Verfassungsrecht
Grundrechte
Klimaschutz mittels Richterrecht? Jetzt erst recht nicht! Petter Hettich, ZBl 9/2021, S. 477 f.
Die Überschrift des Textes zeigt: Der Autor ist in der Frage, welche Rolle die Rechtsprechung in Sachen Klimaschutz einnehmen soll, eindeutig positioniert. Da überrascht es nicht, dass er das Urteil des deutschen Bundesverfassungsgerichts kritisiert, wonach das Grundgesetz eine «objektivrechtliche Schutzverpflichtung auch in Bezug auf künftige Generationen» enthalte. Anerkennung zollt er hingegen dem US Court of Appeals for the 9th Circuit, der «junge Aktivisten trotz medialem Druck verfahrensrechtlich abweist». Auch das Bundesgericht habe in einem jüngeren Entscheid auf demokratische Mitwirkungsmöglichkeiten verwiesen. Der Autor stimmt zu: «Gerichte haben kein Mandat zur Verwirklichung eigener Idealvorstellungen von guter Politik.»
Übriges Verfassungsrecht
Das Notrecht des Bundesrates bei der Bekämpfung von Epidemien. Juliette Frésard, Jusletter vom 23.8.2021.
Der Beitrag leuchtet ausgewählte Aspekte der Notrechtspraxis des Bundesrats im Rahmen der Coronapandemie aus und legt besonderen Fokus auf das Zusammenwirken von Art. 185 Abs. 3 BV und Art. 7 Epidemiegesetz. Schliesslich schlägt die Autorin mögliche Anpassungen an die Rechtslage vor und zeigt auf, welche Lehren aus den Geschehnissen zu ziehen sind.
Die Internationale Juristenkommission und ihr Einsatz für die richterliche Unabhängigkeit. Susanne Leuzinger, in: «Justice – Justiz – Giustizia» 2021/2.
Die Altbundesrichterin porträtiert in diesem Beitrag die Internationale Juristenkommission und ihren Einsatz für die richterliche Unabhängigkeit weltweit.
Verwaltungsrecht
Ausländer- und Asylrecht
Integration und Einbürgerung von geflüchteten Personen: Der Integrationsparcours als Hindernis für eine dauerhafte Lösung. Barbara von Rütte, Asyl 3/2021, S. 17 ff.
Die Autorin zeigt Diskrepanzen zwischen den völkerrechtlichen Verpflichtungen der Schweiz und dem Schweizer Bürgerrecht auf. Sie thematisiert, dass Integration im Migrationsrecht als einseitige Verpflichtung der ausländischen Bevölkerung gesehen wird, die gerade für vorläufig Aufgenommene schwierig zu erfüllen ist.
Baurecht
Dienstbarkeiten im Baubewilligungsverfahren – gängige Praxis und mögliche Optimierung. Sacha Vallati, Baurecht 2021, S. 177 ff.
Dienstbarkeiten als zivilrechtliche Institute sind unter Umständen auch im Rahmen von Baubewilligungsverfahren relevant. Der Autor erläutert die Schwierigkeiten im Spannungsfeld von zivil- und verwaltungsrechtlichen Verfahren. Daraus entspringt der innovative Vorschlag eines Dienstbarkeits-Bereinigungsverfahrens, das zur Verminderung von Verwaltungs- und Zivilprozessen de lege ferenda in die kantonalen Baubewilligungsverfahren integriert werden könnte.
Mobilfunk – eine rechtliche Standortbestimmung. Diverse Autoren, Tagungsheft zur Tagung vom 2. Dezember 2020, URP 2/2021, 112 ff.
Gehaltvolle Abhandlungen zur Risikobewertung (Michael Siegrist, 111 ff.), zur Gesundheitsgefährdungsabschätzung (Martin Röösli, S. 117 ff.), zur technologiefreundlichen Auslegung des Vorsorgeprinzips (Risk-Based Approach, Joel Drittenbass, S. 134), zum Verhältnis von Bundesumweltrecht, Raumplanungs- und Baurecht, insbesondere Bauverfahrensrecht (Alexander Rey, 153 ff.) sowie zur Rechtsprechung zur Mobilfunkstrahlung (Danielle Breitenbücher, S. 180).
Umweltrecht
Zur rechtlichen Tragweite bestehender und künftiger Verfassungsnormen, welche der Erhaltung und Förderung der Biodiversität dienen, für die Landwirtschaftsgesetzgebung. Heribert Rausch, URP 3/2021, S. 197 ff.
Der Autor kommt zum Schluss: «Der Bundesgesetzgeber steht sowohl völkerrechtlich wie verfassungsrechtlich in der Pflicht, den Schutz der Biodiversität in jedem einschlägigen Sachbereich voranzutreiben, also auch im Landwirtschaftssektor.» Eine andere Frage sei, ob der Gesetzgeber willens sei, das Gebotene zu tun.
La protection des biotopes dans la zone à bâtir – Commentaire des arrêts du Tribunal fédéral 1C_126/2020 du 15 février 2021 et 1C_653/2019 du 15 décembre 2020. Thierry Largey, URP 4/2021, 356 ff.
Besprechung von zwei Urteilen, die eine unmittelbare Anwendbarkeit der bundesrechtlichen Vorschriften zum Biotopschutz (insb. Art. 18 NHG) auch innerhalb der Bauzone bestätigen.
Steuerrecht
Steuerliche Abzugsfähigkeit von Rechtsvertretungs- und Gerichtskosten. Artur Terekhov, Jusletter vom 2.8.2021
Ungeachtet einer expliziten gesetzlichen Normierung müssen Rechtsvertretungs- und Gerichtskosten zum Steuerabzug zugelassen werden, wenn ihnen konkrete Einkünfte gegenüberstehen. Doch auch erfolglose Prozesse oder aussergerichtliche Vergleichsverhandlungen berechtigten laut Autor zum Abzug, weil auch Fehlinvestitionen als Gewinnungskosten qualifiziert werden können.»
Übriges Verwaltungsrecht
Leistungsortsprinzip und Herkunftsortsprinzip: Differenzen zwischen dem neuen Beschaffungsrecht und dem Binnenmarktrecht? Pandora Kunz-Notter, Baurecht 2021, S. 129 ff.
Die Einhaltung von Arbeitsschutzbestimmungen und Arbeitsbedingungen ist Grundvoraussetzung für eine Teilnahme am Vergabeverfahren. Im Zuge der Revision des Beschaffungsrechts war umstritten, ob bei einer Leistungserbringung in der Schweiz die Bedingungen am Ort der Leistung (Leistungsortsprinzip) oder jene am Sitz- oder Niederlassungsort der – inländischen – Anbieter (Herkunftsortsprinzip) massgebend sein sollen. Die Autorin zeigt auf, wie die neuen Bestimmungen im Verhältnis zu den Vorgaben im Binnenmarktrecht stehen.
Der Einsatz von Bodycams bei der Polizei. Patrik Manzoni, Tagungsband der Schweizerischen Arbeitsgruppe für Kriminologie, Band 38, S. 43 ff.
Der Aufsatz präsentiert die Ergebnisse einer kürzlich durchgeführten experimentellen Studie des Einsatzes von Bodycams bei der Stadtpolizei Zürich. Nach den Streifgängen bzw. -fahrten hatten die Einsatzteams Kurzfragebögen auszufüllen. Zudem wurden Befragungen von Gewerbetreibenden durchgeführt. Die Studie zeigt, dass eine Mehrheit der Polizisten Bodycams begrüsst. Laut Studie haben Bodycams keinen signifikanten Einfluss auf das Gewaltaufkommen. Manche Ergebnisse deuten aber auf eine deeskalative Wirkung hin.
Im Windschatten von Justitia 4.0 zum digitalen Bundesverwaltungsverfahren? Christian Meyer, SJZ 2021, S. 855 ff.
Nachdem sich elektronische Verfahren bislang nicht durchgesetzt haben, wird nun im Zusammenhang mit dem E-Justice-Projekt Justitia 4.0 auch die Digitalisierung des Bundesverwaltungsverfahrens vorangetrieben. Die Vernehmlassung zu einem entsprechenden Vorentwurf des VwVG wurde im Frühjahr 2021 abgeschlossen. Die zentralen verfahrensrechtlichen Probleme, die sich mit der Digitalisierung des VwVG stellen, werden mit dieser Revision zwar angegangen, doch orientieren sie sich zu stark an den Lösungen für die E-Justice. Verfahrensrechtliche Besonderheiten sowie Verwaltungsverfahrens- und Organisationsrecht werden noch ungenügend berücksichtigt.
Strafrecht
Besonderer Teil
Ehrverletzungen im Internet – insbesondere auf Facebook. Christof Riedo und Robin Beglinger, AJP 10/2021, S. 1249 ff.
Im Zeitalter der Digitalisierung verlagert sich die Kommunikation immer mehr in den virtuellen Raum. Das gilt auch für strafrechtlich relevante Ehrverletzungen. Die Autoren zeigen auf, weshalb der Versuch, auf entsprechende Sachverhalte traditionelle Konzepte anzuwenden, oft etliche Schwierigkeiten mit sich bringt.
Privatrecht
Erbrecht
Neues Erbrecht – neue Gestaltungsspielräume. Alexandra Jungo, Raphael Dummermuth, Der Bernische Notar 3/2021, S. 181 ff.
Guter Überblick über die Neuerungen im revidierten Erbrecht und den resultierenden Gestaltungsspielraum bei nichtklassischen Familienkonstellationen.
Die Revision des internationalen Erbrechts – Bestandesaufnahme und Postulat. Raphael Dummermuth, Successio 1/2021, S. 73 ff.
Hauptziel der Revision ist eine Anpassung an die Rechtsentwicklungen in der Europäischen Union. Der Autor überprüft die Revisionsarbeiten auf ihre Wirksamkeit. Ebenso besprochen wird die Möglichkeit, das internationale Erbrecht mit der EU staatsvertraglich zu regeln.
Sachenrecht
Notarielle Berufspflichten, insbesondere Rechtsbelehrung im Zusammenhang mit der Eigentumsübertragung an Grundstücken. Stephan Wolf, Der Bernische Notar 3/2021, S. 207 ff.
Interessante Ausführungen zur Gestaltung der öffentlichen Urkunde vor allem bei Grundstückkaufverträgen und den Rechtsbelehrungspflichten, die sich aus dem öffentlichen Recht ergeben.
Dienstbarkeiten als Bauverhinderer und Rückbau von dienstbarkeitswidrigen Bauten. Sacha Vallati, Der Bernische Notar 3/2021, S. 226 ff.
Zusammenfassung der aktuellen Lehre und Rechtsprechung zur zivilrechtlichen Rechtsdurchsetzung bei Bauvorhaben, die öffentlich-rechtlich bewilligt werden (sollen), aber gegen bestehende zivilrechtliche Dienstbarkeiten verstossen.
Arbeitsrecht
Uber-Pop-Fahrer und Uber-Eats-Kuriere sind Arbeitnehmer. Kurt Pärli, Zeitschrift für Arbeitsrecht und Arbeitslosenversicherung 2/2021, S. 103 ff.
Der Autor bespricht zwei Urteile aus der Westschweiz: Beide Male bestritt der Tech-Gigant Uber, dass er Verantwortung als Arbeitgeber trage. Das Kantonsgericht Waadt erkannte aber, dass Fahrer, die ihre Dienstleistung auf der Uber-Plattform anbieten, sich diversen organisatorischen Massnahmen und einer umfassenden Kontrolle unterwerfen und somit Arbeitnehmer sind. Auch das Verwaltungsgericht Genf kam zum Schluss, dass Kurierdienste, die über Uber Eats abgerufen werden, als Arbeitsverhältnisse gelten – womit auch das Arbeitsvermittlungsgesetz anzuwenden ist.
Betreuungs- und Vaterschaftsurlaub, Die neuen Regelungen im OR, ArG und EOG. Kurt Pärli und Oliver Kläusler, SZS 4/2021, S. 186 ff.
Der Beitrag nimmt eine hilfreiche erste Kommentierung der 2021 neu eingeführten rechtlichen Ansprüche zur Vereinbarung von Beruf und Familie vor. Die Autoren zeichnen die verschiedenen Rechtsgrundlagen im Arbeitsvertragsrecht (OR), Arbeitsgesetz (ArG) und Erwerbsersatzgesetz (EOG) und ihr Zusammenwirken auf. Das OR gewährt die arbeitsfreie Zeit, das EOG den Anspruch auf Entschädigung.
Verletzung arbeitsrechtlicher Vorschriften als Compliance-Risiko. Christoph Senti, Jusletter vom 6.9.2021.
Gesamtarbeitsverträge enthalten eine Vielzahl von Mindestvorschriften, die durch die betreffenden Unternehmen einzuhalten sind. Dies ist in der Praxis nicht immer einfach. Aufgabe des Compliance Managements ist es, präventiv die Einhaltung solcher Mindestvorschriften sicherzustellen. Christoph Senti beschäftigt sich mit diversen rechtlichen Fragen, die sich im praktischen Alltag und insbesondere bei Lohnbuchkontrollen jeweils stellen.
Übriges Vertragsrecht
Verkorkste Beweislastverteilung bei Obliegenheitsverletzung nach dem neuen Artikel 45 VVG. Walter Fellmann, Have 3/2021, S. 231 ff.
Nach dem revidierten Art. 45 Abs. 1 lit. b VVG tritt der mit der Verletzung einer Obliegenheit verbundene Rechtsnachteil nicht ein, wenn der Versicherungsnehmer nachweist, dass die Verletzung keinen Einfluss auf den Umfang der vom Versicherer geschuldeten Leistungen hatte. Im Ergebnis geht es laut Autor beim vom Versicherungsnehmer geforderten (negativen) Kausalitätsbeweis gar nicht um den (fehlenden) Kausalzusammenhang, sondern um Behauptung und Beweis, dass kein Mehraufwand entstanden ist. Fellmann zeigt auf, dass der Versicherte diesen Beweis aber gar nicht antreten kann, ohne die Wirkung der Obliegenheitsverletzung, also den Mehraufwand des Versicherers, zu kennen.
Handels- und Wirtschaftsrecht
Gesellschaftsrecht
Gegenvorschlag zur Konzernverantwortungsinitiative und Unternehmenshaftung. Karl Hofstetter, SJZ 2021, S. 571 ff.
Der Beitrag analysiert die voraussichtlich am 1. Januar 2022 in Kraft tretenden Bestimmungen des indirekten Gegenvorschlags zur Konzernverantwortungsinitiative und die dazu in Vernehmlassung geschickte Verordnung des Bundesrats. Er konzentriert sich auf Haftungsrisiken für Unternehmen und kommt zum Schluss, solche Risiken seien real, vor allem aufgrund der detaillierten Sorgfaltspflichten im Bereich Konfliktmineralien und Kinderarbeit. Dies liege vor allem daran, dass die detaillierten Sorgfalts- und Berichterstattungspflichten mit haftungsrechtlichen Auswirkungen für betroffene Unternehmen verbunden sein können.
Verfahrens- und Vollstreckungsrecht
Zivilprozessrecht
Klagen auf Verwandtenunterstützung gemäss Art. 328 f. ZGB. Klärungsbedürftige Fragen im Rahmen der zurzeit hängigen ZPO-Revision. Thomas Koller, Jusletter vom 6.9.2021.
Der Autor geht der Frage nach, ob die in der anstehenden ZPO-Revision vorgesehenen Anpassungen betreffend Kindesunterhaltsprozesse tatsächlich auch auf Klagen auf Verwandtenunterstützung gemäss Art. 328 f. ZGB Anwendung finden sollten. Anlass dazu bietet die Botschaft des Bundesrats zur Revision, in welcher auf eine entsprechende Anwendbarkeit der neuen Regelung hingewiesen wird.
Konkurrenz für die internationale Schiedsgerichtsbarkeit? Wirtschaftsmediation, internationale Handelsgerichte und hybride Verfahren. Daniel Girsberger, Anwaltsrevue 8/2021, S. 327 ff.
Der Autor zeigt in seinem Beitrag auf, wie bei internationalen Streitfällen die Schiedsgerichtsbarkeit immer mehr Konkurrenz erhält, unter anderem durch internationale Handelsgerichte, die die Vorteile staatlicher Gerichtsbarkeit und der Schiedsgerichtsbarkeit miteinander kombinieren.