Generalunternehmer muss detailliert Rechnung stellen
Ein Generalunternehmer muss auf seinen Rechnungen nachweisen, welche konkreten Leistungen erbracht wurden und dass der geltend gemachte Aufwand nötig und angemessen war. Das gilt auch beim System der offenen Abrechnung mit Vereinbarung eines Kostenziels. Das Bundesgericht bestätigt ein entsprechendes Urteil des Zürcher Handelsgerichts, das eine Restwerklohnforderung des Generalunternehmers von 3,9 Millionen Franken für den Bau eines Nanotechlabors abwies.
Die Bauherrin hatte Zahlungen von 53 Millionen Franken geleistet und weitergehende Forderungen zurückgewiesen. Ein blosser Nachweis, dass die belasteten Leistungen von Subunternehmern für den betreffenden Bau anfielen, genügt gemäss Bundesgericht nicht. Der Generalunternehmer hätte die Notwendigkeit und Angemessenheit behaupten und beweisen müssen. Das Gericht und die Gegenpartei müssen die Informationen zudem in einer nachvollziehbaren Art erhalten.
Bundesgericht 4A_226/2023 vom 10.10.2023
Fragwürdige Kostennote für blosse Akteneinsicht
Artikel 102 Absatz 3 der Strafprozessordnung besagt, dass Berechtigte gegen Entrichtung einer Gebühr die Anfertigung von Kopien der Akten verlangen können. Die Bestimmung sagt aber nichts darüber aus, ob auch für eine blosse Einsicht in die Akten Gebühren erhoben werden können. Das Bundesgericht lässt diese Frage offen, heisst aber in einem Strafverfahren wegen Strassenverkehrsdelikten eine Beschwerde gegen einen Beschluss des Zürcher Obergerichts gut, das «Gebühren für die Akteneinsicht beim Forensischen Institut Zürich in der Höhe von 570 Franken» erhob.
Der Hinweis, es handle sich um den Aufwand für die «Organisation der Akteneinsicht durch die Beschuldigte nach ergangenem obergerichtlichen Urteil» genügt nicht: «Dem angefochtenen Entscheid lässt sich somit weder entnehmen, gestützt auf welche rechtliche Grundlage der Beschwerdeführerin die Kosten für die Akteneinsicht auferlegt werden können, noch nach welchen Grundsätzen die Höhe einer solchen Gebühr zu bestimmen wäre.» Die Sache geht an die Vorinstanz zurück.
Bundesgericht 7B_49/2023 vom 3.11.2023
Vermögensverwalter muss Stiftung entschädigen
Eine Vorsorgestiftung muss sich im Prozess gegen ihren Vermögensverwalter das Fachwissen von Stiftungsräten, die in einem Interessenkonflikt stehen, nicht anrechnen lassen. Das Bundesgericht bestätigte ein Teilurteil des Zürcher Handelsgerichts, das die Vermögensverwalterin nach einer umstrittenen Investition zur Rückzahlung von gut 650'000 Franken verpflichtet. Dabei wurde der Schadenersatz aufgrund Selbstverschuldens der Vorsorgestiftung um die Hälfte reduziert. Der Stiftung wurde zudem ein Auskunftsrecht über Retrozessionen zugesprochen. Im Stiftungsrat der Vorsorgestiftung sassen drei Vertreter des Vermögensverwalters – darunter dessen Geschäftsführer.
Bei einem vierten Stiftungsrat, der als Vertreter eines anderen Fondsanbieters im Gremium sass, unterliess die Vermögensverwalterin gemäss Bundesgericht substanziierte Behauptungen zu seinem spezifischen Wissen – vor allem dass er «um ihre Doppelrolle und den daraus resultierenden Interessenkonflikt» wusste. Die Vermögensverwalterin hatte die Vorsorgegelder in einen teuren, von ihr verwalteten Dachfonds umgeleitet, statt sie günstiger direkt in die Zielfonds zu investieren. Zudem kaufte sie vom Zielfonds teure Tranchen statt der günstigen Tranchen für institutionelle Anleger, weil sie dabei höhere Retrozessionen erhielt.
Bundesgericht 4A_350/2023 vom 21.11.2023
Freispruch für Innerrhoder Staatsanwalt
Der vom Kantonsgericht wegen Begünstigung verurteilte ehemalige leitende Staatsanwalt des Kantons Appenzell Innerrhoden hat die Verjährung eines Verfahrens wegen fahrlässiger Tötung nicht eventualvorsätzlich in Kauf genommen. Sein Verhalten spricht nur für «bewusste Fahrlässigkeit». Deshalb spricht ihn das Bundesgericht vom Vorwurf der mehrfachen Begünstigung frei. Der Staatsanwalt war vom Bezirksgericht zunächst freigesprochen, vom Kantonsgericht aber zu sechs Monaten bedingt verurteilt worden.
Seit dem tödlichen Unfall des Lehrlings einer Autogarage im September 2010 waren sechs Jahre und neun Monate verstrichen, bis der Staatsanwalt Anklage gegen Verantwortliche des Lehrbetriebs erhob. Im Oktober 2017 stellte das Gericht die Verfahren wegen Verjährung ein. Das Bundesgericht hält fest, dass die Falllast sehr hoch war und der Staatsanwalt versuchte, die Verfahren im April 2017 mittels Strafbefehl abzuschliessen. Das zeuge von einem ernsthaften Vertrauen, das Verfahren rechtzeitig abschliessen zu können.
Bundesgericht 6B_230/2022 vom 25.10.2023
Zustellung an den Nachbarn ist nicht rechtswirksam
Die Zustellbestätigung bei der A-Post Plus ist bloss ein Indiz dafür, dass eine Sendung in den Briefkasten des Adressaten gelegt wurde. Das zeigt ein Entscheid des aargauischen Amts für Migration über eine Niederlassungsbewilligung, die laut elektronischer Sendungsverfolgung am 3. August zugestellt wurde. Das Verwaltungsgericht lehnte eine am 5. September der Post übergebene Beschwerde dagegen wegen verpasster Frist ab. Der 34-jährige Adressat machte jedoch geltend, der Pöstler habe die Sendung irrtümlich seinem Nachbarn zugestellt, der denselben Familiennamen trage.
Der Nachbar habe ihm den Brief am 5. August übergeben, wofür eine schriftliche Bestätigung vorliegt. Dennoch trat das Verwaltungsgericht nicht auf die Beschwerde ein. Rechtswirksam sei die Zustellung beim Nachbarn. Der verspätete Erhalt sei selbstverschuldet, da der Vorname auf dem Briefkasten fehle. Laut Bundesgericht geht es nicht an, dass das Migrationsamt das Risiko eines Zustellfehlers dem Adressaten aufbürdet. Die Beschwerdefrist ist gewahrt, das Verwaltungsgericht muss auf die Beschwerde eintreten.
Bundesgericht 2C_988/2022 vom 7.11.2023
Verstösse des Baukartells im Unterengadin bestätigt
Das Bundesverwaltungsgericht bestätigte die Verfügung «Hoch- und Tiefbauleistungen Engadin I» der Wettbewerbskommission vom März 2018. Drei von fünf sanktionierten Firmen hatten dagegen Beschwerde erhoben. Das Gericht kam zum Schluss, die Weko habe Gesamtabreden zwischen den Baufirmen und damit schwerwiegende Kartellrechtsverstösse überzeugend nachgewiesen.
Allerdings reduziert das Gericht die gegen die Foffa-Conrad-Gruppe ausgesprochene Sanktion deutlich von 5 auf 2,5 Millionen Franken. Hauptgrund ist, dass die Gruppe mit einer Selbstanzeige an der Aufdeckung des Kartells mitgewirkt hatte. Die Sanktionen gegen die Lazzarini AG (2 Millionen Franken) und die Resgia Koch SA (184'510 Franken) wurden leicht reduziert. Die Urteile können beim Bundesgericht angefochten werden.
Bundesverwaltungsgericht B-3096/2018, B-3097/2018, B-3290/2018 vom 28.11.2023
Ersatz des amtlichen Verteidigers begründet
Ein amtlicher Verteidiger muss ausgewechselt werden, wenn das Vertrauensverhältnis zum Mandanten erheblich gestört ist. Objektive Pflichtverletzungen sind nicht erforderlich. Für ein gestörtes Vertrauensverhältnis spricht, dass der amtliche Verteidiger ein handschriftliches Haftentlassungsgesuch seines Mandanten eigenmächtig zurückzog und der Staatsanwaltschaft erklärte, er dulde keine Alleingänge. Sein Mandant war mit einem Gesuch auf einen Verteidigerwechsel bei der Zürcher Staatsanwaltschaft und dem Obergericht abgeblitzt.
In seiner Beschwerde an das Bundesgericht machte der wegen Betäubungsmitteldelikten Beschuldigte geltend, dem amtlichen Verteidiger seien gute Beziehungen zu den Behörden wichtiger als die Interessen seines Mandanten. Das Bundesgericht kam zum Schluss, dass der Verteidiger der Staatsanwaltschaft den Inhalt von Klientengesprächen und seine Verteidigungsstrategie offenlegte. So gab er zu verstehen, dass er den Verzicht des Beschuldigten auf ein abgekürztes Verfahren für wenig erfolgversprechend hielt.
Bundesgericht 7B_141/2022 vom 2.11.2023
TV-Reportage zu Covid war nicht ausgewogen
Eine Reportage des Westschweizer Fernsehens mit dem Titel «Hass vor der Abstimmung über das Covid-Gesetz» vom November 2021 verstiess gegen den Grundsatz der angemessenen Darstellung der Meinungsvielfalt, der gemäss Artikel 4 Absatz 4 des Bundesgesetzes über Radio und Fernsehen zu den Mindestanforderungen an den Programminhalt gehört. Das Bundesgericht wies die Beschwerde der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft gegen einen entsprechenden Entscheid der Unabhängigen Beschwerdeinstanz ab.
Die Bundesrichter befanden, dass der Beitrag in der Sendung «Mise au Point» beim Publikum den Eindruck erwecken konnte, dass es in den Reihen der Gegner des Covid-Gesetzes keine vernünftigen Menschen gebe. Im 15-Minuten-Beitrag kamen die Gegner nur wenige Sekunden zu Wort. Die Sendung hob nicht ausreichend hervor, dass die Gegner nicht auf Verschwörungstheoretiker reduziert werden können.
Bundesgericht 2C_859/2022 vom 20.9.2023
Krankenkasse muss nur bei entstellenden Narben zahlen
Die chirurgische Korrektur wulstiger Narben am Arm und neben dem Brustbein eines 23-Jährigen ist keine kassenpflichtige Leistung, da die Narben weder namhafte Schmerzen erzeugen, noch die Beweglichkeit erheblich einschränken oder das Erwerbsleben negativ beeinflussen. Das Bundesgericht wies die Beschwerde des Versicherten gegen ein Urteil des Thurgauer Verwaltungsgerichts ab, das die Verweigerung der Kostenübernahme durch die Krankenkasse Sanitas aus der Grundversicherung bestätigt hatte.
Bundesgericht 9C_222/2023 vom 18.12.2023
500 Franken Stundensatz für Erbrechtsvertreter tolerabel
Zwei von vier Erben der Aktien einer Firma wehrten sich beim Bundesgericht gegen die Einsetzung einer grossen Wirtschaftskanzlei als Erbrechtsvertreterin durch das Bezirksgericht Winterthur. Sie bemängelten den hohen Stundenansatz der Mandatsleiterin von 740 Franken, zulässig wären ihrer Ansicht nach maximal 500 Franken. Beim Obergericht drangen sie damit nicht durch. Dieses wies darauf hin, dass nach Angaben der Mandatsleiterin weitere Mitarbeiter mit Ansätzen von 230 bis 450 Franken beigezogen würden – damit werde sich insgesamt ein angemessenes Honorar ergeben. Das Bundesgericht weist die Beschwerden der Erben ab. Wenn der Aufwand durchschnittlich 500 Franken pro Stunde nicht überschreite, sei ihrer Hauptsorge Rechnung getragen.
Bundesgericht 5A_564/2023 und 5A_582/2023 vom 26.10.2023