Vorverurteilung muss nachgewiesen werden
Wird ein Tatverdächtiger in der Medienberichterstattung vorverurteilt, kann dies – je nach Schwere der Rechtsverletzung – zu einer Reduzierung des Strafmasses führen. Dabei hat der Beschuldigte darzutun, dass die Berichterstattung ihn vorverurteilt hat. Ein früherer Direktor einer in der Schweiz niedergelassenen Bank, der sich über mehrere Jahre in der Ausübung seiner exponierten Funktion grosse Unregelmässigkeiten zu Schulden kommen liess und sich selbst bei der Untersuchungsbehörde anzeigte, muss mit einer starken Medienresonanz rechnen. Dieses legitime Interesse der Öffentlichkeit am Prozess geht aus den in der Beschwerde exemplarisch zitierten Zeitungen und Zeitschriften ohne Weiteres hervor. Die kritisierte reisserische Aufmachung einzelner Medienberichte führt nicht zwingend zu einer Strafminderung.
Bundesgericht 6B_853/2013 vom 20.11.2014
Asylunterkunft Flughafen Genf darf gebaut werden
Der Verein Elisa-Asile ist mangels aktuellem Rechtsschutzinteresse nicht legitimiert, gegen die Plangenehmigung für die neue Unterkunft für Asylsuchende und Reisende auf dem Flughafen Genf Beschwerde zu führen. Der Verein ist weder gesamtschweizerisch tätig, noch kann er im Interesse seiner Mitglieder Beschwerde führen (sogenannte egoistische Verbandsbeschwerde), weil sie keine Asylsuchenden sind, die möglicherweise in der projektierten Unterkunft einquartiert werden. Schliesslich regelt die Plangenehmigung auch nicht die Zugangsmodalitäten zu den Räumlichkeiten, weshalb die Befürchtung des Vereins, seine Tätigkeit werde durch den neuen Standort der Unterkunft behindert, nicht aktuell ist.
Bundesverwaltungsgericht A-6883/2013 vom 2.12.2014
Keine Straferhöhung wegen unterlassener Beschwerde
Der Familienvater von Wila, der seine beiden kleinen Töchter während Jahren misshandelte, muss definitiv «nur» 9 ½ Jahre hinter Gitter. Die Zürcher Staatsanwaltschaft, die eine Verwahrung beantragte, ist beim Bundesgericht abgeblitzt. Einer Verwahrung steht die reformatio in peius im Wege. Die Staatsanwaltschaft hatte eine Beschwerde gegen das Urteil des Zürcher Geschworenengerichts unterlassen. Sie ist im weiteren Verfahren und trotz neuer Strafprozessordnung nicht berechtigt, eine Verwahrung zu verlangen.
Bundesgericht 6B_724/2014 vom 20.11.2014
Eltern eines autistischen Kinds müssen nicht zahlen
Ein Elternpaar muss keinen Beitrag an die Kosten des Assistenzunterrichts leisten, den ihr behindertes, an einer Autismus-Störung leidendes Kind in einer Normalklasse benötigt. Der in der Verfassung garantierte Anspruch auf kostenlosen Schulunterricht lässt keine Kostenbeteiligung der Eltern zu, nachdem der Besuch der Regelklasse für das Kind als pädagogisch beste Lösung befürwortet wurde. Nun muss das Gemeinwesen die ganzen Kosten der Vollzeitbetreuung durch eine Assistenzlehrperson übernehmen; die Aargauer Behörden wollten lediglich 18 Stunden bezahlen, der Rest wäre zulasten der Eltern gegangen.
Bundesgericht 2C_590/2014 vom 4.12.2014
Bundesrat bei Festsetzung eines Spitaltarifs gefordert
Scheitern im Bereich der Unfall-, Militär- und Invalidenversicherung die Verhandlungen zwischen den Spitälern und den Versicherern, so bedarf es einer hoheitlichen Festlegung der Eckwerte durch den Bundesrat, wie die Tarife zu gestalten sind. Unter Einbezug der Tarifpartner hat der Bundesrat generell-abstrakte Tarifgrundsätze festzulegen, mit denen das Eidgenössische Departement des Innern im Einzelfall den konkreten Tarif bestimmen kann. Bisher fehlen solche generell-abstrakten Grundsätze.
Bundesverwaltungsgericht C-529/2012 vom 10.12.2014
Keine Dispensation vom Sexualkundeunterricht
Die Behörden des Kantons Basel-Stadt haben zu Recht mehrere Kinder nicht vom Sexualunterricht im Kindergarten beziehungsweise der Primarschule dispensiert. Laut Bundesgericht ist von einem leichten Grundrechtseingriff auszugehen. Der Unterricht erweist sich laut Urteil als erforderlich, da ein berechtigtes Interesse an der Wissensvermittlung von sexuellen Themen bei Kindergärtlern und Primarschulkindern in der ersten und zweiten Klasse besteht und damit auf die Entwicklung der kindlichen Sexualität reagiert wird. Entscheidend war für das Gericht auch, dass der zu beurteilende Unterricht reaktiv erteilt wird und damit kein systematischer Sexualkundeunterricht erfolgt.
Bundesgericht 2C_132/2014 und 2C_133/2014 vom 15.11.2014
Behinderte hat keinen Anspruch auf Tempomaten
Eine querschnittgelähmte Frau hat keinen Anspruch darauf, in ihrem neuen Auto auf Kosten der Invalidenversicherung (IV) eine Standheizung, einen Tempomaten und eine automatische Klimatisierung einbauen zu können. Das Bundesgericht räumt zwar ein, dass die genannten Hilfsmittel das Leben der invaliden Frau vereinfachen würden. Indessen sei es nicht Aufgabe der IV, für die bestmögliche Lösung aufzukommen. Die IV müsse nur die Kosten von Hilfsmitteln in einfacher und zweckmässiger Ausführung bezahlen.
Bundesgericht 9C_314/2014 vom 7.11.2014
Zugang zu amtlichen Dokumenten
Gesuche um Zugang zu amtlichen Dokumenten sind in formeller und materieller Hinsicht nach den Bestimmungen des Öffentlichkeitsgesetzes (BGÖ) zu beurteilen. Dies hat das Bundesverwaltungsgericht im Fall eines Rechtssuchenden entschieden, der Angaben über den Hersteller sowie den Importeur einer bestimmten Wärmeflasche erbat. Hintergrund der Anfrage war das Bersten einer mit heissem Wasser gefüllten Wärmeflasche. Der Rechtssuchende hatte sich schwere Verbrennungen zugezogen und will Ansprüche aus Produktehaftpflicht geltend machen. Die Zollverwaltung verweigerte die Herausgabe der Daten.
Bundesverwaltungsgericht A_3403/2013 vom 17.11.2014
Hauterschlaffungen: Kasse muss nicht zahlen
Nimmt eine Frau im Laufe einer Schwangerschaft 43 Kilogramm zu und speckt sie diese Kilos nach der Geburt wieder ab, muss sie mit den resultierenden Hauterschlaffungen leben. Die Krankenkassen müssen die Operationen zur Beseitigung dieser ästhetischen Mängel nicht aus der obligatorischen Krankenversicherung übernehmen. Das Bundesgericht meint, dass die Hauterschlaffungen nicht das Mass überschritten haben, bei dem von einer äusserlichen Verunstaltung und damit von einer schweren Beeinträchtigung gesprochen werden kann.
Bundesgericht 9C_560/2014 vom 3.11.2014
Bei Raserdelikten erübrigt sich eine Risikobeurteilung
Die neuen Tatbestände zu Raserdelikten gelten strikt. Wer die signalisierte Höchstgeschwindigkeit um das gesetzlich festgelegte Mass überschreitet, macht sich automatisch einer als Verbrechen strafbaren Verkehrsregelverletzung schuldig. Es besteht kein Spielraum, solche Geschwindigkeitsexzesse aufgrund einer einzelfallweisen Risikobeurteilung zu einem blossen Vergehen herabzustufen. Liegt ein Rasertatbestand vor, so ist von Gesetzes wegen davon auszugehen, dass das hohe Risiko eines schweren Verkehrsunfalls mit Schwerverletzten oder Toten geschaffen worden ist.
Bundesgericht 1C_397/2014 vom 20.11.2014
Bundespatentgericht zum unbedingten Replikrecht
Die Wahrung des unbedingten Replikrechts erlaubt den Parteien keine Vorbringen, die nach der ZPO noch nicht oder nicht mehr zulässig sind.
Bundespatentgericht Verfügung O2013_20 vom 29.10.2014
Kein Führerschein: Auto darf beschlagnahmt werden
Das Fahrzeug einer Person, die zehn Jahre ohne Führerausweis jährlich 25 000 Kilometer fährt, darf beschlagnahmt werden. So wird verhindert, dass weitere Strassenverkehrsdelikte begangen werden und die Sicherheit anderer Personen gefährdet wird. Ob eine definitive Einziehung und eine Verwertung erfolgen, muss der Sachrichter entscheiden.
Bundesgericht 1B_252/2014 vom 3.11.2014
Trotz Sorgerecht wegen Entführung verurteilt
Ein nigerianischer Vater entführte die zwei gemeinsamen Kinder in sein Heimatland. Er verheimlicht seiner Frau und den Behörden, wo er die Kinder in Nigeria untergebracht hat, und weigert sich, deren Rückführung zu veranlassen. Das Zürcher Obergericht verurteilte den Mann im Januar 2013 wegen mehrfacher qualifizierter Freiheitsberaubung sowie wegen mehrfachen Entziehens von Minderjährigen zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren. Das Bundesgericht ist mit diesem Schuldspruch nur teilweise einverstanden. Den Tatbestand der Freiheitsberaubung sieht es als nicht erfüllt an, da die Kinder in Nigeria nicht eingesperrt seien und die Trennung von der Mutter nicht dazu führe, dass ihre Bewegungsfreiheit gänzlich aufgehoben sei. Für das höchste Gericht liegt stattdessen vielmehr eine Entführung vor. Das Bundesgericht ändert damit seine bisherige Rechtsprechung. Bis anhin hat es sich auf den Standpunkt gestellt, dass der Inhaber der elterlichen Sorge frei über den Aufenthaltsort seines Kindes bestimmen kann und eine Entführung deshalb ausgeschlossen ist. Dies gilt nun nicht mehr uneingeschränkt. Es kann laut Bundesgericht Konstellationen geben, in denen die Ortsveränderung derart massiv in die Interessen des Kindes eingreift, dass sie nicht mehr zu rechtfertigen ist.
Bundesgericht 6B_123/2014 vom 2.12.2014
Eingabe in einer Amtssprache genügt
Die Bundesanwaltschaft muss in einem Bundesstrafverfahren die in einer Amtssprache des Bundes erfolgten Eingaben einer Partei entgegennehmen, auch wenn diese Eingabe nicht in der Verfahrenssprache erfolgt.
Beschwerdekammer Bundesstrafgericht BB.2014.80 vom 31.10.2014
Anwaltszwang im Verwaltungsrecht
Obwohl in Verwaltungsverfahren vor dem Bundesgericht und dem Bundesverwaltungsgericht kein Anwaltsmonopol besteht, dürfen die Kantone die berufsmässige Verbeiständung und Vertretung vor dem kantonalen Verwaltungsgericht den nach dem Anwaltsgesetz des Bundes zugelassenen Anwälten vorbehalten.
Bundesgericht 1C_111/2014 vom 9.10.2014