Rechtsschrift mit 420 Seiten ist weitschweifig
Eine Klageschrift von 420 Seiten ist auch bei einem komplizierten Sachverhalt mit unterschiedlichen und wirtschaftlichen Verflechtungen, zahlreichen Transaktionen und nicht ganz einfach strukturiertem Sachverhalt zu weitschweifig. Die richterlich angeordnete Beschränkung auf maximal 50 Seiten – und damit auf 12 Prozent des ursprünglichen Klageumfangs – im zweiten Umgang erachtet das Bundesgericht jedoch als zu eng gefasst. «Damit wird nicht die Durchsetzung des materiellen Rechts gewährleistet, sondern im Gegenteil der Beschwerdeführerin in unzulässiger – überspitzt formalistischer – Weise der Rechtsweg versperrt.»
Bundesgericht 9C_440/2017 vom 19.7.2017
Willkürliche Einschätzung durch Zürcher Steueramt
Eine Ermessensveranlagung im Sinne von Art. 132 Abs. 3 des Gesetzes über die direkte Bundessteuer (DBG) ist nicht nur dann offensichtlich unrichtig, wenn die ihr zugrunde liegende Schätzung sachlich unbegründbar ist oder sich auf sachwidrige Schätzungsgrundlagen, -methoden oder -hilfsmittel stützt. Dies ist auch dann der Fall, wenn sich aus dem Ausmass der Abweichung von der tatsächlichen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und den sonstigen Umständen ergibt, dass sie erkennbar pönal oder fiskalisch motiviert ist. Fall einer Ärztin, von der willkürlich während Jahren ohne irgendwelche Abklärungen ein viel zu hohes Einkommen veranlagt wurde.
Bundesgericht 2C_679/2016 vom 11.7.2017
Drohende Blutrache verhindert Wegweisung
Die Luzerner Migrationsbehörden dürfen einen kriminellen Kosovaren nach Verbüssung seiner Strafe wegen banden- und gewerbsmässigen Diebstahls nicht in sein Heimatland zurückschicken, bevor im Detail und sorgfältig abgeklärt ist, ob der Mann in seinem Heimatland einer Blutrache zum Opfer fallen könnte. Der Vater des Kosovaren hatte im Sommer seinen Schwiegersohn umgebracht, dessen Familie – angeblich mit Verbindungen in höchste Regierungsstellen – nun Blutrache geschworen hat. Das Bundesgericht verlangt eine bessere Abklärung des Sachverhalts unter Beizug der fachlich qualifizierten Bundesbehörden, um eine konkrete Gefahr von Folter und unmenschlicher Behandlung ausschliessen zu können.
Bundesgericht 2C_868/2016 vom 23.6.2017
Ausweisentzug nach Rückwärtsfahren auf Autobahn
Wer bei nicht unerheblichem Verkehrsaufkommen auf einer Autobahneinfahrt anhält und rund eine Wagenlänge zurücksetzt, schafft eine erhöhte abstrakte Gefährdung für die Verkehrssicherheit. Denn andere Verkehrsteilnehmer müssen nicht mit einem derart verkehrswidrigen Verhalten rechnen. Es liegt eine mittelschwere Verkehrsregelverletzung vor, unabhängig davon, ob durch das Manöver ein nachfolgendes Fahrzeug oder andere Verkehrsteilnehmer konkret gefährdet wurden. Ein einmonatiger Ausweisentzug ist deshalb rechtens.
Bundesgericht 1C_165/2017 vom 22.6.2017
Fehlende Begünstigung bei Pensionskasse
Viele Pensionskassen sehen im Reglement vor, dass eine Begünstigungserklärung für den Lebenspartner schriftlich zu Lebzeiten der versicherten Person bei der Pensionskasse eingegangen sein muss. Ein Testament, in welchem der Lebenspartner als Alleinerbe eingesetzt wird, genügt in solchen Fällen nicht, um das Todeskapital an den Lebenspartner auszuzahlen. Und zwar selbst dann nicht, wenn im Testament ausdrücklich erwähnt wird, dass dem Lebenspartner auch «die Leistungen aus der PK der Credit Suisse AG» zustehen sollen. Die Pensionskasse hat sich deshalb zu Recht geweigert, der Lebenspartnerin eines verstorbenen Bankers das Todesfallkapital von über 540 000 Franken auszuzahlen.
Bundesgericht 9C_85/2017 vom 24.5.2017
Umsatzeinbusse wegen Verkehrsregime ist hinzunehmen
Die Wirtschaftsfreiheit gibt keinen Anspruch auf Beibehaltung des bisherigen Gemeingebrauchs auf öffentlichen Strassen. Es liegt in der Natur der Sache, dass nicht alle Gewerbebetriebe gleich günstig gelegen sein können. Jede verkehrstechnische Massnahme führt zwangsläufig dazu, dass verschiedene Gewerbebetriebe unterschiedlich betroffen werden. Dies ist in einem gewissen Mass als unvermeidlich hinzunehmen. Es kann einem Gemeinwesen nicht verwehrt sein, Massnahmen zu treffen, die zur Folge haben, dass bestimmte Betriebe künftig verkehrsmässig nachteiliger gelegen sind als vorher. Unverhältnismässig wäre eine Massnahme allenfalls dann, wenn sie zu einer Umsatzeinbusse führen würde, welche die wirtschaftliche Existenz bedroht oder wesentlich einschränkt.
Bundesgericht 1C_37/2017 vom 16.6.2017
Missglückter Golfabschlag ohne strafrechtliche Folgen
Ein Golfer ist zu Recht vom Vorwurf der fahrlässigen Körperverletzung freigesprochen worden. Der Mann hatte auf einem Golfplatz den Ball nicht wie gewollt getroffen. Der Ball flog in Richtung eines andern Golfers, der versetzt auf einem andern Abschlag stand, und traf diesen im Gesicht. Der getroffene Golfer erlitt eine Rissquetschwunde an der Unterlippe und verletzte sich an den Zähnen. Das Bundesgericht stuft diese Verletzung als Verwirklichung eines minimalen und dem Golfsport inhärenten Risikos ein. Dieses Risiko hat der getroffene Golfer in Kauf genommen, indem er sich in Kenntnis der gegenüberliegenden Gruppe auf dem Abschlagplatz installierte und seinen Ball positionierte. «Es war an ihm, mit dem Betreten des eigenen Abschlagsplatzes zuzuwarten, auf die Seite zu stehen respektive zumindest das gegenüberliegende Spiel aufmerksam zu verfolgen (anstatt bereits seinen Ball zu positionieren)», meint das Bundesgericht.
Bundesgericht 6B_1332/2016 vom 27.7.2017
Missbräuchliche Rabatte von Krankenkassen
Das Vorgehen der Finanzmarktaufsicht (Finma), gewisse Rabattpraktiken in der Krankenzusatzversicherung zu unterbinden, ist nicht zu beanstanden. Das Bundesverwaltungsgericht hat bestätigt, dass Kollektivrabatte in der Krankenzusatzversicherung nicht zu erheblichen Ungleichbehandlungen zwischen Versicherten führen dürfen, die versicherungstechnisch nicht begründbar sind. Sinn und Zweck der bundesrätlichen Aufsichtsverordnung ist es zu verhindern, dass Versicherungsunternehmen ihre Marketing- und Vertriebsaktivitäten auf junge, «gute» Risiken ausrichten und zur Finanzierung dieser Aktivitäten bei den sogenannt «gefangenen Beständen» – also Ältere, chronisch Kranke – Prämien abschöpfen, wie das Bundesgericht bereits vor einigen Jahren festgestellt hat.
Bundesverwaltungsgericht B-1242/2016 vom 20.6.2017
Alleinige elterliche Sorge zulässig
Der allgemeine Grundsatz, wonach Vater und Mutter die gemeinsame elterliche Sorge ausüben, ist nicht sakrosankt. Auf entsprechenden, gemeinsamen Antrag der Eltern kann der Richter die elterliche Sorge auch nur einem Elternteil zuteilen. Voraussetzung ist allerdings, dass diese Lösung mit dem Wohl des Kindes vereinbar ist , was der Richter von Amtes wegen zu prüfen hat. Im konkreten Fall hatte ein Elternpaar vor Inkrafttreten der neuen Regelung am 1. Juli 2014 im Hinblick auf seine Scheidung den Antrag gestellt, die elterliche Sorge für das gemeinsame Kind allein der Mutter zuzuteilen. Das zuständige Gericht entsprach diesem Wunsch Anfang 2015 und schied die Ehe. Der Vater gelangte in der Folge ans Bundesgericht und machte geltend, die Zuteilung der gemeinsamen elterlichen Sorge sei grundsätzlich zwingendes Recht.
Bundesgericht 5A_346/2016 vom 29.6.2017
Rückkehr nach Eritrea trotz Dienstverweigerung
Haben Eritreer ihre Dienstpflicht geleistet, müssen sie bei einer Rückkehr in ihre Heimat nicht generell mit erneuter Einberufung in den Nationaldienst oder gar mit Bestrafung rechnen. Eine menschenrechtswidrige Behandlung droht diesen Personen deshalb nicht. Nach Meinung des Bundesverwaltungsgerichts besteht in Eritrea keine Situation allgemeiner Gewalt, weshalb den Betroffenen eine Rückkehr nicht generell unzumutbar ist. Fall einer Frau aus Eritrea, die während Jahren Nationaldienst geleistet hat und der das Gericht nicht glaubte, dass sie aus dem Dienst desertiert ist.
Bundesverwaltungsgericht D-2311/2016 vom 17.8.2017