Bundesgericht
Keine IV-Rente für «funktionierende» Hausfrau
Einer früheren Coiffeuse ist die IV-Rente zu Recht gestrichen worden, weil sie mittlerweile als Hausfrau mit zwei Kindern «funktioniert». Die Rente war ihr 1996 wegen Panik-Attacken zugesprochen worden, die eine berufliche Tätigkeit verunmöglichten. Im Rahmen eines Revisionsverfahren kam eine Ärztin 2007 zum Schluss, dass die nunmehr verheiratete Frau mit zwei Kindern zwar nach wie vor voll arbeitsunfähig sei, indessen für die Haushaltstätigkeit nur eine Invalidität von drei Prozent vorliege. Das Bundesgericht hat die Beschwerde der Frau nun abgewiesen. Laut den Richtern in Luzern ist es nicht «überwiegend wahrscheinlich», dass die Frau im Gesundheitsfall eine Erwerbstätigkeit aufnehmen würde.
(9C_552/2009 vom 1. September 2009)
Starrer Blick auf den Busen
Der starre Blick des Chefs eines Fastfood-Betriebs auf den Busen einer Angestellten ist von der Aargauer Justiz zu Recht als sexuelle Belästigung im Sinne von Art. 4 des GIG bewertet worden. Der Betroffene wurde zu einer Entschädigungszahlung von 1500 Franken verurteilt. Vor Bundesgericht ging es nur um die Beweiswürdigung, die nach Ansicht der I. zivilrechtlichen Abteilung nicht willkürlich ausgefallen ist. Das Aargauer Obergericht hatte unter anderem auf die Aussagen einer Zeugin abgestellt, die den Vorfall als harmlos eingestuft hatte. Laut Bundesgericht musste das Obergericht dieser Einschätzung nicht folgen und durfte das Verhalten des Vorgesetzten als deplatziert und sexuell motiviert einordnen.
(4D_88/2009 vom 18. August 2009)
Biss in den Arm des Freundes
Der Biss einer Frau in den Arm ihres Freundes bei einem Streit stellt laut Bundesgericht keine schwere Körperverletzung dar. Die Zürcher Behörden hatten die Strafuntersuchung eingestellt. Gemäss der strafrechtlichen Abteilung hat aufgrund der Infektionsgefahr zwar eine gewisse Gefährlichkeit bestanden. Die Verletzung habe aber zu keinem Zustand geführt, bei dem die Möglichkeit des Todes zu einer ernstlichen und dringlichen Wahrscheinlichkeit geworden wäre.
(6B_233/2009 vom 24. September 2009)
Ausnützung der Notlage bei Drogenprostitution
Wer eine Prostituierte, die ihre Dienstleistungen üblicherweise zu einem tiefen Entgelt anbietet (also Drogenprostituierte), gegen ein hohes Entgelt dazu bringt, ihr unerwünschte oder gefährliche Sexpraktiken vorzunehmen oder zu dulden, macht sich der Ausnützung einer Notlage (Art. 193 Abs. 1 StGB) schuldig. In solchen Situationen drängt sich der Verdacht auf eine qualifizierte Notlage auf, welche die Prostituierte in ihrer Entscheidungsfreiheit beeinträchtigt. Erkennt der Freier diese Situation und nutzt er sie aus, macht er sich strafbar.
(6B_445/2009 vom 6. Oktober 2009)
Ohrfeige für Randalierer ist Amtsmissbrauch
Ein Berner Polizist hat sich des Amtsmissbrauchs schuldig gemacht (300 Franken Busse), als er einen betrunkenen, randalierenden und verletzten Jugendlichen in der Notfallabteilung eines Spitals geohrfeigt hat. Der Polizist war zuvor von dem auf einem Behandlungstisch liegenden jungen Mann bespuckt und getreten worden. In Abweisung der Beschwerde des Polizisten hält das Bundesgericht fest, dass er den Jugendlichen Kraft seiner Amtsstellung geschlagen habe. Dritte hätten dies nicht tun können. Er habe die Ohrfeigen auch nicht rational eingesetzt, um den Schüler ruhig zu stellen, sondern spontan gehandelt, um sich innere Befriedigung zu verschaffen.
(6B_649/2009 vom 16. Oktober 2009)
Kriterien bei Handel von Wertschriften neu gewichtet
Das Bundesgericht hält grundsätzlich an der bisherigen Abgrenzung von steuerfreiem privaten Kapitalgewinn und nebenberuflichem gewerbsmässigem Wertschriftenhandel fest, deutet aber an, gewisse bis anhin geltende Kriterien neu zu gewichten. Strategisches und planmässiges Vorgehen sowie der Einsatz von Fachwissen soll künftig weniger als Indiz für eine gewerbsmässige Tätigkeit dienen, da diese Fähigkeiten heutzutage von jedem gefordert sind, der halbwegs erfolgreich am Wertschriftenhandel teilnehmen will. Auch der Kauf und Verkauf von Optionen sei heute nicht mehr nur Sache von professionellen Händlern. Verworfen wurde der Vorschlag eines Richters, die Abgrenzung in Zukunft anhand der Verhältnisse Eigenkapital/Fremdkapital und Transaktionsvolumen/Anfangsbestand vorzunehmen.
(Öffentliche Beratung vom 23. Oktober 2009 im Verfahren 2C_868/2009; schriftliche Begründung ausstehend)
Witwerrente für Homosexuelle
Der überlebende Partner einer im Kanton Waadt eingetragenen homosexuellen Partnerschaft erhält keine Witwerrente. Der Mann hatte eine Ungleichbehandlung im Verhältnis zu Witwen geltend gemacht, da diese im Gegensatz zu Witwern eine Rente erhalten, wenn sie mindestens 45 Jahre alt und während fünf Jahren verheiratet waren (Art. 24 AHVG). Gemäss der II. sozialrechtlichen Abteilung des Bundesgerichts hat der Gesetzgeber indessen beschlossen, dass Überlebende einer gleichgeschlechtlichen registrierten Partnerschaft – egal ob zwei Männer oder zwei Frauen – als Witwer und nicht als Witwen gelten. Im konkreten Fall wären im Übrigen auch die Voraussetzungen für eine Witwenrente nicht erfüllt gewesen.
(9C_521/2008 vom 5. Oktober 2009)
Bundesverwaltungsgericht
Erhöhung der LSVA nicht rechtens
Das Bundesverwaltungsgericht hat auf Beschwerde des Schweizer Nutzfahrzeugverbandes Astag festgestellt, dass die Erhöhung der LSVA um rund zehn Prozent auf Anfang 2008 nicht rechtmässig gewesen ist. Laut den Richtern in Bern gilt gemäss dem Gesetz über die Schwerverkehrsabgabe das Kostendeckungsprinzip als Obergrenze für die LSVA. Die Einnahmen aus der LSVA dürften die ungedeckten Wegkosten und die vom Schwerverkehr verursachten Kosten zu Lasten der Allgemeinheit nicht übersteigen. In der Berechnungsgrundlage für die Erhöhung von 2008 sei ein Posten Stauzeitkosten enthalten, der nicht dem Schwerverkehr als von ihm verursachte externe Kosten anzurechnen sei. Ohne Berücksichtigung dieses Be trages ergebe sich, dass der Schwerverkehr die von ihm verursachten Kosten zur Zeit mehr als decke.
(A-5550/2008 vom 21. Oktober 2009)
Nachteinkäufe an der Tankstelle
Die Öffnung von Zürcher Tankstellenshops in den Nachstunden zwischen ein und fünf Uhr ist vom Seco zu Recht nicht bewilligt worden (keine Nachtarbeitsbewilligung, Art. 17 ArG). Nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts würde es ein Grossteil der Bevölkerung nicht als wesentlichen Mangel empfinden, wenn sie in der Nacht nicht einkaufen könnten. Es bestehe damit kein «besonderes Konsumbedürfnis» im Sinne von Art. 28 Abs. 3 ArGV 1. Die beantragte Nachtarbeit sei auch nicht als bloss geringfügig zu bezeichnen. Eine Bewilligung hätte Signalwirkung für unzählige Tankstellenbetreiber in der ganzen Schweiz.
(B-771/2009 vom 18. September 2009)
Kein Einblick in Abgangsregelung
Ein Freiburger Journalist erhält keinen Einblick in die Abgangsregelungen des früheren EJPD-Generalsekretärs Walter Eberle und dessen Stellvertreter Yves Bichsel (im Amt in der Ära Blocher, Verträge im gegenseitigen Einvernehmen aufgelöst unter Bundesrätin Widmer-Schlumpf). Das Bundesverwaltungsgericht kommt zum Schluss, dass die dem Gesamtbundesrat zur Genehmigung vorgelegten Abgangsregelungen als amtliche Dokumente eines Mitberichtsverfahren gelten und damit gemäss Art. 8 BGÖ nicht der Öffentlichkeit zugänglich sind.
(A-2165/2009 vom 19. Oktober 2009)