Haft bei Verweigerung von Coronatest zulässig
Die Basler Justiz hat einen Tunesier zu Recht im Hinblick auf eine Ausschaffung in Durchsetzungshaft versetzt. Der Mann, der wegen verschiedenen Verbrechen für 20 Jahre des Landes verwiesen worden war, hatte sich geweigert, den für die Rückreise nach Tunesien nötigen Covid-19-PCR-Test durchführen zu lassen. Der Einwand, dass es an den gesetzlichen Grundlagen fehle, überzeugte das Bundesgericht nicht: Aufgrund der Landesverweisung sei der Tunesier verpflichtet, Ausweispapiere zu beschaffen oder bei der Beschaffung durch die Behörden mitzuwirken. Die Bestimmung lasse sich so verstehen, dass die Mitwirkungspflicht alle Vorkehrungen umfasst, die der Heimatstaat für die Einreise voraussetze.
Bundesgericht 2C_35/2021 vom 10.2.2021
Hybride Entscheide über Entsiegelung sind unzulässig
Nach Gesetz und Praxis hat das Zwangsmassnahmengericht im Entsiegelungsverfahren gemäss Art. 248 StPO zu prüfen, ob die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind und ob substanziierte schutzwürdige Geheimnisinteressen einer Entsiegelung entgegenstehen. Im vorliegenden Fall hatte das Gericht festgehalten, es sei in Bezug auf allenfalls vorhandene Anwaltskorrespondenz eine Triage durch den Zwangsmassnahmenrichter vorzunehmen. Damit hat es laut Bundesgericht die gesetzlich obliegende Aussonderung der durch das Anwaltsgeheimnis geschützten Unterlagen und Dateien bis zum Erlass des angefochtenen Entscheides unterlassen. Gemäss der Vorinstanz sollte die Triage im Hinblick auf allenfalls vorhandene Anwaltskorrespondenz – mittels einer Stichwortliste – erst nach Ablauf der Rechtsmittelfrist «in einem zweiten Schritt» erfolgen. Mit diesem Vorgehen werden laut Bundesgericht aber materielle und prozessleitende Gesichtspunkte in unzulässiger Weise vermischt. Solche hybride Entsiegelungsentscheide sind unzulässig.
Bundesgericht 1B_380/2020 vom 13.1.2021
Bergsturz im Bergell muss untersucht werden
Im August 2017 ereignete sich in der Bergeller Gemeinde Bondo (GR) ein schwerer Bergsturz. Acht Wanderer werden seither vermisst. Die Bündner Staatsanwaltschaft liess beim Amt für Wald und Naturgefahren einen Bericht erstellen. Nachdem der 73-seitige Bericht vorlag, stellte sie die Strafuntersuchung ein. Angehörige der Vermissten wehrten sich dagegen. Sie rügten eine Verletzung der Ausstandsvorschriften, weil Mitarbeiter des Amts am Bericht mitgewirkt hätten, die am Entscheid beteiligt gewesen seien, die Wanderwege nicht zu sperren. Eine vertiefte Auseinandersetzung mit der Ausstandsproblematik wäre erforderlich gewesen, meint das Bundesgericht. Es schickt den Fall zur Fortführung der Strafuntersuchung in den Kanton Graubünden zurück.
Bundesgericht 6B_235/2020 vom 1.2.2021
Landesverweisung trotz Härtefall
Die Thurgauer Justiz muss einen Portugiesen des Landes verweisen. Der 22-jährige Mann war verschiedentlich strafrechtlich in Erscheinung getreten, zuletzt wurde er unter anderem wegen Raubes und weiterer Delikte zu einer Freiheitsstrafe von 5,5 Jahren verurteilt. Während der Strafuntersuchung delinquierte der vorbestrafte, kaum integrierte Mann. Weil er in der Schweiz geboren wurde, hier aufgewachsen ist und sein Heimatland nur von kurzen Ferienaufenthalten kennt, ging das Gericht von einem schweren persönlichen Härtefall aus und verzichtete auf eine Landesverweisung. In seinem Entscheid gewichtet nun das Bundesgericht – trotz Härtefall – das öffentliche Interesse an einer Landesverweisung höher als das persönliche Interesse des Portugiesen am Verbleib in der Schweiz. Seine Sprachkenntnisse, seine Ausbildung, sein Alter und seine Gesundheit würden es ihm erlauben, sich in Portugal zu integrieren.
Bundesgericht 6B_75/2020 vom 19.1.2021
Recht auf Familienleben ist zu berücksichtigen
Das Recht auf Familienleben ist gemäss Art. 8 EMRK im Dublin-Verfahren auch dann zu berücksichtigen, wenn ein Familienmitglied kein gefestigtes Aufenthaltsrecht in der Schweiz hat. Allerdings garantiert Art. 8 EMRK keinen absoluten Anspruch auf gemeinsamen Aufenthalt in der Schweiz. Im konkreten Fall fiel die Interessenabwägung zuungunsten einer syrischen Familie aus. Die Beziehung begann erst, nachdem die Frau eingereist war und die Zuständigkeit Kroatiens aufgrund des Dublin-Verfahrens feststand. Die Frau wurde nach Kroatien überstellt und reiste trotz Einreiseverbot hochschwanger erneut in die Schweiz ein. Mit der zwischenzeitlich erfolgten Heirat in der Schweiz habe das Paar im Wissen um die unsichere Situation Tatsachen geschaffen, die es selber zu verantworten habe. Die Frau muss zurück nach Kroatien, es sei denn, das Migrationsamt prüft das Asylgesuch aus humanitären Gründen.
Bundesverwaltungsgericht E-7092/2017 vom 25.1.2021
Umkleidezeit ist nicht zwingend Arbeitszeit
Das Spital Limmattal in Schlieren ZH kennt eine langjährige Praxis, wonach die bezahlte Arbeitszeit mit Dienstantritt auf der Station oder im Operationssaal beginnt und mit Dienstende am entsprechenden Arbeitsort endet. Die Umkleidezeit zählt nicht zur bezahlten Arbeitszeit und ist im Monatslohn inbegriffen. Mehrere Mitarbeiter des Spitals forderten rückwirkend pauschal 15 Minuten pro Arbeitstag als bezahlte Arbeitszeit fürs Umkleiden. Das Bundesgericht beurteilt die Praxis des Spitals als zulässig, obwohl es andere, «zutreffendere Lösungen gäbe». Das Zürcher Verwaltungsgericht urteilte demnach nicht willkürlich, als es sich bei der Auslegung des Personalreglements nicht an der privatrechtlichen Rechtsprechung zum Begriff der Arbeitszeit orientierte, sondern in Anlehnung an die gelebte Praxis im Ergebnis zu einem engeren Verständnis der reglementarisch vorgesehenen Arbeitszeit gelangte.
Bundesgericht 8C_514/2020 vom 20.1.2021
Kürzung der Taggelder nach eigener Kündigung rechtens
Die Berner Behörden haben einem Journalisten zu Recht die Arbeitslosengelder für 26 Tage gestrichen, weil der als Redaktor arbeitende Mann ohne Zusicherung einer neuen Stelle gekündigt hatte. Angesichts des Umstands, dass die Medienbranche unter grossem Druck stehe und vergleichbare Stellen kaum zu finden seien, wäre es ihm zumutbar gewesen, an der langjährigen Arbeitsstelle zu bleiben. Vor Bundesgericht argumentierte der Journalist, die von ihm vorgebrachte schwere Belastung durch Mobbing und dadurch verursachte gesundheitliche Beeinträchtigungen seien zu Unrecht nicht abgeklärt worden. Das Bundesgericht hält eine gesundheitsbedingte Unzumutbarkeit für nicht nachgewiesen, weshalb die Arbeitslosigkeit zu Recht als selbstverschuldet eingestuft wurde.
Bundesgericht 8C_584/2020 vom 17.12.2020
Glaspavillon am See muss abgebrochen werden
Rechtswidrige Bauten, die nachträglich nicht bewilligt werden können, müssen beseitigt werden. Allerdings ist die mit der Anordnung der Beseitigung einer Baute verbundene Eigentumsbeschränkung nur zulässig, wenn sie verhältnismässig ist. Fall eines ohne Bewilligung erstellten Glaspavillons in Weggis (LU) mit einem Durchmesser von 8,6 Metern und 3,1 Metern Abstand zur Uferlinie. Das Bundesgericht erachtet den Rückbau als verhältnismässig. Die Abweichung vom Erlaubten sei nicht unbedeutend, zumal der Glaspavillon sehr nahe an der Uferlinie errichtet wurde. Das öffentliche Interesse an der Freihaltung des Gewässerraumes werde erheblich beeinträchtigt. Dem touristischen Interesse am Glaspavillon komme kein erhebliches Gewicht zu.
Bundesgericht 1C_402/2020 vom 25.1.2021
Risikoanalyse muss von AKW offengelegt werden
Der Schweizer Stilllegungs- und Entsorgungsfonds für Kernanlagen muss das Rechtsgutachten mit dem Titel «Risikobeurteilung der Folgen einer allfälligen Insolvenz einer Kernkraftwerkbetreiberin» – mit Ausnahme von einigen geschwärzten Stellen – offenlegen. Das Bundesverwaltungsgericht hat eine Beschwerde der Axpo Power AG und weiterer Energieunternehmen abgewiesen. Die Unternehmen vermochten nicht rechtsgenüglich aufzuzeigen, inwiefern – über die vorgenommenen Schwärzungen hinaus – objektiv berechtigte Interessen an einer Geheimhaltung bestehen sollen, die das ebenfalls vorhandene gewichtige öffentliche Interesse an der transparenten Rechenschaft ihrer Tätigkeit zu überwiegen vermöchten. Das Urteil kann beim Bundesgericht angefochten werden.
Bundesverwaltungsgericht A-1096/2020 vom 19.1.2021
Gruppenersuchen um Steueramtshilfe ist zulässig
Die Eidgenössische Steuerverwaltung darf gestützt auf ein Doppelbesteuerungsabkommen aus dem Jahre 1976 und eine Verständigungsvereinbarung von 2017 Bankdaten an die italienische Steuerbehörde übermitteln, die im Rahmen eines italienischen Gruppenersuchens um Steueramtshilfe angefordert worden sind. Es geht um einige sogenannte «renitente italienische Steuerpflichtige», die gestützt auf ein Verhaltensmuster identifiziert werden konnten. Das italienische Gruppenersuchen enthält alle wesentlichen Elemente: Eine detaillierte Umschreibung der Gruppe aufgrund des Verhaltensmusters, eine klare Begründung der Annahme, dass die italienischen Steuerzahler ihren Steuerverpflichtungen nicht nachgekommen sind, und den Nachweis, dass die erbetenen Informationen für Italien nützlich sind, um diese Personen besteuern zu können.
Bundesverwaltungsgericht A-1296/2020 vom 21.12.2020
Taggeld: Keine Aufrundung der Beitragsmonate
Ein Anspruch auf Arbeitslosengeld besteht dann, wenn eine Person innerhalb der dafür vorgesehenen Rahmenfrist während mindestens zwölf Monaten eine beitragspflichtige Beschäftigung ausgeübt hat. Die Rahmenfrist für die Beitragszeit beginnt zwei Jahre vor dem Tag, für den sämtliche Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind. Der vorliegende Fall betrifft einen Mann, der im Rahmen von Personalverleih-Verhältnissen gearbeitet hatte. Mangels der Erfüllung von vollen zwölf Monaten Mindestbeitragszeit innerhalb der zweijährigen Frist verweigerte die Unia-Arbeitslosenkasse einen Anspruch auf Arbeitslosengelder. Der Mann verzeichnete lediglich 11,887 Monate. Das Bundesgericht schützte diese Auffassung, auch wenn sie «zweifellos als hart» erscheint. Eine Aufrundung der als Beitragszeit anrechenbaren Kalendertage fällt auch dann nicht in Betracht, wenn diese nur um Bruchteile eines Tages nicht erreicht wird.
Bundesgericht 8C_541/2020 vom 21.12.2020