verwaltungsrecht

Lichtrecht – dunkle ­Vergangenheit, helle Zukunft?

Beatrix Schibli, ZBl 12/2023, S. 627 ff.

Im Zentrum des Beitrages stehen die Fragen, was gegen störendes Licht unternommen werden kann, ob es Vorschriften dazu gibt und inwiefern diese Schutz vor Licht gewähren. Denn künstliches Licht könne für den Menschen lästig oder gar schädlich sein. Der Beitrag beleuchtet die faktische und die recht­liche Ausgangslage im Zusammen­hang mit Lichtemissionen, zieht Vergleiche mit dem Lärmschutz und behandelt Lösungsansätze. Die Autorin schlägt eine Planungspflicht im Umweltschutzgesetz vor, womit Rechtssicherheit, Gewährung von Rechtsgleichheit und Konfliktprävention verbessert werden könnten.

Sozialversicherungsrecht

AHV, IV, EL und ALV

Das Dreiecksverhältnis zwischen Invalidenversicherung, Leistungserbringer und ver­sicherter Person.

PatrickFässler, SZS 6/2023, S. 281 ff.

Die IV erbringt neben Geld- auch diverse Naturalleistungen, so etwa bei der Eingliederung, im medizinischen Bereich und bei der Unterstützung mit Hilfsmitteln. Dabei schliesst die IV den Vertrag mit den Leistungserbringern selbst – die Versicherten sind nur Empfänger der Leistung. Sie haben keine eigenen vertraglichen Schadenersatz- und Gewährleistungsansprüche. Der Autor beleuchtet dieses Dreiecksverhältnis und zeigt Wege auf, wie die Versicherten einen Schadenersatz­anspruch gegenüber der IV selbst durchsetzen können auf Grundlage der Verantwortlichkeit nach Artikel 78 Absatz 1 ATSG.

Strafrecht

Allgemeiner Teil

Die Medienberichterstattung als Strafmilderungsgrund.

Edy Salmina, Forum poenale 6/2023, S. 464 ff.

Die Digitalisierung haben die Medien mit einer nie da gewesenen Geschwindigkeit und Reichweite ausgestattet, schreibt der Autor einleitend. Dies habe auch den «Pranger» technologisch weiterentwickelt. In der Folge thematisiert der Autor die Wirkung der medialen Vorverurteilung. Sein Fazit: Medienberichterstattung könne zu einer Strafmilderung führen. Das Bundesgericht anerkenne dies seit langem, «doch stellt sich die Frage, ob es diesbezüglich bisher nicht allzu restriktiv argumentiert hat».

Besonderer Teil

Ist das Versenden von «Dick Pics» strafbar?

Marc Thommen, Marvin Stark, Sui generis, 2024, S. 1 ff.

Die Autoren untersuchen, ob das Versenden von Penisbildern geahndet werden kann. Sie prüfen eine Strafbarkeit bezüglich nach Artikel 194 StGB (Exhibitionismus), Artikel 197 StGB (Pornografie) und Artikel 198 StGB (sexuelle Be­lästigung). Fazit: Nach aktuellem Sexualstrafrecht ist das ­Versenden unerwünschter Penisbilder straf­los. Der Pornografie-Artikel etwa greife in den meisten Fällen nicht, weil viele Penisbildern nicht pornografische, sondern rein anatomische Abbildungen seien.

Und der Straftatbestand der sexuellen Belästigung scheitere daran, dass keine der Tatvarianten auf das Versenden von Bildern zugeschnitten ist. Mit der Revision des Sexualstrafrechts ändere sich Letzteres zwar, so die Autoren. Solange aber «das Bundesgericht in seiner Rechtsprechung zur zeitlichen Unmittelbarkeit festhält, fällt auch die Mehrzahl unerwünschter Dick Pics auch künftig nicht unter den Tatbestand».

Privatrecht

Familienrecht

Unterhaltsrecht in Fort­setzungsfamilien.

Tanja Coskun-­Ivanovic, FamPra.ch 4/2023, S. 847 ff.

In immer mehr Haushalten leben ein Eltern- und ein Stiefelternteil mit ihren Kindern und deren Halb- und Stiefgeschwistern. Das führt häufig zu Auseinandersetzungen über die Unterhaltsansprüche der Kernfamilie. Die Autorin erläutert die Besonderheiten bei der Berechnung des Familien- und Kindesunterhalts sowie des nach­ehelichen Unterhalts. Zudem thematisiert sie die stiefelterliche ­Beistandspflicht und deren Auswirkung auf die Berechnung der verschiedenen Unterhaltspflichten.

Praxisfragen zur Überschussverteilung.

Stefanie Altaus, ­Simon Mettler, FamPra.ch 4/2023, S. 873 ff.

Seit dem BGE 147 III 265 gilt für alle familienrechtlichen Unterhaltsarten die zweistufige Unterhaltsberechnung. Die Autoren ­erläutern, wie der geschuldete Unterhalt ermittelt und ein allfälliger Überschuss verteilt wird.

Erbrecht

Zur Positionierung der ­Unterschrift beim eigen­händigen Testament – Besprechung von BGer, 5A133/2023 vom 19.7.2023.

Suzan Can, AJP 1/2024, S. 55 ff.

Im diskutierten Entscheid verfasste die Erblasserin das Testament zwar handschriftlich, brachte aber keine Unterschrift an und schrieb nur ihren Namen auf das Couvert. Das Bundesgericht beurteilt das Testament wegen des Formmangels als ungültig. Die Autorin ­kritisiert die formelle Strenge des ­Gerichts. Die Formvorschriften mögen zwar Rechtssicherheit bieten. Demgegenüber würden sie ihrer Ansicht nach in den meisten Fällen aber zu einem Ergebnis führen, das nicht dem Willen des Erblassers entsprechen.

Sachenrecht

Rechtsprechung und ­aus­gewählte Rechts­fragen 2023. ­

Roland Pfäffli, Der Bernische Notar 4/2023, S. 133 ff.

Überblick über die Rechtsprechung und die Rechtsanpassungen betreffend ZGB, OR, Grundbuchrecht, Abgaberecht und weitere Gebiete, soweit sie für die notarielle und grundbuchliche Praxis von Relevanz sind.

Obligationenrecht

Le contrat d’entreprise en ­période d’inflation.

Vinzenz Perrita, SJZ 23/2023, S. 1147 ff.

Der ausserordentliche Anstieg der Baukosten seit 2020 hat die Bauwelt vor vielfältige Probleme gestellt. Angesichts der prekären Situation forderten die Unternehmen sehr häufig eine Erhöhung von vereinbarten Festpreisen für Bauwerke, um das vertragliche Gleichgewicht wiederher­zustellen. Zudem passten sie ihre Vertragspraxis an, indem neue Vertragsklauseln zur Preisindexierung entsprechend den Baukostenentwicklungen formuliert wurden. Der Autor analysiert die Auswirkungen dieser neueren Vertragspraxis auf den Festpreis des Bauwerks.

Arbeitsrecht

Urteilsbesprechung: Anordnung des Ferienbezugs während der Kündigungsfrist,

Urteil Ober­gericht Zürich vom 2.2.2023 (LA220006-O/U), Matthias Meier, ARV 3/2023, S. 236 ff.

Der Autor erläutert das obergerichtliche Urteil aus Zürich zur Bar­abgeltung von Ferientagen. Die Arbeitgeberin hatte dem Arbeitnehmer gekündigt, hatte es aber versäumt, diesen rechtzeitig anzuweisen, die restlichen Ferientage zu beziehen. Somit durfte der Arbeitnehmer zu Recht verlangen, dass ihm der Ferienanspruch in bar abgegolten werde. Der Autor stimmt dem Ergebnis zu und zeigt auf, in welchen Konstellationen die Arbeitgeberin sich eine Bar­abgeltung nicht entgegenhalten lassen muss.

Agenturen für die Live-in-­Betreuung – Intransparenz im Dreiecksverhältnis und darauf basierende Vertragsgestaltung.

Isabelle Wildhaber, Luise ­Locher, AJP 1/2024, S. 3 ff.

Live-ins betreuen gebrechliche Menschen zu Hause. Sie wohnen bei der zu betreuenden Person, kümmern sich um Haushalt und Körperpflege. Oft werden die Angestellten über Agenturen vermittelt. Die Autorinnen bieten einen Überblick über den Regulierungs­dschungel dieses Dreiecksverhältnisses, bei dem ­die Regeln des Arbeitsvertrags, des ­Ar­beitsgesetzes und des Arbeitsvermittlungsgesetzes sowie Normalarbeitsverträge und der  allgemeinverbindliche Gesamtarbeitsvertrag entscheidend sind. Die Autorinnen befürworten einheitliche Regeln für alle Betreuerinnen.  

Übriges Vertragsrecht

Haftung für Nachhaltigkeits­informationen.

Valentin Jentsch, Syra Angliker, Recht 4/2023, S. 213 ff.

Was gilt, wenn eine Firma ihr Produkt umweltfreundlicher darstellt, als es ist? Ist die Anpreisung nicht vage, sondern eine ernsthafte Behauptung, liegt unter Umständen eine zugesicherte Eigenschaft vor. Falls sich später herausstellt, dass die ­Eigenschaft fehlt, kann der Konsument nach Ansicht der Autoren eine Preisminderung oder die Wandelung des Vertrags verlangen.

Handels- und Wirtschaftsrecht

Gesellschaftsrecht

Bilanzanalyse zur Erkennung von Unternehmenskrisen.

Reto Brunner, Benjamin Rutz, Uljana Figura. ZZZ 64/2023, S. 369 ff.

Der Verwaltungsrat muss bei drohender Zahlungsunfähigkeit oder bei einer Überschuldung handeln, sonst macht er sich haftbar. Die Autoren zeigen anhand von Anhaltspunkten bei der Erfolgsrechnung, der Bilanz und der Geldflussrechnung, wie sich finanzielle Krisen rechtzeitig erkennen lassen.

Immaterialgüterrecht

Baustopp wegen urheberrechtlicher Ansprüche.

Sibylle Wenger Berger, Baurecht 6/2023, S. 324 ff.

In der Regel wird vertraglich vereinbart, dass die Rechte des Architekten mit der Honorarzahlung auf die Bauherrschaft übergehen. Anhand eines Falles untersucht die Autorin die urheberrechtlichen Aspekte im Zusammenhang mit Architektenverträgen. Dabei beleuchtet sie die Fragen, wann ein Bauwerk urheberrechtlich geschützt ist, welche Ansprüche entstehen, welche Rechte der Bauherrschaft übertragen werden und ob mit der Fortsetzung der Bauarbeiten nicht wiedergutzumachender Nachteil entstehen kann.

Bank- und Börsenrecht

Abschreibung der AT1-­Anleihen der Credit Suisse: ­zulässig?

Philipp H. Haberbeck, AJP 12/2023, S. 1349 ff.

Im März 2023 schrieb die CS auf Anweisung der Finma AT1-Anleihen im Wert von 16 Milliarden Franken ab. Der Autor kommt zum Schluss, dass die Abschreibung unzulässig war. Begründung: Die CS habe die Anforderungen an die Kapitalausstattung stets erfüllt. Zudem sei die mit Notrecht eingeführte Kompetenz der Finma, die Abschreibungen des Kernkapitals anzuordnen, verfassungswidrig gewesen.

Finanzmarktaufsicht zwischen Macht und Ohnmacht.

David Wyss, SZW 6/2023, S. 623 ff.

2016 verlangte die Finma von der Postfinance eine Erhöhung der ­Eigenmittel um 270 Millionen Franken. Dagegen wehrt sich die Postfinance vor Bundesgericht. Der Autor zeigt die Schwächen des Verwaltungsverfahrens auf und fordert ein ­verwaltungsrechtliches Sonderverfahren für vorausschauende Aufsichtsverfügungen der Finma.

Zur Genehmigungsfiktion in den Banken-AGB – eine ­kritische Auseinandersetzung mit der bundesgerichtlichen Rechtsprechung.

Tobias ­Aggteleky, Robin Grand, SZW 6/2023, S. 661 ff.

Die Autoren analysieren die Rechtsprechung des Bundesgerichts zur Genehmigungsfiktion in den Banken-AGB beim Kontokorrent und bei Anlageaufträgen. Genehmigungsfiktionsklauseln in AGB seien entgegen der Ansicht des Bundesgerichts unzulässig, da den Bankkunden keine Prüf- und Rügepflicht mit Verwirkungsfolgen treffe. Falls man von der Zulässigkeit ausgehe, sollte eine Einschränkung der Genehmigungsfiktion über das Vertrauensprinzip und nicht über das Rechtsmissbrauchsverbot erfolgen, da dieses zu einer Umkehr der Beweislast zulasten des Kunden führe.

Verfahrens- und Vollstreckungsrecht

Strafprozessrecht

Die revidierte StPO tritt am 1. Januar in Kraft.

Dario Marzo­rati, Fabienne Schaub, Pestalozzilaw.com, 7.12.2023

Der Beitrag fokussiert vor allem auf Aspekte der StPO-Revision, die für die wirtschaftsrechtliche Praxis relevant sind, und nimmt auch Bezug auf die in der politischen Debatte diskutierten Neuerungen, die letztlich nicht Eingang ins Gesetz fanden – etwa die Beschränkung der Teilnahme­rechte der Beschuldigten. Die Neu­erungen bezüglich der Zivilklage – unter anderem frühere ­Bezifferung und Begründung, Entscheidkompetenz der Staatsanwaltschaften bis zu einem Betrag von 30 000 Franken – werden von den Autoren begrüsst.

Sie fügen jedoch an, dass sich Gerichte gerade bei wirtschaftsstrafrechtlichen Delikten grosse Zurück­haltung in der Beurteilung von Zivilforderungen auferlegen, und werfen die Frage auf, ob Staats­anwaltschaften mit derselben Zurückhaltung agieren werden. Was die bei White-Collar-Strafverfahren relevante Siegelung betrifft, glauben die Autoren, dass die re­vi­dierte StPO der Verteidigung durch «äusserst sportliche Fristen und Rückzugsfiktionen» die Siegelung erschweren wolle.

E-Mails als Beweismittel im Strafverfahren.

Sean Heneghan, Valentina Mele, Yasmine Müller, Wolfgang Wohlers, AJP 12/2023, S. 1381 ff.

Wertvolle Übersicht über die Regeln, wie E-Mails den Weg in die Strafakten finden, und die Verteidigungsrechte der Beschuldigten.

Zivilprozessrecht

Stolpersteine im Schlichtungsverfahren.

Philip Carr, ZZZ 64/2023, S. 342 ff.

50 bis 80 Prozent der Zivilstreitigkeiten können im Schlichtungsverfahren erledigt werden. Der Gesetzgeber hat die formellen Hürden in diesem Verfahren tief angesetzt. Der Autor, selbst Schlichter am Zivilgericht Basel-­Stadt, erläutert mögliche Stolpersteine – zum Beispiel bei der Vertretung, der Klageänderung, der Widerklage oder beim Rückzug des Schlichtungsgesuchs.

Anwaltsrecht

Aktuelle Fragen zum Datenschutz in bernischen Anwaltskanzleien.

Daniel Kettiger, In dubio 4/2023, S. 170 ff.

Der Beitrag informiert Anwältinnen und Anwälte über die Pflichten und Möglichkeiten, wie sie ihre Kanzlei konform mit dem Datenschutzgesetz führen können – nicht nur für Kanzleien im Kanton Bern.

Schuldbetreibungs- und Konkursrecht

De lege lata et ferenda.

Philipp Weber, ZZZ 64/2023 S. 379 ff.

In keinem anderen Rechtsgebiet gibt es so häufig Änderungen wie beim SchKG. Der Autor gibt einen kurzen Überblick über die Neuerungen und die laufenden Projekte – jeweils mit dem Hinweis, wann das neue Recht in Kraft tritt respektive wann bei hängigen Projekten der nächste Schritt zu erwarten ist.