Der Richter oder Staatsanwalt kann mit Zustimmung des Verurteilten bis 90 Tage gemeinnützige Arbeit anordnen - anstelle einer Freiheitsstrafe von weniger als sechs Monaten oder einer Geldstrafe bis zu 180 Tagessätzen. Gemeinnützige Arbeit ist nach geltendem Recht eine eigenständige Strafe.
Der entsprechende Artikel 37 des Schweizerischen Strafgesetzbuchs ist auf Anfang 2007 in Kraft getreten. Doch bereits soll der Gesetzesartikel revidiert werden. Nach der Botschaft des Bundesrats zum Allgemeinen Teil des Strafgesetzbuchs vom 4. April dieses Jahres soll die gemeinnützige Arbeit wieder wie früher zu einer Vollzugsform werden und die Kompetenz zur Anordnung von der richterlichen Behörde auf die Vollzugsbehörde wechseln.
Bedenken gegen Übertragung an den Vollzug
Vollzugsform oder eigenständige Strafe - das ist nicht nur eine terminologische Frage. Strafverteidiger Martin Kubli in Zürich befürchtet, die Verteidigungsrechte würden gefährdet, wenn der Entscheid für oder gegen das Verbüssen der Strafe durch gemeinnützige Arbeit erst im Vollzugsverfahren gefällt wird. Zu diesem Zeitpunkt stehe ein Verteidiger meistens nicht mehr in Kontakt mit seinem Klienten, der Betroffene sei auf sich gestellt. Im Gerichtsverfahren aber könne der Anwalt dem Richter alle Argumente für die optimale Strafe darlegen.
Neue Regelung bei abgebrochenem Einsatz
Demgegenüber befürwortet Peter Inglin vom Amt für Justizvollzug des Kantons Zürich die Änderung: Oft verliere der Verurteilte in den Monaten vom Urteil bis zur Aufnahme der Tätigkeit die Motivation. Oder die persönliche Situation habe sich geändert, und es bleibe neben der regulären Tätigkeit keine Kapazität für gemeinnützige Arbeit. Trete der Verurteilte die gemeinnützige Arbeit nicht an oder breche er sie ab, müsse nach heutigem Recht die Sache zurück an den Richter, um die Strafe in eine Geld- oder Freiheitsstrafe umzuwandeln.
Für alle Entscheide zur gemeinnützigen Arbeit soll nach dem Willen des Bundesrats künftig einzig die Vollzugsbehörde zuständig sein. Sie wird nach dem richterlichen Urteil aufgrund eines allfälligen Gesuchs des Verurteilten erlauben, eine Freiheits- oder Geldstrafe in Form von gemeinnütziger Arbeit zu verbüssen. Nach einem neuen Artikel 79a Absatz 4 des Strafgesetzbuchs setzt sie dem Betroffenen eine Frist für die Absolvierung des Einsatzes an. Erbringt er seinen Arbeitseinsatz trotz Mahnung nicht innert dieser Zeitspanne und entsprechend den festgelegten Auflagen und Bedingungen, so wäre wiederum die Vollzugsbehörde dafür zuständig, die ausgefällte Strafe zu vollziehen, nicht der Richter.
Bleiben werden die Unterschiede in der kantonalen Praxis. Etwa bei der Frage, welche Institutionen bei Arbeitseinsätzen berücksichtigt werden und wie ein Verurteilter zu seinem Arbeitseinsatz kommt. Laut Artikel 37 Absatz 2 des Strafgesetzbuchs ist gemeinnützige Arbeit «zu Gunsten sozialer Einrichtungen, von Werken in öffentlichem Interesse oder von hilfsbedürftigen Personen» zu leisten. Die Richtlinien der Strafvollzugskonkordate konkretisieren diese Definition nicht. Sie bestimmen nur, dass die kantonalen Vollzugsbehörden eine Liste jener Institutionen zu führen haben, die grundsätzlich zur Durchführung der gemeinnützigen Arbeit bereit und geeignet sind.
Manche Kantone verlangen mehr Eigeninitiative
Der Kanton St. Gallen zum Beispiel hat seine Liste der berücksichtigten Institutionen frei zugänglich auf dem Internet aufgeschaltet. In anderen Kantonen ist sie auf Anfrage oder - wie im Fall Bern - gar nicht zugänglich. Dafür umschreibt das Fachkonzept des Kantons Bern näher, wann eine Institution als gemeinnützig anzusehen ist, eine der Bedingungen ist das Zewo-Gütesiegel.
Im Kanton Zürich gibt es rund 500 Arbeitsplätze bei 300 Arbeitgebern. Im Kanton Bern sind es rund 300 aktive Institutionen, in Basel-Stadt rund 45 Einsatzbetriebe mit 120 bis 150 Arbeitsplätzen, in einem kleinen Kanton wie Uri weniger als ein Dutzend. Grosse kantonale Unterschiede gibt es auch im Vorgehen, wie der Verurteilte zu seinem Einsatz kommt. Im Kanton Nidwalden etwa führt das Justizamt die Anstellungsverhandlungen mit den Institutionen. Auch im Kanton Zürich bietet das Amt für Justizvollzug diesen Service - erfahren konnte dies Olivier C. Der 33-Jährige leistet gerade zum zweiten Mal einen gemeinnützigen Einsatz wegen verschiedener Verstösse gegen das Betäubungsmittel- und Strassenverkehrsgesetz. Beim ersten Mal arbeitete er während 300 Stunden - wobei jeweils vier Stunden einen Tag Haft ersetzen. Beim momentanen Einsatz geht es um 120 Stunden, in denen er bei der Pflege eines Naturschutzgebiets bei Affoltern am Albis eingesetzt wird.
Müsste Olivier in einem anderen Kanton gemeinnützige Arbeit leisten, hätte er mehr Engagement zeigen und den Einsatzort selber suchen müssen: In den Kantonen Thurgau oder St. Gallen müssen sich Verurteilte mit Hilfe einer Liste von gemeinnützigen Institutionen nämlich selber auf die Suche nach einem Arbeitgeber machen. Joe Keel, Amtsleiter Justizvollzug St. Gallen, ist der Ansicht, Wiedergutmachung brauche Eigeninitiative und eine gewisse Selbständigkeit. Die Vollzugsämter bieten Unterstützung, wenn es einem Betroffenen nicht gelingt, selbst einen Platz zu organisieren.
Als «spürbare Strafe» konzipiert
Im Kanton Uri sucht der Bewährungshelfer des Justizamts, Freddy Amend, nach einem Gespräch mit dem Verurteilten einen passenden Betrieb aus. Aus Sicherheitsgründen informiere er die Hauptansprechperson an der Arbeitsstelle über das begangene Delikt. Die Straftat könne durchaus Ausschlussgrund für eine bestimmte Tätigkeit sein: So werde ein Dieb oder ein nach dem Betäubungsmittelgesetz Verurteilter nie in einem Altersheim eingesetzt. Gemäss Freddy Amend soll «die gemeinnützige Arbeit eine spürbare Strafe sein». Sie werde deshalb als Voll- oder Teilzeittätigkeit in der Freizeit oder in den Ferien geleistet.
Ein Beispiel aus einem anderen Kanton ist der Headhunter, der seinen Einsatz jeweils an Samstagen leistete. So konnte er unter der Woche seiner Arbeit nachgehen und niemand musste von seiner Verurteilung wissen. Die Richtlinien der Strafvollzugskommissionen und kantonalen Verordnungen bestimmen, dass mindestens acht Stunden pro Woche neben der ordentlichen Arbeits- und Ausbildungszeit zu arbeiten ist. Thomas Fingerhuth, Rechtsanwalt in Zürich, weiss von Verurteilten, dass die gemeinnützige Arbeit wegen des zeitlichen Engagements als eine harte Strafe empfunden wird. Es sei weit angenehmer, eine Geldstrafe in Raten abzuzahlen als eine Verurteilung zu gemeinnütziger Arbeit in Raten abzuarbeiten. Das Strafgesetzbuch gibt dem Verurteilten eine Frist von bis zu zwei Jahren, innert der er die gemeinnützige Arbeit erbringen kann. So lassen sich Arbeitseinsätze um ein paar Wochen verschieben. Im Kanton Zürich werden jährlich 800 bis 1000 Arbeitseinsätze angeordnet, im Kanton Bern waren es seit der letzten Gesetzesrevision durchschnittlich rund 1500 Einsätze pro Jahr. Dem Aufwand der Vollzugsbehörde stehen die Kosteneinsparungen gegenüber, die sich ergeben, wenn ein Täter statt zu einer Freiheitsstrafe zu gemeinnütziger Arbeit verurteilt wird. Joe Keel in St. Gallen betont: «Den Gegenwert der Arbeit erhält die Gesellschaft.»