Aus einer Reihe von Vorschlägen der Plädoyer-Leserschaft für das «Fehlurteil 2009»hat die Jury den Entscheid des Bundesgerichts über einen Anwaltshonorstreit zum Sieger gekürt. Insgesamt fünf Urteile standen in der engsten Wahl. Die Jury:Brigitte Tag, Professorin für Straf- und Strafprozessrecht in Zürich, Thomas Gächter, Ordinarius für Staats-, Verwaltungs- und Sozialversicherungsrecht in Zürich, und Thomas Sutter-Somm, Professor für Zivil- und Zivilprozessrecht in Basel. Der Entscheid fiel einstimmig auf das Urteil 4A_561/2008 vom 9. Februar 2009 (BGE 135 III 259 und Pra 2009 Nr. 87) der I. zivilrechtlichen Abteilung. Ein Genfer Anwalt hatte nach erfolgreichem Abschluss des Mandats eine Honorarrechnung von 2,1 Millionen Franken gestellt. Und die früheren Rechnungn von 600000 Franken als Akontozahlungen dargestellt. Die Richter in Lausanne hielten dies für zulässig. Denn es widerspreche Bundesrecht nicht, bei der Festlegung des Honorars dem anwaltlichen Ergebnis Rechnung zu tragen. Dies sieht die plädoyer-Jury anders.
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Der Anwalt berechnete sein Schluss-Honorar unter Hinweis auf Artikel 34 des Genfer Anwaltsgesetzes.
Thomas Gächter erachtet den Entscheid des Bundesgerichts als «absolut stossend». Das Verhalten des Anwaltes sei vertragsrechtlich nicht haltbar. Dies habe das Bundesgericht nicht eingehend genug geprüft. Auch die Sittenwidrigkeit des Honorars sei nur oberflächlich überprüft worden. Brigitte Tag teilt diese Ansicht und meint: «Dieser Entscheid ist sehr speziell.»
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Thomas Sutter-Somm überlegte sich die Konsequenzen des Entscheids für die Klienten: «Wenn das Beispiel Schule macht und ein Anwalt in Zukunft sein Honorar nach Gutdünken im Nachhinein erhöhen kann, ist das für die Mandanten katastrophal». Er empfiehlt die exzellente Analyse von Daniel Schwander in der ZBJV 8/2009 zur Lektüre. Schwander kritisiert den Entscheid und vor allem die juristische Beurteilung durch das Bundesgericht ebenfalls. Dieses stütze sich allein auf das Genfer Anwaltsgesetz, obwohl seiner Ansicht nach auch das Schweizerische Anwaltsgesetz (BGFA) relevant gewesen wäre. Dieses verbiete dem Anwalt die Vereinbarung eines Erfolgshonorares. Daher könne das Genfer Gesetz keine solch einseitige Ermächtigung vorsehen. Weiter sei das Bundesgericht im konkreten Fall zu Unrecht davon ausgegangen, dass zwischen Anwalt und Mandant keine Honorarvereinbarung bestanden habe. Auch andere Aspekte seien unberücksichtigt geblieben.
Die Jury kritisierte ganz allgemein die mangelnde Sorgfalt des höchsten Gerichtes bei der Begründung dieses Entscheids. Die Aussicht, dass nach diesem Urteil ein erfolgreicher Anwalt sein Honorar einseitig erhöhen darf, wenn er keine Honorarvereinbarung getroffen hat, liess die Plädoyer-Jury erschaudern.
Weitere Kandidaten für das Fehlurteil:
Verbotene Pornografie Download gilt laut Bundesgericht weiter als «Herstellung».
(6B_289/2009 vom 16. September 2009)
Verratene UBS-Kunden Im Steuerstreit mit den USA wurde das Bankgeheimnis aufgegeben.
(Bundesverwaltungsgericht A-7342/2008 und A-7426/2008 { T 0/2}vom 5. März 2009)
Teure Teilklagen Streit um Obergerichtsgebühren (Kanton Zürich). Die Bestimmung unterscheidet zwischen dem eingeklagten Streitwert und den tatsächlich im Streit liegenden Interessen, wobei der höhere der beiden Werte für die Bemessung der Gebühr massgeblich ist. Sie wird kaum je zur Anwendung kommen, wenn sie verfassungsmässig ausgelegt wird.
(2C_110/2009 vom 3. April 2009)
Zulässige Videoüberwachung Das Bundesgericht hat in einem Strafverfahren heimliche Videoaufnahmen zum Beweis zugelassen.
(6B_536/2009 vom 12. November 2009)