Bundesgericht
Sozialversicherer dürfen Privatermittler einsetzen
Sozialversicherer dürfen mutmassliche Simulanten durch Privatdetektive überwachen lassen. Deren Berichte sind als Beweismittel verwertbar. Gemäss dem Sitzungsentscheid der I. Sozialrechtlichen Abteilung des Bundesgericht besteht für den Einsatz von Privatermittlern durch die Unfallversicherung (und die anderen Sozialversicherer; für die IV wurde bereits per 2008 eine explizite gesetzliche Grundlage geschaffen) mit Art. 28 und 43 ATSG (Auskunftspflicht des Versicherten, Abklärungspflicht der Versicherung) eine ausreichende gesetzliche Grundlage. Der Eingriff in die Privatsphäre der Betroffenen wiegt nur leicht und ist durch das öffentliche Interesse an der Bekämpfung von Missbrauch gerechtfertigt.
Die Observation darf jedoch nur im öffentlichen Raum stattfinden, «Fallen» der Ermittler sind nicht zulässig. Dass der Bundesrat aktuell damit befasst ist, eine ausdrückliche gesetzliche Grundlage zu schaffen, ändert (entgegen der Meinung von zwei der fünf beratenden Richter) nichts daran, dass bereits heute eine genügende Gesetzesgrundlage besteht.
(Öffentliche Beratung vom 15. Juni 2009 im Verfahren 8C_807/2008; schriftliche Begründung ausstehend)
Ehemalige Pflegeeltern ohne Rechte
Ehemalige Pflegeeltern haben keinen Anspruch darauf, das betreute Kind nach seiner Rückkehr zu den leiblichen Eltern zu besuchen oder mit Informationen über seine Entwicklung bedient zu werden. Entsprechende Massnahmen dürfen von der Vormundschaftsbehörde laut Bundesgericht nur angeordnet werden, wenn dies das Kindswohl erfordert. Art. 275a ZGB gibt nur den leiblichen Eltern (ohne Sorgerecht) einen Anspruch auf Informationen. Gemäss Art. 274a Abs. 1 ZGB kann zwar auch anderen Personen als den Eltern ein Besuchsrecht eingeräumt werden, aber eben nur, wenn dies dem Wohl des Kindes dient.
(5A_100/2009 vom 25. Mai 2009)
Kantonale Unvereinbarkeitsregeln
Die im Kanton Aargau geltende Regelung, wonach ein Amt als Gemeinderat nicht mit einer Anstellung als Mitarbeiter der gleichen Gemeinde vereinbar ist, kann ohne Verletzung von Art. 34 Abs. 1 BV (politische Rechte) auf einen Stadtrat (Exekutive) angewendet werden, der in seiner Gemeinde gleichzeitig als Bezirksschullehrer tätig ist.
Dass aufgrund der Kompetenzen des Stadtrats praktisch keine Gefahr von Interessenkollisionen oder Machtanhäufung besteht, spielt laut dem Sitzungsentscheid des Bundesgerichts keine Rolle. Die Kantone haben bei der Aufstellung von Unvereinbarkeitsregeln einen grossen Handlungsspielraum, in den das Bundesgericht nur mit Zurückhaltung eingreift.
(Öffentliche Beratung vom 3. Juni 2009 im Verfahren 1C_11/2009; schriftliche Begründung ausstehend)
Zusätzliche Busse nicht zwingend
Die für ein Vergehen ausgesprochene bedingte Geldstrafe ist gemäss der Strafrechtlichen Abteilung des Bundesgerichts trotz anders lautender Empfehlung der Konferenz der Strafverfolgungsbehörden nicht in jedem Fall zwingend mit einer Busse zu verbinden. Das kann dazu führen, dass ein Vergehen für den Betroffenen keine direkten finanziellen Konsequenzen hat, während der Täter einer Übertretung eine Busse zahlen muss.
(6B_1042/2008 vom 30. April 2009)
Bundesverwaltungsgericht
Erlaubte Jagd aufInternetpiraten
Die Schweizer Firma Logistep darf im Internet weiterhin im Auftrag von Urheberrechtsinhabern Anbieter von illegalen Film- und Musikdownloads ausfindig machen. Laut Bundesverwaltungsgericht wird dadurch zwar die Persönlichkeit der von der Datenbearbeitung betroffenen Personen verletzt. Da kein anderes Mittel zum Schutz der Urheberrechte besteht, ist die Ausforschung der illegalen Anbieter jedoch durch überwiegende private und öffentliche Interessen gerechtfertigt (Art. 13 DSG). Die Richter in Bern haben einer Empfehlung des Eidgenössischen Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragten die Genehmigung verweigert.
(A-3144/2008 vom 27. Mai 2009)
Weitergabe der Diagnose bei Spitaleintritt
Spitäler dürfen Krankenkassen nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts bereits mit der Meldung des Eintritts eines Versicherten systematisch und in nicht anonymisierter Form Einblick in dessen Diagnose gewähren, damit die Kassen ihre Leistungspflicht und die Wirtschaftlichkeit der Behandlung prüfen können. Allerdings müssen die Modalitäten in den entsprechenden Tarifverträgen (hier Bern, Beschwerde von Santésuisse gegen Nichtgenehmigung des Tarifvertrages abgewiesen, Zulässigkeit der Weitergabe der Diagnose aber grundsätzlich bejaht) detailliert geregelt werden. Bei heiklen Krankheiten (etwa Geschlechtskrankheiten oder psychischen Erkrankungen) muss die Herausgabe der Diagnose an den Vertrauensarzt erfolgen. Versicherte sind darauf hinzuweisen, dass sie eine Weitergabe an den Vertrauensarzt verlangen können. Dauer und Art der Aufbewahrung der zu codierenden Diagnose müssen festgelegt werden.
(C-6570/2007 vom 29. Mai 2009)
Markenschutz für «A–Z» verweigert
Das Bundesverwaltungsgericht verwehrt der AZ-Medien AG (unter anderem Herausgeberin der Aargauer-Zeitung) die Eintragung der Wortmarke «A–Z». Gelesen als «A bis Z» steht der Begriff für «ganz» oder «vollständig» und ist damit als Zeichen des Gemeinguts vom Markenschutz ausgeschlossen.
(B-1580/2008 vom 19. Mai 2009)
Keine Defizitdeckung für George Gruntz
Die Kulturstiftung Pro Helvetia hat dem renommierten Schweizer Jazzmusiker George Gruntz laut Bundesverwaltungsgericht zu Recht eine Defizitgarantie für die letztes Jahr durchgeführte Russland-Tournee seiner Bigband verwehrt. Nach Ansicht des Gerichts hat Pro Helvetia zwar kurz, aber durchaus schlüssig begründet, weshalb sie die qualitativ unbestritten hochstehende Musik von Gruntz als wenig innovativ erachtet hat und deshalb ihre verbleibenden knappen Mittel einer anderen, jungen Jazzband hat zukommen lassen, die im Gegensatz zur Band von Gruntz zudem ausschliesslich aus in der Schweiz wohnhaften Künstlern besteht.
(B-3548/2008 vom 26. Mai 2009)
(PJ)